「4. Kapitel - Verwirrte Gesichter」
»Sicher, dass du das noch essen möchtest?«, fragte Lee besorgt und zeigte auf meinen Hamburger mit extra viel Käse. Fragend zog ich eine Braue in die Höhe und betrachtete den schwarzhaarigen Studenten eingehend.
»Klar, wieso nicht?«
»Das ist bereits der dritte Burger.«
»Ich weiß.«
»Die Rechnung wird teuer.«
»Und? Du bezahlst schließlich für uns.«
»Was? Für euch beide? Nicht doch«, jammerte er und sah hilfesuchend zu Julian der lediglich die Achseln zuckte und seinen vierten Burger verschlang. Wo auch immer er das alles hin aß.
»Du hast die Lady gehört. Du zahlst Kumpel.«
Lees Mund klappte auf und wieder zu, bevor er grummelnd die Arme vor der Brust verschränkte.
»Wieso zahlst du nicht, Julian?«
»Weil ich letztes Mal schon dran war.« Lees Augen richteten sich auf mich, wobei ich meinen vollen Mund zu einem Lächeln verzog.
»Warum bezahlst du nicht?«
»Ganz einfach: Weil ich eine Frau bin. Wir zahlen prinzipiell nicht. Merk dir das! Außerdem hast du mich eingeladen«, nuschelte ich und leckte mir Soße von den Lippen.
»Ich habe dich zu einem Burger eingeladen und an Julians Einladung kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern.« Besagter Mann lachte und wischte sich seine fettigen Hände an einer Papierserviette ab.
»Ach stimmt. Das haben wir besprochen während du kurz für kleine Jungs warst. Wir waren dafür, dass du zahlen darfst.«
»Ich bin dagegen!«, beschwerte sich Lee überflüssigerweise und zog einen Schmollmund. Ich konnte es nicht lassen ihn einmal kräftig durchs Haar zu strubbeln. Er sah immer so niedlich aus, bei dieser Geste.
»Ach, mein kleiner, dummer Lee. Hast du es etwa immer noch nicht verstanden?«, säuselte ich, wie zu einem kleinen Jungen und kniff ihm fest in die Wange. Er zuckte zurück, betrachtete mich, als hätte ich vollkommen den Verstand verloren und schlug meine Hand beiseite.
»Deine Meinung interessiert uns nicht«, beendete Julian meine Ausführungen, mit so einer liebevollen Stimme, dass die besten Schauspieler neidisch geworden wären. Ich schob mir den letzten Happen Fleisch in den Mund und schmunzelte.
»Wenn man solche Freunde hat, braucht man echt keine Feinde mehr«, schimpfte der Mann neben mir und nuckelte beleidigt an seiner Cola. Julian lächelte breit und schoss einen bissigen Kommentar zurück, doch ich verstand nicht, was er sagte. In meinen Ohren rauschte es, während Bilder meinen Geist fluteten, die ich bisher erfolgreich ignoriert hatte.
Ich sah meine ehemaligen Mitstudenten und besten Freunde, Gwen und Simon vor mir, die sich ebenfalls oft gezankt hatten. Es tat mir noch immer im Herzen weh, dass ich gegangen war, ohne mich persönlich bei ihnen zu verabschieden und mein Verschwinden ausreichend zu erklären. Ich hatte nur kurz mit meiner besten Freundin telefoniert, um ihr zu sagen, dass ich das letzte Studienjahr in London verbringen würde, da man mir kurzfristig einen Platz angeboten hatte. (Kians Vater hatte wirklich weitverzweigte Kontakte ...)
Adrians Verrat hatte ich nicht erwähnt, da ich Simon nicht in seinen Annahmen bestätigen wollte. Es würde mir noch mehr weh tun, wenn ich in seinen Augen lesen würde, für wie dumm er mich eigentlich hielt. Es schmerzte sowieso schon genug meinen Freunden den Rücken zu kehren und ihnen nicht mehr täglich über den Weg zu laufen.
Aber alles konnte ich meinen besten Freunden nicht verheimlichen.
Gwen wusste, dass Kian ebenfalls in London war, um an einem Fall zu arbeiten und ich deswegen bei ihm unterkam. Außerdem hatte ich Gwen erzählt, dass der Grund meines Auslandssemesters darin lag, dass ich meinen Abschluss unabhängig von Adrian erhalten wollte. Man sollte mir niemals vorwerfen können, dass er mich bevorzugt hätte. Das hatte sie mir überraschenderweise geglaubt.
Meinem Dad hatte ich - abgesehen natürlich von Adrian - die gleiche Geschichte erzählt. Und genau wie meine Freunde, freute er sich für mich und beglückwünschte mich für die neuen Erfahrungen, die ich würde machen dürfen.
»Sag mal, hast du Lust mit uns heute Abend ins Kino zu gehen?«, riss mich Julian zurück in die Wirklichkeit und fuhr sich beiläufig durch sein kinnlanges Haar.
»Ihr wollt mit mir ins Kino gehen?«, hakte ich ungläubig nach und betrachtete die beiden eingehend. Natürlich waren wir in der Uni meistens gemeinsam anzutreffen, doch unsere Freizeit verbrachten wir stets getrennt. Ich bezweifelte außerdem, dass wir uns bereits Freunde nennen konnten. Obwohl? Ab wann konnte man einen Menschen eigentlich als Freund bezeichnen? War es nicht vielmehr ein flüssiger Übergang, wann aus Fremden Bekannte und aus Bekannten Freunde wurden?
»Ja. Wir würden uns über deine Gesellschaft freuen«, erwiderte der Blondschopf lächelnd und ich schaute skeptisch zu meinem Sitznachbarn, mit dem ich oft genug aneinander geriet. Zu meiner Verblüffung nickte Lee ebenfalls.
»Auch, wenn du mich beinahe zum Wahnsinn treibst mit deinen sarkastischen Kommentaren, würde ich gern etwas mit dir unternehmen.«
Als ich ihn weiterhin sprachlos ansah, fügte er leicht verlegen hinzu: »Mit dir wäre es wesentlich witziger. Außerdem schulden wir dir was für heute Morgen.«
»Wow«, flüsterte ich berührt und sah die beiden lächelnd an. »Das ihr, abgesehen von absolutem Schwachsinn, auch einmal so etwas Nettes von euch geben könnt, hätte ich wirklich nie für möglich gehalten.« Lee und Julian schnaubten gleichzeitig und sahen mich finster an.
»Was denn?«
»Kannst du nicht einfach mal deine freche Klappe halten und dich freuen, dass wir dich dabei haben wollen?« Ich schmunzelte.
»Nope. Klappe halten war noch nie so mein Ding. Außerdem habe ich noch gar nicht zugesagt.«
»Willst du uns etwa einen Korb geben?«, fuhr Julian entrüstet dazwischen, bevor Lee damit beginnen konnte, mit mir zu streiten.
»Mhm? Vielleicht.« Ich schlürfte unschuldig an meinem Apfelsaft und versuchte das Lachen zu unterdrücken, als ich den chinesischen Studenten mit den Zähnen knirschen hörte.
»Oh«, war Julians schwache Reaktion auf meine Worte, während Lee - eindeutig viel impulsiver, als sein Kumpel - aussah, als würde er mir am liebsten den Hals umdrehen.
»Können wir dich nicht vielleicht umstimmen?«
»Nein.«
»Ich sagte doch, das ist Zeitverschwendung«, bemerkte Lee verärgert und schenkte seinem Freund einen unmissverständlichen Blick, der besagte, wie sehr er mich doch gerade verabscheute. Vor allem, da er gerade gestanden hatte, mit mir gerne Zeit zu verbringen.
»Auch, wenn ich das nur äußerst ungern zugebe, Lee. Du hast in diesem Punk tatsächlich Recht. Zeitverschwendung.« Ich unterbrach mich und genoss noch kurz das enttäuschte und das wütende Gesicht der beiden, bevor ich kapitulierend die Hände hob.
»Ihr hattet mich schon bei Kino. Klar komme ich mit.«
»Cool!«, freute sich Julian sofort und begann eifrig auf seinem Smartphone herum zu tippen, um nach einem geeigneten Film zu suchen. Lee hingegen sah mich weiterhin säuerlich an.
»Du findest das witzig oder? Uns immer wieder auf den Arm zu nehmen.« Ich zuckte die Achseln.
»So gern ich euch auch auf den Arm nehmen würde, aber ihr seid mir dafür echt zu schwer.«
»Kannst du nicht einfach mal ernst bleiben?«
»Kannst du dich nicht einfach mal mit meiner Persönlichkeit abfinden?«
»Nein.«
»Dito.«
***
»Scheiße, war der Film toll«, meinte Julian ausgelassen, während wir in den überwiegend leeren Zug einstiegen und uns auf drei freie Sitze plumpsen ließen. Abgesehen von einem frisch verliebten Pärchen, einer übermüdeten Krankenschwester und einem älteren Mann, der in seiner braunen Papiertüte eindeutig eine Schnapsflasche verbarg, war das Abteil leer. Kurz vor Mitternacht mitten in der Woche auch nicht weiter verwunderlich.
»Ich habe noch nie so einen geilen Schwachsinn auf der Leinwand gesehen«, stimmte Lee zu, wobei ich zurück an den rot gekleideten Antihelden dachte, der sich mehrmals in Stücke hatte zerreißen lassen und dennoch nicht auf einen dummen Kommentar hatte verzichten können.
»Er hat mich irgendwie an Claire erinnert«, redete er weiter, wofür er sich einen Schlag gegen den Kopf einfing. Julian lachte, während sich Lee fluchend den Kopf rieb. Oh ja, ich hatte fest zugeschlagen. Aber das war verständlich. Als ob ich aussah wie das Endprodukt zweier alter Avocados?! Der Freund des Protagonisten hatte ihn jedenfalls damit verglichen. Ich schnaubte.
»Ich vermute mal, dass er euren Humor meint. Ihr ähnelt euch«, rettete Julian wieder einmal die Stimmung und rückte seine Brille zurecht.
»Erschreckend ähnlich sogar«, erklärte der Student und sah mich ... entschuldigend an. Oder auch nicht. Ich redete mir jedenfalls ein, dass er um Entschuldigung bat.
»Stimmt nicht«, protestierte ich entschieden und erntete nur ein ungläubiges Lachen von meinen Begleitern.
»Okay. Eventuell hast du recht«, räumte ich ein und tätschelte ihm leicht die Schulter.
»Krass. Wusste nicht, dass du so einfühlsam sein kannst«, platzte es spöttisch aus Julian heraus, als er meine Geste bemerkte. Ich zeigte ihm scherzend den Mittelfinger. Er erwiderte die Geste.
»Mir hat der Abend gefallen«, entkam es mir flüsternd, was Julian milde lächeln ließ. Wenn ich ehrlich war, hatte ich seit langem nicht so einen schönen Abend gehabt, was nicht zuletzt daran lag, dass ich noch keinen Gedanken an ihn verschwendet hatte. Die beiden lenkten mich ab.
Lee sah mich aufgrund meiner Ehrlichkeit sichtlich überrascht an, verkniff sich aber einen dummen Kommentar.
»Wenn du willst können wir das mal wiederholen«, sagte er stattdessen, was mich Schmunzeln ließ. Ich nickte.
»Das würde ich gern. Sehr gern.«
»Noch sanfter, Claire und man könnte glatt denken, du magst uns mittlerweile«, bemerkte Julian frech und zwinkerte mir verschmitzt zu.
»Mögen ist deutlich übertrieben. Ich ertrage euch lediglich und genieße die Vorzüge meine Zeit mit euch zu verbringen.«
»Vorzüge?«, fragte Lee mit hochgezogener Braue und betrachtete mich skeptisch.
»Gratispopcorn«, half ich ihm auf die Sprünge und kicherte.
»Natürlich. Wie konnte ich jemals deine Leidenschaft für Essen vergessen«, seufzte er melodramatisch und brachte uns somit erneut zum Lachen.
Eine Durchsage, die meine Haltestelle ankündigte unterbrach unser liebevolles Gezanke schließlich.
»Wir sehen uns«, verabschiedete ich mich fröhlich und umarmte sie zum Schluss, was sie ziemlich überrascht dreinblicken ließ. Ich zwinkerte kokett.
»Tschüss, Claire«, verabschiedete sich Julian, der sich zuerst wieder unter Kontrolle hatte. Lee fand seine Stimme kurz darauf auch wider.
»Wiedersehen und pass gut auf dich auf.«
»Noch freundlicher, Lee und man könnte glatt denken, du machst dir Sorgen um mich.« Er zuckte mit den Schultern.
»Natürlich machen wir uns Sorgen um dich«, beteuerte der Surferboy ernst. »Du bist schließlich unsere Freundin. Und Freunde sorgen sich schließlich umeinander.«
Das letzte Wort brachte mich vollkommen aus dem Konzept. Wir waren Freunde? Ich fühlte kurz in mich und nickte dann entschlossen.
»Ihr seid zwar Idioten«, sagte ich lächelnd, was die beiden empört nach Luft schnappen ließ, »aber ihr seid meine Idioten.« Damit stieg ich aus und winkte ihnen zum Abschied. Sichtlich verwirrt blickten sie mir hinterher, das Lächeln was ihre Mundwinkel dabei umspielte, offenbarte mir ihre Gefühle jedoch.
Lächelnd verließ ich die Undergroundstation und schlenderte durch die Straßen, die mich noch von Kians Apartment trennten. Dabei lief ich an einer Vielzahl verschiedener Geschäfte vorbei. So sehr ich mich auch versuchte davon abzuhalten, so sehr scheiterte ich, als ich an der Buchhandlung vorbei lief. Die Schaufenster waren zwar dunkel, doch deutlich zeichnete sich, das im Inneren befestigte Plakat vor meinen Augen ab. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, während meine Augen feucht wurden. Dieses miese Arschloch!
Adrians neues Buch schien der Kassenschlager schlechthin zu sein. Einen Monat nach unserer Auseinandersetzung, war sein Werk erschienen und hatte mich endgültig vernichtet. Eine Woche später, stand er auf der Bestsellerliste und wurde von jedem Kritiker gefeiert. Es war also nur noch eine Frage der Zeit, bis einer meiner Freunde das Buch in die Hände bekäme und Fragen stellen würde. Letzteres verdrängte ich schnell wieder und konzentrierte mich wieder auf das Blatt vor meiner Nase.
Jede Buchhandlung präsentierte Adrians neuestes Werk, überall hingen Plakate und im Fernsehen liefen Interviews mit ihm. Ich schaltete sofort um, wenn ich zufällig auf Letzteres stieß und dachte nicht im Entferntesten daran, sein Buch jemals in die Hand zu nehmen. Sein Werk zu lesen oder seine Stimme im Fernsehen zu hören und sein lächelndes Gesicht vor mir zu sehen, kam dem Todesstoß gleich. Ich ertrug es einfach nicht. Nichts, was mit diesem Mann in Verbindung stand ertrug ich.
Meine Hand hinterließ einen verschwommenen Abdruck auf der Glasscheibe, als ich mich von dem schrecklichen Plakat los riss und ging. Die Dunkelheit verschluckte meine einsamen Schritte. Die Tränen auf meinen Wangen verdeckte die Nacht ebenso.
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