「6. Kapitel - Geregelte Bahnen」
»Wie ich sehe, hast du meinen Ratschlag befolgt«, hörte ich Kian monoton zu mir sagen, bevor er sich unbeteiligt an den reichlich gedeckten Frühstückstisch gleiten ließ. Ich zuckte lediglich mit den Achseln und schenkte ihm Kaffee ein, bevor ich zum Backofen eilte, um die frisch aufgebackenen Brötchen hervorzuholen. Zum Bäcker hatte ich es leider nicht mehr geschafft, da ich zu beschäftigt gewesen war, Spiegeleier und Pfannkuchen zu braten. Außerdem war ich höchstens eine Stunde vor dem jungen Anwalt aufgewacht.
Ich beförderte die warmen Brötchen auf den Tisch und beobachtete dabei Kians neutrale Miene, während er an seinem Kaffee nippte. Es herrschte bedrückendes Schweigen. Nervös spielte ich an dem Saum meiner Schürze herum, nur um dann sinnlos vor mich hin zu schwafeln.
»Ich habe auch Tee gemacht, wenn du welchen möchtest«, erklärte ich ihm und senkte den Kopf, um ihm nicht in die Augen sehen zu müssen. Ich konnte seinen Blick förmlich auf mir spüren, weswegen ich ihm den Rücken zudrehte und den Kühlschrank öffnete. »Orangensaft ist auch noch da.« Ich hob das Saftpaket hoch und stellte es ebenfalls auf den Tisch. Kian verzog keine Miene. Unschlüssig blieb ich vor ihm stehen und knetete meine Hände. Gott, ich benahm mich ja gerade zu lächerlich in seiner Gegenwart! Seit wann schüchterte er mich denn so ein?
Ob es daran lag, dass er mich gestern angefahren hatte? Nein.
Vermutlich hing das mit seinem letzten Satz zusammen, der mich so verletzt hatte. Er war von mir enttäuscht und ich ... ich war es irgendwie auch. Verübeln konnte ich es ihm nicht. Ich benahm mich ja schließlich wie ein kleines Kind, wenn ich mit Julian und Lee zusammen war. Damit hatte er vollkommen Recht behalten. Doch, dass ich meinen Traum aus den Augen verloren hatte, stimmte nicht. Die vergangene Nacht hatte mir das ausdrücklich bewiesen.
»Wie lange willst du eigentlich noch so rumstehen? Setz dich«, wandte sich Kian ungewohnt kühl an mich, was mir erneut verdeutlichte, dass er keineswegs nur freundliche Seiten an sich hatte.
Nein, es gab da durchaus eine eiskalte und unbarmherzige Seite an ihm, die er mir bisweilen nur noch nicht gezeigt hatte. Das gestern Nacht war lediglich ein Vorgeschmack davon gewesen, wie er sich im Gerichtsaal verhielt. Vermutlich musste man sich auch so verhalten, um die Richter und Geschworenen überzeugen zu können. Ein verängstigter Mann, hätte da denkbar schlechte Karten.
Angespannt kam ich seiner Aufforderung nach und setzte mich ihm gegenüber. Die Atmosphäre kam mir seltsam vor, doch ich traute mich nichts zu sagen. Erneut schwiegen wir uns an, was nur durch das Klappern von Kians Besteck durchbrochen wurde. Ich selbst konnte mich einfach nicht dazu durchringen etwas anzurühren. Der Knoten in meinem Magen, hätte mich unweigerlich würgen lassen.
Immer wieder hörte ich Kians Stimme in meinem Kopf.
»Du enttäuschst mich sehr.«
»Du enttäuschst mich sehr.«
»Du enttäuschst mich sehr.«
Ich schauderte und spürte sofort eisblaue Augen auf mir ruhen. Meine Hände krallten sich im Tischtuch fest, während Kians Stimme in meinem Kopf stetig lauter und kälter wurde.
»Du enttäuschst mich sehr. Sehr! Sehr! Sehr!«
Ich versuchte mich zusammenzureißen und an etwas anderes zu denken, doch es gelang mir nicht. Der Hauch von Zimt, der meine Nase füllte, machte das schier unmöglich.
»Entschuldige.«
Ich zuckte zusammen und meine Augen schossen irritiert zu Kian, der mit einer überraschend warmen Stimme zu mir sprach. Aus seinen Augen war jegliche Kälte gewichen, er sah mich schon beinahe verzweifelt an.
»Es tut mir leid. Ich hätte das nicht zu dir sagen sollen.«
»Was?« Völlig verwirrt von Kians plötzlichen Gefühlsumschwung, konnte ich nichts weiter tun, als ihn sprachlos anzusehen.
»Ich bin nicht enttäuscht von dir und ich hätte das nicht sagen sollen«, kam er gleich auf den Punkt, was mich traurig den Kopf schütteln ließ.
»Du hast es aber gesagt und auch so gemeint. Ich konnte es in deinen Augen lesen.«
»Ich war ungerecht zu dir.« Einen Augenblick starrte ich den schwarzhaarigen Mann stumm an und versuchte seine Worte zu verarbeiten. Sie kitzelten an meinem Verstand und trafen einen empfindlichen Kern in mir, fernab meiner neu errichteten Mauer aus Sarkasmus und Arroganz. Innerhalb einer Sekunde brachte er meine harte Fassade zum einstürzten und Schuldgefühle und Einsicht flackerte an die Oberfläche.
Völlig verletzlich saß ich ihm nun gegenüber. Er hatte mich erneut geknackt.
»Nein. Du hattest recht. Ich habe mich kindisch verhalten und undankbar dir gegenüber«, flüsterte ich betrübt und fummelte weiter an meiner Schürze herum.
»Das allein gibt mir aber noch lange nicht das Recht dir wehzutun. Ich habe dich mit meinen Worten verletzt und dafür hasse ich mich«, widersprach er mir sofort, was den Knoten in meinem Magen verstärkte. Entschlossen sah ich ihn an.
»Du solltest dich aber nicht hassen, sondern mich. Ich bereite dir Schwierigkeiten und mache dir nur Umstände, seitdem ich in dein Leben getreten bin. Du hast allen Grund wütend auf mich zu sein!«, protestierte ich entschieden und schreckte zurück, als Kian auffuhr und sich wütend vor mir aufbaute.
»Wenn du noch einmal so einen Schwachsinn von dir gibst und mir sagst, dass ich dich hassen sollte, dann werde ich dich so lange umarmen, bis du daran erstickst!« fauchte er mich an und zauberte mir damit ein schwaches Lächeln ins Gesicht.
»Auch auf die Gefahr hin, dass ich gleich sterbe: Du lagst nicht falsch. Ich habe dich enttäuscht, war ungerecht zu dir und das tut mir unendlich leid. Ich werde die Uni in Zukunft ernster nehmen und ich bin dir auch wirklich dankbar für alles, was du für mich tust. Das ist nicht selbstverständlich und auch, wenn meine Worte nicht im Ansatz ausreichen, möchte ich mich ganz herzlich bei dir bedanken. Für alles, was du für mich getan hast.« Ich lächelte verlegen und strich mir einige Haarsträhnen aus dem Gesicht, die sich aus meinem Zopf gelöst hatten.
»Claire, auch, wenn du das nicht hören möchtest: Ich habe gestern vollkommen überreagiert. Du bist perfekt genauso wie du bist, auch, wenn du mir manchmal gehörig auf die Nerven gehst und ich langsam verzweifle.« Er lachte, wurde aber sofort wieder ernst, wobei ich ihm in die Seite knuffte. »Also verändere dich nicht und hör auf, es anderen immer recht machen zu wollen. Das geht nicht. Sei du selbst. Das kannst du am besten.«
»Danke«, hauchte ich leise, da mir im Moment einfach nichts besseres einfallen wollte.
Mit einem einzigen Blick in seine eisblauen Augen, wussten ich, dass wieder alles in Ordnung war. Er hauchte mir einen Kuss auf den Haaransatz und schenkte mir dann ein zuversichtliches Lächeln.
»Lass uns frühstücken!«
Einmal mehr fiel mir auf, dass er viel zu gut für mich war ...
***
Das Restaurant lag etwas Abseits von der Stadtmitte von London und war bereits gut gefüllt, als ich etwas außer Atem eintrat. Einige Gäste schenkten mir flüchtige Blicke, wandten sich im nächsten Moment aber auch schon wieder desinteressiert ab und widmeten sich ihrem Essen.
»Da bist du ja, Süße«, flötete eine glockenhelle Stimme, als ich die Tür zur Garderobe öffnete und in die karamellfarbenen Augen von Taciana schaute. Die hübsche Engländerin mit den brasilianischen Wurzeln und scheinbar endloslangen Beinen umarmte mich herzlich zur Begrüßung, wobei sie sich ein ganzes Stück bücken musste, um mit mir auf Augenhöhe zu sein.
Seit dem ich meinen Wohnsitz nach London verlegt hatte und zwangsläufig nicht länger für Mike arbeiten konnte - somit auch nichts mehr verdiente - hatte ich mich auf die Suche nach einen Nebenjob gemacht. Ich wollte nicht alleinig von Kian abhängig sein, der bereits für die Unterkunft aufkam, unsere Flüge bezahlt hatte und für was auch sonst noch Geld ausgab. Nachdem ich ihn damit konfrontiert hatte, dass er nicht alles für mich bezahlen sollte, verheimlichte er mir seine Ausgaben. Trotzdem schloss ich es nicht aus, dass er heimlich einen Betrag zu meinen Studiengebühren hinzuschoss. Ich hatte es ihm nur noch nicht nachweisen können ...
Als ich es beinahe aufgegeben hatte ein Unternehmen in meiner näheren Umgebung zu finden, das beinahe ungeschultes Personal einstellte (Ich hatte vorübergehend in einem Café als Kellnerin gejobbt), war ich schließlich auf die Stellenausschreibung dieses Restaurants gestoßen. Seltsamerweise war ich beinahe jeden Tag hier vorbeigekommen und hatte den Papierzettel in der Fensterscheibe immer übersehen. Manchmal war ich echt blind wie ein Maulwurf.
Nach einem kurzen Bewerbungsgespräch, hatte mich der stellvertretende Geschäftsführer, als niedere Kellnerin eingestellt. Sollte heißen: Ich durfte die weniger betuchten Kunden bedienen, während Taciana, Prominente und die reichen Geschäftsführer abbekam. Ich war nicht böse darum. Nichts lag mir ferner, als die versnobten reichen Säcke zu bedienen und ständig auf meinen Rock achtgeben zu müssen.
»Hi, Taciana«, begrüßte ich meine Kollegin mit einem freundlichen Lächeln und legte meine Jacke ab, um sie mit der meiner schwarzen Weste zu tauschen.
»Du solltest dich lieber ran halten, Schätzchen. Das Haus ist voll und Mia und Roxy warten auf ihre Ablösung.« Ich schenkte Taciana ein mürrisches Lächeln, die im Gegensatz zu mir in einem satten Blau gekleidet war, was sie als Chefkellnerin auswies und band mir dann meine ebenfalls schwarze Schürze um. Fertig.
Keine Sekunde zu spät, das just in diesem Moment, die Tür geöffnet wurde und zwei erschöpft wirkende Frauen die Umkleide betraten. Ich nickte ihnen zur Begrüßung knapp zu und verschwand mit Taciana durch die Tür.
Ich konnte Mia und Roxy nicht besonders gut leiden, was vor allem daran lag, dass sie mich ebenfalls nicht mochten. Hatte vermutlich damit zu tun, dass ich an meinem zweiten Arbeitstag aus versehen gegen Roxy gerannt war und ihr die Wasserkanne über den Rücken geschüttet hatte. Egal, wie oft ich mich bei der Rothaarigen entschuldigt hatte, sie hatte mich lediglich wütend aus ihren grünen Augen taxiert und die Lippen gekräuselt. Was Mia betraf ... der hatte ich kein Haar gekrümmt. Sie war lediglich Roxys beste Freundin und stand felsenfest hinter ihr.
Und Taciana: Die hatte mich nach diesem kleinen Missgeschick zur Seite genommen, wobei ich schon geglaubt hatte, in den Boden getrampelt und entlassen zu werden und hatte mir erstmal ein Highfive gegeben. Wie sich herausgestellt hatte, konnte sie Roxy auf den Tod nicht ausstehen, da sie »ein selbstverliebtes, arrogantes Flitchen war, was nichts weiter konnte, als Leuten in den Arsch zu kriechen« und sich dabei noch über jeden den Mund zerriss.
Nach meiner Wasserattacke waren wir irgendwie schräge Freundinnen geworden und ich durfte meine Schichten mit angenehmeren Personal hinter mich bringen. Als Belohnung, für Roxys Demütigung.
Zu diesem angenehmeren Personal gehörte auch der Dreißigjährige Daniel, der mir zur Begrüßung winkte und dann hastig zu einem Tisch eilte, um die nächsten Bestellungen aufzunehmen. Ich lächelte flüchtig und verschwand dann in Richtung Küche, um die ersten Teller zu holen.
»Tisch zwölf«, instruiert mich der fünfzigjährige Chefkoch knapp und wandte sich gleich wieder von mir ab, um die nächsten Teller vorzubereiten.
»Bitteschön und guten Appetit«, wünschte ich dem Pärchen an Tisch zwölf freundlich und verschwand sogleich an den nächsten Tisch um die Bestellung aufzunehmen.
»Was darf ich Ihnen bringen, Sir?«, fragte ich den älteren Herrn und notierte mir besagtes Gericht und Getränk.
»Die Rechnung, bitte«, hörte ich vom Nebentisch eine blonde Frau sagen und nickte verstehend.
Das würde ein langer Abend werden. Mit einem Lächeln auf den Lippen wandte ich mich um.
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