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In einvernehmlichem Schweigen gingen wir nebeneinander her und aßen genüsslich unsere Wraps. Hin und wieder warf Matt mir grinsend einen Blick zu, den ich frech erwiderte. Die Stille zwischen uns war nie unangenehm gewesen, nie hatte ich den Drang verspürt solche Momente mit Worten zu füllen. Wir verstanden uns auch so, wussten, was der Andere dachte. Es war fast vom ersten Augenblick an so gewesen.
Vielleicht waren wir genau deshalb so enge Freunde geworden.
Wir brauchten nicht viele Worte, um einander zu verstehen.
Der Jahrmarkt war nicht weit vom Café entfernt und so setzten wir uns noch kurz auf eine Parkbank, um den letzten Rest unseres Falafels zu essen, händchenhaltende Pärchen beobachtend, die kamen und gingen. Ein junges Mädchen trug einen riesigen, rosafarbenen Teddybären im Arm und ein schüchternes Lächeln im Gesicht. Neben ihr her lief ihr Date, ebenso jung wie sie und mit hochrotem Kopf.
Als ich sah, wie er versuchte, unsicher seinen Arm um sie zu legen, huschte ein Lächeln über mein Gesicht.
Als hätte Matt meinen Gedanken erraten, fragte er „Erinnerst du dich noch an dein erstes Date?"
Das Lächeln gefror auf meinem Gesicht. Schlagartig.
„Nein" antwortete ich knapp, in der Hoffnung er würde das Thema fallen lassen. Natürlich tat er das nicht.
„Nein? Also hast du es vergessen?" Ungläubigkeit schwang in seiner Stimme mit und ich begann mich unter seinem fragenden Blick zu winden.
Doch er wäre nicht Matt, wenn er mein Unbehagen nicht gespürt hätte. Behutsam legte er mir eine Hand aufs Knie und drückte sanft zu.
„Ewa, was ist los? Willst du mir davon erzählen?"
Schweigend, die Lippen zu einem schmalen Strich aufeinandergepresst, schüttelte ich den Kopf. Eine knappe, schwache Bewegung.
Zu mehr fühlte ich mich nicht imstande. Mein Körper hatte sich versteift, krampfhaft durchforstete ich mein Gehirn nach möglichen Auswegen. Glaubhaften Ausreden. Nach irgendetwas, dass mich aus dieser Situation holen konnte. Doch da war nichts. Meine Reaktion hatte mich verraten.
Etwas musste ich ihm geben. Denn wenn Menschen erst einmal spürten, dass es etwas gab, dass dich belastete, dann würden sie auf Dauer nicht lockerlassen.
Matt würde von nun an aufmerksamer sein, immer wieder Fragen stellen und versuchen hinter das zu kommen, dass mich belastete.
Das taten Freunde, denn sie wollten einander helfen. Ich verstand das. Man wollte seinem Freund die Last von den Schultern nehmen. Für ihn da sein.
Doch genau da lag mein Problem. Niemand sollte für mich da sein. Niemand konnte für mich da sein.
Doch etwas musste ich ihm geben. Wie viel konnte ich preisgeben, ohne zu viel zu verraten?
Ich atmete tief ein und sammelte meinen Mut, dennoch kamen mir die Worte nur schwer über die Lippen.
„Ich hatte nie sowas wie ein richtiges Date."
Jetzt war es raus. Nie zuvor hatte ich jemandem davon erzählt. Der Schmerz war immer mein Geheimnis gewesen.
„Du meinst nie wie überhaupt nicht, niemals? Aber wie kann das sein, du hattest doch schon Beziehungen, oder?"
„Eine Beziehung. Noah."
Er schwieg und ich wusste, dass er wartete bis ich bereit war weiter zu erzählen. Vom Jahrmarkt wehte Stimmengewirr und die Musik der Fahrgeschäfte zu uns herüber.
Lachende Menschen passierten uns und durch sie fühlte ich mich noch unwohler in der Situation. Ich wollte wie sie sein, wollte lachen und Spaß haben. Wollte nicht der Grund sein, aus dem Matt und ich schweigend und betrübt auf der Parkbank saßen, während um uns herum das Leben weiterging.
Dafür war ich nicht nach LA gezogen.
Das hier würde eine Kurzversion der Geschichte werden und danach würde ich mit der ganzen Sache abschließen, denn das hatte ich nach all den Jahren noch immer nicht wirklich getan.
„Wir waren sehr jung, als wir uns kennengelernt haben. Ich war Dreizehn und Noah Fünfzehn. Seine Familie zog im Haus nebenan ein und wir gingen jeden Tag gemeinsam zur Schule. Bald verbrachten wir auch die Nachmittage miteinander, irgendwann unsere gesamte Freizeit. Ich weiß nicht, wann wir von Freunden zu einem Paar geworden sind, plötzlich war es einfach so. Es hat sich nie falsch angefühlt, ich war glücklich. So etwas wie ein Date hatten wir nie. Wir haben einfach weitergemacht wie immer. Wir gingen in die Schule und auf Partys, oder trafen uns mit Freunden. Ich habe mich nie gefragt, ob es anders hätte sein müssen. Nie nach meinen Wünschen geforscht. Nach sechs Jahren Beziehung veränderte sich etwas zwischen uns. Noah entfernte sich von mir und ich konnte es nicht aufhalten. Ich erfuhr von Freunden, dass er plante, ein Jahr auf Reisen zu gehen. Die Nachricht traf mich wie ein Schock. Wir hatten immer darüber fantasiert, gemeinsam auf eine solche Reise zu gehen. Es war immer unser Traum gewesen und ich konnte lange nicht verstehen, wie er mir so hatte entgleiten können, wie er seine Zukunft plötzlich plante, ohne mich mit einzubeziehen. Heute weiß ich es besser, er sah einfach keine gemeinsame Zukunft mehr mit mir. Doch das sagte er mir nicht. Ich fragte ihn, ob er die Beziehung beenden wolle. Er sagte nein. Er wollte nur eine kleine Auszeit, um auf Reisen zu gehen.
Danach sollte alles wieder so wie früher werden.
Er war es, der mich gebeten hat zu warten. Er gab mir Hoffnung.
Also wartete ich auf ihn. Anfangs erzählte er mir von seinen Erlebnissen, schickte mir Fotos aus den verschiedenen Ländern, die er bereiste. Doch unser Kontakt brach immer weiter ab. Ständig fand er neue Ausreden. Eine schlechte Internetverbindung, die Zeitverschiebung.
Ich wartete trotzdem, selbst nach Wochen totaler Funkstille."
Ich spürte Matts mitleidige Blicke auf mir. Automatisch straffte ich etwas die Schultern. So wollte ich von ihm nicht angesehen werden.
Mitleid war das Letzte, das ich wollte.
Seine Hand lag noch immer auf meinem Knie und sein Blick suchte meinen. Ich wich ihm aus. Was ich jetzt in seinen Augen sehen würde, würde bloß die Tränen zum Fließen bringen, die ich so mühsam zurückhielt.
„Es war eine gemeinsame Freundin, die mir mehr oder weniger vom Ende unserer Beziehung erzählte. Ich traf sie im Supermarkt und sie bekundete, wie Leid ihr das Ganze tue und ob es etwas gab, womit sie mir helfen konnte. Sie musste meinen verwirrten Gesichtsausdruck bemerkt haben, denn sofort schlug sie sich erschrocken die Hand vor den Mund. Du weißt von nichts?, hatte sie gefragt und in diesem Moment wäre ich am liebsten fortgerannt. Noch nie war mir etwas so peinlich. Doch ich blieb. Ich musste es hören, musste die Bestätigung erhalten, dass alles, was ich in den letzten Wochen befürchtet hatte, wahr geworden war. Zuerst wollte sie mir nichts verraten, um ihre Freundschaft mit Noah nicht zu gefährden. Doch ihr Mitleid mit mir war anscheinend zu groß. Schweigend schrieb sie mir eine Internetadresse auf, drückte mir den Zettel in die Hand und umarmte mich, mit einem traurigen Blick. Sag ihm nicht, dass du es von mir weißt.
In diesem Moment begriff ich, dass all die Menschen, die ich für meine Freunde gehalten hatte, in Wirklichkeit seine Freunde gewesen waren. Sie alle wussten es, doch niemand hatte sich erbarmt, mir davon zu erzählen. Es war bloß ein Zufall, dass ich es jetzt erfuhr. All die Jahre, in denen ich sie liebgewonnen hatte, hatten sie mich bloß geduldet, als die Frau an Noahs Seite. Für sie war ich... ersetzbar. So leicht ersetzbar.
Ich weiß noch, dass der kurze Weg bis nachhause sich wie eine Ewigkeit angefühlt hat, obwohl ich ihn so schnell gerannt bin, wie ich konnte.
Am PC tippte ich die Internetadresse ein. Wieder und wieder, denn meine Hände zitterten und ständig machte ich einen Fehler.
Doch letztendlich schaffte ich es und landete auf Noahs Reiseblog. Ich hatte nicht einmal geahnt, dass er so etwas führte. Er musste ihn ins Leben gerufen haben, als unser Kontakt immer brüchiger wurde. Mein Kopf wusste, was ich dort sehen würde, bevor meine Augen es taten."
Ich schluckte schwer und die nächsten Worte blieben mir im Halse stecken. Irgendwann hatte ich Matts Anwesenheit vergessen und begonnen, wie zu mir selbst zu reden. Doch jetzt nahm ich ihn wieder bewusst wahr und plötzlich schämte ich mich, meine Gefühle so vor ihm offenbart zu haben. Ich wollte nicht mehr weitersprechen, doch das musste ich auch nicht. Matt hatte bereits verstanden, was ich ihm hatte erzählen wollen.
„Er hat im Ausland etwas mit einer anderen angefangen, nicht wahr?"
Ich nickte und eine einsame Träne, die Einzige, die ich nicht hatte aufhalten können, kullerte dabei über meine Wange.
Sanft fing er sie mit seinem Finger auf.
„Wer eine andere Frau dir vorzieht, ist ein riesen Idiot."
Ich lächelte ihn dankbar an, sein Versuch mich aufzumuntern war ehrenhaft. Doch jetzt war genau das passiert, was ich unbedingt hatte vermeiden wollen. Ich hatte die Stimmung ruiniert.
„Das ist mein ernst. Du bist verdammt heiß."
Eine Mischung aus Lachen und Schluchzen erschütterten meinen Körper.
Ich wusste nicht, wie er das machte, doch mit seiner direkten Art brachte Matt mich immer wieder zum Lachen, egal wie sehr mir zuvor noch zum Heulen zumute gewesen war.
Bald schon schüttelte ich mich vor Lachen und die Tränen flossen zahlreicher über mein Gesicht, doch dieses Mal aus Freude.
Die Hand fest auf meinen Bauch gepresst, beruhigte ich mich langsam wieder und sah zu Matt hinüber, der ebenfalls vergnügt gluckste.
„Er hatte dich nicht verdient. Du warst zu gut für ihn."
Er zog mich zu sich, legte einen Arm um mich und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Das tat er immer, wenn ich traurig war. Ich mochte es.
„Ich denke bis heute nicht, dass es aus Grausamkeit geschah. Er hat bloß den Mut nie finden können es zu beenden. Mir zu sagen, dass es zu Ende ist. Aus unserer Freundschaft ist etwas so Großes geworden, dass es uns beinahe verschlungen hätte. Es hatte nur noch das Wir gegeben. Aber unsere Individuen gingen darin unter. Noah hat das erkannt und er sah keinen anderen Weg, als die Flucht. Dennoch hasse ich ihn für das, was er getan hat. Ich habe versucht herauszufinden, wer ich selbst bin. Was ich mir wünsche und welches Leben ich führen möchte. Doch ich habe schnell gemerkt, dass das in dieser Umgebung unmöglich war. Alles in der kleinen Stadt erinnerte mich an ihn. Jeder dort kannte uns als ein Paar und außer meinen Eltern war dort niemand mehr, dem ich hätte vertrauen können, der sich auf meine Seite gestellt hätte.
Ich begriff, dass ich in dieser beengten Umgebung nie meine Flügel würde ausbreiten können. Ich würde immer Ewa sein, die Exfreundin von Noah. Niemals Ewa, eine eigenständige Person. Und irgendwann würde er von seiner Reise zurückkehren. Dann würde ich ihm und seiner neuen Freundin gegenüberstehen und alles würde noch schlimmer, noch unerträglicher werden. Also flüchtete ich nach LA. Schreiben war das Einzige, das immer mir ganz alleine gehört hatte. Vielleicht liebe ich es genau deswegen so sehr. Einen neuen Versuch mit den Männern habe ich danach nie wieder unternommen."
Lange sah Matt mir tief in die Augen und ich fürchtete mich vor dem, was er jetzt sagen würde.
Doch stattdessen griff er bloß nach meiner Hand und zog mich mit sich, direkt in das Getümmel des Jahrmarktes.
„Komm mit", rief er, als ich mich leicht gegen seinen Griff sträubte.
„Eine Frau sollte mindestens einmal in ihrem Leben einen riesigen Teddybären geschenkt bekommen. Und ein Lebkuchenherz, eine romantische Fahrt auf dem Riesenrad und ein gemeinsames Foto in lächerlichen Kostümen. Du hast einiges nachzuholen Kleines und ich werde dir dabei helfen."
Als ich mich immer noch sträubte, packte er mich ohne zu zögern, und warf mich über seine Schulter.
Lachend und schreiendgleichzeitig, trug er mich vorbei an den Menschen, die uns belustigte Blickezuwarfen und hinein in den Duft von Zuckerwatte und gerösteten Mandeln.
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