Kapitel 16 - Aus Holz und Nebel | 3
»Willst du warten, bis uns Wurzeln wachsen?«, beschwerte sich Zirkon.
Grämling schnaubte genervt. »Sagt ihm Euren Namen und er wird die Schnauze halten«, prophezeite er. Ein kleines Lächeln zuckte über ihr Gesicht.
»Ich fürchte, Zirkon gleicht bloß die Stille der anderen beiden aus«, seufzte Ardenwyn und ergab sich ihrem Schicksal. Gemeinsam mit Motte ließ sie die Mannschaft der Wassertänzerin hinter sich. Johlend verabschiedete diese ihren Kameraden ein letztes Mal. Motte winkte seiner Familie zu.
Irritiert beäugte Zirkon die Diebin und den Wasserelf. Auch Wisteria wirkte verwundert, bloß Diascur ließ sich wieder einmal nichts anmerken und es wurmte Ardenwyn, dass er sich so viel besser unter Kontrolle hatte, als sie selbst.
»Was soll das denn?«, fragte der Steinteufel.
»Nach was sieht es denn aus?«, giftete die Feuertänzerin. »Er begleitet uns.«
Zirkon machte schon den Mund auf, um etwas zu erwidern, als Diascur ihn mit erhobener Hand um Stille bat. Ernst musterte er Motte. »Ich weiß nicht, was dich dazu bewegt hat, dich uns anzuschließen. Dir ist wenig über unsere Reise bekannt und dennoch möchtest du sie mit uns gemeinsam fortsetzen?«
Motte blieb trotz der skeptischen Blicke von Zirkon und Wisteria ruhig. Ich weiß, worauf ich mich einlasse, formte er mit seinen Händen. Ardenwyn übersetzte für die anderen.
»Du kannst nicht -«, platzte es fassungslos aus Zirkon heraus, doch ein fester Stoß von Wisteria verhinderte, dass er den Satz zu Ende brachte.
»Das wage ich zu bezweifeln«, sagte Diascur an Motte gewandt. »Ich kann nicht für deine Sicherheit garantieren, solltest du dich wirklich dazu entschließen, uns zu folgen. Unsere Reise ist nicht frei von Gefahren.«
Motte nickte: Das ist mir bewusst.
»Ist er denn vertrauenswürdig?«, äußerte Wisteria besorgt ihre Bedenken.
Zirkon lachte auf. »Er kann nicht sprechen. Wer ist schon vertrauenswürdig, wenn nicht er?«
»Zirkon!« Erbost starrte die Giftmischerin den Steinteufel aus ihren gelb-grünen Augen nieder.
»Er kann vielleicht seine Stimme nicht nutzen, aber er kann dich sehr wohl hören!«, sagte Ardenwyn scharf. Motte legte ihr beschwichtigend seine Hand auf den Arm.
Nachdenklich musterte Diascur die Diebin. »Wie ich sehe, scheint Arda ihm zu vertrauen.«
»Das heißt nicht viel«, schnaubte Zirkon. »Zumindest nicht für uns.«
»Bist du wohl still!« Tadelnd schüttelte die Giftmischerin den Kopf. »Es sollte wohl an Dias-« Sie stockte und fuhr dann fort, ohne Diascurs vollständigen Namen zu nennen: »- sein, zu entscheiden, ob er uns begleiten darf.«
»Dein Name ist 'Motte', nicht wahr?« Eingehend musterte der Prinz den Wasserelf. »Ich denke, wenn wir entscheiden, dass du uns begleiten darfst, müssen wir dir ein gewisses Grundvertrauen entgegenbringen können. Ansonsten könnten wir untereinander nicht frei sprechen.« Sein Blick glitt zu dem Steg, an dem die Matrosen noch immer damit beschäftigt waren, ihre Fracht auszuladen. Der Hafenmeister stand in ihrer Nähe, hatte aber mehr Interesse an den ehemaligen Passagieren der Wassertänzerin gefunden.
»Aber dieser Ort erweist sich als äußerst ungeeignet. Folgt mir.« Entschieden schritt Diascur voran. Der Weg, von dem Kapitän Grämling gesprochen hatte, war kaum mehr als ein Trampelpfad, an dessen Seiten die Räder eines Karrens tiefe Rillen hinterlassen hatte. Rechts und links von ihnen war nichts außer hohes, grünes Gras, das sich dem Wind, der vom Meer her wehte, beugte. Leise raschelten die Halme und wogen wie seichte Wellen.
Der Prinz blieb erst stehen, sobald der Hafen, der kaum ein Hafen war, außer Sicht war. »Ich bitte um bedingungslose Verschwiegenheit und Diskretion, was unser Vorhaben und meine Identität angeht«, bat er.
Verständnisvoll nickte Motte und sagte: Ich weiß, wer Ihr seid.
Als Ardenwyn übersetzte, entglitten dem Dreiergespann sämtliche Gesichtszüge. Es überraschte sie, dass dies sogar für Diascur galt. Die Fassungslosigkeit und Bestürzung standen ihm ins Gesicht geschrieben. Seine silbernen Augen waren vor Unglauben geweitet. Die Feuertänzerin verkniff sich ihr Lachen, auch wenn es ihr schwerfiel. Den ständig beherrschten Erben der Schattenlande endlich aus der Fassung gebracht zu sehen, war ein kleiner Schatz für sich.
Kapitän Grämling hat Eure Schattenlande bereits bereist und Euch als einen Schattentänzer erkannt. Zu erraten, dass Ihr der Erbe seid, war dann nicht weiter schwer, erklärte Motte gleichmütig.
Fassungslos lachte Zirkon auf, sobald Ardenwyn Mottes Handbewegungen in gesprochene Worte umgewandelt hatte, und massierte seine Schläfe.
Tatsächlich lachte Diascur Umbrala für einen Augenblick amüsiert auf und wiegte leicht seinen Kopf nach rechts und links. »Unfassbar«, murmelte er. »In diesem Mann steckt weit mehr, als ich erahnen konnte.« Ja, das hatte die Feuertänzerin bereits Tage zuvor am eigenen Leib erfahren müssen. Aber anders als sie, schien der Schattenfürst sich keinerlei Sorgen zu machen, dass der Kapitän von seiner Anwesenheit in Espenjona berichten könnte.
»Ich schätze, dass du aufgrund deines Wissens mutmaßen kannst, was der Zweck unserer Unternehmung ist«, sagte der Schattenfürst an Motte gewandt. Dieser nickte und formte mit den Händen, ohne eine Miene zu verziehen, eine Krone und fuhr sich dann mit dem Zeigefinger über die Kehle. Zirkon musste bei diesen Handbewegungen schlucken. Und auch Ardenwyn brauchte nicht nachzufragen, was Motte denn meinte. Die Bedeutung war glasklar.
»Hm. Ja. Also so direkt hat noch keiner ausgesprochen, was wir vorhaben, ohne es überhaupt auszusprechen.« Zirkon fuhr sich mit der Hand über den Nacken. Dann lachte er ungläubig auf. »Wir werden den König töten.« Die Worte sprach er mit Bedacht und langsam, schien jedes einzelne von ihnen auszukosten. Dann wieder, dieses Mal jedoch gefasster: »Wir werden den König töten.« Unter seinen Worten, die so endgültig wirkten, zuckte Wisteria zusammen und auch in Ardenwyn Magen machte sich ein mulmiges Gefühl breit.
»Töten ist so ein schreckliches Wort«, sagte die Giftmischerin leise und schaute sich verstohlen um, als würde sie erwarten, dass irgendwer sie belauschte und nur darauf wartete, dass ebendieses Wort fiel, um mit gezogenen Schwertern aus dem hohen Gras hervorzuspringen.
»Du kannst auch sagen, dass wir ihm beim Einschlafen helfen. Nur halt für immer«, schlug der Steinteufel mit einem Grinsen vor, woraufhin die brünette junge Frau gequält stöhnte. »Und ohne, dass er unsere Hilfe überhaupt will.« Zirkon lachte auf.
»Sind wir denn besser als er, wenn wir zu solchen Mitteln greifen?« Ihr war anzusehen, wie sehr ihr die Vorstellung missfiel, ein Leben auszulöschen. Aber Ardenwyn hatte bereits vermutet, dass Wisteria sich schwertun würde. Darum war sie über ihre Zweifel nicht überrascht.
»Definitiv sind wir besser als er!«, sagte Zirkon mit Nachdruck. »Wir tun ganz Espenjona einen Gefallen, wenn König Avaron endlich verschwindet!«
»Reicht es dann nicht, ihn einzusperren?«
»Er könnte doch ausbrechen. Und dann beginnt alles wieder von vorne. Nein, das Risiko will ich ganz bestimmt nicht eingehen!« Der Steinteufel verzog sein Gesicht. »Eher bringe ich ihn mit meinen eigenen Händen zum Schweigen.«
»Womöglich wäre es für uns günstiger, wenn wir diese Thematik nicht auf offener Straße ausdiskutieren«, entschied Diascur, der wieder die Ruhe in Person war. Seine Maske der Gelassenheit saß wieder fest und elegant auf seinem Gesicht. Ganz der Prinz, der er war. »Ein halber Tagesmarsch liegt noch vor uns. Ich würde raten, uns auf den Weg zu machen. Kapitän Grämling hat zu verstehen gegeben, dass nach Sonnenuntergang keine Reisenden mehr in Capri empfangen werden.«
»Und das alles, weil die Bewohner sich so sehr vor einem Wald fürchten«, höhnte Zirkon. »Die haben wohl nie aufgehört, an Schauermärchen zu glauben!«
»Das sind keine Schauermärchen«, entgegnete Wisteria kopfschüttelnd.
Zweifelnd sah Zirkon die Brünette an. »Und woher willst du das bitte wissen?«
»Weil der Wald der tausend Ängste mein Zuhause war.« Die Giftmischerin sah den Steinteufel nicht an, hielt den Kopf gesenkt und musterte konzentriert den Boden zu ihren Füßen.
Schockiert blieb Zirkon stehen. »WAS?«, platzte es aus ihm heraus und aus großen Augen sah er Wisteria an. Diese jedoch zog es vor, ihn nicht zu beachten und zu schweigen. Für sie schien das Thema beendet zu sein. So sehr der Steinteufel sie auch mit Fragen löcherte, sie antwortete nicht mehr.
Aufmerksam beobachtete Ardenwyn die Giftmischerin. Es war kein Geheimnis, dass viele Giftmischer sich in den Wald der tausend Ängste zurückgezogen hatten. Was aber ihre Aufmerksamkeit weckte war, dass Wisteria 'war' gesagt hatte. Bedeutete das, dass der Wald der tausend Ängste nicht mehr ihr Zuhause war? Aber weshalb? Und wenn sie wirklich von dort stammte, wie war sie schließlich auf Diascur und Zirkon gestoßen? Doch anders als Zirkon begriff sie, dass es keinen Sinn hatte, die junge Giftmischerin jetzt mit lauter Fragen zu bombardieren. Vielleicht würde sie eines Tages reden. Aber wenn dann von sich aus.
»Sei still!«, fuhr Ardenwyn den Steinteufel an, der sich verdattert zu ihr umdrehte.
»Was willst du denn jetzt?«
Aber die Diebin beachtete seinen Einwurf kaum. »Merkst du nicht, dass sie nicht reden will?« Auch wenn sie das nicht beabsichtigt hatte, warf die Giftmischerin ihr nun einen knappen, aber durchaus dankbaren Blick zu. Auch Zirkon entging das nicht und er hielt fortan schmollend die Klappe.
Deine Weggefährten sind-, Motte stockte und überlegte, ehe er fortfuhr: - eine interessante Truppe.
Amüsiert lachte die Feuertänzerin auf. »So kannst du es auch nennen.« Sie beide warfen sich einen bedeutungsvollen Blick zu, ehe Motte grinsend den Kopf schüttelte. Neugierig sah der Steinteufel zu ihnen, doch er hütete sich, jetzt sein Schweigen zu brechen. Immerhin schien er jetzt zu wissen, wann seine Einmischung nicht gewünscht war. Wobei Ardenwyn sich sicher war, dass diese neu gewonnene Erkenntnis nicht von Dauer sein würde.
Größtenteils bewegten sie sich nun ohne großartig miteinander zu reden fort. Der Weg, der vor ihnen lag, war noch lang und jeder von ihnen wollte sparsam mit seinen Kräften umgehen. Sie hielten nur einmal kurz an, um eine kleine Pause einzulegen, in der sie ein wenig von dem Proviant zu sich nahmen, den Kiawwah ihnen mitgegeben hatte und der hauptsächlich als lange haltbaren Lebensmitteln bestand, wie Trockenfleisch. Außerdem hatten sie sich noch vom Frühstück auf der Wassertänzerin einige Scheiben Brot vom Koch mitgeben lassen.
Die Sonne wanderte über den Himmel. Stand schließlich hoch oben, an ihrem höchsten Punkt und zog dann weiter. Graue Wolken hatten sich wie schmutzige Flecke auf dem Blau des Himmels verteilt. Obwohl sie sich bereits vom Meer entfernt hatten, war es auch hier noch windig. Die Landschaft bestand hauptsächlich auf schmalen Baumgruppen, die im grünen Meer aus Gräsern wie Felsen aus dem Wasser ragten. Ganze Schwärme von Vögeln flogen über ihren Köpfen hinweg. Ab und an lugte der Kopf eines Tieres zwischen den hohen Gräsern hervor und neugierige Augen folgten ihnen.
Genau wie Kapitän Grämling sagte, kamen sie schon bald an einer großen Eiche vorbei, an der sich der Weg gabelte. Der Baum wirkte seltsam und verdreht. Der Stamm war dick und knotig und die Äste, von denen einige so tief hingen, dass Ardenwyn bequem auf ihnen Platz hätte nehmen können, wuchsen in einer Form, die einer Schlange alle Ehre gemacht hätte. Moos überzog die Ringe wie Pelz und die Blätter waren saftig grün. Das war wohl der eigenartigste Baum, den die Feuertänzerin je gesehen hatte.
Wie Grämling beschrieben hatte, wandten sie sich nach links und folgten dem Weg in Richtung Norden. Schon bald schoben sich dichte Wolken vor die Sonne und verdunkelten die Welt. Die ersten schweren Tropfen fielen vom Himmel und kurz darauf erfolgte ein ganzer Regenguss, der die fünf Reisenden völlig durchnässte. Ungehalten fluchte Zirkon und schien gar nicht mehr damit aufhören zu wollen.
Zum Glück bemerkte er nicht die sanften Handbewegungen, mit denen Motte den Regen von der Feuertänzerin und sich selbst fernhielt. Es hätte ihm bloß einen weiteren Grund zum Fluchen gegeben. Dankbar lächelte Ardenwyn dem Wasserelf zu, dessen verschwörerisches Grinsen ihr Herz erwärmte. Vielleicht hatte sie doch die richtige Entscheidung getroffen, als sie ihm erlaubt hatte, sie zu begleiten.
In der Ferne war ein Wald zu erkennen, der sich scheinbar ins Unendliche zog. Je näher sie kamen, desto größer wurden die Bäume, die den sagenumwobenen Wald der tausend Ängste bildeten. Die Bäume ragten hoch in den Himmel und waren dunkel wie die Nacht. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis sie Capri erreichten. Immerhin lag die kleine Stadt nahe am Waldrand. Selbst aus der Entfernung waren die dichten Nebelschwaden zu erkennen, die wie dicke Spinnweben in den Ästen hingen.
Nach Stunden des Wanderns kamen endlich die Stadtmauern in Sicht. Capri war deutlich kleiner als Mortas Potera und Fort Aequoria, erschien mehr wie ein Dorf als eine Stadt. Keines der Häuser befand sich außerhalb der Mauern und Ardenwyn war überrascht, als sie erkannte, dass die Häuser wie auch die Mauer aus Holz erbaut worden waren. Seit dem von Avaron angezettelten Krieg gegen die Feuertänzer wurden die meisten Häuser und Mauern aus Stein gebaut, da Holz zu leicht brennbar war.
Die Stadtmauer bestand aus hohen, zusammengebundenen Baumstämmen, die oben angespitzt worden waren, um so zu verhindern, dass Fremde in Capri eindrangen. Nicht weit entfernt hinter der Stadt ragten die Bäume des Waldes der tausend Ängste wie unheilvolle Omen in den dunklen Himmel. Der Nebel drang sogar bis in die Stadt hinein, flutete sie wie Wasser.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro