Feder 6
In der Nacht konnte ich nicht schlafen. Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, keine Angst mehr vor meiner Krankheit und dem damit verbundenen Tod zu haben, doch als mein Herz nun hart und schnell gegen meine Rippen schlug, hielt mich die Angst fest umklammert.
Ich wollte einfach nur leben.
Als der Morgen langsam graute stand ich auf und huschte leise die Treppe nach unten, ich schnappte mir meinen Mantel und zog ihn über mein Nachthemd, das musste ziemlich albern aussehen, doch das war mir egal.
Barfuß lief ich die wenigen Meter bis zum Deich, erklomm ihn und dann lag das Meer vor mir.
Die aufgehende Sonne schien so hell, dass sie in den Augen brannte, doch ich konnte nicht weg sehen.
Das Meer schien zu glühen, es leuchtete in den schönsten Farben und ich wollte mich einfach fallen lassen und auch zu einer Welle werden, eins mit dem Meer, frei und ohne Sorgen.
Wie von allein trugen meine Füße mich über den Strand, bis das Wasser meine Zehen berührte.
Ich ging immer weiter hinein, das Wasser umspielte erst meine Knöchel, dann meine Waden und schließlich meine Oberschenkel. Es war kalt, doch tat unglaublich gut.
Grade als ich mit dem Gedanken spielte mich einfach nach vorne in die Wellen fallen zu lassen, rief jemand nach mir.
"Ava, was machst du denn da?"
Es war Clay, mein bester und ziemlich einziger Freund hier.
"Ich wasche meine Beine, was denkst du denn?"
Vorsichtig lief ich zurück bis ich wieder am Strand stand.
"Du bist völlig verrückt."
"Ich weiß."
Sanft legte er einen Arm um mich und begleitete mich nachhause.
"Woher wusstest du wo ich bin?"
"Ich kann hellsehen."
Damit war die Unterhaltung beendet, weder er noch ich redeten gerne viel und genossen einfach die Zeit zu zweit.
Der Termin im Krankenhaus verlief erstaunlich positiv, meiner Lunge ging es den Umständen entsprechend gut und ich durfte wieder nachhause.
Noch während ich mit meiner Mutter nachhause fuhr fasste ich einen Entschluss, ich würde nicht im Krankenhaus sterben, sondern zuhause. Immer wieder erschreckte mich die Kälte des Krankenhauses und die allgegenwärtigkeit des Todes.
Ich wollte zuhause bleiben, bis zu meinem letzten Atemzug die salzige Luft atmen und das Meer an meinen Beinen spüren.
Doch all das sprach ich nicht aus, ich wusste, dass die größte Angst meiner Mutter mein Tod war, also schwieg ich und behielt den Wunsch in meinem Herzen.
Zuhause erwartete mich Clay, eine tiefe Sorgenfalte lag auf seiner Stirn, doch als ich ihm und meinem Vater erzählte, dass es mir soweit gut ging, glättete sie sich.
Erleichtert umarmte er mich.
"Es ist vielleicht ein wenig unpassenden aber hast du Lust auf einen Geburtstag mit zu kommen?"
Fragend blickte ich zu meinen Eltern,
sie sahen sich lange an und nickten schließlich.
Eigentlich konnte ich selbst über mein Leben entscheiden, doch ich hatte das Gefühl, dass es sie beruhigte, wenn sie noch mit über mein Leben bestimmen konnten.
Die Party war schon in vollem Gange, als wir ankamen. Vorsichtig griff Clay nach meiner Hand und als ich sie nicht zurück zog, verschränkte er seine Finger mit meinen.
Wir entschieden uns dafür uns zu einer Gruppe Leuten von Clays Arbeit zu setzen. Ich kannte sie alle, doch konnte ich sie höchstens gute Bekannte nennen.
Ich war schon immer schlecht im Freunde machen und ohne Clay wäre ich vermutlich ganz alleine gewesen.
In der Gruppe entdeckte ich plötzlich ein fremdes Gesicht und mein Kiefer spannte sich an, das war der Typ, der mich über den Haufen gerannt hatte.
"Ahhh, Ava, das ist Jonathan."
Der anrempel-Typ blickte mich an und lächelte, doch mein Gesicht blieb regungslos.
"Wir sind uns schon begegnet", sagte ich zu Simon und setzte mich dann dicht neben Clay, dabei spürte ich Jonathans Blick immer noch auf mir.
Die Party war wirklich gut und in dieser Nacht vergaß ich seit langem mal wieder alles, ich war wie jeder andere um mich rum, ich tanzte, lachte und spielte endlos viele Trinkspiele. Dabei bemerkte ich, wie Jonathan immer in meiner Nähe war. Auch ich ertappte mich dabei, wie mein Blick immer wieder zu ihm wanderte.
Als ich mich verabschiedete kam er direkt auf mich zu, "Hey, warte mal."
Genervt sah ich ihn an.
"Ich wollte mich noch mal entschuldigen, ich hab mich echt scheiße benommen, es tut mir ehrlich leid."
"Es ist okay."
"Wirklich?"
"Ja."
Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht, "okay, ich wollte das nur aus der Welt schaffen."
Jetzt lächelte ich auch, "vergessen wir das einfach."
Wir standen noch kurz voreinander, ich überlegte noch was zu sagen, doch da drehte er sich mit einem letzten Lächeln um und verschwand.
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