8 "Leb wohl." Raue Zeiten
„Ich danke euch für euer Angebot, wirklich. Wir leben in rauen Zeiten und solche Akte von Menschlichkeit sind leider rar geworden." Er lacht leise, nicht gerade amüsiert, aber auch nicht unfreundlich. Ein weiches Kichern. „Aber ich kann es nicht annehmen. So gut ihr trotz der Umstände für mich gesorgt haben mögt, ich kann nicht länger bleiben. Denn auch auf mich wartet ein Zuhause, Menschen, die sich auf mich verlassen. Freunde. Familie." In seinen Augen spiegelt sich Sehnsucht wieder.
„Ein Geliebter."
„Ich verstehe." Nicht mehr, nur diese beiden Worte, doch die Augen desjenigen, der sie ausspricht, erzählen von Verlust und Trauer, aber auch von Heimkehr und einem festen Band. Von einer Liebe, die viele gute und noch mehr schlechte Zeiten durchlebt hat und doch nicht ihre Reinheit verloren hat. Von zwei jungen Menschen, die gemeinsam durch die Hölle gegangen sind und doch nur ein Paar von so vielen sind.
„Leb wohl." Ein Abschied, der letzte Gruß eines Mannes, der weiß, dass er sein Gegenüber wohl nie wieder sehen wird. Ein Wunsch. Eine Hoffnung.
Wenig später verschwindet die graue Gestalt des Fremden im Zwielicht der morgendlichen Ruinenstadt. Auf den ehemaligen Straßen zu reisen hat sich als sicherer als die Wildnis herausgestellt, vorausgesetzt, man weiß, welche Routen man nehmen darf und auf welche Ansprüche durch die verschiedenen Clans erhoben wird.
„Leb wohl." Noch einmal erhebt der Zurückgebliebene seine Hand, eine letzte Ehrerbietung jenem gegenüber, der wie er eine Verantwortung übernommen hat, in diesen egoistischen Zeiten. Die meisten sind sich selbst die Nächsten, bei der Ressourcenknappheit und der vollkommenen Anarchie auch kein Wunder. Jene, die können, reißen an sich, was geht, seien es Vorräte, Werkzeuge und Waffen oder die Vorherrschaft um ein Gebiet. Jene, die nicht können, sterben, bis auf wenige Glückliche, denen es gelingt, lange genug zu überleben, um sich einer Gruppierung wie der seinen anzuschließen.
Ohne zurückzublicken verlässt er den Ort, an dem er den Fremden traf und verließ, ein Hügel im Norden der ehemaligen Stadt.
Auch auf ihn wartet man.
Irgendwo im Westen dieser Stadt und des kleinen, schicksalhaften Berges, schreit ein Säugling. Die Mutter versucht ihn zu beruhigen, doch obgleich sie schon größere Rationen bekommt, reicht es nicht, um den Hunger ihres Sohnes zu stillen. Bald werden sie in einer der größere Zufluchten angekommen sein, die Hoffnung darauf das Einzige, was den Großteil der Gruppe am Leben erhält. Und dort wird man ihnen Geschichten erzählen, von dem Anführer, der eines Nachts mit ungewohnter Lebhaftigkeit zurückkehrte und mit einem Funkeln in den Augen, das seit dem Tod seines Partners erloschen gewesen sei. Von dem Anführer, der fortan jeden Morgen zur nahe gelegenen Stadt streift und abends mit einem neu entfachten Feuer in den Augen zurückkehrt, mit einem neuen Hoffnungsfunken. Und man wird ihnen erzählen von dem Fremden, der einen Tag und eine Nacht blieb und in dieser Zeit von seiner Zuflucht berichtete, der Hilfe erbat und von dem man Jahre später eine Nachricht erhielt. Der Fremde sei gestorben, hieß es darin, doch er habe gewollt, dass der Anführer wisse, dass er mehr als das Leben des Fremden gerettet habe: Eine gesamte Zuflucht.
Man wird ihnen erzählen, dass in jener Nacht Tränen vergossen wurden in der Zuflucht am Hügel, um einen namenlosen Fremden, dessen Gesicht das einer Hoffnung für die Bewohner der Zuflucht wurde.
Sie wissen nicht, diese Bewohner, dass auch weit im Osten Tränen vergossen worden sind, um ein Gesicht, das einen Namen und eine Bedeutung hatte. Sie wissen nicht von dem Mann, der sich erhängte, als er das Letzte verlor, was ihm geblieben war. Alles, was sie wissen, ist, das sie jenem Fremden dankbar sind. Und dass auch er mehr als das Leben des Anführers gerettet hat.
Eine gesamte Zuflucht.
Irgendwo bleibt ein Herz stehen. Irgendwo stirbt ein junger Mann an den Folgen eines Clankriegs. Irgendwo fordert eine Krankheit ein weiteres Opfer, weil das Wissen um ihre Heilung verloren gegangen ist.
Aber die Mutter mit dem Kind lebt.
Mein Gott, sie lebt noch. Zwar kein besonders langes Kapitel, aber deswegen ist es ja auch hier.
Ehrlich gesagt habe ich keine Vorstellung, ob das hier auch nur okay ist, aber immerhin lade ich endlich mal wieder irgendetwas hoch. Zeit wurde es ja.
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