Kapitel 17 - Nachhall des Nebels | 2
Schweigend beendeten sie ihr Frühstück, ehe sie ihr Gepäck wieder schulterten. Immerhin wussten sie nicht, ob sie noch eine weitere Nacht in Capri verbringen würden. Allerdings konnte Ardenwyn mit Sicherheit sagen, dass keiner von ihnen länger als unbedingt notwendig bleiben wollte. Die vergangene Nacht hatte bei ihnen allen Spuren hinterlassen und keiner von ihnen wirkte sonderlich ausgeruht. Eine weitere Nacht hier würde das definitiv nicht ändern. Eher im Gegenteil.
Die Sonne grüßte sie mit warmen Strahlen, die sich wie eine sanfte Berührung auf Ardenwyns Gesicht anfühlten. Der Nebel hatte sich aus Capri zurückgezogen, doch sie wusste, dass er zwischen den Bäumen nur darauf wartete, dass das Licht schwand. Lauernd wie eine Bestie hatte er sich zurückgezogen und würde auch bald schon wieder zuschlagen. Abend für Abend. Nacht für Nacht.
Heute erblickte sie tatsächlich auch die Bewohner Capris. Gestern hatten sie sich zwar in ihren Häusern verbarrikadiert und kaum einen Blick nach draußen gewagt, doch heute erschien der vergangene Tag eher wie ein Traum. Lachend grüßten die Leute ihre Nachbarn, quatschten mit ihren Freunden und gingen ihren täglichen Beschäftigungen nach. Nichts wies darauf hin, dass mit Capri etwas nicht stimmte. Tagsüber hätte es ein Dorf wie jedes andere sein können. Die Furcht kam erst mit der Dunkelheit.
Neugierig wurde die kleine Reisetruppe beäugt, doch niemand sprach sie an. Ardenwyn stellte fest, dass hier Menschen und Wesen gleichermaßen lebte. Und das auch noch Seite an Seite. Es wärmte ihr das Herz, zu sehen, wie eine Waldelfe mit bunten Schmetterlingsflügeln gemeinsam mit einer Menschenfrau an einem schmalen Bach stand, der hinter ihren Häusern floss und sie angeregt quatschend ihre Wäsche wuschen. Das war ein Bild, das man in Espenjona nur noch sehr selten sah.
Womöglich lag es nicht bloß an Capris abgelegener Lage und der geringen Größe der Stadt, sodass Avarons Einfluss noch keinen Weg hierher gefunden hatte. Vielleicht war auch der Wald der tausend Ängste ein Grund dafür, dass der falsche König sich davor hütete, seine Gefolgsleute in den Norden zu schicken, den Frieden zwischen Menschen und Wesen mit Verachtung und Misstrauen auszutauschen.
Capri wirkte bei Tag ganz anders als zur späten Stunde. Der Ort sprühte nur vor Leben und erschien komplett gegensätzlich zu dem Städtchen, das sie gestern betreten hatten. Ungestüm blühten Blumen in allerlei Farben und Formen zwischen den Häusern, da sie niemand je die Mühe gemacht hatte, die Gräser und somit auch die Blumen zu stutzen. Vogelgezwitscher schallte durch die Luft. Capri hätte ein durch und durch idyllischer Fleck Erde sein können, wäre da nicht der Wald. Auch bei Tag ragte er drohend über den Häusern auf. Allzeit bereit, Eindringlinge in die Flucht zu jagen.
»Entschuldigung.« Wisteria hatte sich einem fröhlich pfeifenden Mann genähert, der einen hölzernen Karren voller Kisten auslud.
»Ja?« Neugierig hielt er inne und wandte sich der Giftmischerin zu. »Wie kann ich helfen?«
»Könnten Sie uns vielleicht sagen, wo wir den Geschichtenerzähler finden?« Die Brünette schenkte ihm ihr feines Lächeln. Augenblicklich verfinsterte sich seine Miene. Abweisend presste er die Lippen fest aufeinander, sodass sie bloß noch eine schmale Linie ergaben. Ihm war anzusehen, wie sehr es ihm mit einem Mal widerstrebte, mit der Giftmischerin zu sprechen. Würde er überhaupt antworten?
»Ich gebe euch einen Rat: Haltet euch von ihm fern.« Entschieden wandte er sich ab und hob mit einem passiv aggressiven Ruck eine Kiste von seinem Karren, ehe er strammen Schrittes auf ein Haus zu stapfte. Er warf keinen Blick zurück.
Etwas verloren stand die Giftmischerin mitten auf der Straße, die eigentlich ein erdiger Weg war, und starrte dem Mann irritiert hinterher. »Vielleicht sollten wir die Worte von Gerta und dem Mann nicht einfach als Unsinn abtun«, sagte sie leise. »Womöglich ist da etwas Wahres dran und sie tun recht daran, den Geschichtenerzähler zu fürchten.«
Zirkon schnaubte abwertend und verschränkte die Arme vor der Brust, während er dem Mann einen verächtlichen Blick zuwarf. »Pah. Denen ist bloß der Wald und sein Nebel zu Kopf gestiegen. Was soll an einem Mann, der Geschichten erzählt schon gefährlich sein? Ein Blick von mir und der Kerl ist nur noch eine Statue.«
»Aber der Preis-« Wisteria wurde unterbrochen.
»Vergiss den Preis. Wir haben genügend Geld dabei. Und wenn er versucht, uns zu betrügen, schließe ich ihn bis zur Hüfte in Fels ein. Jetzt lasst ihn uns endlich finden.« Entschlossen schritt der Steinteufel voran.
»Wo willst du hin?«, rief Wisteria ihm zweifelnd hinterher.
»Wenn es sein muss, schaue ich in jedes einzelne Haus, bis wir den Geschichtenerzähler endlich gefunden haben. Ich will nicht länger als nötig in diesem vernebelten Kaff bleiben.«
Er ist nicht der einzige, der schlecht geschlafen hat, bemerkte Motte resigniert. Albträume draußen. Albträume drinnen. Ich habe Respekt vor den Leuten, die hier leben.
»Mich wundert es, dass sie trotz allem so gut gelaunt sind«, sagte Ardenwyn.
Man kann sich an alles gewöhnen. Motte zuckte mit den Schultern.
Die Feuertänzerin nickte knapp. »Kann man. Muss man aber nicht. Und es ist nicht so, als hätten die Leute hier keine Wahl. Sie können jederzeit woanders hin ziehen.«
Ein trauriges Lächeln umspielte die Lippen des Wasserelfs. Das hier ist ihr Zuhause.
Eine Weile lang sagte Ardenwyn nichts, ehe sie leise zugab: »Ich schätze, ich würde mein Zuhause auch nicht einfach aufgeben, wenn ich die Wahl hätte.«
Sie kennen es nicht anders, gab er zu Bedenken. Sie sind mit dem Wald aufgewachsen.
»Stimmt.« Dennoch hatte sie die Furcht nie losgelassen. Sobald die Sonne ihnen ihr Licht nicht mehr schenkte und die Finsternis kam, verbarrikadierten sie sich alle in ihren Häusern und harrten aus. Wie konnten sie überhaupt noch schlafen, wenn sie Nacht für Nacht mit der Angst lebten? Hatten die Nebelgestalten es schon einmal geschafft, in eines der Häuser einzudringen? Wundern würde es sie nicht. Das unnatürliche Kreischen sowie das Kratzen in der Nacht waren noch allzu präsent.
»Hey! Na, wer sagt es denn?« Triumphierend lachte Zirkon auf. Er stand einige Meter von ihnen entfernt, nahe der Stadtmauer, ganz im Norden von Capri und nur das massige Holz trennte ihn von der Grenze zum Wald der tausend Ängste. Grinsend deutete er auf ein einsames Haus, das sich schon fast an die nördliche Stadtmauer schmiegte. Es stand etwas abseits von den anderen und wirkte wenig gepflegt. Das Holz der Wände war bereits ausgeblichen und das Strohdach sah aus wie etwas gerupft aus. Die Fenster waren trüb und man konnte kaum durch sie hindurchsehen. Wild wuchs das Gestrüpp um das Haus, sodass es verlassen und vernachlässigt aussah. Eine kleine Vogelfamilie hatte es sich auf dem Vordach gemütlich gemacht und ihr Nest erbaut.
Mit einem Grinsen deutete der Steinteufel auf ein windschiefes Schild, das vor der Haustür in den Boden gerammt worden war.
»Bleibt weg«, las Wisteria vor.
Sympathisch, kommentierte Motte mit einem Kopfschütteln. Allerdings lag ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen, das verriet, dass ihn das Schild amüsierte.
»Nun, dies hat wohl zu bedeuten, dass wir nicht erwünscht sein werden, wie mir scheint«, meinte Diascur, richtete seinen eleganten schwarzen Mantel, trat vor und klopfte. Ardenwyn verkniff sich ein Schmunzeln.
Geduldig wartete der Prinz, doch vergeblich. Im Inneren des heruntergekommenen Hauses regte sich nichts. Doch ihn hielt das nicht auf. Er klopfte erneut, dieses Mal energischer. So leicht ließ er sich nicht abwimmeln. Immerhin hatte er ein ganz bestimmtes Ziel vor Augen. Noch immer blieb es still.
»Vielleicht sollten wir einfach rein gehen?«
Entrüst drehte Wisteria sich zu dem Steinteufel um. »Wir sollen Einbrechen?« Sie klang entsetzt.
»Na ja, ich meine ja nur ...«, brummelte dieser und kickte mit seinem rechten Fuß einen Stein beiseite.
»Zunächst sollten wir uns erst einmal versichern, dass sich die Person, nach der wir suchen, auch wirklich vor Ort befindet«, meinte der Prinz ruhig. Dann blitzten urplötzlich seine silbernen Augen auf und begannen wie der Mond zu strahlen. Von ihnen ging ein trübes, aber durchaus weißes Licht aus.
Aufmerksam betrachtete die Feuertänzerin den Schattentänzer. Bisher hatte sie nie gesehen, wie er seine Kräfte anwandte und sie war durchaus interessiert an dem, was sich ihr nun offenbaren würde.
Überrascht trat sie einen Schritt zurück, als sie bemerkte, dass sich die Schatten in ihrer näheren Umgebung zu bewegen begannen. Unter anderem auch Diascurs eigener Schatten. Es sah aus, als würde jemand an ihm ziehen und unter den Füßen des Prinzen fortreißen. Er löste sich von dem Schattenfürsten und floss mit den Schatten eines halb im hohen Gras versunkenen Eimers und des Schildes zusammen. Wie Wasser, das sich sammelte. Dann zog sich das Dunkel am Boden seltsam lang und bewegte sich in Richtung Haustür. Die Bewegung sah aus wie eine Mischung aus fließendem Wasser und dem Schlängeln einer Schlange.
Dann verschwand die Ansammlung aus Schatten unter der Haustür. Ardenwyn war fasziniert. Schon oft hatte sie gesehen, wie Steinteufel ihre Fähigkeiten anwandten. Oftmals beim Herstellen von Gegenständen. Wisperer, die leise Worte in die Mauern der Häuser hauchten. Oder Giftmischerinnen, die heilende Tinkturen vermengten. In Mortas Potera – und vor allem im Labyrinth-Viertel – war ein solcher Anblick keine Seltenheit. Ganz anders sah das jedoch bei Schattenfürsten aus.
Der Umbrala-Erbe war der Erste, den der Diebin jemals zu Gesicht bekommen hatte. Umso bedeutender war nun, was sie sah. Schatten wie flüssige Tinte. Lebendig gewordene Dunkelheit.
»Im Haus hält sich eine Person auf«, stellte der Prinz fest und sein Schatten heftete sich wieder an seine Sohlen. »Um präzise zu sein; im Erdgeschoss. Der linke Raum.«
»Na, der kann was erleben«, brummte Zirkon und ballte die Hände zu Fäusten, sodass die Knöchel knackten.
»Nur die Ruhe!«, tadelte Wisteria und seufzte genervt. »Wir müssen ja nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen.«
Auf Zirkons Gesicht breitete sich ein ironisches Grinsen aus. Leicht legte er den Kopf schief, während er abwägend die Haustür musterte. »Müssen wir nicht? Das sehe ich aber anders, wenn der Geschichtenerzähler sich weigert, sie uns zu öffnen.«
Motte und Ardenwyn tauschten einen Blick.
Gewalt würde keinen guten Eindruck schinden. Geht es nicht auch sanfter? Sie war froh, dass die anderen seine Handzeichen nicht zu deuten wussten, auch wenn es ihr noch immer Schwierigkeiten bereitete. Sie brauchte meist etwas Zeit, ehe sie die Bedeutung hinter Mottes Gesten verstand.
»Du meinst ...?« Skeptisch hob sie eine Augenbraue.
Und Motte nickte. Er wandte beide Handinnenflächen nach oben und bewegte seine Finger, ähnlich wie Flammen. Diese Geste hatte zwei Bedeutungen: Ardenwyn und Feuer. Beide kamen hierbei auf das gleiche aus.
Kurz wägte sie ab. Das Risiko war gering. Sie bezweifelte, dass ihre Reisegefährten misstrauisch werden würden. Wenn sie denn überhaupt etwas davon mitbekamen. Aber Motte hatte recht. Wenn sie mit offensichtlicher Gewalt die Tür aufbrachen, würde der Hausherr ganz sicher nicht gut auf sie zu sprechen sein. Geschweige denn, ihnen helfen wollen.
»Lasst mich mal.« Sie ging an den anderen vorbei.
»Nur zu.« Einladend deutete der Prinz auf die verschlossene Tür.
Der Steinteufel lachte abschätzend auf. »Na klar. Die Diebin kümmert sich um die Tür. Schlösser knacken dürfte sie ja gewohnt sein.«
»Zirkon!«, zischte Wisteria wütend, doch der zuckte bloß mit den Schultern.
»Ist doch wahr!«
Besagte Diebin ließ sich davon nicht beeindrucken. Nahe stellte sie sich an das Holz der Tür, sodass den anderen der Blick auf das Schloss verwehrt blieb. Sachte legte sie ihre Hand auf das Schloss. Ließ die Hitze frei, die in ihrem Inneren brodelte. Nur ein bisschen. Nicht zu viel. Sorgsam kontrollierte sie den Hitzefluss, hielt ihn klein und konzentrierte ihn bloß auf eine einzige Stelle. Sie spürte, wie das Metall unter ihrer Haut glühend heiß wurde. Jeder andere hätte sich jetzt die Finger verbrannt und wäre mit fiesen Brandblasen davongekommen. Nicht aber sie. Die Feuertänzerin erhöhte die Hitze. Ihre Hand hatte dieselbe Funktion wie eine lodernde Flamme.
Wohlig durchflutete die Wärme ihren Körper. Viel zu selten ließ sie ihre Magie frei. Viel zu selten erlaubte sie sich zu sein, was sie war. Umso mehr genoss sie die Momente – und mochten sie noch so klein und kurzweilig sein –, in denen sie ihr Feuer nicht unterdrückte. Die Flammen, die unter ihrer Oberfläche brodelten, durfte dennoch niemand zu Gesicht bekommen.
Die enorme Hitze ließ das Metall im Inneren des Schlosses schmelzen. Somit war es Ardenwyn ein leichtes, die Türklinke hinunter zu drücken. Äußerlich hatte die Tür keinerlei Schaden genommen. Sie hatte die Hitze bloß auf das Innere vom Schloss konzentriert. Niemand würde je wissen, was wirklich geschehen war. Wenn man nicht auf die Idee kam, sich den Türriegel genauer anzuschauen. Und selbst wenn, würde der Verdacht nicht auf eine Feuertänzerin fallen.
Wortlos trat die Diebin von der geöffneten Tür zurück und sah ihre Begleiter herausfordernd an. Zirkon schnaubte. Verärgert lief er an ihr vorbei, schnurstracks in das Haus, als würde es ihm gehören.
»Ich danke dir«, sagte der Schattenfürst und neigte leicht den Kopf, als auch er vortrat, um einzutreten. Ardenwyn nickte knapp. Als alle sie passiert hatten, betrat auch sie das Haus und schloss die Tür hinter sich. Auch wenn sie sich nur noch anlehnen ließ.
Innen sah das Haus genauso verwahrlost aus, wie außen. Staub hatte sich auf dem Boden und den Möbelstücken niedergelassen. Bloß vereinzelte Fußspuren wiesen darauf hin, dass jemand regelmäßig durch diese Räume streifte. Spinnweben hingen in den Ecken und auf einer Kommode stand eine leere, trostlose Vase. Wie konnte hier jemand leben?
Die Feuertänzerin folgte den anderen in den Raum auf der linken Seite. Ein Wohnzimmer, wie sie schnell feststellte. Hier lag deutlich weniger Staub und es sah etwas gepflegter aus, was darauf deutete, dass jemand sich oft hier aufhielt. Allerdings war auch dieses Zimmer weit davon entfernt, ordentlich oder gar wohnlich zu sein. Alte, verblichene Vorhänge bedeckten die Fenster und auch die Möbel hatten schon deutlich bessere Zeiten gesehen. Immerhin war das Wohnzimmer frei von Spinnweben und zentimeterdickem Staub.
Hinten, am anderen Ende des Zimmers, in einem ausgeblichenen Sessel, der wohl einmal violett gewesen war, saß ein alter Mann. Obwohl er alt war, wirkte er kräftig und alles andere als gebrechlich. Wachsame, wenn auch trübe Augen blickten ihnen entgegen. Das Gesicht war eingefallen und ein verkniffener Zug lag um den Mund. Das ergraute Haar war lang, aber zu einem ordentlichen Zopf gebunden. Sorgsam getrimmte Bartstoppeln ließen das Gesicht noch grimmiger erscheinen. Passend zu seinen wachsamen und forschenden Augen hatte der Mann eine Adlernase. Er wirkte wie ein selbstgefälliger Adeliger. Oder hätte so wirken können, wäre seine Kleidung nicht so ausgeblichen gewesen.
»Was wollt ihr hier? Verschwindet!« Die Stimme des Mannes erlaubte keinerlei Widerspruch. Scharf wie ein frisch geschliffenes Messer schnitt sie die Luft und Wisteria zuckte unter ihrem Klang instinktiv zurück. Sie waren hier nicht willkommen. Daran gab es keinerlei Zweifel.
Diascur trat vor. Wie so oft gaben weder sein Gesicht noch seine Körpersprache Hinweise auf sein Innerstes preis. Mit ruhiger Autorität hatte er sich dem alten, abweisenden Mann genähert. Doch er hielt einen respektvollen Abstand. Hoch aufgerichtet legte er eine Hand locker über die andere.
»Ich bitte um Verzeihung dafür, dass wir unbefugt in Ihr Haus eingedrungen sind«, begann er mit ruhiger Stimme, die dennoch verriet, dass er sich keineswegs einschüchtern lassen würde.
Doch der alte Mann lachte bloß freudlos auf. »Tja, Junge. Ich pfeife auf deine Bitte um Verzeihung.« Prüfend hob er eine Augenbraue, während er den Prinzen aus aufgeweckten Augen feindselig anblitzte. »Was machst du jetzt?« Der Hohn war nicht zu überhören. Ardenwyn kannte Leute seines Kalibers. Zu sehr von sich selbst überzeugt. Zu verbittert und schon zu lange einsam. Leute wie er glaubten, über allen anderen zu stehen und hatten meist Erfolgt dabei, andere mit Einschüchterungen und Herablassung von sich stoßen zu können. In solchen Momenten fühlten sie sich mächtig. Weniger nutzlos.
Man könnte jemandem wie ihn mit der selben Autorität entgegentreten. Mit dem selben herablassenden Verhalten. Entweder war er dadurch so vor den Kopf gestoßen, dass er nachgab oder er kam erst richtig in Fahrt. Natürlich könnte man auch versuchen, sich unterwürfig und freundlich zu geben. Womöglich erfreute sich der Mann dann an dem temporären Machtgefühl oder aber er schmiss sie hochkant raus.
So oder so konnten sie nicht wissen, mit welcher Variante man bei ihm ans Ziel gelangte.
»Das ist wahrlich bedauerlich«, sagte Diascur mit einem leisen Lächeln auf seinen Lippen, das eine souveräne Betrübtheit ausstrahlte. »Dürfte ich mich vorstellen?« Er wartete gar nicht erst auf die Antwort des Alten, der ohnehin verächtlich schnaubte. »Mein Name ist Kia und dies hier sind meine Weggefährten. Wir haben den weiten Weg aus dem Süden auf uns genommen, um Sie zu treffen. Sie sind doch der Geschichtenerzähler, sollte ich mich nicht irren.«
Finster betrachtete der Mann Diascur. »Du irrst dich nicht. Und jetzt kommt zum Punkt Junge. Stiehl mir nicht meine Zeit. Die ist nämlich wertvoll.«
Neben Ardenwyn stieß Zirkon ein leises, ersticktes Husten aus. Sie konnte ihm ansehen, dass er sich seinen bissigen Kommentar verkneifen musste. Aber immerhin schien auch er zu begreifen, dass das Gespräch mit dem Geschichtenerzähler ein Balanceakt auf einem dünnen Seil darstellte. Ein falsches Wort und dar wäre es gewesen. Bei diesem Mann würden sie bloß eine einzige Chance haben.
»Selbstverständlich.« Diascur lächelte berechnend. »Wir haben den weiten Weg auf uns genommen, weil wir hörten, dass Sie über ein ausgesprochen großes Reservoir an Geschichten verfügen. Womöglich sind Sie dazu in der Lage, uns gewisse Dinge zu erzählen, die uns sehr weiterhelfen würden.«
»Ja. Weiter?« Ungeduldig gab der Geschichtenerzähler dem Prinzen zu verstehen, fortzufahren.
»Wir sind auf der Suche nach Informationen über Avaron Schwarzwasser.« Bei diesen Worten versteinerte die Miene des Alten.
»Der falsche König.« Er sprach zwar nur leise, doch Ardenwyn hatte seine Worte deutlich vernommen. Und ihr fiel sofort auf, dass der Mann, obwohl er ein Mensch war, Avaron ebenfalls als einen falschen König betitelt hatte. Genau wie sie. Zumindest gab ihr das Aufschluss darüber, dass der Alte nicht auf der Seite des Königs war. Ihm womöglich sogar abgeneigt war. Das war interessant.
»Sehr wohl.« Diascur stand nach wie vor mit geradem Rücken und erhobenen Kinn. Dennoch wirkte er nicht starr wie eine Statue, sondern irgendwie respekteinflößend. Sie konnte es sich nicht erklären. Tatsächlich kam ihr seine Haltung sogar irgendwie gelassen herüber. Wie er das anstellte, war ihr ein Rätsel.
»Wir wären Ihnen sehr verbunden, wenn Sie Ihr Wissen mit uns teilen würden.«
»Vornehme Worte für einen daher gelaufenen Reisenden«, merkte der Geschichtenerzähler trocken an. Forschend stützte er sein Kinn auf seine Faust und musterte Diascur. »Aber du solltest dir über den Preis im Klaren sein. In deinen Augen mögen es nur Geschichten sein. Doch in meinen handelt es sich um Wissen. Und Wissen ist Macht, weiß man, es richtig anzuwenden.«
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