2: Dream a cozy Dream
Ich schnappte nach Luft.
Mein Unterbewusstsein musste sich weitaus mehr mit dem Kaffee-Typen und unserem Zusammenstoß beschäftigen, als mir lieb war. Denn jetzt trat er auf mich zu und hielt mir einen der Becher entgegen. Er grinste. „Diesmal bitte nicht verschütten."
Vollkommen überfordert von der Situation nahm ich das heiße Getränk entgegen und starrte ihn einfach nur leicht dümmlich an.
„Ich komme gerne hierher", informierte er mich, nachdem er einen Schluck getrunken hatte. Nachdenklich sah er sich um. „Es ist so schön friedlich."
„Ja ..."
Ehrlich.
Sein Auftauchen – in meinem Traum wohlgemerkt – hatte mir das Hirn gegrillt. Ich war kaum in der Lage, ganze Sätze zu denken, geschweige denn zu formulieren. Zum Glück war es nur ein Traum, und er würde nicht in Wirklichkeit den Eindruck von mir bekommen, dass ich leicht minderbemittelt war.
Also minderbemittelt nur in seiner Gegenwart, sonst natürlich nicht.
Gott! Das war selbst im Traum peinlich.
„Gehen wir ein Stück?" Der Typ wandte sich bereits um, um in den Wald zu marschieren, aber mir kam noch ein anderer Gedanke. „Wo ist deine Freundin?"
Er drehte sich wieder um und warf mir einen fragenden Blick zu. „Welche Freundin?"
„Na, die von heute Morgen."
„Ah!" Er nickte kurz, nur um im nächsten Moment den Kopf zu schütteln. „Die ist nicht hier."
Das hatte ich selbst auch schon bemerkt. Seine Reaktion war trotzdem keine Antwort auf meine Frage.
„Also, was ist?", fragte er. „Kommst du?"
Unschlüssig trottete ich hinter ihm her und wusste wirklich nicht, was ich von dieser ganzen Sache hier im Wald halten sollte. Selbst im Traum kam es mir merkwürdig vor und ich war wirklich beeindruckt, welche Fantasie mein Unterbewusstsein an den Tag legte, um die Begegnung vom Morgen zu verarbeiten.
Eine Weile liefen wir schweigend nebeneinanderher, während Bäume und Unterholz an uns vorbeizogen. Unsere Schritte hallten dumpf über den Waldboden. Die Sonne schien durch das dichte Blätterdach über uns und ließ einige hell erleuchtete Punkte auf den bemoosten Stellen tanzen. Ihre Strahlen verfingen sich zuweilen im dunklen Tannengrün und spielten mit den braunen Haarsträhnen meines Begleiters. Vögel sangen im Hintergrund.
Irgendwann fragte ich in die stille Eintracht zwischen uns hinein: „Ist sie denn deine Freundin?"
„Wer?"
„Na, die von heute Morgen."
Der Typ hielt abrupt an, und ich tat es ihm gleich. Nur wenige Zentimeter voneinander entfernt standen wir uns gegenüber. Langsam hob er seinen Kaffeebecher an die Lippen, um einen Schluck zu trinken, und musterte mich nachdenklich. Dabei hatte er die Stirn gerunzelt und die Augen leicht zusammengekniffen. „Spielt es denn eine Rolle?"
Tja.
Das war eine gute Frage.
Immerhin befanden wir uns nur in meinem Traum, und höchstwahrscheinlich würde ich ihn sowieso nicht wiedersehen. Also spielte es genau genommen keine Rolle.
„Nein."
Er grinste. „Siehst du." Wieder wollte er sich zum Gehen wenden, aber ich hielt ihn am Arm zurück. Erst jetzt bemerkte ich, dass er ein frisches, weißes Hemd trug, dessen Hemdsärmel er hochgekrempelt hatte. Seine Unterarme waren muskulös und behaart und von der Berührung meiner Fingerspitzen auf seiner warmen Haut ging ein Kribbeln aus, das meinen Arm entlangwanderte und in meinen gesamten Körper ausstrahlte. Fast fühlte ich mich gezwungen, meine Hand wegzuziehen, aber das Gefühl war einfach zu gut, als dass ich es beenden wollte.
Wahnsinn.
Ich wusste, ich hatte noch niemals zuvor so stark auf Unterarme reagiert. Im Prinzip hatte ich auch noch nie darauf geachtet. Bei meinem Exfreund Ben waren sie mir egal gewesen. Eigentlich war mir bei ihm so ziemlich alles egal gewesen, wenn ich ehrlich war. Da hatte niemals dieser eine göttliche Funke zwischen uns bestanden, der unsere Beziehung zueinander heller erstrahlen ließ als alle anderen. Wahrscheinlich waren wir einfach nie füreinander bestimmt gewesen. Wir hatten eine gute Zeit gehabt, aber als sie zu Ende gegangen war, hatte es mich nicht aus der Bahn geworfen. Es hatte nicht mein Leben beendet. Vielmehr hatte nach dem Abitur und nach der Trennung von Ben mein Leben erst begonnen. Neue Umgebung, neue Stadt, neue Freunde.
Wie von selbst fuhren meine Fingerspitzen durch die Härchen auf seinen Armen. Meine Finger glitten von seiner Hand hinauf bis an den Rand seines aufgekrempelten Hemdes und wieder zurück. Ein Teil von mir meinte sich an eine solche Berührung zu erinnern, und ich runzelte die Stirn. „Woher kenne ich dich?", kam unwillkürlich über meine Lippen.
Der Typ legte seine andere Hand auf meine und lächelte, als er sie vorsichtig, aber bestimmt von seinem Arm nahm, um seine Finger mit meinen zu verschränken. „Ich denke, diese Frage erübrigt sich", antwortete er leise. „Du weißt es."
Ja, wusste ich tatsächlich.
Von heute Morgen. Von meinem Missgeschick mit dem Umrennen und dem Kaffee-Verschütten.
Aber da war noch etwas anderes, das mich drängte, die Frage erneut zu stellen. „Nein", flüsterte ich fast, weil ich meiner Stimme in diesem Moment nicht über den Weg traute, „das meine ich nicht. Ich meine, woher kenne ich dich wirklich?"
„Wir sollten weitergehen, Coffee-Girl."
„Coffee-Girl?"
Er wackelte mit den Augenbrauen und grinste frech. „Kaffee, du erinnerst dich?"
Ich verzog das Gesicht. Irgendwie passte mir der Name nicht, aber er sagte es bereits.
„Ich werde dich jetzt immer so nennen."
„Coffee-Girl?" Fragend hatte ich die Augenbrauch hochgezogen.
„Ganz recht." Nickend wandte er sich ab, um weiterzulaufen. Dabei ließ er meine Hand nicht los, und ich wollte es auch gar nicht. Komischerweise fühlte es sich gut an, händchenhaltend mit ihm durch den friedlichen Wald zu spazieren. Kein Geräusch weit und breit, nur unsere dumpfen Schritte auf dem Waldboden und leises Vogelgezwitscher, bis der Typ leise anfing zu summen.
Es war eine Melodie, die mir seltsam vertraut vorkam. Selbst im Traum wusste ich, dass ich eine ähnliche Situation schon einmal erlebt hatte. Oder hatte ich davon nur geträumt?
Traum und Realität verschwammen, und ich konnte sie kaum mehr auseinanderhalten. Was war Traum? Was war Realität? Träumte ich überhaupt noch? Oder war es mittlerweile ein Traum in einem Traum? Denn vor meinem inneren Auge verschwand der Wald, und an dessen Stelle trat ein Steg und ein See und eine sternenklare Nacht.
Da waren ein anderer Typ und eine andere Frau. Beide wiegten sich tanzend im Mondlicht. Sie schmiegte sich an seine Brust, während er ihr leise ein paar Zeilen des Liedes "Dream a little Dream of me" von Doris Day ins Ohr summte: "Stars shining bright above you Night breezes seems to whisper "I love you". Birds singin' in the sycarmore trees. Dream a little dream of me."
Der See reflektierte das Leuchten des Mondes und erhellte ihre Gesichter. Sie hatte die Augen geschlossen und ließ sich von ihm durch den Tanz führen. Leise schwappte das Wasser gegen die Stelzen des Steges und vermittelte mir eine romantische Atmosphäre.
Plötzlich traf es mich wie ein Blitz.
Süße Träume, bis die Sonnenstrahlen sie fanden.
Süße Träume, die alle Sorgen hinter sich ließen.
In diesen Träumen, was auch immer sie wirklich waren, konnten sie zusammen sein, auf eine Art, auf die sie in der Realität nicht zusammen sein durften. Der Mann und die Frau.
„Dream a little dream of me ..."
„Wir sollten gehen", raunte mir der Kaffeetyp jetzt leise ins Ohr. „Wir sollten die beiden nicht stören."
„Das sind ...", machte ich und wollte irgendetwas Erleuchtendes sagen, aber mir war es bereits entfallen, noch bevor ich den Mund geöffnet hatte. Nachdenklich schüttelte ich den Kopf, warf noch einen letzten Blick auf das tanzende Pärchen und ließ mich von meinem Begleiter weiterführen.
Schließlich war da wieder der Wald. Und auch die Tageszeit hatte sich abermals geändert. Die Sonne schien erneut durchs Blätterdach und spielte mit seinen dunklen Haarsträhnen.
„Coffee-Girl, erzähl mir ein bisschen von dir", forderte er mich auf.
„Da gibt es nicht viel zu erzählen", erwiderte ich und zuckte mit den Schultern.
Er lachte. „Ich bin mir sicher, dass das nicht stimmt."
„Was willst du denn wissen?"
„Wieso hattest du es heute Morgen zum Beispiel so eilig?"
Es faszinierte mich, dass sich mein Unterbewusstsein anscheinend weiter mit unserer Begegnung beschäftigen wollte. „Ich bin Medizinstudentin, und heute war der erste Tag meines Blockpraktikums in einer Arztpraxis", antwortete ich wahrheitsgemäß, auch wenn ich nicht umhinkam, mich zu wundern, warum sich der Traum plötzlich so real anfühlte. Als würde ich wirklich mit dem Kaffeetypen durch den Wald spazieren und mich mit ihm unterhalten.
„Medizin also ...", murmelte er.
„Ich habe mich noch nicht auf ein Gebiet festgelegt, aber ich würde gerne ..."
So plötzlich, dass ich es kaum mitbekommen hatte, war er stehengeblieben und hatte mich an den Oberarmen gepackt. Seine dunklen Augen waren weit aufgerissen, und er sah mich mit einem eindringlichen Blick an, der sich in meine Seele brannte. „Rette mich!", sagte er.
Nur diese zwei Worte, aber sie gingen mir durch Mark und Bein und ließen zig eisige Schauer über meinen Rücken laufen.
„Bitte", wisperte er. Schmerz trat in sein Gesicht. „Bitte, rette mich."
Ich schnappte nach Luft und schlug die Augen auf.
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