9 Traumwelten (AU)
„Ich will nicht einschlafen, weil ich Angst davor habe, zu vergessen, dass das hier echt ist. Ich will nicht aufwachen, weil ich jedes Mal ein ganzes Leben zurücklasse, dort, auf der anderen Seite des Vorhangs. Und es ist nie dasselbe Leben.
„Jeden Morgen wache ich auf und weiß nicht, ob das hier real ist. Es fühlt sich real an. Ich weiß, wann wir uns getroffen haben, wann wir uns das erste Mal geküsst haben, wann wir zum ersten Mal zusammen deinen Geburtstag gefeiert, all das ist da. Ich habe Erinnerungen an dieses ganze Leben, ich habe dieses Leben gelebt. Es fühlt sich zumindest so an. Aber genau dasselbe Gefühl hatte ich im Traum, als wäre das die echte Welt, mit allen Erinnerungen, mit einer anderen Familie, mit einem anderen Ring an meinem Finger und anderen Lippen zum Küssen. Ich hatte so einen Traum, in dem Traum.
„Und so geht es weiter. Ich habe die Erinnerungen von unzähligen Leben in mir, Leben, die ich nur einen Tag und doch Jahre und Jahrzehnte lang geführt habe. Ich weiß nicht, was davon echt ist. Ich weiß nicht, ob du echt bist. Es fühlt sich an, als wäre ich schon gestern hier aufgewacht, als hätte ich dich auch schon gestern geküsst, als hättest du auch gestern schon meine Nacht am Fluss unter dem Licht der Straßenlaterne gehalten, aber so ist es immer. Hier hast du mir gestern die Sternenbilder auf deinem Handy gezeigt, im Traum waren wir aus. Im Traum im Traum haben wir einfach nur gekuschelt. Im Traum davor bist du erst um kurz vor Mitternacht nach Hause gekommen, weil du noch an einem wichtigen Projekt saßt.
„Ich weiß nicht mehr, was echt ist, Michael. Und in keinem meiner Leben bin ich einen Tag älter als fünfundzwanzig. Ich erlebe meinen Geburtstag, wieder und wieder und wieder, in immer verschiedenen Welten. Immer bist du an meiner Seite, aber auch du bist anders. Du siehst anders aus, du hast andere Interessen, du lachst anders, du küsst anders. Und doch weiß ich, wenn jemand an meiner Seite ist, bist du es, egal, wie du heißt, egal, wie du aussiehst.
„Etwas in mir ruft nach dir. Und etwas in dir antwortet stets. Ist das Liebe? Ich weiß es nicht. Ich kenne dich erst seit einem Tag und seit neunzehn Jahren, seit neunzehn Jahren und seit einer Ewigkeit. Und all die Weil weiß ich doch niemals, wer bin ich denn eigentlich?"
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