Kapitel 15 - Mit dem Wind in den Segeln | 2
Zunächst bewegte sich die Wassertänzerin nur langsam. Doch mit jedem Meter, den sie sich vom Hafen entfernten, nahm sie an Geschwindigkeit auf. Wellen brachen am Bug des Schiffes, doch dieses durchschnitt sauber das Wasser. Gleichmäßig glitten sie dahin. Der Salzwind pustete in Ardenwyns Gesicht, wirbelte spielerisch ihr Haar durch die Luft. Die Sonne schien hell am Himmel und ihre Strahlen brachten das blaue Wasser zum Funkeln. Das unendliche Blau hatte die Wassertänzerin vollkommen umschlossen und Fort Aequoria wurde hinter ihnen immer kleiner. Doch es verschwand niemals vollkommen, denn Kapitän Grämling führte sein Schiff parallel zum Landstreifen. Schließlich wollten sie Espenjona nicht hinterlassen und zu den Schattenlanden segeln, sondern bloß in den Norden des Landes.
»Wir sind weit genug vom Land entfernt«, sagte Kapitän Grämling und nickte dem muskulösen Matrosen namens Eddie zu. »Hol Motte.« Der nickte und verschwand sofort unter Deck.
»Ist das nicht schön?« Wisteria war neben die Feuertänzerin getreten. Sanft umspielten ihre braunen Locken ihr Gesicht und ihre grün-gelben Augen blickten verzückt in die Ferne. Locker umschlossen ihre Finger die Reling. Das Rauschen des Meeres hatte eine beruhigende Wirkung. Das hier war so anders als alles, das Ardenwyn bisher erlebt hatte. Ihr gefiel der salzige Geruch, der in der Luft lag und belebend wirkte.
Sie ließen Fort Aequoria sowie Mortas Potera hinter sich. Entfernten sich von Avaron Schwarzwasser und seinen düsteren Fängen. Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit hatte Ardenwyn das Gefühl, endlich durchatmen zu können. Hier musste sie nicht auf jeden Schatten achten. Hier gab es keine Bestien, die sich aus der Dunkelheit auf unaufmerksame Leute stürzten. Hier gab es keinen falschen König, der ihr nach dem Leben trachten könnte, würde er von ihrer Existenz erfahren. Hier schien das alles so weit weg. Es gab nichts außer dem Meer, den sanften und doch mächtigen Wellen.
»Aye, Motte!«, rief da auf einmal der Kapitän erfreut. Ardenwyn drehte sich um und blinzelte überrascht. Bisher war sie davon ausgegangen, dass es auf diesem Schiff bloß menschliche Matrosen gab. Schließlich wurden nichtmenschliche Lebewesen zumeist verachtet. Hinzu kam auch der neue Erlass des Königs, der es magischen Wesen versagte, ihre Fähigkeiten zum Erzielen von Gewinnen einzusetzen. Wozu natürlich auch die Arbeit auf einem Schiff zählte.
Motte war ein schlanker Wasserelf mit einer Haut wie Ebenholz und dunklem Haar, das sich in vielen feinen Zöpfen über seinen Rücken ergoss. Er war nur wenig größer als Ardenwyn und auch nicht viel älter. Um seine Arme wanden sich farbige Ornamente, die sie nicht ganz benennen konnte. Seine Augen waren durchdringend und blau wie das Meerwasser. Doch das Auffälligste an ihm waren wohl die durchscheinenden, zarten Libellenflügel, die aus seinem Rücken sprossen und das Licht der Sonne einfingen. Je nachdem, wie das Licht fiel, schimmerten sie in den verschiedensten Farben. Ardenwyn hatte nur selten einen schöneren Mann gesehen. Noch nicht einmal das schlichte, dunkelblaue und ärmellose Leinenhemd konnte seine Schönheit trüben.
Keiner der Menschen schien sich an seiner Anwesenheit zu stören. Einige lächelten dem Wasserelf freundlich zu, andere klopften ihm aufmunternd auf die Schulter. Er war wie sie. Ein Teil der Mannschaft, gehörte dazu. Völlig ohne Vorbehalte. Sie verhielten sich in seiner Gegenwart nicht anders, behandelten ihn, als gäbe es zwischen Mensch und Wasserelf keinerlei Unterschiede. Mit einem Mal tauchte vor Ardenwyns Augen das Bild der kleinen Waldelfe auf, die sich von allen Seiten mit feindlichen Blicken und hasserfüllten Sprüchen konfrontiert sah. Dieses Land war so verkommen, dass es sie mittlerweile sogar wunderte, wenn Freundlichkeit und Respekt zwischen den verschiedenen Wesen herrschte, die Mortas Potera bevölkerten.
»Motte, mein Junge!« Das faltige Gesicht des Kapitäns verzog sich zu einem strahlenden Lächeln, das auch seine Augen erreichte und in ihnen ein Leuchten weckte, das man heutzutage nur noch selten sah. Seine Stimme war eine Spur sanfter geworden. »Jetzt dürfte es sicher sein.«
Der Wasserelf nickte bloß knapp, ohne seinen Kapitän überhaupt großartig zu beachten. Wortlos trat er zu Grämling hinauf und stellte sich nahe an die Reling. Seine klaren Augen streiften forschend über das Wasser, als erwartete er, dass augenblicklich jemand auftauchen würde, der ihm feindlich gesinnt sein könnte. Sanft peitschten seine dunklen Zöpfe im Wind und die Sonne verwandelte seine zarten Libellenflügel in ein unaufhörliches Spiel der Farben.
Dann hob er seine Hände. Leicht begann das klare Blau seiner Augen zu leuchten. Kaum merklich begannen sich seine schmalen Finger zu bewegen. Dann wurden die Bewegungen entschiedener. Obwohl es für Ardenwyn so aussah, als ob Motte den Wind webte, wusste sie es doch besser. Die Bewegungen seiner Finger glichen den Bewegungen des Meeres. Und sie wusste, dass sie es sich nicht eingebildet hatte. Das Geräusch der Wellen hatte sich verändert.
Sie kämpften nicht mehr länger gegen das Schiff an, das sie zuvor entschieden durchschnitten hatte. Nein, sie hatten sich der Wassertänzerin angepasst. Trieben sie voran, anstatt sie aufzuhalten. Schiff und Wasser arbeiteten Hand in Hand, mit ein und demselben Ziel. Im Einklang.
»Motte, ich sag es immer wieder: Du bist ein Schatz!«, grölte der muskelbepackte Eddie, der sich heimlich wieder eine Flasche Rum gegriffen hatte, mit der er dem Wasserelf fröhlich zuprostete.
»Ja, wir haben es kapiert, Eddie«, spottete Henri, der einige Meter entfernt an der Reling lehnte und Eddie belustigt beobachtete. »Pass bloß auf, dass deine wahre Liebe nicht noch eifersüchtig wird.« Mit einem knappen Kopfnicken deutete er auf die Flasche Rum in Eddies Hand.
Doch Eddie lachte bloß und genehmigte sich einen großen Schluck. »Weißt du, du Mistkerl? Irgendwann triffst du auf jemanden, der dir dein dämliches Mundwerk nicht mehr durchgehen lässt!« Als sich Henris Blick daraufhin verdunkelte und er schwieg, weiteten sich Eddies Augen vor Schadenfreude und ein breites Grinsen legte sich auf sein Gesicht.
»Nein! Es ist endlich so weit? Wer war es?« Neugierig und amüsiert ließ er seinen Blick über die Gäste schweifen. »Die mit dem feurigen Blick, was?« Eingehend musterte er Ardenwyn, die seinen Blick kühl erwiderte. »Ja, ganz sicher! Die war es!« Eddie lachte und trank einen weiteren großzügigen Schluck.
»Halt die Klappe!«, kam es bloß beschämt und ein klein wenig verärgert von Henri. Mit verschränkten Armen stand er an der Reling und wandte seinen Blick demonstrativ dem Meer zu.
»EDDIE!« Kapitän Grämlings Stimme grollte wie Donner. »IST DAS ETWA WIEDER RUM?«
»Sir, nein, Sir!«, rief Eddie und warf die Flasche hastig in einem hohen Bogen in die blauen Wellen.
»An die Arbeit, Matrose!«
»Aye, Käpt'n!«
Ardenwyns Blick driftete wieder zu Motte. Ruhig stand er da vorne am Bug, sein Blick lag in weiter Ferne. Etwas Trauriges, Sehnsüchtiges lag in ihm, was die Feuertänzerin völlig unvorbereitet traf, denn diese Gefühle waren ihr schmerzlich bekannt. Schließlich überkamen sie sie immer wieder. Vor allem dann, wenn sie nicht darauf vorbereitet war. Und egal, wie sehr sie versuchte, sie zu verdrängen: Immer wieder fanden sie ihren Weg zurück zu ihr.
Und sosehr dieser Ausdruck in seinen Augen sie abschrecke, genauso sehr zog er sie an. Motte sah aus wie jemand, dem es womöglich ganz ähnlich wie ihr ergangen war. Wie jemand, der sie verstehen könnte. Aber gerade das machte ihr unfassbare Angst. Etwas in ihr sehnte sich danach, mit jemandem zu reden. Sich jemandem anzuvertrauen. Ihr Innerstes schrie geradezu danach, loszulassen und sich vollkommen zu öffnen. Gerade diese Sehnsucht jagte ihr mehr Furcht ein, als sie jemals bereit war, zuzugeben. Ardenwyn brauchte niemanden. Es war ihr Schicksal, auf ewig allein umherzustreifen. Niemals zu rasten, niemals zu ruhen. Immerzu auf der Flucht, versteckt in der Dunkelheit, die ihr einziger Freund war.
Diese Sehnsucht war ein Feind, tief in ihrem Inneren vergraben, schlug immer wieder zu, zog sich zurück und wartete auf die nächste Gelegenheit. Ardenwyn gab nicht nach. Kämpfte dagegen an. Doch diese Art von Feind konnte sie nicht einfach vernichten. Sie konnte ihm nicht entkommen. Und so lag er weiter auf der Lauer.
Wollte sie unvorsichtig werden lassen, wollte, dass sie sich ihm hingab und ihre Geheimnisse preisgab. Und wäre das erst geschehen, lag ihr Leben nicht mehr länger in ihren eigenen Händen. Es würde nicht gut ausgehen. Schließlich wusste sie ja, wie verlässlich andere Leute waren. Sie würde sich hüten und niemals zulassen, dass sie ihnen freiwillig das Messer in die Hände drückte, um sie zu vernichten.
Als hätte Motte ihren Blick bemerkt, löste sich sein Fokus vom Meer und seine Augen legten sich auf sie. Ironischerweise zuckte Ardenwyn zurück, als hätte sie sich verbrannt.
»Hey, geht es dir gut?«, fragte Wisteria sie vorsichtig und legte ihr sanft die Hand auf den Arm. Gereizt schüttelte die Diebin die gut gemeinte Berührung ab, kehrte dem Wasserelf den Rücken zu und verschwand unter Deck. Sie hatte wahrlich genug Probleme, als sich jetzt auch noch von ihren Gefühlen übermannen zu lassen.
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