「49. Kapitel - Verständnis und Mitgefühl」
Ich schnappte hörbar nach Luft und Fassungslosigkeit erfasste mich, während meine Mom nur traurig nickte. Sie sprach schnell weiter, als befürchte sie, wenn sie zu lange schwieg, würde sie es niemals erzählen können.
»In dem Brief stand, dass er wüsste wo ich wohne und dass ich nicht die Polizei einschalten soll, wenn ich will, dass deinem Vater und dir nichts passiert. Er verlangte Geld von mir. Das Geld, was ich ihn für all die Geschenke, die ich niemals wollte, schulden würde. Doch die Summe überstieg alles. So viel hatte ich nicht, abgesehen davon, war ich auch nicht bereit mit diesem ... Ungeheuer zu kooperieren. Schließlich konnte ich nichts dafür, dass sich dieser Mann in seinem kranken Hirn einbildete, mich zu lieben.
Doch ich wusste einfach nicht, was ich tun sollte. Ich wollte euch schließlich nicht in Gefahr bringen.
John, also Kians Vater hat mich damals erwischt, wie ich auf der Toilette vor Verzweiflung geweint habe. Er war es dann auch der mir den einzigen logischen Ausweg genannt hat, den ich nach längerem Zaudern bereit war zu akzeptieren.«
Sie machte eine kurze Pause, in der ich versuchte die Masse an Informationen zu sortieren und gleichzeitig meine Gefühle zu beherrschen. Alles wirbelte durcheinander. Mitleid gegenüber meiner Mutter, Wut gegen diesen irren Stalker, der sich in unser aller Leben eingemischt hatte und Selbsthass da ich meiner Mutter für alles die Schuld gegeben hatte. Aber ich hatte es ja auch nicht besser wissen können, oder?
»Nachdem dieser Irre schließlich mein Auto beschädigt hatte und ich von seiner Gewaltbereitschaft fest überzeugt war, handelte ich. Noch in dieser Nacht habe ich deinen Vater verlassen. Ich habe ihm gesagt, dass ich ihn nicht länger lieben würde und er dich behalten sollte. Dann bin ich gegangen.« Das letzte Wort ging in einem Schluchzer meiner Mutter unter und sie schlug sich beide Hände vors Gesicht.
»Du liebst Dad nach all den Jahren noch immer, richtig?«, hörte ich mich mit zittriger Stimme fragen und blickte in das tränenüberströmte Gesicht meiner Mom.
»Ich habe niemals damit aufgehört.«
»Warum hast du ihn dann bezüglich deiner Gefühle angelogen? Er hat sich jahrelang den Kopf darüber zerbrochen, was er falsch gemacht hat.« Ich konnte nicht verhindern, dass ich vorwurfsvoll klang, doch die blonde Frau neben mir lächelte mild.
»Weil es für uns beide leichter war, zu sagen, dass ich ihn nicht mehr liebe und deshalb gehe, als das Gegenteil zu behaupten und ihn trotzdem zu verlassen.« Sie hat recht. Es hätte ohnehin nichts geändert.
»Ich wusste, dass dein Vater gemeinsam mit dir nach New York ziehen würde, da man ihn erst kurz vorher eine Stelle dort angeboten hatte. Für mich hätte er abgelehnt, doch für dich nahm er sie an. Ihr beide wart zwar verletzt, dafür aber in Sicherheit. Ich arrangierte euren Umzug so, dass ich in dieser Zeit arbeiten musste, sodass dieser Irre es hoffentlich nicht bemerkte. Es funktionierte.
Nachdem ihr beide aus dem Spiel wart, bin ich mit John zur Polizei gegangen und habe denen alles erzählt. Dann begannen die drei schlimmsten Monate meines Lebens. Die Drohungen wurden schlimmer, richteten sich nun auch gezielt gegen mein Leben und die Ermittler hinkten immer einen Schritt hinterher.
Ohne John hätte ich es unmöglich überstanden. Er stand mir jeden Tag zur Seite, sorgte für meine Sicherheit und hielt meinen Namen aus jeder Zeitung heraus. Er war es auch, dem das entscheidende Detaill auffiel: Das alles begann, als ein neuer Pilot eingestellt worden war. Dieser war aber zunächst durch das Raster gefallen, da er nur vorübergehend auf meiner Linie eingesetzt wurde und die Polizei den Täter unter den Passagieren vermutete.
Aber eben dieser Pilot, der nur einen kranken Kollegen vertreten sollte, wohnte damals keine drei Blocks von uns entfernt.
Sie schnappten ihn, als er gerade mit einem Messer auf den Weg zu mir war und nahmen ihn fest. Bei weiteren Ermittlungen stellte sich heraus, dass er bereits mehrere Frauen gestalkt, vergewaltigt und anschließend getötet hatte. Er hat 26 Jahre bekommen, wird aber den Rest seines Lebens in der Psychiatrie verbringen.«
Ich schluckte schwer und betrachtete meine Mutter, in deren Augen sich der Schrecken der vergangenen Jahre widerspiegelte. Als ihr Blick mich streifte, verschwand er und wurde durch etwas anderes ersetzt. Ich konnte es aber nicht deuten.
»Nachdem ich wieder frei war von jeglicher Angst, bin ich ebenfalls nach New York gezogen. Zunächst kam ich bei John unter, doch ich wollte nichts lieber, als zu euch zurückzukehren.
Ich habe euch sogar einmal durch Zufall im Central Park gesehen. Fast wäre ich zu euch gegangen. Doch ihr beide, ihr wart ... so glücklich. Du hattest einen kleinen Freund mit dem du die ganze Zeit gespielt hast und dein Vater unterhielt sich angeregt mit der Mutter des Jungen.
In diesem Augenblick sah ich ein, dass ihr beide mich und meine Narben nicht mehr gebrauchen könnt. Deshalb habe ich euch noch ein weiteres Mal verlassen. Ich hielt es für das Beste.
Und John ... Er ...«
»Er hat sich in dich verliebt«, flüsterte ich erstickt und dachte zeitgleich an die beiden Männer in meinem Leben. »Und du hast dich auch irgendwie in ihn verliebt. Du fühltest vielleicht nicht das selbe, wie bei Dad, aber es hat gereicht, um sich ein Leben mit ihm aufzubauen. Kian war für dich wie dein eigener Sohn und als du mir mit Christian schwanger wurdest, war das Glück perfekt. Und jedes Mal, wenn dich Zweifel überkamen hast du dir eingeredet, dass wir es ohne dich viel besser hätten.«
»Du hast recht, Claire«, entgegnete meine Mom schwach. »Genau das habe ich gedacht. Nur mit einem lagst du falsch: Mein Leben war noch nie perfekt. Ohne dich und deinen Vater wird es das auch nie sein.«
Beschämt senkte sie den Blick, während sich mein Mund zu einem mitfühlenden Lächeln verzog.
»Ich weiß nicht, ob es dir hilft, aber nachdem ich jetzt endlich die Wahrheit kenne, möchte ich dir sagen, dass ich gern ein Teil deines Lebens sein würde. Mom«, ich sah sie direkt an, »ich vergebe dir. Das alles tut mir so wahnsinnig leid. Es tut mir so leid, dass du das durchmachen musstest.« Dann fiel ich ihr nach sechzehn langen und schweren Jahren endlich wieder in die Arme.
»Claire«, schluchzte meine Mutter und drückte mich an sich, als hielte sie das alles für einen Traum, aus dem sie jeden Moment erwachen könnte. »Mir tut es auch leid. Ich hätte dir das alles schon viel eher erzählen sollen. So viel vergeudete Zeit. Ich habe dich so lieb mein Schatz. So unendlich lieb.«
Wir saßen noch eine ganze Weile nah beieinander und vergossen all die Tränen, die wir schon viel eher hätten vergießen sollen. Doch nachdem sich der Schmerz der Vergangenheit aufgelöst hatte, schien meine Mutter das Gespräch führen zu wollen, das womöglich alle Mütter irgendwann führen wollten.
»Also dein Freund, dieser Adrian scheint ein ziemlich netter junger Mann zu sein. Wo habt ihr euch denn kennengelernt und behandelt er sich gut?« Ich konnte mir ein kurzes Auflachen nicht verkneifen.
»Ja, er ist nett und natürlich behandelt er mich gut. Das erste Mal haben wir uns auf der Straße gesehen, doch die letzten Wochen vor den Semesterferien war er mein Professor«, erzählte ich ihr ohne Umschweife, da ich keinen Sinn darin sah, sie anzulügen. Sie war meine Mutter, sie wusste wenn ich log.
»Mhm? Eigentlich hätte ich gedacht, dass du wenigstens versuchst mich anzulügen, aber so? Du erstaunst mich Schätzchen.« Mom hatte den Kopf schief gelegt und musterte mich erstaunt. Ich zuckte die Achseln.
»Kian, dieser hinterhältige Schuft hat dir doch ohnehin permanente Lageberichte gegeben, oder irre ich mich da etwa?«
»In keinster Weise. Dafür habe ich schon gesorgt.« Sie zwinkerte verschwörerisch. »Du sahst auf deiner Abschlussfeier übrigens bezaubernd aus und bei der Galerieeröffnung auch. Du machst mich so unheimlich stolz.« Ich zuckte zurück, als hätte ich mich verbrannt. Aus weit aufgerissenen Augen starrte ich sie an.
»Warte. Du hast mich beobachtet? Seit wann?«
»Ich habe dich nicht beobachtet, mein Schatz. Auf der Galerieeröffnung habe ich Kians Vater begleitet und auf deiner Abschlussfeier war ich, weil es sich für jede anständige Mutter nun einmal so gehört. Die wichtigsten Erlebnisse der eigenen Kinder verpasst man schließlich nicht. In deinen Schulaufführungen warst du übrigens auch klasse. Ich habe noch nie ein bezaubernderes Küken, als dich gesehen.«
Sie seufzte verzückt, während ich mich an die peinlichen Theaterstücke erinnerte. Verdammt peinlich! Wie können einen Lehrer nur so etwas antun? Dann beschlich mich ein Gedanke, den ich unbedingt erklärt haben wollte.
»Wie konnte ich dich dann die ganze Zeit übersehen? Oder Dad, er war ebenfalls bei all meinen Schulveranstaltungen. Wie hast du es geschafft ihn zu täuschen?«
Wenn meine Mom zwar das Aussehen eines Engels besaß, tief in ihr schlummerte der Teufel. Das bemerkte ich jetzt, als sich ihre Lippen zu einem dämonischen Lächeln verzogen.
»Hast du dir schon einmal die Haare gefärbt? Du glaubst nicht, was eine andere Farbe alles ausmacht. Ich persönlich benutze ja Perücken, da das ständige Färben an die Substanz geht. Dazu dann noch eine riesige Sonnenbrille und die Verkleidung ist perfekt.« Sie lachte das glockenhelle Lachen eines Engels und achtete nicht weiter auf meine gerunzelte Stirn. Eine Frage beschäftigte mich nämlich noch.
»Und warum hast du dich dann nicht an besagtem Abend verkleidet? Wieso so ein großes Risiko eingehen? Und was hattest du überhaupt dort zu suchen?«
Meine Mutter schob trotzig das Kinn vor. Das ganze kam mir so vor, als würde ich in einen Spiegel schauen. Ich selbst erwischte mich oft bei der gleichen Geste.
»Ich konnte ja nicht ahnen, dich dort anzutreffen«, murmelte sie. »Eigentlich hatte ich auch andere Pläne für diesen Abend, aber Johns Geschäftspartner und Freund lud ihn überraschend ein. Und als Mrs. West muss man nun mal seiner Pflicht als Ehefrau nachkommen und den eigenen Mann zu langweiligen Veranstaltungen begleiten. Als Kian mir also sagte, du wärst auch dort, habe ich mich auf die Toilette verzogen. Aber verstehe mich nicht falsch, dieses Gespräch wollte ich schon lange mit dir führen, aber finde du mal eine passende Einleitung nach all den Jahren.« Sie seufzte, während ich mir ein Lachen verkneifen musste.
Das hier war irgendwie surreal. Ich unterhielt mich vollkommen ungezwungen mit meiner eigenen Mutter, bemerkte, dass sie mir mehr ähnelte, als ich gedacht hatte und genoss die Zeit in vollen Zügen. Und das abgefahrenste für mich: Ich war nicht nachtragend und analysierte nicht permanent jede Situation. Außerdem stellte ich mir einmal nicht die was-wäre-wenn-Frage. Ich scherzte sogar mit ihr.
»Okay, apropos Kian. Hat er dir gesagt, was zwischen uns war?«, erkundigte ich mich nervös, was die Blondine plötzlich die Augen verengen ließ.
»Ach ja, gut das du es ansprichst. Ich wäre ohnehin noch darauf gekommen. Gut.« Sie räusperte sich.
»Was fällt dir eigentlich ein meinem Sohn das Herz zu brechen?!« Ich schrak unwillkürlich zusammen.
»Mom? Geht es dir gut?«
»Bestens, Schätzchen. Warum fragst du?«
»Weil ... das war jetzt nicht ganz der Rat den ich von dir erwartet habe. Außerdem ist er nur dein Stiefsohn.«
Sie zuckte die Achseln, während ihr Blick wieder sanft wurde.
»Tut mir leid. Stiefsohn hin oder her, in solchen Situationen muss ich unparteiisch sein.« Ich sah sie verständnislos an.
»Für mich war das aber sehr parteiisch.«
»Man tut was man kann. Das eine klappt besser das andere weniger.«
»Also ... Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.«
»Tschuldigung. Manchmal geht der Beschützerinstinkt mit mir durch. Du verstehst, es sind immerhin jetzt meine Jungs. Versuchen wir mal das ganze aus deiner Perspektive zu betrachten.« Sie verstummte kurz und überlegte, dann nickte sie.
»Du hast die richtige Entscheidung getroffen.«
»Wow. Toller Rat«, kommentierte ich trocken und sah in das verärgerte Gesicht meiner Mom.
»Ich war auch noch nicht fertig.«
»Na dann.«
»Claire, ich weiß, dass du Adrian aus vollem Herzen liebst. Man sieht das Funkeln in deinen Augen, wenn du von ihm sprichst. Und genau dieser Glanz fehlt, wenn du an Kian denkst.
Vermutlich hättet auch ihr beide glücklich werden können, doch es wäre niemals das gleiche gewesen, wie wenn sich zwei Seelen gefunden haben. Du und Adrian, ihr habt euch gefunden. Eure Seelen leuchten zusammen heller, als Sirius es am Nachthimmel je könnte und das weiß Kian auch.
Er hasst dich nicht, für das, was du getan hast, das sollte dir bewusst sein. Kian wünscht dir nur das Beste und wird seinen eigenen Weg finden, da kannst du dir sicher sein. Und wie heißt es so schön? Wenn Du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Kommt es zurück, gehört es Dir. Wenn nicht, hat es Dir nie gehört.«
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