Don't hurt me
,,Sam ist zurück, aber ich möchte dich weiterhin sehen, weil du mir guttust. Und das mit dem Ball ... Ich gehe nach wie vor mit dir."
Riven wandte sich nicht zu ihr um, stattdessen lächelte er flüchtig, während er sich die Zigarette in den Mund steckte, die er die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte, um sie anzuzünden. Doch das Gefühl, das sich plötzlich in seiner Brust ausbreitete, vermochte er nicht zu beschreiben. Auch ihre Worte konnten daran nichts mehr ändern. Es war wie ein Drache, der sich in seine Eingeweiden grub. Tiefer und tiefer.
Musa blickte ihm nach, bis er aus ihrem Sichtfeld verschwunden war. Allmählich machte sie sich auf zu ihren Freundinnen, schließlich konnte sie sich nicht ewig vor ihnen verstecken. Aus der Ferne konnte sie eine Traube von Mädchen erkennen, die um etwas oder jemanden herumstanden. Sie kam näher und da hörte sie ein Geräusch, dass einem das Herzbrechen konnte. Jemand schluchzte. Musa kam noch näher, und entdeckte Stella, die sich an Floras Schulter verbarg. Es war eindeutig Stella die weinte.
,,Ich hätte nicht zu Sky gehen dürfen ...", schluchzte sie.
,,Du hast nichts falsch gemacht", tröstete Flora ihre Freundin, während sie ihr beruhigend über den Rücken strich.
Auf einmal richteten sich Stellas vom Weinen verqollenen Augen auf Musa. In dieser Sekunde veränderte sich Stellas Gesichtsausdruck.
,,Du!", zischte sie.
Der Klang von Stellas Stimme ließ Musa unwillkürlich zurückweichen.
,,Du bist schuld!"
Woran war sie schuld?, begann sich Musa zu fragen.
Die Antwort bekam sie sogleich.
,,Deinetwegen wurde Sky verletzt."
Sky? Was ... Da kam ihr Riven in den Sinn.
Ein leises Oh entschlüpfte ihren Lippen, bevor sie sich umwandte und den gekommenen Weg zurück hastete. Musa hatte so einen Verdacht, wo sie Riven finden würde.
In derselben Sekunde saß Sam niedergeschlagen und mit hängenden Schultern auf einer Bank und fühlte sich fehl am Platz. Der Gedanke schoss ihm durch den Kopf, dass er nicht hätte zurückkommen dürfen. Sein Bauchgefühl hatte ihm das auch geraten, aber Terra war so hartnäckig geblieben und er hatte Musa wirklich vermisst. Sam seufzte.
,,Du siehst aus wie ein Häufchen Elend."
Sam hob den Blick. Bei dem Anblick seiner Schwester seufzte er noch ein wenig tiefer, was Terra aber nicht davon abhielt sich zu ihm zu setzen.
,,Ein wenig mehr Informationen über Musas Gemütslage wären schon gewesen."
Obwohl, dachte er stumm.
„Wir wären noch zusammen, wenn ich nicht so dumm gewesen wäre, und alles falsch gemacht hätte."
,,Verstehe, aber dann gibt es für dich erstmal: an dir selbst arbeiten, dich selbst lieben, und nicht versuchen, das Vergangene zu fixen. Vielleicht hast du tatsächlich großen Mist gebaut, aber willst du in einer Beziehung sein, in der du „Der Schuldige" bist? Und deine Schuld dann irgendwie wieder abbezahlst? Oder dir selbst ständig Vorwürfe machen, falls es wieder passiert?"
Ganz Unrecht hatte Terra mit ihrer Ansprache nicht. Sam war nicht so dumm das Scheitern der Beziehung, sein Scheitern alleine bei Musas einmaligem Fehlverhalten zu suchen, schließlich war er der Dreh und Angelpunkt des Chaos.
,,Wenn du Musa tatsächlich so liebst, dann lasse sie völlig los, und komme erstmal mit dir selbst klar. Sonst bist du in einem halben Jahr an exakt demselben Punkt wie vor Kurzem und drehst Runde um Runde: immer dieselben Fehler, immer derselbe Schmerz. Dafür ist das Leben viel zu schön. Nicht wahr?"
Im Moment zweifelte Musa noch an der Aufrichtigkeit seiner Absichten und Worte. Aber das kriegte er hin, er musste sich nur mehr Mühe geben. Und er würde damit beginnen sie nicht weiter zu bedrängen. Sie sollte die Zeit, die sie brauchte bekommen.
Währenddessen hatte sich Riven in den Trainingsraum zurückgezogen, um seine Frustration an einem Boxsack auszulassen. Das Bild von Sam und Musa bekam er einfach nicht mehr aus seinem Kopf. Es begann ihn regelrecht zu quälen. Seine Fäuste prasselten ohne Pause auf den Sack ein, der im Moment das Gesicht von Sam zu tragen schien. Seine Stirn glänzte bereits feucht im schummrigen Licht des Raumes. Im Grunde wusste Riven selbst nicht, warum er das Gefühl von Eifersucht gegenüber dieses Kerls empfand. Es fühlte sich so an, als hätte Sam ihm etwas Kostbares gestohlen. Ein dummes Gefühl, wie Riven fand. Er schlug noch verbissener, noch fester zu. Die Stelle am Sack auf die seine Fäuste trafen, färbte sich rot, was Riven in seiner Rage nicht wahrnahm. Er besaß mittlerweile nur noch den Tunnelblick. Die Tür wurde leise geöffnet und geschlossen, aber auch das nahm Riven nicht wahr. Nach wie vor schlug Riven auf den Boxsack ein, als ginge es um Leben und Tod. Der Anblick schmerzte Musa, während sie sich ihm näherte. Unschlüssig stand sie nun ein paar Zentimeter vor ihm. Sie musste nur die Hand ausstrecken, um ihn zu berühren. Ihre Finger zitterten, als sie sein Handgelenk vor dem nächsten Schlag in der Luft abfing. Erst jetzt bemerkte er ihre Anwesenheit, denn er blinzelte verwirrt.
,,Musa?"
,,Ja, ich bin es", entgegnete sie sanft.
,,Was willst du hier!", brachte er schroff hervor, während er ihren Griff um sein Handgelenk löste.
Mittlerweile besudelten Blutstropfen den Boden, als sich Riven durch den Raum bewegte, um seine Fingerknöchel zu verarzten. Er ließ ein paar Tropfen Alkohol auf die Wunde tropfen, wobei er keine Miene verzog.
,,Hast du Sky verletzt?", fragte Musa in die zermürbende Stille.
Teilnahmslos wickelte sich Riven einen Verband um die Fingerknöchel, danach richtete er seinen Blick auf Musa. Etwas, das versteckt in seinem Blick lag, ging Musa unter die Haut.
,,Und wenn schon. Es war eine Sache zwischen Sky und mir. Es geht dich überhaupt nichts an."
Die Bitterkeit in Rivens Stimme war deutlich herauszuhören, dazu brauchte sie nicht einmal ihre Magie. Musa schluckte gegen den Kloß in ihrem Hals an, der immer weiter zu wachsen schien.
,,War es meinetwegen?"
,,Was soll das Musa? Ich weiß genau, wie schön man sich selbst alles vorlügen ausmalen, und wie sehr man einen Mutter Theresa-Komplex zelebrieren kann, aber am Ende des Tages gilt: Willst du wirklich dein Zeit damit verschwenden, an mir zu „arbeiten"? Dafür bist du nicht auf dieser Welt."
„Ich dachte, wir wären Freunde. Du hast einen Fehler gemacht. Machen wir nicht alle Fehler?"
Nun trat Riven ganz dicht an Musa heran, sodass sie zu ihm aufsehen musste.
,,Freunde?"
Wie er das Wort aussprach, verursachte eine Gänsehaut bei Musa. Allmählich hob er mit der Fingerspitze ihr Kinn an.
,,Oh, kleine Fee. Ich weiß nicht, ob ich dein Freund sein kann."
Wie gebannt starrte Musa auf seine Lippen, die nur Millimeter vor ihren schwebten. Sie begann sich zu wünschen, dass er die Distanz überwand, doch im nächsten Moment hielt sie es für keine gute Idee. Egal, wie laut die Gefühle das Gegenteil schrien. Bitte tue es nicht!, bat sie stumm. Ein Kuss vermochte erstmal den Schmerz zu stillen oder Hoffnungen zu schüren - aber am Ende des Tages war das Elend nur noch größer, der Schmerz nur schlimmer, und das Glück in noch weiterer Ferne. Ihre Gefühle waren verwirrt und belogen sie so richtig nach Strich und Faden. Im Moment wurde Musa von ihren Emotionen verarscht. Also konnte sie ihren Gefühlen im Moment nicht trauen.
Würde, Stärke, Schönheit, Klarheit, das brauchte sie.
Nicht: Schmerz, Vermissen, Sehnen, Verzweifelt Sein.
Abrupt trat Riven einige Schritte zurück, um Abstand zwischen ihnen zu schaffen. Endlich konnte Musa wieder Atmen. So fühlte es sich zumindest an. Rivens Faust traf gegen die Wand, was Musa zusammenzucken ließ.
,,Was machst du nur mit mir?"
,,Ich ... Ich ...", begann sie überfordert.
Riven wandte sich ab. Gequält von allem was er fühlte schlug er die Lider nieder.
,,Vielleicht ist es fürs Erste besser, wir würden Abstand halten, um Klarheit zu gewinnen."
Seine Worte waren wie ein Schlag in den Magen, doch hatte sie seinen Worten nichts entgegenzusetzen.
,,Du solltest gehen."
Mit dem was Riven tat, mit dem was er sagte ... Es fühlte sich so an als würde ihr Herz brechen. Langsam löste Musa sich aus ihrer Starre und begann sich auf die Tür zu zubewegen. Doch seine Worte ließen sie noch einmal innehalten.
,,Was zu dir gehört, wird immer seinen Weg zu dir finden, ganz ohne Kampf, Manipulation, Stress, Druck und das emotionale Drama."
Drama gab es schon genug in ihrem Leben.
Die Tür schloss sich und Musa lehnte sich dagegen, um ein paarmal tief ein und auszuatmen. Die Sonne stand hoch am wolkenlosen Himmel, stellte Musa fest. Allmählich sollte sie zur Schule zurückkehren. Mit langsamen Schritten durchquerte sie den dicht mit Bäumen bewachsenen Teil des Waldes, in dem der Trainingsraum der Spezialisten lag. Eilig hatte sie es nicht. Etwas hinter ihr knackte, wodurch Musa sofort zu der Geräuschquelle herum wirbelte. Ihr Herz hämerte unangenehm gegen ihre Rippen. Zu ihrer Erleichterung war es nur ein Eichhörnchen auf der Suche nach futter. Musa stieß einen langgezogenen Atemzug aus und machte sich wieder auf den Weg. Sie wich einigen Wurzeln aus, die als Stolperfallen aus dem Erdboden ragten. Endlich lichteten sich die Bäume und Musa trat aus dem Dickicht. Ihr Blick fiel auf Sam, der auf einer Bank saß. Im ersten Moment wirkte er wie ein verlorener Fremdkörper, was Musa leid tat. Aber im nächsten Moment fiel ihr Blick auf Terra, die neben Sam saß. Von da an verspürte Musa nur noch Wut. Rasch lief sie in die andere Richtung, um nicht in Versuchung zu kommen Terra vor ihrem Bruder eine Szene zu machen.
Abrupt stoppte Musa. Da war etwas, was nichts mit ihrer Wut zu tun hatte. Eine Stimme. Ihr Blick suchte die Umgebung ab, doch in ihrer Nähe war niemand zu sehen. War es möglich, dass die Stimme in ihrem Kopf war?
Die Stimme flüsterte immer wieder: ,,Rette ihn."
Ihre Finger umfassten ihren pochenden Schädel, während sich in ihrem Kopf alles begann zu drehen. Vor ihren Augen tanzten weiße Punkte und ihre Beine fühlten sich an wie Wackelpudding, kaum imstande ihr Gewicht zu tragen.
Wen?
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