「3. Kapitel - Shit happens」
An der nächsten Haltestelle stieg ich aus und wechselte das Gleis, um wenigstens noch zu meiner nächsten Vorlesung pünktlich zu kommen.
Nachdem ich mich tapfer durch die große Masse an verschiedensten Menschen gequält hatte, beinahe über ein Skateboard gestolpert wäre und mich fast von einem Auto hätte anfahren lassen, erreichte ich endlich die Uni. Seufzend betrat ich die karge Eingangshalle, die mir mittlerweile sehr gut vertraut war und machte mich auf dem Weg zu meiner nächsten Vorlesung. Zugegeben, es war nicht die Nächste. Es war die Erste. Ersteres klang aber besser.
Ich umklammerte meine Tasche fester, während ich zügig das Gebäude durchquerte, waghalsig Treppen erklomm und geschickt Glastüren auswich, die nur darauf warteten, dass ich dagegen rannte. Am ersten Tag hatte ich mit dieser dämlichen Aktion wirklich alle Blicke auf mich gezogen. Glastüren waren aber auch gemeingefährlich! Schließlich schaffte ich es unverletzt zu einem der vielen Seminarsäle, dessen Türen momentan noch geschlossen waren. Die Stimme des Professors drang trotzdem an meine Ohren, wenn auch verzerrt und unverständlich.
»Bitte nicht«, stöhnte ich leise, als ich in der Nähe des Hörsaals auf einem freien Stuhl Platz nahm und bereits einen dunklen Haarschopf ausmachte, der direkt auf mich zusteuerte. Der junge Mann mit eindeutig chinesischen Wurzeln, winkte mir von weitem deutlich übertrieben zu und setzte sich dann mit einem breiten Grinsen zu mir.
»Na, auch mal wieder zu spät, Claire?«, lautete seine schlichte Begrüßung, was ich mit einem Schnauben quittierte.
»Was heißt hier, wieder? Im Gegensatz zu dir, Lee, komme ich nie zu spät.«
»Doch tust du. Mindestens dreimal die Woche. Abgesehen davon komme ich auch nie zu spät!«, entrüstete sich der chinesische Student sofort und zog einen Flunsch. Sah ja irgendwie ganz niedlich aus. »Ich habe lediglich ein Problem mit dem Raum-Zeit-Kontinuum: Zu viel Raum, zu wenig Zeit.«
Ich schlug mir die Hand gegen die Stirn, während Lee über seinen eigenen schlechten Scherz lachte.
»Du hälst dich auch für ganz witzig, was?«
»Tue ich nicht. Ich wurde so geboren. Mein zweiter Vorname ist übrigens Humor.«
»Ach, und ich dachte dein zweiter Vorname wäre Sullyvan«, sagte ich möglichst unschuldig, hatte aber ein breites Grinsen im Gesicht. Der dunkelhaarige Student verengte wütend die Augen und musterte mich intensiv. Ich lächelte liebevoll.
»Woher weißt du das? Wer hat dir das gesteckt?«, zischte er schließlich, was ich mit einem noch unschuldigeren Lächeln ab tat.
»Weibliche Intuition?« Lee schnaubte.
»Sagt die, die am ersten Tag mit voller Wucht gegen eine Tür rennt.«
»Hey! Glastür!«
»Was macht das bitte für einen Unterschied? Die Glastür ist bis zur Hälfte mit weißen Punkten beklebt.«
»Die man leicht übersehen kann!«, fügte ich mit mahlendem Kiefer hinzu und beäugte Lee misstrauisch. Dieser war gerade dazu übergegangen eifrig in seiner Tasche herumzuwühlen. Zweifellos um seinen besten Begleiter hervor zu ziehen. Das Handy.
»Wenn du nach Kondomen suchst, kannst du dir die Mühe sparen. Die brauchen wir sicherlich nicht.«
»Wieso? Nimmst du die Pille?«, kam in sekundenschnelle der Konter, was ich mit einem trockenen Lachen ab tat.
»Nein, aber so wie ich dein Ego kenne, bezweifle ich sehr, dass du Kondome in XS dabei hast.«
»Autsch. Das tat weh.« Lee blickte mich übertrieben traurig an.
»Na, wie ich sehe habt ihr Beide ja reichlich Spaß!« Ein weiterer junger Mann gesellte sich zu uns, der mit seinem blonden Wuschelkopf und der sonnengebräunten Haut perfekt in das typische Klischee des Surferboys passte. Nur das schwarze Brillengestell auf seiner Nase und das bodenständige Verhalten passte nicht ganz zu diesem Image. Außerdem legte er nicht reihenweise Frauen flach. Das war aber auch schon alles. Ansonsten war er - ganz das Klischee - wunderschön, beliebt, Sportler und ein Frauenschwarm. Und er reihte sich perfekt in unserem Kreis der notorischen Zuspätkommer ein, in dem ich mittlerweile ein festes, unfreiwilliges Mitglied war. Das hatte man eben davon, wenn man am ersten Tag in eine Tür rannte, die dem beliebtesten Typen der Uni mit voller Wucht gegen die Nase knallte. Die Studentinnen steinigten mich jetzt noch mit ihren Blicken.
»Julian! Gut, dass du kommst. Miss-ich-übersehe-jede-Tür, hat mich gerade sprichwörtlich kastriert.« Empört sah ich zu Lee.
»Jetzt übertreib mal nicht! Wie soll ich bitte etwas kastrieren, was ich nicht einmal sehen kann?« Julian klatschte mit mir ein, während der chinesische Student eingeschnappt vor sich hin starrte.
»Der war gut, Claire«, meinte der Blonde lachend, nahm sich ebenfalls einen Stuhl und ließ sich in das Polster fallen. Seine Haare verteilten sich dabei wild in alle Himmelsrichtungen.
»Und was läuft bei euch so, abgesehen davon, dass du meinen Kumpel mit Worten verstümmelst?« Ich lachte und Strich mir einige Haarsträhnen hinter das Ohr.
»Ganz ehrlich, Julian? Das würde jetzt viel zu viel Zeit in Anspruch nehmen.«
»Du bist höchstens zwei Stunden auf, wie viel kann da schon passiert sein?«
»Du würdest es mir nicht glauben.«
»Oh doch. Das würden wir.« Überrascht sahen Julian und ich gleichzeitig zu Lee, der uns sein Smartphone entgegen hielt. »Das solltest du dir lieber mal genauer ansehen. Es wird dir nicht gefallen.«
»Fuck!«, fluchte ich, sobald ich die Überschrift des Zeitungsartikels entziffert hatte. »Staranwalt West - Die neue Frau an seiner Seite?«, prangte dort in fetten Lettern. Ich scrollte weiter hinunter und ... es wurde noch schlimmer! Ein riesiges Foto, wie Kian mich im Arm hielt und ich mein Gesicht verliebt an seiner Brust vergrub, zierte das Klatschmagazin. Natürlich war mein Gesicht gestochen scharf und perfekt zu erkennen. Verdammter Fotograf!
»Wie konnten die das eigentlich so schnell veröffentlichen?«, fragte ich aufgebracht in die Runde. »Das ganze ist höchstens vor einer Dreiviertelstunde passiert!«
»Das geht sogar verdammt schnell. Details stehen in solchen Artikeln sowieso kaum und das Magazin tauscht dann nur die Namen und das Bild aus«, erklärte Lee ganz in seinem Element, was mich frustriert aufstöhnen ließ.
»Scheiße! Ich muss dringend Kian Bescheid geben«, teilte ich den beiden mit, während mich Julian verstörend interessiert musterte.
»Denk nicht einmal daran, dass ich dir das jetzt erkläre!« Der Surferboy hob beschwichtigend die Hände.
»Du musst mir gar nichts erklären. Ich kann schließlich eins und eins zusammenzählen. Und für so einen heißen Lover muss man sich weiß Gott nicht schämen.«
»Julian!«
»Ist ja gut.«
Schnell kramte ich mein Handy aus der Tasche und entsperrte das Display. Dann wählte ich unverzüglich Kians Nummer. Nach dem zweiten Klingeln hob der Anwalt bereits ab, fast so, als hätte er nur auf meinen Anruf gewartete.
»Hast du es gesehen?«, kam ich sofort auf den Punk und hörte am anderen Ende der Leitung ein bestätigendes Brummen.
»Sag mir bitte, dass nur ein Magazin über uns berichtet.«
»So gern ich das auch tun würde, so sehr würde ich lügen.«
»Wie schlimm ist es?«
»Sagen wir es mal so: Wir sind interessanter, als der Brexit.«
»Fuck!«
»Ganz deiner Meinung.«
»Fuck! Fuck! Fuck!«
»Noch ein Fuck und ich geb' mir 'ne Kugel«, quatschte Julian dazwischen, was mich die Augen verdrehen ließ. Memme!
»Waschlappen«, murmelte Lee leise, um kurz darauf ein lautes »Fuck!« zu schreien, was in der halben Uni zu hören sein musste. Eine Tür wurde lautstark aufgerissen und Professor Chain lugte wütend hervor. Die beiden bemerkten es nicht.
»Wo ist die Kugel, Julian?«
»Gleich in deinem Kopf, du Dödel!«
»Erst mal musst du meinen Fuß aus deinem Arsch ziehen!«
»Ich zeig dir gleich mal, wie mein Fuß in deinem Arsch aussieht!«
Ich schlug mir die Hand vor den Kopf. Jungs!
»Was ist hier bitte los?!«, fuhr uns Professor Chain wutentbrannt an und deutete mit den Finger auf die beiden Streithähne. Beschwichtigend hob ich meine Hände. Okay, die eine Hand. Die andere klebte am Telefon.
»Die Trottel sind mir völlig unbekannt«, gab ich zu Protokoll, schnappte mir meine Tasche und trat hastig den Rückzug an. Ich kam nicht weit, da hielt mich Lee am Arm fest.
»Glauben Sie ihr kein Wort. Sie kennt uns mehr als gut.«
»Wir sehen uns jeden Tag«, beteuerte auch Julian, wofür ich ihm am liebsten einen gezielten Tritt zwischen die Beine gegeben hätte.
»Stimmt nicht. Ich habe die beiden noch nie in meinem Leben gesehen!«
»Und ob du uns kennst!«
»Du bist immerhin gegen eine Tür gerannt und hast sie mir mit voller Wucht ins Gesicht geschlagen!«
»Eine Glastür! Warum vergessen alle immer das Glas!«, giftete ich ihn an und merkte noch im selben Augenblick, wie dumm ich gewesen war. Ich hatte mich gerade selbst verraten und in die Scheiße befördert.
»Mit gefangen, mit gehangen«, flüsterte Lee, was ich mit einem Tritt auf seinen Fuß kommentierte. Er holte zischend Luft. Man, war ich froh heute ausnahmsweise einmal keine flachen Schuhe angezogen zu haben. Julian zog mich von seinem Kumpel runter und schenkte mir ein Lächeln.
»Arschloch«, formte ich lautlos mit den Lippen und sah zurück zu Professor Chain, dessen Gesicht sich zunehmend rot färbte. Oh, Scheiße! Wir waren ja so was von geliefert! Als an meinem Ohr etwas knackte, bemerkte ich, dass ich noch immer Kian am anderen Ende der Leitung hatte.
»Kian?«, flüsterte ich leise.
»Ja?«
»Wir reden später.«
»Was ist jetzt-«
Ich hatte gerade Kian weggedrückt, da platzte mir schier das Trommelfell.
***
»Ich hasse euch«, herrschte ich die beiden Studenten an, die hinter mir grinsend das Gebäude verließen, als wären wir eben nicht für die restliche Woche suspendiert worden. Unsere Universitätsausweise, hatten sie uns vorübergehend abgenommen. Wir würden sie erst nächste Woche zurückbekommen.
»Krass, dass der das durchgezogen hat«, lachte Lee, für meinen Geschmack viel zu ausgelassen und verschränkte lässig die Arme hinter dem Kopf. Ich schnaubte.
»Ich hab Chain noch nie so wütend erlebt«, stimmte Julian ihm ruhig zu, was mich frustriert die Hände vor den Kopf schlagen ließ.
»Wie konnte ich nur an solche Idioten geraten? Ihr würdet ja sogar noch dämlich lachen, wenn ihr verwiesen werden würdet.«
»Hey. Stopp, Prinzessin! Du hast ebenfalls einen beachtlichen Teil zu unserer derzeitigen Lage beigetragen.«
»Ach ja? Und der wäre bitteschön?«
»Du hast mir die Tür ins Gesicht geschlagen.«
»In your face, bitch!«, wiederholte Lee seinen dummen Spruch, den er an besagtem Tag schon losgeworden war, woraufhin er einen Schlag von Julian auf den Hinterkopf kassierte.
Ich zeigte dem Schläger elegant meinen Mittelfinger, strafte ihn weiterhin mit giftigen Blicken und hätte gern noch versucht seinen Kopf mit purer Gedankenkraft zum Platzen zu bringen, wurde aber von meinem Handy unterbrochen.
»Ja?!«, bellte ich in mein Smartphone und reichte Julian meine Tasche, die er mir selbstverständlich ab nahm. Erst als er sie sich über die Schulter geworfen hatte, bemerkte er, was er da gerade getan hatte. Lee schlug ihm auf den Rücken und schüttelte den Kopf.
»Echt mal, Bro. Du fällst auch jedes Mal wieder darauf herein.«
Ich lächelte Julian an, wobei mir dieser seine Zunge präsentierte. Ich lachte, nun etwas besserer Laune und konzentrierte mich auf meinen Anrufer. Als ich die Stimme vernahm, gefror mir das Blut in den Adern.
»Claire, endlich hebst du ab. Ich muss dringend-«
Ruckartig riss ich mir das Handy vom Ohr und legte auf. Als ich ein Blick auf das Distplay warf, fühlte ich mich in meiner Vermutung bestätigt.
Adrian hatte mich von einem anderen Handy aus angerufen. Seine Nummer hatte ich blockiert, als er das erste Mal nach zwei Wochen versucht hatte mich zu erreichen. Seine anschließenden SMS hatte ich, ohne sie zu lesen, gelöscht. Ich wollte mich nicht länger mit ihm befassen, mein Herz sollte heilen und jenes ging nur, wenn ich Adrian hinter mir ließ und jeden Kontakt mit ihm vermied. Schließlich hatte er mir gesagt, dass er mich lediglich benutzt hatte, um sein Ziel zu erreichen. Mich ficken zu dürfen, war nur das I-Tüpfelchen gewesen.
»Alles in Ordnung, Claire?«, riss mich Lees Stimme zurück in die Wirklichkeit.
»Du bist kreidebleich«, stimmte Julian ihm zu und zog meine Tasche zurecht. Ich nickte und sah auf das Handy. Meine Hand zitterte gefährlich. Schnell vergrub ich sie in meiner Jackentasche und setzte ein gezwungenes Lächeln auf.
»Alles bestens. Hat jemand Lust auf Pommes und Burger? Ich könnte jetzt echt was Ungesundes vertragen.«
Bin wieder aus dem Urlaub zurück und kann updaten! Viel Freude mit dem Kapitel!
LG
Vivian Grant
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