「15. Kapitel - Beste Freunde」
»Bis später«, verabschiedete ich mich lächelnd von Kian und stieg aus dem Wagen.
»Hab einen schönen Tag«, entgegnete der Anwalt freundlich und reichte mir meine Tasche. Als ich mich hinunterbeugte, um sie zu nehmen, küsste er mich liebevoll auf die Stirn, was meinen Herzschlag abrupt beschleunigte. In seinem Gesicht lag aber überraschenderweise ein trauriges Lächeln, anstatt des gewohnten fröhlichen Grinsens, welches er mir sonst schenkte.
»Was ist denn?« Kian schüttelte den Kopf.
»Wieso fühlt es sich für mich so an, als würde ich dich bald verlieren?«, hauchte er mit rauen Ton und berührte mich flüchtig an der Hand.
»Weil du mich in dieser riesigen Studentenmenge niemals mehr finden würdest?« Er lachte und die Traurigkeit war wie weggewischt.
»Kingston wird dich heute allein abholen. Ich bin heute im Gerichtssaal und mache nach dem Prozess noch einen Abstecher ins Büro«, fügte er hinzu und fuhr noch einmal kurz über meine Wange.
Ich nickte verstehend und wünschte ihm viel Glück für den bevorstehenden Prozess. Dann wartete ich noch bis das Auto verschwunden war, bevor ich mich umwandte und auf die Uni zu hielt.
Ich sah die beiden Flitzpiepen schon von weitem, da sie sich nicht auffälliger hätten verhalten können. Beide lehnten lässig an dem riesigen Gebäudekomplex, wobei sie ihre Taschen achtlos in den Schnee vor sich hatten fallen lassen und gar nicht auf die entsetzten Blicke ihrer Mitstudenten achteten, die zur Genüge in die Uni strömten. Ich schon, weshalb ich nur die Augen verdrehen und mich in Grund und Boden schämen konnte. Denn Lee winkte mir überschwänglich zu, während mir Julian eine feuchte Kusshand nach der nächsten zuwarf. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich vermutet, dass die beiden stockschwul wären.
Ich wusste deshalb beim besten Willen nicht, wie Julian jemals der Frauenschwarm der gesamten Uni werden konnte. An seinem erwachsenen Verhalten konnte das jedenfalls nicht gelegen haben.
»Hey, Prinzessin. Da bist du ja endlich!«, dröhnte der chinesische Student schon wenige Meter bevor ich die beiden überhaupt erreicht hatte. Ich kräuselte bei diesem Spitznamen ärgerlich die Lippen und strafte die beiden mit erzürnten Blicken, bei Julians nächsten dämlichen Kommentar.
»Hat dich dein toller Liebhaber etwa aus den goldenen Käfig gelassen? Oder hast du den Schlüssel geklaut?« Die beiden schienen Kians Verhalten, mich neuerdings von Kingston fahren zu lassen, als zu stark ausgeprägten Beschützerinstinkt zu deuten. Sie schienen außerdem zu viel in diese Sache hineinzuinterpretieren.
»Klappe!«, fuhr ich die beiden deshalb an und stapfte ungeduldig auf den Haupteingang zu, da in Kürze die ersten Vorlesungen beginnen würden. Die notorischen Zuspätkommer folgten mir lachend, was ich jedoch kaum registrierte, da ich einen saftigen Fluch aus stieß und fahrig in meiner Tasche herumwühlte.
»Was ist denn?«, wollte Julian wissen, als ich damit begann meine Tasche zu leeren und ihm kurzerhand Blöcke und Schreibkram in die Hände drückte, die er hilfsbereit hielt.
»Ich kann ihn nicht finden«, schimpfte ich weiter und drückte auch den grinsenden Chinesen den Rest von meinem Tascheninhalt in die Hand. Er ignorierte glücklicherweise, dass ich ihm gerade eine Damenbinde gab. Obwohl? Bei seiner mangelnden Frauenerfahrung, wusste er vermutlich nicht einmal, was das war.
»Ist dir etwa der Käfigschlüssel abhanden gekommen? Sollen wir ihn für dich suchen, bevor dein Anwalt böse wird, weil er merkt, dass du ausgebrochen bist?«, feixte Lee, als ich meine Tasche selbst noch umstülpte und ausschüttelte. Natürlich fand ich ihn nicht. Mist.
»Julian?«, wandte ich mich an den blonden Studenten, dem das dumme Grinsen vergangen war und der sich hilfsbereit zu mir herunterbeugte, um meine Tasche wieder einzuräumen. Solche netten Menschen waren eindeutig zu selten!
»Was ist?«, hakte er nach und nahm Lee schmunzelnd die Binde ab. Ich errötete leicht und verstaute sie schnell in meiner Tasche, bevor ich ihn entschuldigend ansah.
»Sag mir bitte, dass ich meinen Uniausweis nicht schon wieder verloren habe.«
»Nicht schon wieder!«
Der schwarzhaarige Student stöhnte und schlug sich die Hand vor die Stirn, während Julian mich tadelnd ansah. Ja, ich hatte dieses blöde Mistding schon zum ... vierten Mal verloren.
»Hey, ich könnte schwören, dass ich ihn vorhin im Auto noch hatte«, rechtfertigte ich mich schnell und stand auf, um auf den Empfangsschalter zuzugehen. Die Dame dahinter kannte mich schon gut genug, weshalb sie mir ohne ein Wort den vorübergehenden Besucherausweis reichte, den ich auf die Schaltfläche halten konnte, damit ich hinein kam.
»In spätestens zwei Tagen können Sie sich den Neuen abholen«, meinte die ältere Dame noch zu mir und tippte etwas in ihren Computer, bevor sie sich dem nächsten Studenten zuwandte. Ja, sie kannte mich mehr als gut.
»Danke.«
Ich folgte den beiden Studenten, wobei ich dieses Plastikkärtchen auf den Scanner hielt, damit sich die kleine Schleuse öffnete und ich hindurchgehen konnte.
»Du solltest dir das Teil echt um den Hals hängen«, kommentierte der chinesische Student die Tatsache, dass ich das kleine Kärtchen einfach in meiner Tasche verschwinden ließ, wo ich es erneut verlieren könnte. Was höchstwahrscheinlich auch der Fall war.
»Du bist echt schlimmer, als meine Großmutter. Die verliert ihre Brille nur halb so oft, wie du deinen Ausweis«, seufzte Julian und rückte sich seine Augengläser zurecht. »Und die ist immerhin weit über siebzig.«
Ich schnaubte und ignoriert ihn einfach, während ich auf den Süßigkeitenautomaten zusteuerte. Irgendwie musste ich mich ja ablenken.
»Willst du das Teil ausräumen?«, fragte mich Lee mit einem beängstigend begeisterten Funkeln in den dunklen Augen und sah sich ... total unauffällig um. Sarkasmus Ahoi!
»Ich stehe auch schmiere. Du hast zwei Minuten!«, plapperte er weiter, was mich die Augen verdrehen ließ. Der blonde Schönling seufzte und verpasste dem gescheiterten Automatenknacker einen Schlag gegen den Oberarm. Diesem schien das nicht zu interessieren, da er mit wachsendem Entsetzen beobachtete, wie ich einige Münzen in den dafür vorgesehenen Geldschlitz steckte und darauf wartete, dass ich endlich meinen Schokoriegel bekam. Mit einem Plomp fiel er herunter, sodass das heißbegehrte Teil in meinen Besitz überging.
Ungeduldig riss ich die Verpackung herunter und steckte mir das klebrige Teil in den Mund, wobei mich Lee immer noch sprachlos ansah.
»Waf ift denn?«, fragte ich mit vollgestopften Backen und versuchte das Karamellteil zu zerkauen. Das war leichter gesagt, als getan, da meine Zähne zusammenklebten.
»Du hättest das doch nicht bezahlen müssen. Wir wären, wie normale Menschen auch so da ran gekommen.« Lee fing sich von dem blondhaarigen Studenten einen Schlag gegen den Hinterkopf ein.
»Jeder normale Mensch bezahlt dafür, klar! Nur Verbrecher klauen!«
Der Chinese starrte Julian ungläubig an und tippte sich nachdenklich mit dem Finger gegen das Kinn.
»Verbrecher? Aber, mein Cousin hat mir das beigebracht und der arbeitet in einer Bank. Meine Familie hat generell noch nie an Süßigkeitenautomaten bezahlt.«
Kurz sahen wir Lee schockiert an, dann übergingen wir letzteres einfach mal und ignorierten die Tatsache, dass seine Familie aus Automatenknackern bestand. Es hätte Schlimmeres geben können.
»Musst du dir deinen Mund eigentlich immer so voll stopfen? Du siehst aus wie ein Hamster, der an seinem Futter erstickt«, bemerkte der Surferboy meinen kläglichen Versuch den Schokoriegel zu zerkleinern und grinste mich breit an. Lee lachte ebenfalls, während ich versuchte die beiden mit vollen Mund zu beleidigen. Das funktionierte leider nicht so gut, da ich so kaum reden konnte.
»Laff mif doff!«, meinte ich schließlich und spuckte ihnen dabei einige Krümel entgegen. Angewidert wichen sie zurück, während auf Lees Shirt ein kleiner brauner Klumpen landete. Upsi?
»Na, wen haben wir denn da?«, unterbrach uns eine furchtbar schrille Stimme, als der Hörsaal in Reichweite kam, sodass der chinesische Student gequält das Gesicht verzog. Eine schlanke Studentin, mit ebenmäßigen Gesichtszügen und glattem schwarzen Haar trat uns entgegen, was mich innerlich aufstöhnen ließ. Ihre vollen Lippen zierte ein strahlendes Lächeln, während sich ihre exotischen Mandelaugen sofort auf Julian hefteten, was diesen hastig einen Schritt zurückweichen ließ. Man hätte die junge Frau glatt als wunderschön bezeichnen können, wäre ihre Stimme und ihr Charakter nicht so abscheulich gewesen. Letzteres ließ sie mich und Lee nur allzugerne spüren, während der letzte unserer Gruppe nahezu vergöttert wurde.
»Und das blonde Backenhörnchen ist ja auch dabei. Wie schön, dich jetzt auch mal wieder live zu sehen, wo du doch letztens erst die Klatschzeitungen gesprengt hast«, flötete Zara gespielt freundlich, wobei ich ihr gehässigen Grinsen nur allzu deutlich hinter ihrer gutmütigen Fassade aufblitzen sah. Ich redete überhaupt nicht lange um den heißen Brei herum. Bei ihr musste man direkt sein.
»Fifk dif einfaf!«, schnauzte ich sie mit vollem Mund an und versuchte angestrengt das klebrige Teil geschluckt zu bekommen, was wahrscheinlich so aussah, als hätte ich einen Schlaganfall, so wie sich mein Gesicht verzog.
»Tut mir leid, Hörnchen, aber ich kann dich mit vollem Mund beim besten Willen nicht verstehen.«
»Sie sagte: Fick dich einfach, Zara!«, übersetzte Lee freundlicherweise mein Genuschel, was ihm kurzerhand zu meinem Helden machte. Ich nickte überschwänglich und tätschelte dem Studenten erfreut den Arm, was die schwarzhaarige Tussi mit einem giftigen Lächeln abtat. Gott, wie sehr ich sie doch hasste! Am meinem ersten Tag hier, hatte sie mich in die falsche Vorlesung geschickt und dann ... war ich gegen die Glastür gerannt. Ich gab ihr die Schuld dafür und mir lagen noch etliche Beleidigungen auf der Zunge, die ich liebend gern ausgesprochen hätte. Wenn ich nur irgendwie dieses Karamellteil hinter bekäme ...
»Pfft. Wem interessiert schon deine Meinung, Blondie! Alles was du kannst, ist doch eh nur, dich an jeden gutaussehenden Typen ranzuschmeißen und dich sprichwörtlich nach oben zu schlafen! Wenn dein Anwalt nicht so gute Kontakte hätte, wärst du doch schon längst geflogen, bei dem Mist, den ihr immer verzapft!«, unterstellte sie mir doch glatt und sah mich verächtlich an. Ich ballte die Hände zu Fäusten und musste mich davon abhalten auf sie loszugehen. Dass sie selbst zur Genüge mit Männern geschlafen hatte, schien sie gerade ebenso auszublenden, wie die Tatsache, dass sie schon seit geraumer Zeit hinter Julian her war, der sie regelmäßig abblitzen ließ.
»Flampe!«, zischte ich noch immer mit vollem Mund, was die dumme Nuss anscheinend nicht zu verstehen schien, da sie weiterhin grinste.
»Schlampe!«, präzisierte Julian mein Gesagtes deshalb, was der Dunkelhaarigen sofort eine pochende Ader auf die Stirn zauberte. Puh. Schon viel besser. Hatte schon Angst, sie würde es immer noch nicht verstehen.
»Wie kannst du es wagen, mich als Schlampe zu bezeichnen?! Ich habe mehr Klasse, als du jemals in deinem gesamten Leben haben wirst!«, fuhr sie mich aufgebracht an, was mir nur ein lockeres Schnauben entlockte.
»Du hast recht, aber ich musste ja auch keine Klasse wiederholen, so wie du«, konterte ich gelassen und war gerade so stolz auf mich den Mund frei zu haben, dass ich innerlich Freudensprünge veranstaltete. Lee lachte, während Julian mir anerkennend eine Hand auf die Schulter legte.
Zara bedachte Julians Hand mit einem ätzenden Blick, wobei die Ader auf ihrer Stirn weiter anschwoll. Wow!
Irgendwie hatte ich ja Angst, dass sie bald platzte.
»Wie fühlt es sich eigentlich an, die alleinige Schuld an der Trennung der eigenen Eltern zu haben?«, zischte sie plötzlich, was einem gezielten Tritt in die Magengrube gleich kam. »Hab gehört, dass du deswegen umgezogen bist. Konntest wohl die stillen Vorwürfe deines Vaters nicht länger ertragen?« Mein Lächeln verblasste schlagartig. Das hatte gesessen! Sie hatte meine Schwachstelle gefunden. Das Lächeln auf Zaras Lippen wurde jetzt breiter, während sie sich erstaunt zeigte.
»Ach? Dann stimmen die Gerüchte wohl doch?« Sie lachte hässlich, während sich Lee beschützend vor mich stellte.
»Verpiss dich endlich, du Misststück! Wir brauchen deine Dienste nicht. Geh jemand anderen den Schwanz blasen, der nicht dabei kotzen muss!«, knurrte Lee völlig außer sich und brachte die Zornesader auf Zaras Stirn erneut zum Vorschein. Sie wollte gerade den Mund öffnen, doch da mischte sich Julian wutentbrannt ein.
»Wenn du noch einmal deine dumme Klappe aufmachst, dann schlag ich dir den Kopf ab und scheiß in deinen Hals! Und jetzt schnapp dir deinen Besen und zisch ab!« Einen Moment starrte die Schwarzhaarige den blonden Studenten völlig verblüfft an, dann schenkte sie uns allen einen giftigen Blick.
»Das wird euch allen noch leid tun!« Damit machte sie auf den Absatz kehrt und stöckelte wütend davon.
»Alles in Ordnung bei dir?«, wandten sich meine neuen Freunde nun an mich, wobei ich nur nicken konnte. Ja jetzt war wieder alles in Ordnung. Und das lag an ihnen. Ich hatte ihnen einmal davon erzählt, dass meine Mom uns verlassen hatte, als ich noch klein war, weshalb sie meine Reaktion sehr gut nachvollziehen konnten.
»Ich liebe euch, Leute!«, schluchzte ich ehrlich ergriffen und wurde augenblicklich zwischen den beiden eingequetscht, die mich in die Mitte nahmen und umarmten.
Wie schnell aus Fremden doch beste Freunde werden konnten. Manchmal brauchte es nur den richtigen Ort und Zeitpunkt.
Ach, und eine Glastür konnte auch nicht schaden.
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