「26. Kapitel - Fragen über Fragen」
Während ich meiner Station stetig näher kam, nahm die Nervosität in mir ebenso zu. Ich zermaterte mir regelrecht das Hirn, auf der Suche nach einer passenden Einleitung, für das bevorstehende Gespräch. Aber was war für solch eine Situation schon passend? Gab es so etwas überhaupt?
Ich konnte ja schlecht sagen: Hey, Kian, sorry, dass ich dich geküsst und dich bezüglich meiner Gefühle ziemlich verwirrt habe, aber Adrian hat mir alles erklärt, sodass ich mit reinem Gewissen wieder mit ihm schlafen kann. Was ich übrigens auch schon getan habe.
Gott bist zu heute zynisch Claire ...
Wütend und leicht verzweifelt raufte ich mir die Haare, was mir von einem ackneüberzogenen Fünfzehnjährigen, der mir mit einem rothaarigen Mädchen gegenübersaß einen ziemlich verstörten Blick einbrachte. Womöglich hatte er noch nicht so viele verwirrte Frauen im Zug gesehen. Ich schenkte ihm kurz ein kokettes Lächeln, was dem jungen Mann augenblicklich die Röte ins Gesicht trieb, bevor ich mich von ihm abwandte. Wenigstens hatte mich das kurz von meinem eigentlichen Problem abgelenkt. Ich seufzte und stand auf, da der Zug an meiner Station hielt.
Als ich wieder unter freien Himmel stand, legte sich erneut diese Trübseligkeit über mich und die Nervosität stieg. Meine Schritte knirschten im frischen Schnee, der im Gegensatz zu heute Mittag, nur noch in sanften Flocken auf mich herabrieselte. Heute Mittag. Ich biss mir auf die Zunge.
Anstatt den halben Tag mit Adrian im Bett zu verbringen, hätte ich schon eher zu ihm gehen sollen. So hatte ich das Unvermeidliche lediglich herausgezögert, um mich an jeder Silbe, die Adrians Mund verließ zu erfreuen. Wir hatten nachdem wir wieder aufgewacht waren, gemeinsam geduscht, gefrühstückt, geredet und anschließend noch einmal miteinander geschlafen. Er fehlte mir schon jetzt.
Die Wohnungstür ging knarzend auf, wodurch sich mit die Nackenhaare aufstellten und offenbarte mir seltsamerweise einen leeren Flur. Kians Mantel fehlte und als ich kurz darauf meinen Kopf in jedes Zimmer steckte, wurde mir meine Vermutung bestätigt. Der junge Anwalt war nicht da. Es fehlte jede Spur von ihm. Auch als ich mein Handy überprüfte fand ich keine Nachricht von Kian, was überhaupt nicht zu ihm passte. Stirnrunzelnd tiegerte ich durch die Wohnung, wobei meine Nervosität erneut an Nährboden gewann. Wo war er nur? Vielleicht Einkaufen oder nochmals im Büro? Oder war er vielleicht bei Julian und Lee um mich abzuholen, nur um dann festzustellen, dass ich niemals da gewesen war?
Jetzt reg dich ab, Claire! Du machst dich doch verrückt!
Um meine Nerven zu beruhigen machte ich mir eine Tasse Tee, wobei ich unruhig mit den Fingern auf der Tischplatte herumtrommelte. Nach weiteren zehn Minuten Ungewissheit, hielt ich es schließlich nicht mehr aus und rief Kian auf dem Handy an. Ich musste einfach wissen wo er sich aufhielt, auch wenn ich dabei überreagierte. Aber diese Ungewissheit setzte mir zu und ich wollte ihm einfach von Adrian und mir erzählen. Ich saß wie auf heißen Kohlen.
Nachdem sich zum dritten Mal nur die Mailbox meldete, gab ich es auf. Stattdessen schickte ich ihn eine SMS.
Claire White
Wo bist du? Ich mache mir langsam Sorgen. Bitte melde dich bei mir.
Erneut begann ich meinen Streifzug durch die Wohnung, wobei mein Blick auf die Einfahrt fiel. Hatte Kians Wagen vorhin noch am Straßenrand gestanden, so war er nun verschwunden. Ich wählte Kingstons Nummer, von der ich dachte, dass ich sie nie benötigen würde. Der stumme Chauffeur meldete sich bereits nach dem zweiten Klingeln.
»Kingston?«
»Ja, Miss White?«
»Ist Kian bei Ihnen?«, platzte es sofort aus mir heraus, was mir ein verstimmtes Brummen einbrachte.
»Nein, Miss. Mr. West hat heute Vormittag das Haus verlassen.« Ich musste mir ein frustriertes Aufstöhnen verkneifen.
»Wissen Sie, wo er hinwollte?«, erkundigte ich mich weiter, wobei sich Hoffnung in meine Stimme schlich.
»Bedaure, Miss. Er hat mir nicht mitgeteilt, wohin er wollte.«
Nun konnte ich mir ein frustriertes Seufzen nicht länger verkneifen.
»Wenn ich Ihnen einen Ratschlag geben düfte, Miss White«, erklang Kingstons Stimme erstaunlich sanft, was mich aufhorchen ließ. Der ansonsten so wortkarge Chauffeur überraschte mich. »Falls er noch in der Kanzlei sein sollte, können Sie direkt dort anrufen. Die Nummer finden Sie in seinem Terminkalender.«
»Ich danke Ihnen«, hauchte ich, bevor ich den Anruf beendete und in Kians Arbeitszimmer ging.
Wie von Kingston beschrieben fand ich in seinem Terminkalender, die Nummer der Kanzlei.
»Kanzlei West. Was kann ich für Sie tun?«, meldete sich ein warme Frauenstimme am anderen Ende der Leitung.
»Ist Mr. West zurzeit da?«, fiel ich ihr beinahe ins Wort, wobei ich angespannt mein Handy umklammerte.
»Entschuldigen Sie, aber Mr. West ist zurzeit außer Haus und wird in drei Wochen ohnehin abreisen. Soll ich für Sie bei einem anderen Mitarbeiter einen Termin vereinbaren?«
»Nein, ist schon gut«, meinte ich mit belegter Stimme und drückte die Sekretärin weg.
Kian wollte bald abreisen? Davon hatte er mir nichts erzählt. Natürlich war mir klar, dass wir nicht ewig in London bleiben würden und ich spätestens nach meinem Abschluss zurück nach New York fliegen würde, doch das er bereits einen festen Zeitpunkt festgelegt hatte, überraschte mich dann doch. Immerhin arbeitete er doch noch immer an seinem ...
»Scheiße! Natürlich!«
Ruckartig stand ich auf, um ins Wohnzimmer zu gehen, wobei ich prompt einige Unterlagen vom Schreibtisch fegte, auf dessen Kante ich gesessen hatte. Ich kümmerte mich nicht darum und schaltete den Fernseher ein. Dann zapte ich zu einem Nachrichtensender, wo nach kurzem Warten schließlich die Information eingeblendet wurde.
Staranwalt entscheidet Prozess für sich! Ehefrau ist unschuldig.
Deprimiert starrte ich auf den Bildschirm und ging schließlich zurück in Kians Arbeitszimmer. Ich hatte tatsächlich vergessen, dass gestern der letzte Verhandlungstag gewesen war. Keinen Gedanken hatte ich daran verschwendet. Außerdem hatte ich ihn noch nicht einmal zu seinem Erfolg gratuliert. Womöglich wollte er mich deswegen nicht sehen und auch nicht mit mir telefonieren.
Seufzend ging ich in die Hocke, um die heruntergefallenen Akten und Umschläge aufzuklauben, die ich vorher vom Tisch gefegt hatte.
»Was zum ...?« Ich hielt erstaunt inne, als sich ein Salve Fotos vor meine Füße ergoss. Allesamt in schlechterer Qualität, als wären sie hastig von einem Handy aus aufgenommen worden. Dabei konnte ich nicht verhindern einen Blick darauf zu werfen. Was mir dabei ins Auge stach, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Auch die weiteren Bilder, zeigten immer wieder die selben Personen.
Nämlich Adrian und mich. Zuerst, wie wir uns in der Universität unterhielten, dann wie er mich am Arm fest hielt und auf mich einredete und schließlich, wie ich in seinen Armen lag. Erschrocken schlug ich eine Hand vor den Mund, da es auf dem letzten Bild so aussah, als würde Adrian mich küssen. Letzteres lag vor allem daran, dass es verschwommen und unscharf war, da der Fotograf stark herangezoomt hatte.
Ein Blick auf dem Umschlag veriet mir, dass der Absender fehlte. Wer um alles in der Welt hatte das nur getan? Wer hatte mich fotografiert und die Bilder dann an Kian geschickt? Jetzt war mir auch klar, warum der junge Anwalt mir nicht antwortete und weshalb er Vormittag gegangen war. Die Post kam täglich gegen zehn.
Die nächsten Stunden verbrachte ich ungeduldig ablaufen im Wohnzimmer, wobei ich Kian weitere Nachrichten schickte, die jedoch allesamt unbeantwortet blieben. Ihm würde doch wohl nichts passiert sein. Ich malte mir alle nur erdenklichen Schreckensszenarien aus, wobei ich irgendwann darüber einnickte. Als ich von einem Geräusch hochschreckte war es bereits weit nach zwölf, weshalb ich gegen die plötzliche Helligkeit, die durch die geöffnete Tür ins Zimmer fiel, anblinzeln musste. Kurzzeitig war ich verwirrt und musste gegen den festen Schleier des Schlafs ankämpfen, der noch immer allgegenwärtig war, bis sich mir die Situation vollkommen erschloss.
Im Türrahmen lehnte tatsächlich Kian. Die Arme hatte er vor der Brust verschränkt und sein Blick ruhte stumm auf mir. Im Bruchteil einer Sekunde war ich bei ihm, um ihn zu umarmen. Er war eiskalt und Schnee lag auf seinen Kopf und Schultern, der langsam schmolz.
»Wo warst du? Ich habe mehrmals versucht dich zu erreichen. Sogar im Büro habe ich es versucht. Verdammt, ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht. Gott sei dank, ist dir nichts passiert«, flüsterte ich erstickt und verfolgte mit Entsetzen, wie mich der junge Anwalt grob von sich weg schob.
»Natürlich ist mir nichts passiert«, erwiderte er streng, wobei mir der schale Geruch von Alkohol entgegenschlug. Was hast du nur getrieben? Ich sah dabei zu, wie er sich leicht schwankend den Wintermantel von den Schultern zog und sich dann umständlich die Schuhe von den Füßen kickte.
»Wie viel hast du getrunken?«, erkundigte ich mich erschrocken, als ich im Wohnzimmer eine Lampe anknipste und in seine rot geränderten Augen sehen konnte. Er lachte trocken, während sich ein wilder Ausdruck in sein Gesicht legte.
»Nicht genug, wenn man bedenkt, dass ich noch immer weiß, in wessen Armen du gelegen hast!«, schäumte er vor Wut, wobei ich unwillkürlich einen Schritt zurückwich.
»Kian, ich ...«
»Oh nein, komm mir jetzt bloß nicht mit dieser Scheiße, denn das ändert überhaupt nichts!«, bellte er und fuhr sich aufgebracht durch das Haar. »Du warst nicht bei Julian und Lee. Du hast die Nacht bei ihm verbracht stimmt's?« Im ersten Moment wollte ich lügen und es abstreiten, doch das wäre unvernünftig gewesen. Er musste die Wahrheit erfahren, hatte ich das ohnehin vorgehabt. Nur nicht auf diese Weise. Doch jetzt gab es kein Zurück mehr.
Ich nickte schließlich, was kurzzeitig Schmerz in Kians Augen aufflammen ließ. Eine Sekunde später, stand nur noch Zorn in ihnen.
»Was soll diese ganze Scheiße eigentlich?!«, donnerte er weiter, was mich zusammenzucken ließ. Ich hatte ihn noch nie so wütend gesehen. Das vor ein paar Wochen, als ich suspendiert worden war, war nichts im Vergleich zu jetzt.
»Was?«
»Als ob du das nicht wüsstest! Erst gestern habe ich noch neben dir geschlafen, dich geküsst und mir deine Sorgen angehört und heute? Heute steckst du deine Zunge wieder diesem verräterischen Arschloch in den Hals!«
»Er hat mich nicht verraten«, entkam es meiner Kehle reflexartig, was den Dunkelhaarigen nur noch mehr in Rage versetzte.
»Hör auf diesen Dreckskerl auch noch zu verteidigen!«, fauchte er erzürnt und verschwand in seinem Arbeitszimmer, um kurz darauf die Bilder von Adrian und mir auf den Küchentisch zu befördern. Vorsichtig trat ich näher. »Was hast du dazu zu sagen?« Er zeigte auf die Fotos.
»Mir war schwindelig und ich bin ohnmächtig geworden. Adrian hat sich lediglich um in mich gekümmert.« Das entsprach der Wahrheit.
»Und wie er das hat!«, höhnte der junge Anwalt und funkelte mich finster an.
»Kian, es ist nicht so, wie du denkst«, versuchte ich mich zu erklären, doch er ließ es nicht zu.
»Ach ja? Was denke ich denn?«
»Ich ...«
»Ja, genau du! Du bist das Problem«, fuhr er mich an. »Ich habe mich um dich gesorgt, mein Herz für dich geöffnet und versucht die Wunden in deinem zu schließen. Ich habe alles für dich getan. Und wofür? Nur damit du mit meinen Gefühlen spielen und mich verletzen kannst!«
»Ich wollte dich nie verletzen«, hauchte ich und spürte meine Augen von unterdrückten Tränen brennen.
»Ach ist das so?«
»Ja«, erklärte ich ihn und blickte ihm traurig entgegen.
»Dann dürfte meine nächste Frage ja kein Problem für dich darstellen, da du ja so viel Rücksicht auf meine Gefühle genommen hast.« Er unterbrach sich kurz und blickte mir forschend in die Augen. »Hast du mit ihm geschlafen?«
Mir gefrohr das Blut in den Adern, während ich ihn stillschweigend betrachtete. Sekunden vergingen, in denen ich zu keiner Antwort fähig war.
»Bitte, lass es mich dir-«
»Verschwinde!«, zischte er und bedachte mich mit einem eiskalten Blick.
»Kian.«
»Nein, verschwinde einfach! Spiel mit dem Gefühlen eines anderen!«, bellte er und packte mich am Arm, um mich durch die Wohnung zu schleifen. Mit der anderen Hand, griff er sich meine Tasche und meinen Mantel. Mit tränenassen Gesicht starrte ich ihn an, wobei mir der Schock nur allzu deutlich ins Gesicht geschrieben stand.
»Ich hatte nie die Absicht mit deinen Gefühlen zu spielen, das musst du mir glauben. Ich empfinde wirklich etwas für dich.«
»Aber nicht so sehr, wie du für ihn empfindest«, knurrte der junge Anwalt, was ich bejahen musste. Er öffnete die Tür.
»Ich wollte das alles nicht, du musst mir glauben. Nichts liegt mir ferner, als dir weh zu tun. Das alles ist so schnell zwischen und passiert, so schnell, dass ich keine Sekunde Zeit hatte, um darüber nachzudenken. Ich war völlig durcheinander. Doch jetzt sehe ich alles klar vor mir, Kian. Und es tut mir alles so schrecklich leid«, versuchte ich noch einmal durch den Nebel aus Alkohol zu dringen, der Kians Denkvermögen stark beeinflusste. Er würde sich morgen sicher dafür hassen.
»Hör auf!«, donnerte er. »Hör einfach auf und verschwinde endlich!«
Mit krampfenden Herzen nahm ich ihm meine Sachen ab und ging. Die Tür fiel mit einem lauten Knall hinter mir ins Schloss. Als ich draußen war, rief ich Adrian an. Er meldete sich augenblicklich, schien anscheinend auf meinen Anruf gewartet zu haben.
»Claire, was ist passiert?«
Ich schluckte und starrte in den klaren Nachthimmel. Sterne Funkelten über mir, während eine einzelne Träne meine Wange benetzte. Ich unterdrückte ein Schluchzen, bevor ich ihm antwortete: »Anscheinend ist es mir einfach nicht vergönnt, euch beide in meinem Leben zu wissen.«
Ich wünsche euch allen ein besinnliches Weihnachtsfest mit euren Liebsten und natürlich einen Berg voller Geschenke unterm Baum (;
Wer möchte den Berg mit mir teilen? ;P
Liebe Grüße
Vivian
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