「44. Kapitel - Keine Ausreden mehr」
Adrian stockte mitten in der Bewegung, während sich alle Aufmerksamkeit auf ihn richtete. Mich inklusive. Ein seltsamer Ausdruck stand in seinen Augen, als er zwischen mir und seinem verhassten Vater hin und her sah. Beinahe, als versuchte er verzweifelt, die Situation wieder unter Kontrolle zu bringen. Doch das vermochte er nicht. Sein Vater war nun der Zirkusdirektor, der Saal seine Manege und Adrian ein einfacher Clown, der nach seiner Pfeife zu tanzen hatte.
»Würdest du bitte zu mir kommen, mein Sohn? Ich bin mir sicher, dass deine bezaubernde Freundin einen Moment ohne dich auskommen wird«, redete Mr. Silver gnadenlos weiter und brachte seinen Sohn weiter in Zugzwang.
Er stand auf und küsste mich auf die Wange.
»Adrian, was-« Was ist hier verdammt nochmal los?
»Ich werde dir alles erklären, verstehst du? Es tut mir so leid. Bitte geh nicht«, flüsterte der Braunhaarige, bevor er die Schultern straffte und zu seinem Vater ging. Mich ließ er mit diesen unheilverkündenden Worten allein zurück. Ich fühlte mich verloren.
»Einen Applaus für meinen Sohn«, meinte Mr. Silver in dem Moment, als benannter neben ihn trat. Dort oben, vor all den Leuten, wirkte Adrian wie ausgewechselt. Kraft und Selbstsicherheit lag in seiner Haltung und die Lippen zierte ein gewinnendes Lächeln. Mich überkam unweigerlich der Gedanke, welche Reaktion die Echte und welche vorgespielt war.
Adrians Vater räusperte sich, bevor er fortfuhr: »Ich bin ein sehr glücklicher Mensch müssen Sie wissen, meine Damen und Herren. Ich genieße ein privilegiertes Leben, habe eine mich liebende Frau, die jeden Abend Zuhause auf mich wartet und zwei wundervolle Kinder, die mich stolz machen. Mein Sohn ist zu einem gütigen Mann herangewachsen und zu einem erfolgreichen Schriftsteller geworden. Er baut sich ein eigenes Leben mit dieser bezaubernden Frau an seiner Seite auf«, er deutete auf mich und lächelte freundlich. Die Umstehenden klatschten, während sich meine Gedanken überschlugen. Dieser Mann sollte Adrians Vater sein? Der Mann, der ihn in seiner Kindheit verstoßen hatte? Das geldgierige Scheusal, dem seine Kinder egal geworden waren?
Ich konnte es nicht glauben, da dieser Mann, etwas ganz anderes verkörperte. Er war der liebende und charismatische Familienvater, der alles für sie Opfern würde.
Doch als ich ihm direkt ins Gesicht blickte, erkannte ich die Lügen, die darin standen. Sein Lachen, die Liebe in seinen Worten und der Stolz auf seine Kinder, all das war nicht echt. Die Kälte in seinen Augen verriet es.
Nachdem der Lärmpegel wieder gefallen war, redete Thomas Silver weiter, wobei er eine ausholende Geste in Richtung Adrian machte.
»Mein Sohn macht mich wirklich Stolz. Er ist ein gebildeter, warmherziger und ehrgeiziger junger Mann und gerade in meinen späteren Jahren, merke ich, wie wichtig diese Eigenschaften für die Zukunft sind. Und gerade deshalb freut es mich umso mehr, welche zukunftsorientierte Entscheidung mein lieber Sohn getroffen hat. Er wird Sie Ihnen nun mitteilen.«
Wie angekündigt, trat Adrian ans Rednerpult. Sein Blick schweifte durch die Menge, hielt meinen für einen kurzen Moment gefangen, bevor er mit fester Stimme seine Rede begann: »Bevor ich zur Sache komme, möchte ich mich zunächst bei allen, die Teil dieses Verlages sind, herzlich bedanken. Ihr wart wie eine zweite Familie für mich. Und ein großes Danke geht hierbei an Mr. Williams. Danke, dass Sie immer an mich geglaubt und mir eine zweite Chance gegeben haben. Danke.« Er stockte kurz und sah zu seinem Vater, der eindringlich nickte. Ich glaubte ihn Seufzen zu sehen, war mir aber nicht sicher.
»Ich möchte diesen Abend und die Anwesenheit der Presse nutzen, um etwas wichtiges bekannt zu geben«, erklärte Adrian weiter und schluckte sichtlich. Mein Herz raste und meine Hände waren mittlerweile schweißnass. Was hatte das alles nur zu bedeuten? Und wofür hatte sich Adrian entschuldigt?
»Sie alle kennen mich und meine Romane lediglich unter den Namen: A. Silver. Bisher tat ich dies, um nicht sofort in der Öffentlichkeit erkannt zu werden, doch nach diesem Abend spielt das ohnehin keine Rolle mehr. Ich danke denjenigen, denen mein Vorname bereits vertraut ist und die bisher trotzdem eisern geschwiegen oder die Presse mit Namen, wie Adam, Ace oder Anthony in die Irre geführt haben. Doch nun ist es Zeit ans Licht zu treten und meinen richtigen Platz in der Familie einnehmen zu können.« Er schwieg kurz, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen und weitere Spannung aufzubauen, wobei er mich direkt ansah. Ein stummes Versprechen. Ich konnte das Leid und den Widerstand in seinen Augen erkennen. Er würde gleich sein größtes Geheimnis preisgeben.
»Mein voller Name ist Adrian Silver. Sohn von Miranda und Thomas Silver und nächstes Jahr neuer CEO von Silver Enterprises and Holdings. Ich werde das Familienunternehmen übernehmen«, sprach Adrian mit fester Stimme, wobei in seinen Augen eindeutig Schwäche stand. Es wurde laut im Saal, die Presseleute stürmten mit Fotografen zur Bühne und redeten wild durcheinander.
Ich selbst war vollkommen erstarrt und in meinen Ohren rauschte es unangenehm, während Adrians Vater erneut ans Mikrofon trat und von monatelanger Planung sprach. Auf einmal ergab alles einen Sinn: Adrians Albtraum, die Wut auf seinen Vater, das viele Geld und der Privatjet. Er wusste schon ewig, dass er das Unternehmen übernehmen würde und er hatte es nicht für nötig gehalten, mir das mitzuteilen. Erst jetzt, wo es morgen offiziell jeder wusste.
Keine Lügen mehr, erinnerte ich mich und wischte mir eine Träne von der Wange. Ja, Adrian hatte nicht gelogen. Er hatte es aber auch nicht für nötig gehalten, mir die Wahrheit zu sagen. Und diese Tatsache schmerzte mehr, als alles andere. Mir war egal, ob Adrian die Geschäfte seines Vaters übernahm. Mir wäre es auch egal gewesen, wenn er sich dazu entschieden hätte, ab morgen in einem Fast Food Restaurant zu jobben.
Ich wünschte nur, Adrian hätte vorher mit mir darüber gesprochen. So machte man das doch schließlich in einer festen Beziehung, oder? Du bedeutest ihm nichts, jammerte meine innere Stimme und ich schluckte. Du bist ihm nicht mehr wert, als der Rest hier im Saal. Er vertraut dir nicht. Sonst hätte er etwas gesagt.
Mir wurde das alles zu viel. Zu viele Menschen, zu viel Lärm und viel zu viel Silver. Adrians Vater machte mich krank. Wie er dort stand und dieses überhebliche Grinsen zur Schau trug. Ich musste dringend an die Luft. Nur raus hier.
Schnell sprang ich vom Stuhl auf und quetschte mich durch die vielen Menschen, bis ich zu den Toiletten kam. Dieses Mal nahm ich die Glastür und ging auf den Balkon, wo mir sofort kühler Wind entgegen peitschte. Glücklicherweise war der Balkon menschenleer, sodass niemanden die Tränen auffielen, die mir mittlerweile ungestüm über die Wangen flossen. Scheiße, ich war ja so erbärmlich. Adrian hatte recht, er brachte mich wirklich nur zum Weinen. Doch egal wie sehr ich es versuchte, ich konnte sie nicht zurückhalten.
»Geht es dir gut?«, erklang plötzlich eine Stimme neben mir, sodass ich erschrocken zusammenzuckte. Ich sah zur Seite und entdeckte den blonden Christian, den ich vor zwanzig Minuten getroffen hatte. »Tut mir leid. Ich wollte dich nicht erschrecken«, murmelte er sofort und reichte mir ein Taschentuch.
»Ist schon in Ordnung«, antwortete ich und blickte beschämt in die nächtlichen Skyline. Ich wollte ihm nicht in die Augen sehen. Die Stille dehnte sich zwischen uns.
»Dieser Adrian Silver, er ist dein Freund, habe ich recht?«, erkundigte sich Christian leise, was ich mit einem trockenen Lachen kommentierte.
»Das ist schwer zu übersehen, oder? Ich meine, hier stehe ich, wie eine dumme Pute und heule mir die Augen aus dem Kopf, obwohl ich lieber an seiner Seite sein und die liebe Freundin spielen sollte. Scheiße.« Christian hörte aufmerksam zu, wobei er mich nachdenklich von der Seite aus betrachtete. Er überlegte kurz, dann fragte er: »Und warum tust du es dann nicht?« Ja, warum nicht ...
Ich stellte eine Gegenfrage.
»Würdest du dich von einem Arzt behandeln lassen, der dir verschweigt, dass du eigentlich unheilbar krank bist?« Ich sah zu dem jungen Mann, der traurig den Kopf schüttelte.
»Verstehe. Du wusstest von nichts.«
»Ich hatte nicht den blassesten Schimmer«, hauchte ich und trocknete meine Tränen. Ich wollte ihm das Taschentuch wiedergeben, doch Christian meinte, ich solle es behalten.
»Du fühlst dich in einer gewissen Weise hintergangen, stimmt's? Du denkst, du wärst ihm nicht wichtig genug, damit er mit dir offen über seine Probleme spricht.«
Ich nickte traurig und war erstaunt darüber, wie intelligent und einfühlsam er für sein junges Alter doch war.
»Vielleicht solltest du mit ihm reden«, schlug Christian schließlich vor. »Er könnte es dir auch aus gutem Grund verschwiegen haben. Man kann nie wissen.« Zweifelnd sah ich ihn an und erinnerte mich in diesem Augenblick, dass ich mich mit einem Teenager über meine Probleme unterhielt. Einen beinahe fremden Teenager.
»Aus gutem Grund, ja? Ich wüsste nicht, welcher das sein sollte«, gab ich schließlich abwehrend zu bekennen, um zu signalisieren, dass unser Gespräch nun mehr oder weniger beendet war.
»Jeder hat seine Gründe.« Christian zuckte mit den Schultern. »Vielleicht ist seiner wichtig.« Vielleicht.
»Christian? Kommst du bitte, Mutter würde gern geh-« Die Stimme stoppte abrupt, als sie die Erkenntnis traf. Auch ich wirbelte auf dem Absatz herum und sah hinüber zu dem dunkelhaarigen Mann, der gerade durch die Glastür den weitläufigen Balkon betrat. Er trug, wie die meisten Männer einen schwarzen Anzug mit weißem Hemd und goldener Krawatte. Sein Haar wurde vom Wind zerzaust und die eisblauen Augen brannten sich in meine. Also doch! Ich hatte es mir nicht nur eingebildet. Er war tatsächlich hier. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen.
»Ist gut, Kian. Ich komme ja scho-« Christian hielt mitten im Satz inne, als würde ihm in diesem Augenblick ein Licht aufgehen. Er sah zwischen uns hin und her, bevor er sich direkt an Kian wandte: »Ich dachte, du hättest bereits mit ihr gesprochen.«
»Habe ich auch«, entgegnete er unwirsch, was Christian eine Braue heben ließ.
»Das sieht man natürlich sofort. Ihr habt bestimmt ein stundenlanges Gespräch geführt und eure Gefühle offen gelegt. Alle Unklarheiten beseitigt.« Mein Blick huschte unsicher zu Kian, dessen Kiefer wütend mahlte. Ich erkannte ihn nicht wieder.
»Was weißt du schon. Du bist doch noch ein halbes Kind!«, fuhr der Anwalt ihn ungewohnt zornig an, ohne mich weiter zu beachten. Meine Gedanken rasten, doch ich konnte nichts weiter tun, als zwischen den beiden hin und her zu schauen. Wer war dieser Christian, dass er so gut über alles Bescheid wusste? War er etwa ...? Unmöglich! Das konnte nicht sein.
»Ach ja? Dieses halbe Kind weiß, dass du Claire von ganzen Herzen liebst und nie den Mut hattest, es ihr zu gestehen, Brüderchen.« Ich schnappte erschrocken nach Luft. Christian war Kians Halbbruder? Natürlich! Das Alter dürfte passen. Und die athletische Figur des Blonden kam vom Football. Außerdem hatte mir Christian nicht seinen Nachnamen verraten. Vermutlich weil ich bei West eins und eins zusammengezählt hätte. Doch noch viel überraschender war, dass mich Kian liebte. Ich schüttelte den Kopf. Es war nicht überraschend. Natürlich liebte der Schwarzhaarige mich, sonst wäre er nicht so verletzt gewesen, als ich mich damals für Adrian entschieden hatte. Trotzdem war es eine ganz andere Sache, es laut auszusprechen. Er hatte es mir nie gesagt.
»Ist das wirklich wahr?«, hauchte ich und unterbrach damit die Streiterei der beiden. Kian sah mich direkt an. »Liebst du mich?« Kurz schwieg er, dann trat er näher. Er war nur weniger Schritte entfernt, trotzdem fühlte es sich an, als trennen uns ein ganzer Ozean. Ein Ozean voller verpasster Gelegenheiten und Lügen.
»Ja, ich liebe dich. Schon seit Ewigkeiten«, flüsterte er, was das Krampfen in meinem Herzen verstärkte. Ich schlug betreten die Augen nieder.
»Warum hast du es mir nie gesagt?«, fragte ich ihn, wobei ich vorwurfsvoll klang.
Kian seufzte und streckte die Hand nach mir aus, doch auf halbem Weg ließ er sie wieder sinken.
»Weil es nichts geändert hätte. Dein Herz will, was es will. Und das bin nun einmal nicht ich. Das wusste ich bereits, als ich dich mit ihm im Regen habe stehen sehen.« Ich sah den feuchten Schimmer in seinen Augen und, dass er sichtlich Mühe hatte es auszusprechen. Mir selbst liefen stumme Tränen über die Wangen.
»Es tut mir leid«, hauchte ich und schlang die Arme um meinen Oberkörper.
»Mir auch, Claire. Mir auch.« Noch eine Sekunde verweilte sein Blick auf mir, dann fing er sich wieder.
»Wir sollten jetzt gehen, Christian. Mutter sucht uns bestimmt schon«, wandte er sich nun wieder an seinen Halbbruder und bedachte ihn mit einem eindringlichen Blick.
»Du willst sie jetzt einfach allein lassen?«, entrüstete sich dieser und zeigte auf mich. Erst jetzt schien Kian aufzufallen, dass ich bereits geweint hatte, bevor er aufgetaucht war.
»Ich möchte es nicht noch schlimmer für sie machen. Nicht jetzt.« Wieso schlimmer? Ich verstand nichts mehr.
Christian sah noch einmal zu mir, dann nickte er.
»Kian? Christian? Seid ihr zwei hier?«, mischte sich plötzlich noch eine dritte Stimme ein, was mich ungläubig die Augen aufreißen ließ.
Keine zwei Meter von mir entfernt, stand eine blonde Frau, die in ein goldenes Abendkleid gehüllt war. Sie lächelte, als sie die besagten Personen ausmachen konnte. »Wir wollen gehen. Kommt ihr-« Sie verstummte abrupt, als sie mich sah. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck, als Erkennen in ihren Blick trat. Ich selbst brachte ebenfalls keinen Ton hervor.
Die Frau kam mir bekannt vor. Das blonde Haar, die blauen Augen, die vollen Lippen. Dieses Gesicht, ich hatte es schon oft gesehen. Jeden Tag, um genau zu sein.
Im Spiegel. Denn diese wunderschöne Frau, sie war mein perfektes Ebenbild.
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