III
Ich folgte ihren Anweisungen und wurde sofort kalkweiß im Gesicht.
„Scheiße!" entfuhr es mir. Am Fuße der Treppe lag, in einer riesigen Wasserlache, ein mir unbekanntes Mädchen mit dem Gesicht nach oben. Ihre Augen waren geschlossen, die kastanienbraunen Haare in alle Richtungen verteilt und ihr linkes Bein war in einem höchst ungesunden Winkel abgeknickt.
„Faye, was tust du?!" Amy packte mich am Handgelenk, als ich dazu ansetzte, die Stufen nach unten zu rennen. Ich riss mich los und sah sie entgeistert an.
„Helfen!" erklärte ich knapp und eilte die Stufen nach unten, knallte neben dem Mädchen mit voller Absicht auf meine Knie.
„Hey!" sprach ich sie an, „Hey, hörst du mich?"
Ich bekam keine Antwort und sah verzweifelt zu Amy auf, die noch immer oben auf der Treppe stand und mich anstarrte.
„Worauf wartest du?!" schrie ich, „Hol Anne, verdammt!"
Sofort setzte sich Amy in Bewegung und verschwand am oberen Ende der Treppe, während ich den Puls des Mädchen fühlte. Er ging langsam und ein wenig unregelmäßig, aber er war da. Noch während ich kontrollierte, ob sie irgendwo andere Verletzungen hatte, mal abgesehen von dem offenbar gebrochenen Bein, hörte ich lautes Keuchen hinter mir. Ich drehte mich um und erblickte Noah, der mit weit aufgerissenen Augen auf das Mädchen starrte. Seine Knie knickten ein und er musste sich am Treppengeländer festhalten, um nicht hinzufallen. Ich musste nicht fragen, wieso ihn der Anblick des bewusstlosen Mädchens so mitnahm.
„Faye, was ist hier los?" wollte er wissen, seine Stimme klang erschüttert, „Ich sollte nur schauen, wo ihr bleibt."
Ich sah hin- und hergerissen zwischen Noah und dem Mädchen hin und her, blieb dann jedoch sitzen. Sie brauchte mich dringender, Noah war zwar geschockt, aber das Mädchen war immerhin bewusstlos und vermutlich schwer verletzt.
„Ich habe sie so gefunden." erklärte ich, „Kennst du sie?"
Noah schüttelte ruckartig den Kopf und rappelte sich matt wieder auf, umklammerte jedoch noch immer das Treppengeländer. Zum Glück kam in diesem Moment Amy mit Anne zurück, welche sofort zu dem Mädchen gerannt kam und sich um sie kümmerte.
„Habt ihr sie so gefunden?" wollte sie wissen und ich nickte und stand auf, um Anne Platz zu machen. Meine Hose war komplett durchnässt von der unerklärlichen Pfütze und meine Knie schmerzten, weil ich vorhin so hart gefallen war. Anne maß den Puls des Mädchens und nickte sich dann selbst zu, bevor sie ein Handy zückte und mit jemandem telefonierte. Ich machte ein paar Schritte rückwärts, da drehte sie sich ruckartig zu mir um.
„Lauf nicht weg." hielt sie mich auf, „Gleich kommt Mrs. Walsh, die hat viele Fragen."
Ich nickte und deutete zu Noah, der das Geschehen noch immer gebannt beobachtete.
„Ich gehe nur zu Noah." erklärte ich Anne und eilte die Stufen nach oben. Bei Noah angekommen legte ich meine Arme um ihn und zog ihn in eine feste Umarmung. Noahs Beine gaben ein weiteres Mal unter ihm nach und ich schwankte gefährlich, bevor ich es schaffte, mich mit Noah im Arm auf eine Treppenstufe zu setzen. Ihm liefen stumm Tränen über die Wangen und ich umklammerte ihn fester, als mir Amy auf die Schulter tippte.
„Was hat er?" formte sie lautlos mit den Lippen.
„Es hat ihn an Sam erinnert." murmelte ich, mir sehr wohl bewusst, dass Noah mich ebenfalls hörte, denn er schluchzte leise auf, als ich den Namen seiner verstorbenen Freundin aussprach. Noah löste sich nach einer Weile von mir und erhob sich, schwankte leicht und hielt sich am Geländer fest.
„Danke." flüsterte er und es klang ehrlich gemeint, „Aber jetzt wäre ich gerne alleine."
Ich nickte und sah Noah hinterher, wie er davon wankte, sich alle paar Schritte an der Wand abstützte. Auch Amy folgte ihm mit Blicken, bis er um eine Ecke ging, dann ließ sie sich neben mich sinken und lehnte sich an meine Schulter.
„Ich kenne sie." meinte sie dann tonlos. Maßlos überrascht sah ich sie an.
„Was?" hakte ich nach, „Woher?"
Amy seufzte und ich legte einen Arm um sie, erst dann begann sie zu sprechen.
„Sie heißt Beverly, wir waren letztes Jahr ein paar Monate zusammen." erzählte sie, „Aber sie ist bi und hat mich betrogen, ausgerechnet mit Noah."
„Mit Noah?" ich konnte nicht verhindern, dass ich total entgeistert klang. Amy nickte.
„Mir hat er gesagt, er würde sie nicht kennen!" beschwerte ich mich und Amy zuckte mit den Schultern.
„Sie haben sich nicht im Guten getrennt." fuhr sie fort, „Im Gegenteil, es ging ziemlich wild zu. Beverly hat ein Herz aus Gold, aber sie ist nicht der Typ für feste Beziehungen, sie braucht Abwechslung und Freiheit." sie seufzte ein weiteres Mal, „Und das konnten weder ich noch Noah ihr geben."
Ich nickte und streichelte Amy über den Oberarm, während sie ihr Gesicht an meine Schulter drückte. Als ein leises Schluchzen von ihr ertönte, sah ich sie überrascht an.
„Hey, nicht weinen." flüsterte ich ihr zu, „Es wird schon nicht so schlimm sein."
„Ich habe nie wirklich aufgehört, sie zu lieben." hauchte Amy plötzlich, "Niemals könnte ich das."
Mein Blick wandelte sich von mitfühlend und besorgt zu maßlos erstaunt.
„Aber? Mila.." stammelte ich. Amy hob ihren Kopf und lächelte traurig.
„Mila ist Gold wert." schwärmte sie, „Sie ist echt mein Ein und Alles, aber Beverly wird immer einen Platz in meinem Herzen haben."
Ich nickte abermals und drückte Amy dichter an mich. Es war mir zwar schleierhaft, wie genau sie das meinte, ich konnte mir nicht vorstellen, mit jemandem Zusammenzusein, wenn ich eigentlich noch meinen Ex liebte, aber im Moment war wichtiger, dass Beverly Hilfe bekam. Eine Hand legte sich mir auf die Schulter und ich fuhr herum. Es war Mrs. Walsh, die Schulleiterin, die mich mit einer Mischung aus Zuneigung und Distanzierung ansah.
„Warum überrascht es mich nicht, dich hier zu finden, Faye?" seufzte sie und ich grinste verlegen.
„Na los, steht auch und kommt mit in mein Büro." forderte uns die Schulleiterin auf und ich erhob mich, zerrte Amy ebenfalls hoch. Als wir die Treppe nach unten und somit an Beverly vorbeikamen, drehte Amy sich um und blieb stehen und ich musste sie am Arm weiterziehen.
„Kriegt sie Hilfe?" wollte Amy von Mrs. Walsh wissen und diese nickte.
„Ja, wir haben einen Krankenwagen gerufen." beruhigte Mrs. Walsh Amy und öffnete die schwere Tür zu ihrem Büro, bevor sie sich hinter ihren Schreibtisch setzte. Amy ließ sich in einen er Sessel fallen, die davor standen und ich lehnte mich dahinter nach vorne an die Rückenlehne. Irgendwie fühlte ich mich gerade nicht so, als würde ich jemals wieder hoch kommen, wenn ich mich jetzt hinsetzen würde.
„Also, was genau ist vorgefallen?" wollte Mrs. Walsh wissen, „Und was zur Hölle ist mit deiner Nase passiert, Faye?"
Ich atmete tief durch und begann dann zu reden, weil Amy dazu offenbar nicht im Stande war.
„Also, ich habe im Sportunterricht einen Ball auf die Nase bekommen und Amy und ich waren bei Anne, die meine Nase dann verarztet hat." fing ich zu erzählen an, „Auf dem Rückweg zur Turnhalle haben wir sie dann gefunden, sie lag da schon so."
Mrs. Walsh nickte nachdenklich und tippte sich mit einem Kugelschreiber gegen die Nase.
„Seid ihr auf dem selben Weg, den ihr zurücknehmen wolltet, auch hingekommen?" wollte sie wissen und ich und Amy nickten synchron, „Okay, das heißt, sie muss in der Zwischenzeit gefallen sein."
„Gefallen?!" entfuhr es Amy, „Sie wurde gestoßen, ganz sicher!"
Die Schulleiterin seufzte und schüttelte kaum merklich den Kopf.
„Sei vorsichtig mit solchen Äußerungen." warnte sie, „Ich glaube zwar auch nicht an einen Unfall, aber momentan gibt es keinen Grund, einen Anschlag zu vermuten."
Amy nickte und sank noch ein Stück mehr in sich zusammen. Ich legte eine Hand auf ihre Schulter, obwohl auch ich am liebsten geweint hätte. Ich kannte diese Beverly nicht, aber es ging mir immer nahe, wenn jemand verletzt war.
„Wann seid ihr denn gekommen und wann gegangen?" erkundigte sich Mrs. Walsh, „Damit wir das Zeitfenster eingrenzen können."
Ich zuckte mit den Schultern und dachte angestrengt nach.
„Wir sind um kurz nach neun wieder bei Anne gegangen." murmelte Amy da plötzlich, „Da hab ich auf die Uhr geschaut."
„Und gekommen sind wir gegen zehn vor." ergänzte ich, „Wir waren nicht lange da, es ging sehr schnell."
Wieder nickte die Schulleiterin nur, ihr Blick war ein wenig abwesend, als dächte sie angestrengt über etwas nach. Mir kam plötzlich ein scheußlicher Gedanke und ich bekam eine Gänsehaut.
„Glauben Sie, das hat etwas mit Sams Tod im letzten September zu tun?" fragte ich und krallte meine Finger in Amy Schultern. Mrs. Walsh sah auf und leckte sich nachdenklich über die Lippen.
„Ich weiß nicht, was ich glauben soll." gestand sie schließlich, „Ausschließen können wir es nicht. Aber solange wir nicht sicher wissen, ob wir es überhaupt mit einem Anschlag zu tun haben, behaltet ihr eure Theorien bitte für euch. Keine Andeutungen, keine Verschwörungstheorien. Offiziell ist Beverly jetzt erst einmal gefallen."
Ich nickte und auch Amy fiel mit ein, allerdings ein wenig zögerlicher. Es war nicht leicht für sie. Ihre Ex wurde vermutlich eine Treppe runtergeschubst, aber alle verdrängten die Tatsache, dass es sich hierbei kaum um einen Unfall handeln konnte. Wobei, warum eigentlich? Es gab für mich keinen Grund, von einem gezielten Anschlag auszugehen, wieso war ich so überzeugt davon, dass es kein Unfall gewesen war? Irgendetwas störte mich, aber ich kam nicht drauf, was es war. Vielleicht die Wasserpfütze? War Beverly Wasserbändigerin?
„Was ist Beverly eigentlich?" rutschte es mir prompt heraus. Amy legte den Kopf in den Nacken und sah mich an.
„Wasserbändigerin." murmelte sie, „Deswegen ist diese Pfütze ja auch leider kein Hinweis auf den Täter, es könnte ebensogut Beverly gewesen sein, als sie versucht hat, sich abzustützen."
Ich gab ein zustimmendes Geräusch von mir und versank für einige Momente in meinen Gedanken, bis Mrs. Walsh wieder das Wort ergriff.
„Ihr könnt jetzt zurück in den Unterricht gehen oder auch in euer Zimmer, wenn es euch nicht gut geht, aber denkt dran:" ihr Blick wurde drängender und unwillkürlich musste ich schlucken, „Sagt niemandem etwas davon, dass es ein Anschlag sein könnte. Nach dem Mord hatte ich genug Probleme, ich kann jetzt keinen durchgeknallten Schüler gebrauchen, der andere Schüler die Treppen runterschubst."
Amy nickte und erhob sich, ich legte einen Arm um sie und gemeinsam verließen wir das Büro.
„Lass uns zum Krankenzimmer gehen." schlug sie vor, doch ich hielt sie zurück.
„Nein, Beverly braucht bestimmt Ruhe." wandte ich ein, „Wir gehen nachher, okay?"
Amy nickte und wischte sich eine Träne weg.
„Ich hab Angst." gestand sie.
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(1720)
Heute geht es gut voran, schon anderthalb Kapitel. Yay!!!
Eigentlich sollte der erste Anschlag erst später kommen, so Kapitel 6 oder so, aber es hat sich so ergeben. Und ja, es sind Anschläge, aber dazu später mehr.
Widmung geht an farbenfluss, weil wir immer so geile Sachen schreiben. Wir haben einen gemeinsamen Account Lotti_and_Lini, wo wir eine Fanfiction schreiben. Sie ist mit Humor zu nehmen, wir meinen das nicht ernst. Schaut da doch trotzdem gerne mal vorbei.
MissWriter13
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