「35. Kapitel - Heimkehr」
Als ich die Tür zu meiner eigenen Wohnung aufsperrte und den Lichtschalter betätigte, fühlte ich mich beklommen und kalt, obwohl die Temperatur angenehm warm war. Ich spürte nichts von dem vertrauten und warmen Gefühl der Heimat, so wie ich es immer bei meinem Onkel auf seiner Farm verspürte und das mich eigentlich hätte überkommen sollen, als ich in das offen geschnittene Wohnzimmer trat. Nein. Davon fühlte ich nichts.
Stattdessen kamen die verschiedensten Erinnerungen hoch: Adrian, der gemeinsam mit mir frühstückte und mich einmal durch die Küche wirbelte. Ich hörte dabei mein eigenes fröhliches Lachen.
Als nächstes sah ich Kian der mich tröstete, mir Mut zusprach und mich in den Arm nahm, während meine Welt zu einer einzigen Kugel aus Schmerz verschwamm.
Und schließlich, als ich mein Schlafzimmer betrat und auf die Dachterrasse blickte, die zu dieser Jahreszeit mit Schnee bedeckt war, sah ich wieder Adrian, der auf mich gewartet hatte - ewig warten würde - und dabei eingeschlafen war. Ich hörte erneut seine melancholische Stimme, die mir von seiner schweren Vergangenheit erzählte und blickte wieder in seine funkelnden Augen, die mit Tränen gefüllt waren.
Niemals hätte ich gedacht, dass ich diesen oberflächlich so Stark und Beherrscht wirkenden Mann einmal weinen sehen würde. Genauso wenig wie ich geglaubt hätte, ihn einmal so hoffnungslos und traurig zu erleben, wie an jenem Abend, als er kraftlos im Schnee saß und auf mich vollkommen verloren wirkte. Als Kian mich geküsst hatte und ich mir noch immer einzureden versuchte, dass ich mit dem jungen Anwalt glücklich werden würde.
Als ich bemerkte, wie sich meine Gedanken stetig weiter verdüsterten, ging ich in die Küche, um mir etwas zu Essen zu machen. Das stellte sich jedoch als ein schwieriges Unterfangen heraus, da mein Kühlschrank abgesehen von einer angebrochenen Packung Käseaufschnitt, die schon verdächtig grün aussah und ein paar angefaulten Tomaten leer war. Angeekelt entsorgte ich den kläglichen Rest an Lebensmittel im Mülleimer und durchsuchte dann die Hängeschränke nach etwas Essbarem. Ich fand ein Glas Marmelade und eine Packung Kekse. Auf beides hatte ich keine Lust, weshalb ich beschloss nach dem Pizzaflyer zu suchen, den mir irgendwer mal unter dem Türschlitz durchgeschoben hatte.
Also durchsuchte ich die gesamte Küche, was mir letztendlich nichts brachte. Im Wohnzimmer fand ich ihn auch nicht, weshalb ich die Schubladen der Kommode im Flur aufzog.
»Ha!« Triumphierend zog ich den mit Pizzen bedruckten Flyer hervor, wobei ich aus dem Augenwinkel etwas glänzendes wahr nahm. Das kleine Stück Metall lag kühl in meiner Hand, als ich den Schlüssel genauer unter die Lupe nahm, den ich beim Hereinkommen übersehen hatte. Ebenso unbekannt war mir das Kärtchen, was darunter gelegen hatte und welches ich nun aufklappte.
Mein ganzes Leben in wenigen Zahlen: 537925 für meine Etage und 1894 für den Aufzug in der Tiefgarage.
Leider kann ich dir nur einen Code und keinen Schlüssel zu meiner Wohnung schenken. Der verdammte Fluch der Moderne! Ich gebe dir trotzdem einen, um der alten Zeiten willen.
Aber zugegeben einen Vorteil hat die Moderne. Den Code kannst du nicht so schnell verlieren ;)
Adrian X
Kopfschüttelnd und leicht verärgert laß ich immer wieder seinen letzten Satz. Als ob ich jemals seinen Wohnungsschlüssel verlieren würde! Andererseits ... Vermutlich wäre das gar nicht mal so abwegig.
Mein unangebrachter Ärger verpuffte ohnehin, als ich das X hinter seinem Namen bemerkte. Stattdessen breitete sich eine angenehme Wärme in mir aus und ich beschloss Adrian eine SMS zu schreiben. Vermutlich würde er sie erst morgen lesen, da es mittlerweile schon ziemlich spät war, doch das war mir egal.
Claire White
Ich liebe die alten Zeiten, ich liebe dein Geschenk und ich liebe dich! Ich freue mich schon es zu benutzen. Danke.
Claire XXX
PS: Wer sagt, dass ich den Zettel nicht auch verliere und den Code vergesse?
Wie erwartet bekam ich keine Antwort darauf zurück. Vermutlich schlief er schon längst und hatte sein Handy auf lautlos gestellt, damit er nicht durch eintreffende Nachrichten aus dem Schlaf gerissen wurde, den er so dringend nötig hatte. In den vergangenen Tagen, die ich noch in London und er bereits wieder in New York verbracht hatte, hatte ich ihn kaum erreichen können, so viele Termine und Verpflichtungen hatte er wahr zu nehmen. Das alles musste er hinten an gestellt haben, während er mit mir in Europa war. Vermutlich hätte Adrian es bis heute Abend noch aufgeschoben, hätte ich ihn nicht dazu gedrängt, schon vorzeitig abzureisen, nachdem ich die Flut an verpassten Anrufen auf seinen Handydisplay entdeckt hatte.
Nachdem ich meine ganze Überredungskunst angewendet hatte und Einsicht eingekehrt war, hatte Adrian schließlich den erstbesten Flug nach Hause genommen.
Die restliche Zeit in England hatte ich mit Lee, Julian und meinem Dad verbracht. Mit meinem Vater hatte ich mir erneut die verschiedensten Sehenswürdigkeiten angeschaut, die es in London zu besichtigen gab, während ich mit meinen chaotischen Freunden jeden Pub unsicher gemacht und genügend Unsinn für zwei ganze Leben verzapft hatte.
Außerdem hatte ich mich von Rachel einen ganzen Nachmittag durch gefühlt tausend Geschäfte zerren lassen, nur um schlussendlich nichts passendes für mich und mein Portmonee zu finden. Die schwarze Reizunterwäsche, die sie mir zu meinem Uniabschluss kaufen wollte, hatte ich entschieden abgelehnt. Den Kakao mit reichlich Sahne nicht. Ersteres hatte nun aber zur Folge, dass ich ein weiteres Mal mit ihr Shoppen gehen musste und dabei bestimmt nicht um Spitzenunterwäsche drum rum käme.
Ich seufzte und ging zu meinem Koffer, damit ich meinen Laptop herausholen konnte. Mir saß der Jetlag viel zu sehr in den Knochen und mein Kopf war noch immer hellwach, sodass es mir unmöglich erschien jetzt zu schlafen. Stattdessen spielte ich mit dem Gedanken noch ein wenig an meinem Roman weiterzuschreiben, dem lediglich noch die Pointe fehlte und wenige abschließende Kapitel. Gerade, als ich das Schreibprogramm öffnete, klingelte es jedoch überraschend an meiner Tür.
Ob es Adrian war? Oder vielleicht ja doch Kian, der mit mir in Ruhe reden wollte?
Plötzlich war ich erfüllt von Aufregung und Nervosität. Was sollte ich Kian sagen? Die Wahrheit! Mit klopfendem Herzen ging ich in den Eingangsbereich und machte auf.
Ich hatte wirklich mit allem gerechnet, nur nicht mit meiner kreischenden und heulenden Freundin, die nachts halb eins auf meiner Türschwelle stand, um mich durch ihre überschwängliche Umarmung beinahe zu erwürgen.
»Übergriff!«, entfuhr es Gwen nun lachend, was mir langsam Sorgen bereitete. Waren ihre Stimmungsschwankungen noch normal? War sie gar schwanger? Ich nahm mir vor mich so bald wie möglich nach ihrem Liebesleben zu erkundigen. Bevor ich jedoch länger darüber nachdenken konnte, wurde ich auch schon von Simon in eine herzliche Umarmung gezogen, die um einiges angenehmer ausfiel, weil er danach schnell eine quadratische Schachtel vom Boden aufklaubte.
»Rieche ich da etwa Pizza?« Ich strahlte über beide Ohren.
»Nein, das sind Spaghetti. Sieht man doch schon an der Verpackung«, spottete mein allerbester Freund und grinste schief.
Gwen schien ebenfalls amüsiert.
»Dann eben Spaghetti. Auch egal, Hauptsache ich kann was essen. Ich habe einen Bärenhunger, sage ich euch!«, erklärte ich überdramatisch und ließ sie eintreten.
»Immer dieses schreckliche Flugzeugessen«, stimmte mir Simon zu, während er das gute Stück in die Küche trug und aufklappte. Mir lief das Wasser im Mund zusammen, während ich schnell drei Teller zu Tage beförderte und den Duft von geschmolzenem Käse einatmete.
»Ungenießbar, sage ich euch!«
»Menschenverachtend!«, bemerkte die Brünette ernst und verzog das Gesicht. »Diese ekelige Pampe, kann man echt nicht als Essen bezeichnen.«
Wir lachten gleichzeitig los und verschlangen danach in Rekordzeit die Pizza. Salami mit Zwiebel und extra viel Käse - meine Lieblingspizza und jede Sünde wert.
»Gott, ich liebe euch Leute!«, seufzte ich zufrieden und tätschelte meinen vollen und kugelrunden Bauch, der sich anfühlte, als würde er jeden Moment platzen.
Neben mir seufzte Gwen ebenfalls wohlig auf, während Simon noch dem letzten Stück Pizza nachtrauerte, was ich mir mit meiner besten Freundin geschnappt und geteilt hatte. Wie Männer immer nur so viel essen konnten, würde mir wohl ewig ein Rätsel bleiben.
»Natürlich liebst du uns! Schließlich würdest du sonst einem qualvollen Hungertod sterben«, fiel Gwen ein und half mir den Pizzakarton zu zerkleinern und die Küche wieder auf Vordermann zu bringen. Ich lachte.
»Verhungert bin ich in den letzten Monaten allerdings nicht.« Simon schmunzelte und zwinkerte mir dann verschmitzt zu. »Das liegt aber auch nur daran, dass deine beiden Nervensägen permanent ein Auge auf dich hatten.«
Ich zuckte nichtssagend die Achseln.
»Ist ja auch egal. Ihr wisst gar nicht, wie froh ich bin euch endlich wiederzusehen. Ich habe euch schrecklich vermisst.«
»Und wir dich erst, Claire! Wir haben dir so viel zu erzählen, dass wird vermutlich deine gesamte Nacht in Anspruch nehmen«, sprühte meine beste Freundin nur so vor Tatendrang und zog mich ins Wohnzimmer, damit wir uns auf der Couch niederlassen konnten. Simon setzte sich auf den Teppich zu unseren Füßen.
»Wie war eigentlich eure Abschlussfeier?«, erkundigte ich mich neugierig, nachdem mir aufgefallen war, dass ich bisher noch nicht dazu gekommen war nachzufragen.
»Super! Unsere Eltern und Ben waren da, mit denen wir essen waren. Am Abend waren wir dann alle gemeinsam in einem Club und haben es so richtig krachen lassen ...«
Schmunzelnd lauschte ich Gwens Erzählungen, wobei Simon ebenfalls enthusiastisch mit einstimmte.
Die beiden schienen sich wirklich toll amüsiert zu haben, wobei ich ihnen am liebsten Gesellschaft geleistet hätte. Wir kannten uns schließlich schon eine gefühlte Ewigkeit und hatten Pläne für unseren Abschluss geschmiedet, die ich allein durchkreuzt hatte. Daran hatte ich bisher keinen Gedanken verschwendet.
Wie mussten sich die beiden gefühlt haben, nachdem ich Hals über Kopf nach Europa gegangen war, ohne ihnen meine wahren Absichten zu verraten? Hatte ich sie mit meiner Entscheidung vielleicht sogar enttäuscht? Hatte ich alles nur noch schlimmer gemacht, nachdem ich in London neue Freunde kennengelernt hatte?
»Tut mir leid«, rutschte es mir heraus bevor ich es verhindern konnte und blickte in zwei verwirrte Gesichter. Ich lächelte traurig. »Ich hätte da sein sollen. So wie wir es von Anfang an geplant hatten. Ich hätte-«
»Was? Nicht nach London gehen sollen? Hier bei uns bleiben sollen, so wie wir es so geplant hatten?«, unterbrach mich Gwen scharf. Sie schien zornig zu sein.
»Vielleicht«, entgegnete ich kleinlaut und wich ihrem wütenden Blick aus. »Immerhin habe ich die letzte Zeit, in der wir uns täglich hätten sehen können in den Sand gesetzt. In Zukunft wird jeder seinen eigenen Weg gehen und wir werden uns nicht mehr so oft sehen können.«
»Du bist eine schreckliche Freundin, weißt du das? Du verschwendest wirklich keinen einzigen Gedanken an deine Freunde und ihre Gefühle!«, unterstellte sie mir, was mich die Schultern hängen lassen ließ. Also doch. Ich habe es gewusst. Ich habe sie verletzt.
»Entschuldigt. Ich hätte das nicht machen sollen, immerhin habe ich euch einfach zurückgelassen. Wir hätten unseren Abschluss gemeinsam machen sollen und nicht getrennt.«
»Du kapierst es nicht, oder? Du kapierst es einfach nicht!«, fuhr nun auch der Blondschopf dazwischen und funkelte mich mit blitzenden Augen an. Ich zuckte zusammen und sah verständnislos von einem zum anderen.
»Wie kannst du deine Freunde einfach verraten? Bedeuten sie dir etwa gar nichts?!«, blaffte die Brünette und sah so aus, als würde sie mir jeden Moment an die Gurgel gehen. Und auch ich würde ihr am liebsten die Kehle zerfetzten, denn ich war keinesfalls so kaltherzig, wie sie es mir zu unterstellen versuchte. Mir platzte der Kragen.
»Was redet ihr da eigentlich?! Meine Freunde sind mir wichtig, verdammt wichtig sogar! Es tut mir ja wirklich leid, wenn ich euch verletzt habe, aber ich stehe zu meiner Entscheidung! Es war richtig neue Erfahrungen gemacht und Julian und Lee kennengelernt zu haben. Die beiden liegen mir am Herzen - genauso wie ihr - und ich würde nichts daran ändern! Also entweder ihr respektiert meine Entscheidung oder-«
»Oder was? Textest du uns dann weiterhin mit solchen Belanglosigkeiten zu und versuchst uns einzureden, wütend auf dich zu sein, nur weil du endlich mal an dich gedacht hast? Weil du neue Freunde gefunden hast und glaubst, wir würden uns vernachlässigt fühlen?« Gwen und Simon lächelten amüsiert.
»Was?« Ich war verwirrt.
»Wir sind nicht wütend auf dich, waren es nie«, erklärte meine beste Freundin entschieden. Simon nickte zustimmend, während ich überhaupt nichts mehr verstand.
»Pläne ändern sich, Claire. Der Weg, den wir gehen wollen verändert sich. Wir verändern uns. All das ist geschieht.
Wir können nicht unser ganzes Leben vorausplanen und ebenso wenig wütend sein, wenn etwas unvorhergesehenes geschieht. Wir können hoch fliegen und ebenso tief fallen. So ist es nun einmal und daran können wir nichts ändern. Wir können uns nur selbst treu bleiben und uns niemals belügen«, sagte er ruhig und lächelte dann. »Und deshalb frage ich dich: bist du dir mit deinen Entscheidungen treu geblieben? Belügst du dich nicht selbst?«
»Ich belüge mich nicht«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Jetzt nicht mehr.«
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