29. Kapitel Als Königin
Hier ging ich nun, von der Masse an Menschen umstellt die mich am liebsten am Pranger sehen würden, oder am Grund des Sees. Nur Grund meiner Gemeinschaft bleibt mir dieses Schicksal ersparrt, zumindestens vorerst. Mit Waffen, Rüstung und Klamotten wurden wir für unsere Weiterreise großzügugerweise ausgestattet.
So trage ich jetzt zum Beispiel einen Zweiten Dolch bei mir, bin frisch eingekleidet und mit einem leichten Kettenhemd versehen.
Nach der Feier gestern Abend, ich hatte nicht viel getrunken, ging es den meisten Zwergen heut früh nicht gut. Bofur ist nicht einmal jetzt dabei, Thorin wollte weiter und hatte kein Mitleid für Zwerge gehabt die ihren Rausch ausschlafen müssen.
Wenn wir heute nicht den Berg erreichen würden, wäre alles umsonst gewesen.
Die Reise, die Strapazen, Alles.
Kili ging es nicht gut. Noch blasser als ohnehin schon, und gehen konnte er fast gar nicht mehr, musste sich festhalten, sich stützen oder von anderen gestützt werden.
Ich machte mir Sorgen um ihn, ja, aber das ändert nichts an dem Entschluss von gestern.
Das heißt doch nicht, dass er mir als Person herzlich egal ist, nein, er ist für mich genau so wichtig wie für einen Zwerg der Gemeinschaft.
Wieso rechtfertige ich mich hier eigentlich? Vor wem? Vor mir selbst wahrscheinlich.
Ich spürte die feindseligen Blicke in meinem Rücken, und ich wünschte mir, dass ich wirklich einen Packt mit dem Bösen hätte nur um den Leuten hier mal eine hübsche Lektion zu erteilen. Aber fürs erste müssten die stillen Verwünschungen genügen.
Wir kamen bei dem Steg an, wo auch schon das Boot lag mit dem wir den See überqueren würden. Der Bürgermeister war da. Seit Thorin ihm Reichtum für seine Stadt und ihn versprochen hatte, wobei sowieso alles in seiner Tasche landen würde, war er der begeistertste Unterstützer dieser Unternehmung geworden. Und zur Feier unserer Erscheinung hatte er ein Festmahl gegeben, und das mussten sich die Zwerge nicht zweimal sagen lassen.
Er stand nun auf einem Holzpodium und blickte wie ein Schlächter auf seine Herde. Mit einem prachtvollem Samtmantel. Prachtvoll, das ich nicht lache. Das ist grässlich, der Mantel ist grässlich.
Ein unterdrückter Schmerzensschrei. Hinter mir. Ich schnellte herum, Kili. Mir egal was mein Kopf sagte, mein Herz sagte: Hilf ihm!
Und das tat ich auch. Ich stütze Kilis eine Seite und Fili die andere. Mehr konnte ich nicht tun.
Bevor Thorin, der jetzt einen roten wirklich prächtigen, einem König würdigen Mantel trug, auf das Boot stieg drehte auch er sich nun zu seinen Neffen um. Er sah besorgt aus und wandte sich zu Kili.
,, Du bleibst hier." Das war schnell ausgedrückt.
,, Ich kann mitkommen, mir geht es gut."
Thorin schüttelte den Kopf.
,,Du würdest uns nur aufhalten. Werd wieder ganz gesung und komm uns dann nach." Er lächelte fürsorglich.
Kili sah sich besiegt, Fili schaltete sich ein:,, Onkel, das kannst du ihm nicht antun. Wir sind mit den Geschichten um den Berg aufgewachsen, das kannst du ihm nicht wegnehmen. Wenn es sein muss trage ich ihn.
Wahre Bruderliebe, war das einzige an was ich dachte.
,,Nein Fili. Du gehörst zur Gemeinschaft."
,,Ich gehöre zu meinem Bruder."
In dem Moment traf ich eine sehr wichtige Entscheidung und könnte sie womöglich bereuen. Ich ließ Kili los und trat vor Thorin. ,,Thorin, ich bin dir gerne gefolgt, ich wäre dir auch bis in den Tod gefolgt, was bei mir nicht einmal so weit hergeholt ist. Aber ich denke hier ist für mich erst einmal Endstation, ich bleibe hier bei Fili und Kili. Die zwei brauchen schließlich jemanden der auf sie aufpasst. Ich komme mit ihnen nach, falls ich es überlebe." Er nickte und lächelte mich an. Dann drehte er sich zu Oin um, der auch aus dem Boot wieder auf den Steg sprang.
,,Bilbo.", mein Bruder, der eigentlich nur mein Halbbruder war, drehte sich um. Ich musste es ihm sagen.
,,Ja, Lyra? Wieso kommst du nicht an Bord." er lächelte und es tat fast weh ihn enttäuschen zu müssen. Ich verwarf also meinen inneren Monolog von wegen Halbelbin und musste nun improvisieren.
,,Deswegen wollte ich ja mit dir reden. Ich komme nicht mit." Sein Gesichtsausdruck verriet was er fühlte. Enttäuschung, Verständnislosigkeit, Trauer, Sorge.
,,Ich bleibe hier, bei Kili und Fili. Wenn es Kili besser geht kommen wir mit Oin nach." Als ich in seine Augen sah war mir zum heulen. Er war immerhin mein Bruder und er müsste sich nun Anstatt meiner dem Drachen stellen. ,,Es kann immerhin nur einen Meisterdieb geben, nicht wahr?" Ohne ein weiteres Wort zu verlieren zog er mich in eine Umarmung und kurz war ich geschockt. Er strich beruhigend über meine Haare so wie er es immer getan hatte, als wir noch Zuhause waren. Normalerweise gab es solche Zärtlichkeiten zwischen uns nicht, aber dann erwiderte ich sie. Es könnte das letzte mal sein, dachte ich im stillen und nun flossen die Tränen wirklich.
Wortlos ließ ich ihn los und trat ein Stück zurück. Ich war stolz auf meinen großen Bruder.
Das Boot fuhr los, die Menge jubelte, die Kapelle spielte und ich stand am Steg, still, ruhig, und blickte der unvollständigen Gemeinschaft von Thorin Eichenschild nach. Und niemand vermisste Bofur.
Apropos Bofur. Der war, Sekunden nachdem das Boot abgelegt hatte, auf den Steg gestürmt, komplett außer Atem. Ich stand immer noch so da, er neben mir. ,,Habt ihr alle auch das Boot verpasst?", weniger an den Einzelnen, als an alle gemeinsam und niemanden bestimmten gerichtet.
Ich schüttelte den Kopf als ich still beobachtete wie sich der Platz leerte.
,,Kili geht es schlecht, und dieser kleine Haufen hat sich dazu entschieden mit ihm hier zu bleiben bis er wieder gesund wird."
Er sah mich an und sein Blick drückte genau das aus was ich fühlte, Hoffnungslosigkeit. Bei ihm war es nur eine Ahnung, das das keine normale Fleischwunde sein könnte. Bei mir war es Gewissheit, ich hatte die schwarze Pfeilspitze gesehen.
Kili keuchte erneut Schmerzerfüllt auf. Er musste sich setzten.
,, Wir müssen ganz schnell jemanden finden, der uns hilft. Sonst wird er die nächsten 24 Stunden nicht überleben. Ich hatte eine Befürchtung, wollte bis jetzt aber nicht daran glauben. Der Pfeil war vergiftet."
Ich faselte in einer Tour weiter, als ich über den Holzsteg zu dem Punkt gelang, wo Kili sich auf eine Gemüsekiste gesetzt hatte und schwer atmete. Alle sahen mich geschockt an, als ich es so kühl aussprach als würde es um einen fremden Verwandten in Mordor gehen.
Ich durfte mein Herz aber nicht wieder überhand gewinnen lassen, es würde mich psychisch umbringen, ihn mir nur als Freund vorzustellen, oder sogar weniger. Ich durfte mir gar nichts vorstellen, am besten nur an mich selbst denken, egoistisch sein.
,, Kannst du aufstehen?" fragte ich so kühl wie möglich, mit vor der Brust verschränkten Armen und den Blick in die Ferne gerichtet.
Ich bekam keine Antwort und als ich die Gruppe anblickte bemerkte ich Fili's fragenden und vorwurfsvollen Blick. Die anderen wichen meinem Blick komplett aus, auf Kili achtete ich nicht.
Er stand auf und ich ging los. Seitdem wir mit Bard auf Kriegsfuß standen fiel mir eigentlich nur ein Ort ein, obwohl mir das ganz und garnicht gefiel.
So irrten wir still durch die Gassen, ich voraus, Oin hinter mir und Fili und Bofur die Kili mit sich schleppten als Schlusslicht.
Kalt und verändert, so mochte ich den Zwergen vielleicht vorkommen, aber Ich war immer noch Ich. Ein ausgewechseltes Ich vielleicht, das nicht mehr mit jeder Faser ihres Daseins dem unerreichbaren Zwergenprinzen nachtrauerte und vergötterte. Sondern das Ich, dass sich mit der Realität abfindet und keinen Träumen mehr nachtrauert.
Ich stieg die hölzernen Treppen hoch und atmete noch einmal tief durch bevor ich den schweren Messingtürklopfer in die Hand nahm und ein erstes und ein noch ein zweites Mal gegen die schwere Holztür knallen ließ. Es vergingen nur wenige Herzschläge bevor die Tür mühsahm geöffnet wurde und Alfrid im Türrahmen stand.
Ich trat bei den Erinnerungen an meine Erlebnisse mit ihm instinktiv zurück und griff mir an den Hinterkopf.
,,Ahh, die Hexe. Seid ihr nicht mit dem Zwergen zum Berg gereist um euch halsbrecherischerweise den Hals zu brechen." Halsbrecherischerweise den Hals brechen? Wow. Dieser Mann ist noch inkompetenter als erwartet. Er lehnte sich gegen den Türrahmen und hinter ihm konnte ich im inneren der Halle den Bürgermeister erkennen der sich hinter einem Raumteiler versteckten zu versuchte. Der durchsichtg war.
Ich ließ mich aber nicht von ihm in meinem Beschluss beirren und versuchte so verzweifelt zu klingen, als ob es um mein eigenes Leben ginge.
,,Ihr müsst uns helfen, eines unserer Mitglieder, der Neffe von Thorin Eichenschild, Erbe des Durin, ist sehr krank, wenn ihr nicht helft wird er sterben."
Der Mann verfiel in nackte Panik und drückte sich sogleich ein parfümiertes Taschentuch vor die Nase. Der Bürgermeister war an seine Seite gewatschelt, auch er hatte ein kunstvoll veziertes, samtenes Taschentuch im Gesicht. Seine Stimme wurde durch den Stoff gedämpft.
,,Eine Krankheit? Verschwindet sofort von meinem Haus, am besten auch aus der Stadt, wenn ihr nicht am Grund des Sees landen wollt."
So eine Antwort hatte ich erwartet. Als Alfrid nun die Tür zuschlagen wollte war zufälligerweise mein Fuß im Weg. Tut auch überhaupt nicht weh.
,, Thorin Eichenschild wird nicht gerade zufrieden damit sein, wenn ihr seinen Enkel einfach dem Schicksal überlässt, ohne auch nur die geringste Anstrengung zu unternehmen ihm zu helfen. Und ich schwöre es bei meinem Leben, er wird es erfahren. Dann könnt ihr euch die finanzielle Unterstützung des Zwergenkönigreiches Erebors abschminken."
Selbstzufrieden grinste ich und verschränkte dann auch die Hände vor der Brust. Ich würde als Politikerin doch einen ganz guten Job abgeben, denke ich. Oder als Königin.
Ich erschrak über diesen Gedanken sehr und realisierte wie selbstsüchtig und machtverliebt das klang. Das würde erstens einmal bedeuten, dass einer der Durin-Zwillinge mich als Frau erwähle, und das Thorin irgendetwas ganz schreckliches passieren würde.
Die Tür wurde vor meiner Nase zugeknallt, dieses mal reagierte ich gar nicht, sondern starrte einfach nur weiter auf das Holz vor mir und presste meine Stirn dagegen. Ich will nicht mehr, gar nichts. Der Tod wäre die Beste Wahl, denn nichts macht mehr Sinn. Sosehr hatte ich mich verändert. Nichts von der alten Lyra war mehr über.
Ich hörte die Stiefel, die die knarrenden Treppenstufen heraufkamen und bevor sie mich erreichten drehte ich mich um und setzte mich auf das Holz und stellte die Beine auf der nächst-niedrigen Stufe ab. Ich hatte die Augen geschlossen, öffnete sie auch nicht, mit der Angst gleich wieder in Tränen auszubrechen.
Es setzte sich derjenige neben mich und nahm mich in den Arm. Es war nicht Kili. Es war sein Bruder. Er streichelte über meine Haare, so wie Bilbo das immer machte, so wie ein Bruder halt.
,,Was ist los?"
,,Ich will nicht mehr, Fili. Ich kann nicht mehr, das hat mich alles verändert, ich erkenne mich selbst nicht wieder. Ich will nach Hause."
,,Ich weiß, aber davon kannst du dich jetzt nicht unterkriegen lassen. Du bist eine starke Frau, die den Problemen einfach ins Gesicht schlägt." Er strich mir die Haare aus dem Gesicht und lächelte mich an.
Ich stand abrupt auf, es ging hier immerhin um Zwergenleben, er hatte recht. Kili, Bofur und Oin warteten am Ende der Treppe. Bofur und Oin flüsterten leise miteinander und Kili hielt sich gequält das Bein.
Dann gab es nur einen Ausweg. Bard.
Ich klopfte an die Holztür und fast sofort öffnete sie sich. Bard blickte mich aus großen Augen an und bevor ich irgendetwas sagen konnte hatte er mir die Tür vor der Nase zugeschlagen, mit den Worten:,, Nein danke, ich habe genug von Zwergen.
Noch einmal klopfte ich an.
,,Bitte Bard. Sonst stirbt er!"
Die Tür wurde geöffnet. Der Mann blickte unsere kleine Gruppe an.
Er seufzte besiegt und genervt. ,,Kommt schon rein."
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