「5. Kapitel - Puzzelteil für Puzzelteil」
Als ich in unser gemeinsames Apartment trat, war es, abgesehen von einem kleinen Lichtspalt, stockdunkel. Auf leisen Sohlen schlich ich zu der Lichtquelle, die eindeutig aus Kians Arbeitszimmer stammte und ... hielt abrupt inne. Die Tür war lediglich angelehnt, sodass ich eine guten Sicht in das dahinter liegende Zimmer hatte, wo der junge Anwalt an seinem Schreibtisch saß.
Das allein wäre nicht weiter ungewöhnlich gewesen, vor allem da er in den letzten Tagen immer bis spät in die Nacht gearbeitet hatte. Doch heute saß er nicht wie üblich, über seine Papiere gebeugt und musterte eben jene mit kritischem Blick, während er sich unwirsch durch die Haare fuhr.
Nein. Heute hatte der Staranwalt seinen Kopf völlig erschöpft auf der Schreibtischplatte gebettet und schlief. Er hatte es nicht einmal geschafft seinen Anzug abzulegen. Die Krawatte saß immer noch akkurat.
Nachdem ich einige Minuten, wie der reinste Stalker im Türrahmen gestanden und ihn unverhohlen beim Schlafen beobachtet hatte, setzte ich mich leise in Bewegung. Vorsichtig ließ ich mich neben ihn auf die dunkle Schreibtischkante sinken und strich ihm einige Haarsträhnen aus dem Gesicht, die sofort wieder zurückfielen. Er grummelte leise, schlief aber weiter. Da ich nicht wusste, ob ich ihn schlafen lassen oder wecken sollte, blieb ich unschlüssig neben ihm sitzen und musterte stattdessen sein Gesicht.
Seine Lippen waren einen Spaltbreit geöffnet, das dunkle Haar umspielte seine weichen Züge und die langen dunklen Wimpern ruhten sanft auf seinen Wangen. So vollkommen entspannt wirkte er noch um einiges jünger.
Ich schmunzelte. Er sah so friedlich und - wenn man das so ausdrücken konnte - normal aus. Als wäre er der nette Mann von nebenan.
»Wie lange beobachtest du mich schon?«, hörte ich plötzlich Kians verschlafene Stimme und konnte nicht anders, als ihm erneut ein paar widerspenstige Haare aus der Stirn zu streichen.
»Noch nicht lange«, flüsterte ich leise und sah zu, wie sich seine eisblaue Augen belustigt auf mich richteten.
»Stimmt nicht. Du stehst schon seit einer ganzen Weile in der Tür und siehst mir beim Schlafen zu.«
Verblüfft schnappte ich nach Luft.
»Woher willst du das wissen?«
»Ich habe dein Rosenparfüm gerochen.«
»Also hast du die letzten Minuten nur so getan, als ob du schlafen würdest?«
»Ja. Ich wollte dich nicht dabei stören, mich anzustarren.«
Ich seufzte, während sich plötzlich ein schüchternes Lächeln auf seine geschwungenen Lippen legte.
»Hab ich etwa geschnarcht?« Grinsend blickte ich ihn an und tippte mit dem Zeigefinger gegen seine Stirn. Er musste denken, dass ich nicht wegen des Lichts, sondern wegen Geräuschen hereingekommen war.
»Nein. Aber gesabbert. Eine Menge gesabbert.« Das leise Lachen was Kian mir daraufhin schenkte klang wunderschön, denn es war vollkommen ehrlich. Er richtete sich auf und streckte sich stöhnend.
»Du solltest nicht immer so viel arbeiten«, meinte ich besorgt und löste seine Krawatte. Der mitternachtsblaue Stoff löste sich langsam und fiel letztendlich in meine Hand.
»Du solltest dir nicht immer so viele Sorgen um mich machen«, murmelte Kian leise und öffnete die obersten Knöpfe seines Hemds, wodurch ich einen tollen Blick auf seine glatte Haut hatte.
»Ich mache mir aber Sorgen um dich. Ständig. Das tue ich bei allen, die mir etwas bedeuten.«
Ich rutschte von der Tischplatte und trat ans Fenster. Dicke Wolken verdeckten den Mond und sorgten für eine melancholische Stimmung.
»Ach, Claire«, wisperte der schwarzhaarige Mann leise und umarmte mich zärtlich von hinten. Der vertraute Geruch nach Zimt füllte meine Nase und ich lehnte mich erschöpft an ihn.
»Erzählst du mir von deinem Tag?«, bat er mich leise, was mich schmunzeln ließ.
»Was möchtest du denn wissen?«, antwortete ich ausweichend, was Kian dazu veranlasste sein Kinn auf meiner Schulter abzulegen.
»Wo warst du so lange? Ich dachte, der Kinofilm wäre eher vorbei.« Ich lachte.
»Er ging auch nicht so lange. Wir haben die erste Bahn verpasst, weil Julian seine Brieftasche im Kino vergessen hatte.«
»Das war ja irgendwie zu erwarten«, murrte er im Bezug auf Julian und seufzte. »Wie war der Film? Hast du dich gut amüsiert?«
»Ja. Es war ein schöner Abend. Aber eigentlich möchtest du doch etwas ganz anderes von mir hören oder?«, hakte ich misstrauisch nach und hörte ihn lachen.
»Stimmt. Es würde mich wirklich brennend interessieren, was nach unserem kleinen Telefonat heute früh passiert ist.«
Oh Scheiße! Das hatte ich ja schon wieder komplett vergessen.
Ich erstarrte augenblicklich in seinen Armen. Er merkte es ebenfalls und ließ mich sofort los. Hektisch stolperte ich einige Schritte zurück und betrachtete nun einen mehr als einschüchternd aussehenden Mann. Seine Augen funkelten mich eiskalt und berechnend an. Mit diesem Blick konnte er Adrian Konkurrenz ... Ich brach den Gedanken abrupt ab, bevor der Schmerz einsetzen konnte und konzentrierte mich stattdessen auf Kian. Abwartend musterte er mich.
Ich war ja so was von geliefert.
Als ich das letzte Mal etwas angestellt hatte - was natürlich meine zwei Volltrottel zu verschulden hatten - hatte er mir klipp und klar gesagt, dass ich das nächste Mal nicht so leicht davon käme. Letztes Mal hatte ich lediglich für ihn kochen und schließlich alles abwaschen müssen. Das war vor gut einer Woche gewesen.
Oh ja, mit meinen neuen Freunden brockte ich mir beinahe wöchentlich etwas ein. Ob ich nun gegen eine Glastür rannte, Schmiere stand, während Lee den Süßigkeitenautomaten ausräumte oder Julian dabei half das Toupet seines Professors zu verstecken.
(Es war meine Idee gewesen das Haarteil in den Süßigkeitenautomaten zu packen. Julian hatte es vorgezogen das Teil im Wischeimer der Putzfrau zu versenken ... Tja, der Automat wäre die denkbar bessere Lösung gewesen. Der hätte uns nämlich nicht verpfiffen!) Ich manövrierte mich von einer schwierigen Situation in die Nächste.
»Nun, was habt ihr dieses Mal wieder angestellt?«, erkundigte sich der Anwalt genervt und verschränkte die Arme vor der Brust. Er kannte Julian und Lee, da ich sie ihm hatte vorstellen müssen, nach der Sache mit dem Toupet versteht sich. Er hielt sie, gelinde gesagt für absolute Flachpfeifen. Ich konnte ihm dabei nicht widersprechen.
»Wir haben uns lediglich lautstark vor Professor Chain gestritten und damit seine Vorlesung unterbrochen.«
Kian verzog bei meinen Worten keine Miene, während ich mir unruhig auf der Unterlippe herumkaute.
»Das war aber noch nicht alles, stimmt's? Rede weiter!« Verneinend schüttelte ich den Kopf.
»Ich habe dir alles gesagt.« Der Mann lächelte, doch es erreichte seine Augen nicht. Ich schluckte.
»Versuch es nochmal, vielleicht glaube ich dir ja dann. Jedenfalls spielst du schon die ganze Zeit unruhig mit meiner Krawatte. Du bist nervös und verschweigst mir etwas.« Geschockt sah ich auf meine Hände und ließ ertappt den Stoff zu Boden gleiten. Fuck, war der Typ gut. Er wusste genau, wenn ich ihm etwas verschwieg.
»Es könnte sein, dass mir ausversehen seine Coladose runtergefallen ist, während er unsere Uniausweise weggesperrt hat.« Kian zog lediglich eine Augenbraue nach oben, um mir zu verdeutlichen, dass er mir meine Ausrede nicht abkaufte. Schade.
»Na gut, eventuell habe ich die Dose auch kräftig geschüttelt. Das Ergebnis blieb jedenfalls das Selbe«, lenkte ich ein. Kian schlug sich die Hand gegen die Stirn und schüttelte ungläubig den Kopf, während ich ein Grinsen unterdrücken musste. Julian und Lee brachten meine kindische Seite, die ich glaubte bereits auf der Highschool abgelegt zu haben, erneut zum Vorschein. Sogar um ein Vielfaches stärker.
»Die Konsequenz für euer kindisches Verhalten?«, fragte er kühl. Ich winkte ab.
»Keine große Sache. Suspendiert für den Rest der Woche.« Kian verschluckte sich beinahe an seinem eigenen Speichel, als er meine Worte vernahm. Ich suchte schnell das Weite, wurde im Wohnzimmer aber am Handgelenk gepackt und von ihm zurückgehalten. Innerlich fluchend blieb ich stehen. Jedes Mal gingen meine Fluchtversuche schief. Ich sollte mir ernsthaft mal einen Kopf darüber machen und das ändern. Wie schön es doch jetzt wäre eine Tür zwischen ihm und mir zu haben ...
»Keine große Sache? Du bist in deinem verschissenen letzten Semester und verpasst wichtige Vorlesungen und das soll keine große Sache sein? Sag mal, bist du etwa vollkommen bescheuert?!«, fuhr er mich wütend an, was mich erschrocken zusammenfahren ließ. Ich hatte ihn noch nie so aufgebracht und zornig erlebt. Seine Augen schienen Funken zu sprühen. Das erste Mal hatte ich eine vage Vorstellung von dem eiskalten und beherrschten Anwalt.
»Weißt du eigentlich, wie schwer es war einen Studienplatz und alle nötigen Dokumente für dich zu besorgen? Denkst du etwa, dass das alles mit einem Fingerschnippen zu schaffen wäre?!«, donnerte er weiter und traf damit einen trotzigen Punk in mir. Ich war ungerecht zu ihm und ich würde es bitter bereuen, das wusste ich in dem Moment, als sich mein Mund öffnete.
»So schwer kann es nicht gewesen sein, wenn wir am nächsten Morgen bereits geflogen sind«, erwiderte ich trocken und entriss ihm meine Hand.
»Außerdem habe ich dich nie darum gebeten. Ich wollte die Uni abbrechen.« Die Worte schmeckten bitter auf meiner Zunge, während sich die Atmospäre mit einem Wimpernschlag änderte. Kians Wut verrauchte und er sah mich nur noch unendlich traurig an.
»Ich dachte wirklich du würdest deine Träume kennen und für sie kämpfen. Du enttäuscht mich sehr«, flüsterte er mit erstickter Stimme, bevor er sich umdrehte und mich allein zurück ließ. Die Tür zu seinem Zimmer fiel mit einem leisen Klicken ins Schloss.
Wie paralysiert ließ ich mich auf die Couch sinken und starrte gegen die erstbeste Wand. Ich hatte Scheiße gebaut. Aber so richtig.
»Du enttäuschst mich sehr.« Seine Worte hallten wie in Endlosschleife durch mein Hirn.
In dieser Nacht konnte ich nicht schlafen. Obwohl mein Körper sich nach einer Runde Schlaf sehnte, arbeitete mein Kopf auf Hochtouren. Ich hatte Kian verletzt. Er hatte mir geholfen - half mir immer noch - und ich hatte ihm das vorgeworfen. Ich war ein schrecklicher Mensch und ich hatte den Schmerz in meiner Brust verdient. Und ich hatte es verdient nicht einschlafen zu können.
Wenn ich es mir recht überlegte, unterschied ich mich gar nicht so sehr von Adrian. Ich verletzte die Menschen in meinem Umfeld auch immer. Ebenfalls mit Worten. Nur, dass ich sie nicht aufschrieb, sondern, sie gleich direkt aussprach. Ich seufzte. Eigentlich war ich wegen letzterem sogar noch viel schlimmer als er.
Ich stand auf und ging zum Fenster. Mittlerweile prasselten dicke Regentropfen gegen das Glas und ließen die Straße vor meinen Augen zunehmend verschwimmen. Meine Fingerspitzen berührten die kalte Scheibe, was mir dabei half meine Gedanken etwas zu klären.
Ich wusste nicht wie lang ich so am Fenster gestanden und meinen eigenen Gedanken nachgegangen hatte. Doch, als ich mir einbildete meinen verstorbenen Großvater vor dem Haus stehen zu sehen, riss ich mich von dem Anblick los und ging in mein Zimmer.
Einem inneren Impuls folgend fuhr ich meinen Laptop hoch. Ich öffnete ein leeres Dokument und begann zu schreiben. Die Worte flossen nur so aus meinen Fingern hervor, verwoben sich zunehmend zu einer Einheit, füllten Seite um Seite und brachten meinen Herz zum Beben. Stunde um Stunde floss dahin, Puzzelteil um Puzzelteil fügten sich aneinander, während meine Finger nur so über die Tastatur zu fliegen schienen. Meine Gefühle flossen automatisch in die Worte, meine Ängste fügten sich spielend leicht an und mein Herz verlieh der Geschichte Charakter.
Erst, als ich nicht mehr klar denken konnte, schaltete ich den Bildschirm aus. Mit einem Lächeln auf den Lippen schlief ich schließlich doch noch ein.
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