XXI
Ich fand leider keine Gelegenheit, mit Cole zu sprechen. Ich wollte nicht vor versammelter Mannschaft herausposaunen, dass ich bereits einen Tanzpartner für den Ball hatte, vor allem, weil ich mir ja nicht einmal sicher war, ob er mich überhaupt fragen wollte. Aber selbst, wenn dem so war, war es ihm bestimmt auch peinlich, so vor allen anderen abgefertigt zu werden.
Ich erwischte Cole leider nicht alleine und obwohl Mila mir jedes Mal einen vielsagenden – wenn nicht sogar vorwurfsvollen – Blick zuwarf, wann immer eine Unterhaltung beendet war und ich wieder nicht mit der Sprache herausgerückt war, machte ich keine Anstalten, Cole irgendwo alleine abzufangen. Letzteres war sowieso schwierig, denn wir durften ja nicht alleine herumlaufen und da Cole und ich nicht im gleichen Zimmer wohnten, trafen wir nie alleine aufeinander – es waren immer noch mindestens zwei andere Personen dabei.
Außerdem hatten Mila und ich auch noch mit unserem Referat alle Hände voll zu tun. Wir hatten uns letztendlich dagegen entschieden, ein Bild von Azita in das Referat mit einzubinden, da wir die angespannte Stimmung nicht mutwillig weiter anheizen wollten und ich auch nicht scharf darauf war, dass die gesamte Schule mich für die Böse hielt. Das wiederum bedeutete jedoch auch, dass wir für einen unserer Fakten, nämlich den, dass Azita sehr wohl Nachkommen hatte, keine richtigen Beweise bringen konnten.
Denn der einzige Beweis, den wir hatten, würde mich und meine Abstammung enthüllen. Immerhin stand nirgendwo geschrieben, dass Azita ein Kind gehabt hatte, ich war im wahrsten Sinne des Wortes der letzte lebende Beweis dafür.
Wir waren am Montag die erste Gruppe, die ihr Referat halten musste und ich startete nervös die PowerPoint Präsentation.
„Okay, also, Mila und ich möchten euch jetzt ein bisschen besser über Azita informieren", begann ich nervös, „wer sie war und welche Rolle sie vor, während und nach dem Krieg spielte. Die Informationen über Azita wurden jedoch sehr stark zurückgehalten, es gibt nicht viele Informationen über sie und wir haben auch keine Abbildung von ihr."
Ich klickte mich zur nächsten Folie vor und stellte einige langweile Fakten wie ihr vermutliches Geburtsjahr vor, bevor ich erklärte, dass Azita, wie viele andere Feuerbändiger damals auch, in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen war. Sie hatte sieben Geschwister gehabt, von denen zwei bereits im Kleinkindalter starben und ihre Eltern mussten viel arbeiten, um die Familie am Leben zu halten. An diesem Punkt löste mich Mila ab.
„Obwohl ihre Familie kein Geld hatte, konnte Azita als einzige der fünf Kinder zur Schule gehen", begann sie, „es wird vermutet, dass das Geld dafür von der Familie bezahlt wurde, bei der Azitas Mutter arbeitete – das war die Familie von Aria, einer Luftbändigerin, zu der wir auch noch ein Referat hören werden. Deswegen wollen wir auch nicht zu tief in diesen Teil der Geschichte eindringen."
Mila rief die nächste Folie auf, auf der weitere Informationen zu Azitas Leben standen.
„Azita wurde als junge Frau zur Erwählten gewählt, zusammen mit ihrer Kindheitsfreundin Aria, einer Wasserbändigerin namens Yara und einem Erdbändiger namens Xanthos", übernahm ich wieder das Wort, „nur deswegen weiß man, dass sie zur Schule ging, denn eine Schulbildung war die Voraussetzung dafür, zur Erwählten zu werden. Azita versuchte in den ersten drei Jahren ihrer Tätigkeit kontinuierlich, eine Gleichberechtigung für die Feuerbändiger zu erreichen, stieß jedoch bei den anderen Erwählten und auch bei fast dem gesamten Volk der Elementbändiger auf Widerstand. Die einzigen, die sie unterstützten, waren die anderen Feuerbändiger, die ebenfalls mit ihrer Situation unzufrieden waren."
Hier übernahm Mila, damit nicht der Eindruck entstand, ich würde mit Azita und den anderen Feuerbändigern sympathisieren – auch, wenn ich das bis zu einem gewissen Grad auch tat.
„Um euch ein wenig Hintergrundwissen zu geben, müssen wir noch einen Schritt zurück tun", die nächste Folie erschien auf dem Bildschirm, „die Feuerbändiger waren schon immer ausgegrenzt worden, weil man sie früher verachtete und ihr Element nicht respektierte. Es hieß, sie seien voller schlechter Eigenschaften und ihr Element beweise dies noch – immerhin sei Feuer das einzige Element, das nur Schaden anrichten könne und zu nichts gut sei. Dieser Glaube hat sich über Jahrhunderte gehalten und ist auch heute noch nicht aus den Köpfen der Elementbändiger verschwunden."
„Nachdem Azita mit ihrem Vorhaben, Gleichberechtigung zu erreichen, gescheitert war, gerieten die Dinge aus dem Ruder", ich rief beklommen die nächste Folie auf, „das Haus der Familie von Aria ging eines Nachts Flammen auf und alle Familienangehörigen kamen dabei ums Leben. Es heißt, dass Azita das Haus angezündet haben soll."
„Sie wurde von Aria zum Rücktritt aufgefordert, weigerte sich jedoch und beharrte darauf, dass sie unschuldig sei", die nächste Folie zeigte bereits ein Gemälde des Krieges, „sie schaffte es, die Feuerbändiger auf ihre Seite zu ziehen und begann einen Krieg gegen die anderen Elemente. Azita war die Anführerin der Feuerbändiger und sie gilt noch immer als eine sehr starke Bändigerin, wenn nicht sogar die Stärkste, die je gelebt hat.
Doch obwohl Feuer generell ein sehr starkes Element ist, waren sie in der Unterzahl. Nachdem mehrfach die Vorräte der Feuerbändiger von Luftbändigern geplündert worden waren, soll Azita ins Lager der anderen Elemente aufgebrochen sein, um zu verhandeln. Von dort ist sie jedoch nie zurückgekehrt und nur wenige Stunden später wurde das Lager der Feuerbändiger überfallen und dem Erdboden gleichgemacht."
„Die Feuerbändiger, die überlebten, flohen in sämtliche Himmelsrichtungen", erläuterte ich und zeigte die nächste Folie, die eine Hexenverbrennung zeigte, „sie wurden in den nächsten Jahren und Jahrhunderten gejagt und schließlich ausgerottet. Man verbrannte sie unter anderem als Hexen auf dem Scheiterhaufen, doch viele Feuerbändiger fanden auch auf andere Weisen den Tod."
„Es wird allgemein vermutet, dass Azita ein Kind hatte", Mila warf mir einen Seitenblick zu, dann klickte sie zur nächsten Folie, auf der der Fluch abgebildet war, den Azita ausgesprochen hatte, „sie hat diesen Fluch ausgesprochen, der dazu führen sollte, dass sie wiedergeboren wird. So eine Wiedergeburt ist jedoch nur durch einen direkten Nachkommen möglich und das muss Azita auch gewusst haben. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass ihr Kind entweder bereits als kleines Kind starb oder, falls es selber Kinder bekommen hat, diese oder ihre Nachkommen im Laufe der Jahre allesamt getötet worden sind."
„Danke für eure Aufmerksamkeit", bedankten Mila und ich uns schließlich und die Klasse applaudierte uns so motiviert, wie man nach einem Referat eben klatscht.
„Danke ihr beiden", M. Aprice sah in die Runde, „gibt es Fragen?"
Sofort schossen einige Hände in die Höhe. Der Lehrer sah sich einen Moment lang um, dann nahm er Corey an die Reihe.
„Wenn alle Feuerbändiger ausgerottet wurden", begann die Blonde und ich begann zu ahnen, in welche Richtung ihre Frage gehen würde, „wie kann es dann sein, dass es dich gibt?"
„Ähm...", ich räusperte mich, „also, es ist ja so, dass, wenn man den Gentyp 1 hat, man oft Feuer- und ganz selten Erdbändiger ist. In meiner Familie gibt es bisher nur Erdbändiger, die wahrscheinlich alle trotzdem Typ 1 und nicht Typ 3 haben. Und das könnte auch bei anderen Erdbändigern so sein, dass ihre Kinder plötzlich Feuer bändigen können."
Corey nickte und sehr zu meiner Erleichterung sah ich, wie beinahe alle anderen Hände nach unten gingen. Nachdem wir also noch ein paar generelle Verständnisfragen beantwortet hatten, durften wir uns setzen und Corey, die das Referat über Aria vorbereitet hatte, ging nach vorne.
Sie erzählte, dass Arias Familie bürgerlich, aber dennoch recht wohlhabend gewesen war und dass Aria als Jüngste von drei Kindern eine sehr gute Bildung genossen hatte. Die blonde Wasserbändigerin erzählte nicht viel, was Mila und ich nicht schon wussten, denn die Geschichten von Azita und Aria waren eben doch relativ eng verknüpft.
Sie zeigte Bilder von Aria, einer pummeligen, jungen Frau mit einem runden, ernsten Gesicht, welches von langen, dunklen Haaren umrahmt wurde. Corey informierte uns noch, dass Aria nach dem Krieg weiterhin als Erwählte fungiert hatte, bis sie fünf Jahre später von Unbekannten gefesselt und verbrannt wurde – diese Tat markierte jedoch nicht das Ende ihrer Familienreihe, da sie einen kleinen Sohn hatte, der fortan bei seinem Vater aufwuchs.
Die Referate über Yara und Xanthos, die anderen beiden Erwählten, brachten mehr neue Informationen.
Yara, eine muskulöse, dunkelhäutige Frau mit kurzen Haaren, war wohl als Kind von armen Arbeitern geboren und landete direkt nach ihrer Geburt in einem Waisenhaus, aus dem sie jedoch im Alter von acht Jahren verbannt wurde, weil sie ihre Kräfte entdeckt hatte und als Hexe galt. Nur wenige Wochen später wurde sie von dem Leiter einer Schule für Elementbändiger gefunden, der erkannte, dass sie eine Wasserbändigerin war und sie bei sich aufnahm.
Die beiden hatten jedoch kein gesundes Verhältnis wie das eines jungen Mädchens und seinem Vormund, stattdessen vergewaltigte der Schulleiter Yara immer wieder, was diese in Anbetracht auf ihre Sicherheit in Kauf nahm – sie wollte wohl nicht wieder auf der Straße leben. Als Yara siebzehn war, starb der Schulleiter jedoch über Nacht sehr plötzlich. Die Vermutung, Yara könnte ihn ermordet haben, hielt sich sehr hartnäckig, doch es ließ sich nie etwas nachweisen.
Yara wurde allgemein als distanziert und reserviert, aber loyal und gerecht beschrieben und trat nach dem Krieg von ihrem Posten als Erwählte zurück. Danach versiegten alle Informationsquellen über sie, man wusste nicht, wo sie seitdem gelebt hatte, ob sie Kinder hatte und wann sie schließlich gestorben war. Yara war nur wenige Monate nach dem Krieg einfach von der Bildfläche verschwunden und niemand hatte eine Ahnung, wo sie sich aufgehalten hatte.
Xanthos hingegen war der Sohn einer extrem reichen Familie und genoss erstklassige Bildung. Er war der einzige der Erwählten, der nicht auf einer Schule gewesen war, sondern Privatunterricht genossen hatte. Auf einem Bild präsentierte er sich als großgewachsener und schlaksiger Mann mit hellen Haaren und einer Hakennase.
Nichtsdestotrotz wirkte seine Körperhaltung ein wenig kraftlos, als wäre er nicht besonders willensstark und durchsetzungskräftig gewesen. Xanthos war nach dem Krieg in seinem Posten geblieben und hatte diesen auch die vollen zehn Jahre lang ausgeübt, gemeinsam mit einem älteren Wasserbändiger und, nach Arias Tod, einer jüngeren Luftbändigerin.
Er war mit eben dieser Luftbändigerin schließlich zusammengekommen und im hohen Alter (naja, hohes Alter für diese Zeit) an einer Krankheit gestorben, hatte jedoch insgesamt vierzehn Kinder gezeugt – und, und das war das Überraschendste – er war der Vater von Arias Sohn, denn vor ihrem Tod war er mehrere Jahre lang heimlich mit ihr zusammen gewesen.
Xanthos hatte den Jungen wohl zusammen mit dessen Halbgeschwistern aufgezogen, ihn dann jedoch an seinem 18. Geburtstag enterbt und danach fortwährend geleugnet, dass dieser Sohn überhaupt existierte. Was aus diesem Sohn geworden war, wusste man nicht, doch als Grund für die Enterbung galt, dass er Luftbändiger war, während alle anderen Kinder von Xanthos nach ihrem Vater kamen und Erde beherrschten. Xanthos argumentierte, aus diesem Grund könnte es nicht sein Sohn sein und Aria hätte ihn wohl betrogen – was laut der Referatsgruppe jedoch sehr zweifelhaft war.
Gerade, als die Gruppe von Xanthos alle Fragen beantwortete, ging die Tür auf und Mrs. Walsh und Mr. Graves kamen herein. Während unsere Schulleiterin den Raum betrat, blieb Mr. Graves im Türrahmen stehen – anscheinend bewegten sich auch die Lehrer nur noch zu zweit. Mrs. Walsh sagte etwas zu M. Aprice, der ihr daraufhin zunickte und ihr vorne Platz machte.
„Guten Tag", die Direktorin lächelte und zog einen kleinen Zettel aus ihrer Tasche hervor, „es tut mir sehr leid, eure Stunde unterbrechen zu müssen, aber ich würde gerne einige Änderungen bezüglich des Tags der Prüfungen mit euch besprechen."
Sofort hatte sie die Aufmerksamkeit aller Anwesenden und auch die zwei Schüler, die noch vorne gestanden hatten, setzten sich auf ihre Plätze und holten etwas zum Schreiben hervor.
„Angesichts der momentanen Lage haben wir einige Änderungen beschlossen", wiederholte die Direktorin, „die Prüfungen finden wie gehabt am 8. Juni statt, jedoch werdet ihr nicht wie sonst alle gemeinsam in der Aula schreiben. Stattdessen haben wir Gruppen mit bis zu 30 Schülern zusammengestellt, die in verschiedenen Räumen schreiben werden. Auch werden alle Schüler, alle Jahrgänge gleichzeitig schreiben – solltet ihr fehlen, wird das auffallen. In welcher Gruppe ihr seid und zu welchem Raum ihr müsst, findet ihr in diesen Umschlägen."
Mrs. Walsh hob einen Stapel Umschläge hoch, den sie M. Aprice übergab.
„All diese Umschläge sind versiegelt und dürfen nur von euch geöffnet werden. Außerdem teilt ihr bitte niemandem mit, wo eure Prüfung stattfinden wird. Außerdem wird es in diesem Jahr keinen praktischen Teil geben, der Theorieteil wird dieses Mal stärker gewichtet", Mrs. Walsh nickte noch einmal in die Runde, dann verabschiedete sie sich und verließ mit Mr. Graves den Raum.
M. Aprice sortierte die Umschläge in seiner Hand, dann las er den Namen vom ersten Umschlag ab und begann, sie zu verteilen.
„Mila,... Noah,... Max,... Corey,..."
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(~2086)
So, da haben wir noch ein wenig mehr über die damaligen Erwählten erfahren, ihre Hintergründe und etwas mehr...
Hat euch das Kapitel gefallen?
Wir nähern uns dem Ende...
Liebe Grüße, Lotta aka MissWriter13
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