XIX
„Es ist einfach frustrierend!", ich seufzte und ließ meinen Kopf in meine Hände sinken, „bis jetzt ist jede einzelne Spur im Sand verlaufen. Jede einzelne."
Es war Donnerstagnachmittag und M. Aprice war in der individuellen Stunde mit uns in die Bibliothek gegangen, damit wir dort für die Prüfungen lernen konnten, die bereits in etwas mehr als einem Monat stattfinden würden. Ich hatte mich gemeinsam mit Noah, Jay, Cole, Mila und Leela in eine Sitzgruppe gesetzt und erzählte ihnen von den Ermittlungen, die ich gestern mit Amy angestellt hatte.
„Ach man, das ist wirklich frustrierend", Noah nickte zustimmend, „aber ihr habt alles versucht, mehr können wir leider nicht machen."
„Ich möchte aber mehr machen!", entgegnete ich energisch, was den Braunhaarigen dazu veranlasste, verteidigend seine Hände zu heben, „sorry Noah. Aber es regt mich einfach auf, dass wir immer noch so im Dunkeln tappen."
„Wer auch immer für diese Vorfälle verantwortlich ist, er oder sie ist auf jeden Fall ziemlich geschickt", merkte Jay an und erntete verständnislose Blicke von allen anderen, „was denn? Immerhin hat er oder sie es schon dreimal geschafft, jemanden anzugreifen, ohne dabei erkannt zu werden – oder viermal, je nachdem, ob die gleiche Person auch der Mörder von Samantha ist."
„Sag nicht ‚schon' dreimal", beschwerte sich Noah, „ich will gar nicht daran denken, was dieser Irre noch alles anstellen könnte."
„Wollt ihr damit sagen, dass wir immer noch in Gefahr sind?", wollte Leela besorgt wissen und wir anderen nickten allesamt beklommen.
„Ich denke nicht, dass er oder sie in naher Zukunft aufhören wird oder identifiziert werden kann", gab Mila zu Bedenken, „so, wie ich das sehe, sind wir seit Sams Tod letztes Jahr in ständiger Gefahr und es wird auch nicht weniger."
„Ich hoffe ja immer noch, dass die Schule den Übeltäter findet", Cole sah sich nervös um und senkte dann die Stimme, während er fortfuhr, „ist euch eigentlich bewusst, dass jeder hier im Raum, den wir nicht so gut kennen, der Täter sein könnte?"
„Im Prinzip könnte jeder der Schüler und Schülerinnen der Täter oder die Täterin sein", verbesserte ich, „sogar ein Lehrer."
„Oh Gott, das wäre gruselig", Leela schüttelte sich, „vielleicht ist das auch der Grund, wieso sie den Bösen nicht finden – er selbst ermittelt und tut so, als gäbe es keine Hinweise."
„Fairerweise muss man zugeben, dass es die ja wirklich nicht gibt", Noah zuckte mit den Schultern, „Faye hat gesagt, dass keins der Opfer den Täter gesehen hat, wir tappen alle im Dunkeln."
„Im Moment weiß nur der Täter selbst, wer er ist", fasste Mila zusammen, „aber was, wenn es mehrere Täter gibt?"
„Das will ich mir lieber nicht vorstellen."
Bevor die Diskussion noch weiter ausarten konnte, näherte sich M. Aprice unserem Tisch und räusperte sich, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
„Lernt ihr sechs denn auch?", fragte er und sofort waren wir alle sehr beschäftigt damit, in unseren Büchern zu blättern, „ach, Faye?"
„Ja?", irritiert sah ich auf.
„Dieses Jahr ist ein Teil des Lernplans auch der Krieg, der damals zur Ausrottung der Feuerbändiger geführt hat und ich würde gerne Referate über die Personen halten lassen, die zu dieser Zeit die Erwählten waren", M. Aprice sah mich vielsagend an, „ich wollte dich fragen, ob du das Referat über Azita übernehmen möchtest, damit... naja, du weißt schon. Du hättest dann die Kontrolle darüber, wie viel du berichtest – und ob du ein Bild von ihr zeigst, wenn du verstehst, was ich meine."
„Oh, ähm, gerne", ich nickte erleichtert, „soll ich das Referat alleine halten?"
„Nein, du kannst dir gerne noch jemanden aussuchen, der dir hilft", M. Aprice nickte uns zu und verschwand dann wieder, wahrscheinlich, um die anderen drei Referate zu verteilen.
„Er könnte der Täter sein", verkündete Cole unheilschwanger.
„Ach, sei leise, M. Aprice ist total sympathisch", ich winkte ab und sah dann abwartend in die Runde, „na los, wer will mir helfen, das Referat zu Azita vorzubereiten?"
„Ach du, lass mal", Jay zwinkerte mir zu, „ich bin mit meinen ganzen Büchern eigentlich ganz gut ausgelastet."
„Ich auch", Leela sah entschuldigend auf, „du kennst mich ja, sonst immer gerne, aber ich hab Probleme in Bio und Physik und möchte mich lieber darauf konzentrieren."
„Ich mach's", Mila stand auf und klopfte mir auf die Schulter, „na los, lass uns ein paar Bücher zu dem Thema raussuchen."
„Danke", ich wandte mich mit Mila zu den Bücherregalen, schob jedoch – sehr gut hörbar – noch ein ‚alles faule Säcke' hinterher, was meine zurückgebliebenen Freunde dazu veranlasste, ihn empörtes Gelächter auszubrechen.
Mila und ich begaben uns eilig auf die Suche nach passenden Büchern und drangen dabei ein wenig tiefer in die Flut aus Büchern vor.
„Hier, ich hab was", Mila hielt einen relativ dicken Wälzer hoch, „das hier heißt ‚Tödliches Feuer – die Geschichte eines Krieges'."
„Klingt gut", ich stellte das Buch über Elemente im Mittelalter, welches ich gerade durchgeblättert hatte, zurück ins Regal und schaute über Milas Schulter in das Buch über den Krieg.
„Das hat aber bestimmt keine neutrale Person geschrieben", stellte ich nach einer Weile fest, „darin werden die Feuerbändiger ja beschrieben wie die reinsten Monster – hier schau: ‚blutrünstig und skrupellos, diese Eigenschaften schwimmen in dem feurig bösen Blut der Feuerbändiger'. Also, ich bin weder böse noch skrupellos – und blutrünstig ganz sicher auch nicht."
„Das weiß ich doch", Mila lächelte mich beschwichtigend an, „aber solche Bücher könnten dennoch nützlich sein – um mit Vorurteilen aufzuräumen und zu zeigen, wie damals geschickt der Hass auf Feuerbändiger geschürt worden ist."
„Ja, das hast du wahrscheinlich recht...", ich wollte noch mehr sagen, wurde jedoch von einem ohrenbetäubenden Lärm unterbrochen, der aus einer anderen Abteilung der Bibliothek kam.
„Ach du scheiße", Mila und ich sahen uns erschrocken an, „was war das denn?"
Wir ließen die Bücher Bücher sein und eilten in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war, immer tiefer in die unbesuchten Ecken der Bibliothek, bis wir schließlich ganz hinten ankamen. Dort erwartete uns das pure Chaos.
Die anderen aus unserem Kurs waren wohl schneller als wir gewesen und überall standen Schüler herum, die auf die Szenerie in der Mitte starrten. Wir konnten in dem Getümmel nicht viel erkennen, doch das, was ich erkennen konnte, war merkwürdig genug. Der gesamte Boden war übersät mit Büchern, als hätte jemand ein komplettes Regal ausgekippt. Die Regale in der Schule waren von beiden Seiten mit Büchern gefüllt, hatten jedoch eine Mittelwand, sodass man nicht hindurchsehen konnte.
„Lasst mich durch!", M. Aprice kam herbeigeeilt und als die Gruppe aus Schülern ihm Platz machte, konnte ich auch endlich erkennen, was los war. Ein Regal war umgestürzt und dadurch, dass es das letzte Regal war und danach relativ viel Platz bis zur Wand war, komplett auf den Boden aufgeschlagen – direkt auf einen Schüler.
Ich konnte nicht viel sehen, nur eine Hand und einen Kopf voller kurzer, hellblonder Haare, die unter dem massiven Regal hervorlugten. M. Aprice handelte schnell und ehe ich es mich versah, schwebte das Regal in der Luft und der Lehrer setzte all seine Kraft ein, um es wieder aufrecht hinzustellen. Noch immer war die Schülerin – es war ein Mädchen, wie ich nun bemerkte – unter einem Haufen aus Büchern begraben, doch die anderen halfen sofort dabei mit, all die Bücher von ihr herunterzunehmen und schoben sie entweder beiseite oder legten sie kreuz und quer zurück ins Regal.
Dadurch, dass sich der Großteil des Kurses jetzt auf den Knien befand, konnte ich sogar beurteilen, um wen es sich handelte: es war Eleanor, die Tochter des Hausmeisters, die eine Hybridin aus Werwolf und Elementbändiger war und die bewusstlos auf der Erde lag.
In kürzester Zeit wurde ein Krankenwagen gerufen und wir alle sollten auf unsere Zimmer gehen, damit die Sanitäter Platz zum Arbeiten hatten.
Mila und ich beschlossen, noch schnell die Bücher auszuleihen, die wir vorhin in der Hand gehalten hatten und waren gut verborgen hinter dem Bücherregal, von wo aus wir eine Unterhaltung zwischen einem Jungen aus dem Kurs und M. Aprice mitbekamen.
„Es tut mir leid, M. Aprice, ich hätte sie nicht alleine lassen sollen", der Junge klang sehr bestürzt, „wir waren dahinten und haben... Sie wissen schon. Wir haben gemacht, was Teenager so machen. Und dann hab ich mitbekommen, dass Sie mich suchen und Eleanor wollte dort auf mich warten – und dann hab ich den Lärm gehört, als ich auf dem Weg zu Ihnen war."
„Schon gut, dich trifft keine Schuld. Jeder hätte hier hereinkommen können und wenn du nicht gegangen wärst, hätte es wohl euch beide getroffen. Du solltest jetzt auch gehen."
„Kann ich nicht bei Eleanor bleiben? Ich möchte sie nur ungerne alleine lassen."
Wir hörten M. Aprice seufzen, dann murmelte der Junge ein ‚danke', was mich darauf schließen ließ, dass unser Lehrer genickt haben musste.
Mila und ich tauschten einen schnellen Blick aus, dann gingen wir zurück in den vorderen Bereich der Bibliothek, um dort die Bücher auszuleihen. Sehr zu unserer Überraschung stand M. Aprice an der Tür und wartete wahrscheinlich auf die Sanitäter.
„Was macht ihr denn noch hier?", wollte der Blonde wissen, „ich habe euch doch alle auf eure Zimmer geschickt."
„Wir wollten nur die Bücher holen, die wir vorhin zu dem Referat herausgesucht hatten", ich hielt das Buch hoch, welches ich in meiner Hand hatte und M. Aprice nickte.
„Ja, ja, natürlich", er sah auf seine Uhr und dann wieder zu uns, „aber jetzt solltet ihr wirklich gehen. Könnt ihr das Referat am Montag halten?"
Ich wechselte einen Blick mit Mila, dann nickten wir beide.
„Wie lange soll das denn sein?", hakte ich nach.
„Nicht allzu lang", M. Aprice sah nervös den Flur hinunter und wandte sich dann wieder uns zu, „nur ein kleines Referat, ich habe gerade nicht wirklich die Nerven, mich damit auseinanderzusetzen. Mrs. Walsh und die Sanitäter müssten jeden Moment hier sein und ich muss mich um Eleanor kümmern – wenn ihr noch Fragen habt, sucht mich bitte morgen in meinem Büro oder dem Lehrerzimmer auf, ja?"
„Mrs. Walsh?", wiederholte Mila, „Wieso denn das?"
Es war einerseits natürlich mehr als offensichtlich, dass auch die Schulleiterin informiert wurde, wenn so ein Unfall geschah, andererseits konnten wir so vielleicht ein paar Informationen aus M. Aprice herausbekommen.
„Warum wohl?", erneut sah der Lehrer auf den Flur, „So ein Regal fällt nicht durch Zufall um, nicht einmal, wenn zwei Teenager mitten in ihrem Techtelmechtel dagegen fallen."
„Wollen... wollen Sie damit sagen, dass...?"
„Ja, das war wahrscheinlich ein erneuter Anschlag – aber ihr beide solltet nun wirklich gehen", M. Aprice hielt uns die Tür auf und Mila und ich machten uns auf den Weg zu unserem – meinem – Zimmer, beide mit einem ziemlich mulmigen Gefühl in der Magengrube.
„Das wird immer schlimmer", merkte Mila schließlich an, „bisher waren all die Schüler, die angegriffen wurden, alleine und ungeschützt. Aber dieses Mal wurde jemand inmitten einer größeren Gruppe angegriffen, wo überall andere Schüler waren und sogar ein Lehrer. Wer immer das war, er oder sie ist eiskalt und spielt jetzt auf volles Risiko."
Ich nickte zustimmend, doch Mila war noch nicht fertig.
„Ich glaube, das ist es auch, was mir am meisten Angst macht: wenn der Täter keine Angst mehr hat, erwischt zu werden, ist niemand mehr sicher, nicht mal dann, wenn man mit anderen unterwegs ist – oder die Gefahr lauert gerade dann."
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(~1855)
So, hallo! ^^
Ich habe es heute leider nicht mehr geschafft, vor der Schule zu updaten, dafür habe ich jetzt wesentlich mehr Zeit für die Autorenanmerkung.
Hat euch das Kapitel gefallen? Was sind eure Gedanken bezüglich des neuen Vorfalls und all den Vermutungen/Verdächtigungen? Wen habt ihr denn im Verdacht, falls es da jemanden gibt?
Liebe Grüße, Lotta aka MissWriter13
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