7 - Flammenkrone
Fenja starrte die Leute vor ihr an. Ihre Gesichter waren edel und gütig. „Nach 100 Jahren", sagte Einer mit einem blauen Gewand. „Endlich am Ziel", sagte eine Frau mit einem pompösen Gewand. Auf allen Gesichtern war ein Ausdruck der Zufriedenheit zu sehen. Fenja wusste, dass diese Leute Herrscher waren, Könige, oder noch etwas viel Mächtigeres, auch wenn nicht alle von ihnen Kronen trugen.
Die Frau an der Spitze setzte sich in Bewegung. Ohne zu zögern folgte Fenja den seltsamen Leuten. Skadi wollte sie zurückhalten, aber zögernd ging sie schließlich auch mit. „Fenja, das ist nicht normal", sagte sie leise. Doch Fenja beachtete sie gar nicht. Die Frau ging auf die seltsame Silhouette zu.
„Migahni", sagte die Silhouette. Die Stimme klang tief, als würde sie aus der Erde selbst kommen. „Bikah", sagte die Frau, die offensichtlich Migahni hieß. „Bikah?", fragte Skadi erschrocken, mit einer ganz hohen Stimme. „Migahni?"
Fenja fragte sich ein wenig, was sie denn so erschrocken hatte, aber eigentlich waren ihre Gedanken voll und ganz bei dem, was gerade geschah. Die Leute blieben vor der Silhouette stehen und Fenja stellte sich auf die Zehenspitzen um über die Köpfe hinwegzusehen. „Ihr seid wiedergekommen", sagte Bikah. Fenja spürte deutlich, wie die Erde unter ihr ein wenig zitterte, als wäre die Stimme der Auslöser dafür.
„Wenn ich mich Recht erinnere, warst du es, der uns fortgeschickt hat, aber nach 100 Jahren kann ich auch etwas durcheinanderbringen", sagte die Frau mit dem Blumenkranz bissig. Die Frau, die Migahni hieß, hielt ihren rechten Arm zur Seite, wie um sie zurückzuhalten. „Lass sein, Migahni, Ilayda hat Recht", sagte Bikah, als hätte niemand eine Anschuldigung gegen ihn erhoben. „Ilayda?“, quiekte Skadi auf. Fenja beachtete sie nicht.
„Warum bist du dann jetzt so überrascht, dass wir in unsere Heimat zurückgekommen sind?", fragte Ilayda, immer noch wütend und herablassend. Sie trat einen Schritt vor. Fenja wusste, dass Migahni nicht wusste, was sie tun sollte. Einerseits wollte sie Ilayda beruhigen, aber Bikah hatte gesagt, dass sie Recht hatte.
Ilayda kam Bikah immer näher, bis sie schließlich drei Meter von ihm entfernt stand. Das war näher, als Fenja sich je zu ihm hingetraut hätte. Die seltsame, schwarze Silhouette war ein wenig gruselig. Als sie so vor ihm stand, hob sie ihre Hand und ein Wasserstrahl schoss nach oben und nach unten. Oben teilte er sich bald in drei verschiedene Strahlen und als er die Form eines Dreizacks angenommen hatte, verfestigte er sich zu einem funkelnden, blau-grauen Metall, das Fenja nicht kannte.
Migahni wollte zu ihr stürmen und ihr die Waffe entreißen, aber zwischen ihr und Bikah und Ilayda hatte sich soetwas wie eine große, durchsichtige Wand gebildet. Entsetzt legte sie die eine Hand auf die Wand und schaute fassungslos zu Ilayda, die nur Augen für Bikah hatte. „Was willst du tun, Ilayda? Du weißt, dass du damit nur Unglück über dich und deinen Stamm bringst", sagte er, immer noch so, als wäre nichts passiert. Fenja lief wie in Trance an den Leuten vorbei. „Fenja, was tust du da?!", zischte Skadi und zog sie am Ärmel. Doch Fenja lief weiter. Die Wand hatte sie so sehr fasziniert, sie musste sie einfach anfassen und nachsehen, ob sie wirklich real war.
„Du hast uns 100 Jahre lang herumirren lassen! Deinetwegen könnte einer der Stämme ausgelöscht werden sein. Deinetwegen könnte einer der Kronenträger gestorben sein!", zischte Ilayda. „Die Kronträgerlinien können nicht ausgelöscht werden, Ilayda. Das müsstest gerade du am Besten wissen", sagte Bikah und seine Stimme zeigte zum ersten Mal eine Emotion: Traurigkeit. Das riss Fenja aus ihrer Trance und sie starrte die Silhouette erschrocken an, genau wie Skadi, aber Skadi wusste, was Bikah damit meinte. Die anderen Leute sahen jetzt eher wütend aus und die vier anderen Leute mit blauen Gewändern schauten leicht betreten zu Boden, aber auch sie sahen wütend aus.
Fenjas Blick schlich zu Migahni. Und Migahni schaute zu ihr. Fenja blieb für einen Moment die Luft weg. Konnte Migahni sie sehen? Sie schaute Fenja zwar nur aus den Augenwinkeln an, aber es war auffordernd und drängend. Es schien fast, als wollte sie sagen: Tu es doch endlich, na los!
Fenja blickte von der durchsichtigen Wand zu Migahni. Sie konnte ein leichtes nicken sehen. Langsam hob sie ihre ausgestreckte Hand. War es das, was Migahni gemeint hatte? Und konnte sie ihr überhaupt vertrauen? Vielleicht würde ja die Welt untergehen, wenn sie auch die Wand berührte!
Aber irgendwas in Migahnis Blick brachte sie dazu, es doch zu tun. Skadi sah sie verwirrt an. „Fenja, was tust du da?", fragte sie fassungslos. „Ich helfe", sagte Fenja nach einem Blick zu Migahni. Dann legte sie ihre Hand auf die Wand, genau wie Migahni. Und dann war da auf einmal nichts mehr, was Fenja hätte berühren können. Migahni packte etwas auf ihrem Rücken und stürmte mit einem Schrei auf Ilayda zu. Als Fenja genauer hinsah, konnte sie einen Dolch erkennen. Auch die anderen Leute mit Kronen auf dem Kopf hatten aus dem Nichts Waffen in den Händen und stürmten Migahni hinterher. Der mit dem pompösen Gewand und die schwarze Frau mit dem braunen Gewand hielten Ilayda fest, der mit dem weißen Gewand, das auch Skadi trug, riss ihr den Dreizack aus der Hand, der augenblicklich von einer Eiskruste überzogen wurde.
„Es ist verboten, die Waffe eines anderen zu zerstören, Lucian“, sagte Ilayda leise. Sie hatte zwar verloren und war besiegt worden, wenn es auch nicht so schwer gewesen war, aber sie sah immer noch würdevoll aus. „Lucian...?“, flüsterte Skadi schwach und fassungslos.
„Es ist aber erlaubt, wenn der Besitzer sie ohne Grund benutzen wollte“, sagte Lucian kalt und drückte mit seiner Hand zu. Augenblicklich zerfiel der Dreizack in kleine Eissplitter, die unter der warmen Sonne dahinschmolzen. „Gute Arbeit, Tochter“, hörte Fenja eine Stimme sagen. Aber keiner schien gesprochen zu haben. Ihr Blick fiel wieder auf Migahni. Sie blickte ihr direkt ins Gesicht. „Was auch immer geschieht, vergiss nicht. Du bist die Letzte, die die Flammenkrone trägt. Also trage sie mit Stolz“, hörte sie Migahni sagen, aber ihr Mund bewegte sich nicht. Da begriff Fenja, dass Migahni in ihren Gedanken sprach. Fenja wusste nicht, was Migahni mit Flammenkrone und Urtochter meinte, aber bevor sie etwas sagen konnte, packte Skadi sie am Arm.
„Genug gesehen, lass uns gehen. Und zwar jetzt!“, sagte sie ängstlich. Fenja schaute sie verwirrt an. Skadi stampfte einmal mit ihrem Fuß auf und der seltsame Wind erschien wieder.
Als Fenja ihre Augen wieder öffnete, stand sie wieder in dem Raum mit der Treppe und den vielen Betten. Das Buch lag zugeklappt auf dem Bett vor ihr. Im ersten Moment waren Skadi und Fenja zu gefangen von den Ereignissen, als dass sie sprechen konnten. Dann packte Skadi Fenja an beiden Schultern und schaute ihr eindringlich in die Augen. „Was immer geschieht, sprich mit niemandem über das, was gerade passiert ist!“, flüsterte sie. Fenja nickte verwirrt.
„Versprich es!“, sagte Skadi. „Ich verspreche es...!“, sagte Fenja zögerlich und verwirrt. Skadi ließ ihre Schultern los. „Was ist passiert?“, fragte Fenja nach ein paar Sekunden Stille. „Ich weiß es nicht, das ist das Problem. Ich habe das erste Mal, seit zwei Jahren, keine Ahnung!“, rief Skadi wütend. Fenja zuckte zurück. Skadi atmete tief ein. „Entschuldigung“, presste sie heraus, bevor die ganze Luft wieder aus ihr herausströmte. Fenja wusste nicht wie sie reagieren sollte und versuchte ein Lächeln sehen zu lassen, aber es verschwand sofort darauf wieder.
Skadi ließ sich auf das Bett sinken. „Wenigstens wissen wir jetzt, dass du wirklich das Feuermädchen bist“, sagte sie dann. Fenja schaute sie verwirrt an. Warum sollte dieses Erlebnis für die Bestätigung ihrer Rolle in einer Prophezeiung gesorgt haben? „Soetwas passiert nur einem Magier, der wichtiger ist, als alle anderen. Und das bist du anscheinend“, sagte sie. „Warum bin ich wichtiger als andere?“, fragte Fenja verwirrt. „Ich darf dir nicht davon erzählen, Fenja. Ich würde es gerne, aber ich darf nicht“, sagte Skadi. Sie sah erschöpft aus. „Manchmal würde ich einfach gerne einen Nachmittag im Wald verbringen. Oder irgendwo anders, aber nicht auf dem Schulgelände“, seufzte sie.
„Dann verbring doch einfach einen Nachmittag im Wald“, sagte Fenja und setzte sich neben sie. „Ich darf nicht“, war Skadis Antwort. „Der Wald ist für alle Schüler verboten. Selbst Miriel betritt ihn nur, wenn es unbedingt sein muss. Also gar nicht.“
„Warum ist er denn verboten?“, fragte Fenja. Skadi lachte auf. „Wir dürfen nicht in die Nähe der Dörfer kommen. Das ist alles kompliziert, seit dem Anschlag“, sagte sie.
„Was für ein Anschlag?“, fragte Fenja. Skadi schaute sie entgeistert an. „Davon weißt du auch nichts?“, fragte sie fassungslos. Fenja zog die Schultern ein wenig hoch und lächelte unsicher. Skadi stöhnte auf.
„Das wird ein langer Tag“, sagte sie resigniert.
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