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„Matt? Bitte mach die Tür auf!", seit zwanzig Minuten hämmerte ich bereits gegen seine Haustür. Aus der Wohnung dröhnte laute Musik in den Hausflur. Ein klares Zeichen, dass er versuchte, mein penetrantes Klopfen zu ignorieren.
„Ich gehe nicht weg, bis du aufgemacht hast", drohte ich in der Hoffnung, dass es ihn beeindrucken würde.
Ein Stockwerk weiter oben hörte ich, wie eine Tür geöffnet wurde. Ein genervt aussehender Mann mittleren Alters streckte seinen Kopf über das Treppengeländer, sah mich einige Sekunden lang durchdringend an und verschwand dann, jedoch nicht ohne vorher theatralisch mit den Augen zu rollen.
Eine klare Ansage, dass ich aufhören sollte, solch einen Tumult zu veranstalten.
Darauf konnte ich jedoch keine Rücksicht nehmen. Sobald ich hörte, wie dir Tür ins Schloss fiel, setzte ich meinen Angriff auf Matts Haustür fort.
Plötzlich wurde die Musik ausgeschaltet und Schritte näherten sich.
Endlich!
Von einer Sekunde zur anderen schlug mein Herz mir bis zum Hals und ein leichter Schweißfilm bildete sich auf meinen Handflächen.
Dann wurde die Tür grob aufgerissen.
„Endlich machst du die Tür auf. Wir müssen dringend reden wegen der Sache... Oh."
Doch es war nicht Matt der vor mir stand. Hatte ich mich in der Tür geirrt?
Verwirrt sah ich auf das Klingelschild.
„Ich hoffe, du hast einen guten Grund mich seit zwanzig Minuten zu stören", begrüßte mich der Fremde. Sein Ton war nicht unfreundlich, obwohl seine Worte ein klarer Vorwurf waren.
„Ähm, Hi...", sagte ich und realisierte in diesem Moment zum ersten Mal, dass er nichts außer schwarzen Boxershorts trug.
„Ich wollte zu Matt. Wohnt er nicht mehr hier?"
„Der ist nicht Zuhause. Wahrscheinlich ist er wieder im Fitnessstudio. Ich bin Declan. Sein neuer Mitbewohner."
Declan reichte mir die Hand und ich schüttelte sie.
„Ich wusste nicht..."
„Ich will ja nicht unhöflich sein. Aber ich habe gerade Besuch, wenn du verstehst, was ich meine", zwinkerte er mir zu.
„Oh." Jetzt begriff ich.
„Wir wollten dein Klopfen ja ignorieren, aber du bist verdammt hartnäckig. Und dein Rhythmus hat nicht zu meinem gepasst."
Bevor ich verstehen konnte, was er gesagt hatte, fiel die Tür zurück ins Schloss und ich stand alleine auf dem leeren Hausflur.
„War nett, dich kennenzulernen", murmelte ich zu mir selbst und stieg langsam die Treppen hinab.
Unten angekommen, hatte sich meine anfängliche Verwirrtheit gelegt und ich machte mich gezielten Schrittes auf den Weg zu Matts Fitnessstudio. Es lag nur ein paar Straßen weiter. Wenn ich ihn dort nicht finden konnte, dann würde ich Morgen einen neuen Versuch starten.
Ein Teil von mir wünschte es sich sogar, denn die Angst vor der Konfrontation mit ihm und dem, was er sagen könnte, war höllisch groß.
Am liebsten wäre ich dem Ganzen aus dem Weg gegangen und hätte nie wieder einen Gedanken daran verloren. Doch ich hatte seine Gefühle verletzt und sein enttäuschter Gesichtsausdruck ging mir einfach nicht mehr aus dem Kopf.
Wenn ich wollte, dass er ein Teil meines Lebens blieb, dann war ich ihm eine Erklärung schuldig. Und das wollte ich.
Der Mitarbeiter am Eingang ließ mich mit einem freundlichen Lächeln ins Studio.
Da ich Matt häufiger abgeholt hatte, kannten mich hier fast alle. Um diese frühe Uhrzeit waren jedoch kaum Besucher da, um zu trainieren. Der richtige Andrang würde erst dann kommen, wenn alle Leute Feierabend machten.
So kam es, dass die meisten Geräte unberührt dastanden und die Gewichte, die normalerweise über die gesamte Trainingsfläche verteilt waren, ordentlich auf den dafür vorgesehenen Halterungen lagen.
Im Nebenraum hörte ich einige Laufbänder zurren und das gleichmäßige Aufprallen von Sportschuhen darauf. Doch von Matt war nirgends eine Spur. Allerdings hatte ich auch nicht erwartet, ihn hier zu treffen.
Wenn Matt trainierte, dann da, wo die schweren Eisen waren. Diesen Ehrgeiz hatte ich schon immer an ihm bewundert. Obwohl ihn niemand dazu verpflichtete, ging er bei seinem Training immer bis an seine Grenzen.
Als ich meinen Kopf durch die Tür des Freihantelbereiches steckte, sah ich ihn sofort. Er war allein und stand mit dem Rücken zu mir. Auf seinen Schultern bog sich die Langhantel unter der Last der Gewichte bereits durch, während Matt unbeirrt Kniebeugen ausführte.
Jedes Mal wenn er sich wieder hochdrückte, spannten sich die Muskeln an seinen Beinen an und die Sehnen traten hervor.
Sein Gesichtsausdruck war verbissen und ich konnte Wut in seinen Augen erkennen. Zwischen all den Gewichten hatte er sich schon immer gerne abreagiert. Sie waren seine Therapie. Und es beschämte mich, dass er heute meinetwegen hier war.
Matt hatte mein Eintreten nicht gehört. Leise Musik drang aus den Kopfhörern, die er trug, zu mir hindurch. Vorsichtig rückte ich näher an ihn heran. Als er mich im Spiegel erblickte, hielt er mitten in der Bewegung inne.
Kurz befürchtete ich, er würde mich ignorieren und einfach weiter machen. Doch dann legte er die Langhantel in der dafür vorgesehenen Vorrichtung ab, zog sich die Hörer vom Ohr und sah mir durch den Spiegel ins Gesicht.
Unsicher versuchte ich, seinem Blick standzuhalten. Doch als er sich schließlich zu mir umdrehte, ertrug ich seine stechenden Augen nicht mehr und senkte den Kopf, um meine Füße zu fixieren.
„Was hast du hier zu suchen?", forderte er zu wissen.
„Ich wollte mit dir reden", antwortete ich ihm kleinlaut. Noch nie war er so abweisend zu mir gewesen. Sein Verhalten, die ganze Situation, überforderte mich.
„Es gibt nichts zu reden Ewa. Du hast mit mir gespielt und wenn ich dich gestern nicht zufällig mit ihm gesehen hätte, dann hätte ich es vermutlich lange nicht erfahren."
Sein Vorwurf traf mich härter als erwartet. Ich hatte nie vorgehabt ihn derart zu verletzen. Mittlerweile wünschte ich mir, dass ich die Zeit zurückdrehen und alles ungeschehen machen könnte. Ich würde alles tun, damit Matt mich wieder so ansah, wie er mich noch vor ein paar Abenden angesehen hatte.
„Matt..."
„Vergiss es. Ich will es nicht hören Ewa. Ich wünsche euch Beiden, viel Glück."
„Wir sind kein Paar", platzte es aus mir heraus, bevor ich die Worte in meinem Mund festhalten konnte. Sofort verfluchte ich mich dafür.
Verständnislos sah Matt mich an.
„Und du glaubst, das macht es besser? Wie lange kennst du den Kerl schon?"
Jetzt war er näher an mich herangetreten. Sein zorniger Blick bohrte sich in mich und mein Gehirn suchte nach einer plausiblen Lüge, die mich aus dieser Lage befreite. Doch ich konnte einfach nicht lügen. Vor allem nicht vor ihm.
„Seit einigen Tagen", brachte ich schwer hervor. Ich wusste, was jetzt kommen würde und innerlich wappnete ich mich bereits dafür.
„Du kennst den Kerl erst seit ein paar Tagen", schrie er mich an. Vermutlich konnte gerade das ganze Studio unseren Streit hören.
„Du wirfst dich einem fremden Kerl gleich bei der ersten Gelegenheit an den Hals? Bravo Ewa. Hast du es wirklich so nötig gehabt?"
Die verachtenden und angeekelten Blicke, die er mir zuwarf, waren zu viel für mich. In mir spürte ich etwas zerbrechen. Plötzlich war ich wieder die alte Ewa und vor mir stand nicht Matt, vor mir stand Noah. Seine Worte hallten in meinem Kopf wieder und vor meinem inneren Auge sah ich das Bild von uns beiden. Noah wie er vor mir auf und ab ging, sich die Haare raufend. Entsetzt von meinem Wunsch nach einem leidenschaftlicheren, einfallsreicheren Sexleben. Ich hörte all die schrecklichen Dinge, die er mir an den Kopf geworfen hatte. Dass ich eine Schande sei. Dass ich mich aufführte wie eine triebgesteuerte Wilde. Was meine Eltern dazu sagen würden. Meine armen Eltern.
Wie hatte ich mich diesen perversen Wünschen nur hingeben können?
Schließlich hatte er so lange auf mich eingeredet, mich so lange bearbeitet, bis ich unter seinen Worten immer kleiner und kleiner geworden war. So lange, bis nichts mehr von mir übriggeblieben war.
Noah hatte sich nach diesem Gespräch lange von mir ferngehalten. Er hatte mir jeglichen Kontakt entzogen, bis er sich irgendwann erbarmte, und entschied, mir zu vergeben. Erst Jahre später hatte ich erkannt, dass sein Verhalten bloß eine andere Form der Unterdrückung gewesen war.
Von anderen Frauen hatte ich erfahren, dass vielen ähnliche Dinge geschehen waren. Fast überall war eine Frau die ihre Sexualität offen und mit mehreren Partnern auslebte verpönt, während ein Mann der Gleiches tut, bloß seinen Urinstinkten nachgibt um seine Gene möglichst weitläufig zu verbreiten.
Damals hatte ich mich nicht dagegen gewehrt. Doch ich hatte mir selber etwas geschworen. Noch einmal würde ich das nicht mit mir machen lassen.
Matts Stimme riss mich aus meinen Gedanken zurück in die Gegenwart.
„Darauf fällt dir wohl keine Antwort ein was? Herrgott Ewa. Von dir hätte ich so ein Verhalten am wenigsten erwartet. Schämst du dich denn nicht, dich aufzuführen wie eine Sch. ...."
„Wie eine Was Matt?", fiel ich ihm ins Wort.
„Los sag schon. Wie eine Schlampe. Ist es nicht das, was du sagen wolltest? Dass ich eine dreckige Schlampe bin? Ist es das, was du über mich denkst?"
Ich hatte ihm die Worte ins Gesicht gebrüllt und nun sah ich ihn herausfordernd an. Vor Wut zitterte ich bereits, doch ich würde nicht nachgeben.
„Was soll ich denn anderes über dich denken Ewa, wenn du dich so aufführst! Was erwartest du?"
Wie vor den Kopf gestoßen, starrte ich ihn an. Es war kein klares Ja gewesen, aber auch kein Nein. Trotz allem hatte ich erwartet, dass Matt einlenken würde. Nie hatte er so mit mir geredet. Mich so erniedrigt.
Als ich spürte, wie mir die Tränen kamen, drehte ich mich um und wollte das Studio fluchtartig verlassen. Doch Matt lief mir hinterher und hielt mich am Arm zurück.
Er zwang mich, ihn anzusehen und als er die Tränen sah, die meine Wangen benetzten, wurde sein Blick weicher.
„Ewa...", flüsterte er meinen Namen.
„Es tut mir leid. Ich wollte das nicht sagen. Ich denke nicht so von dir, ich war bloß so enttäuscht dich gestern mit ihm zu sehen. Vor zwei Tagen erst haben wir uns im Café ausgesprochen und ich dachte..."
Doch ich ließ ihn nicht ausreden, denn ich war nicht bereit diese Entschuldigung anzunehmen. Zu sehr hatten seine Worte mich getroffen. Zu viel zwischen uns kaputt gemacht.
„Du dachtest was, Matt? Du dachtest, weil du Gefühle für mich hast und dir eine Beziehung mit mir vorstellen kannst, bin ich verpflichtet, es dir gleichzutun? Denkst du wirklich, dass es so selbstverständlich ist? Ich bin dir nichts schuldig Matt! Weißt du, was mich an der ganzen Sache stört, was mich schon von Anfang an gestört hat? Du hast mich ausgewählt und damit hat sich die Sache für dich erledigt. Aber ich will mich nicht damit begnügen, dass ich von einem Mann als seine Partnerin ausgewählt wurde und mich damit zufriedengeben."
Ich hielt inne und ließ die Worte sacken. Wie unheilverkündende Schwaden hingen sie zwischen uns.
Ich holte tief Luft und sammelte all meinen Mut, für meine nächsten Worte.
„Ich werde mich nicht einfach aussuchen lassen. Ich werde mir den Mann an meiner Seite selber wählen. Und ich habe dir nie versprochen, dass du es sein wirst."
Ich konnte sehen, wie die Worte ihn trafen, wie sie etwas in seinem Inneren zum Zerbrechen brachten, genau wie er es vorher bei mir getan hatte. Es schmerzte mich. Sehr.
Doch es war die Wahrheit. Und nachdem ich endlich gesagt hatte, was gesagt werden musste, fühlte ich mich um eine schwere Last erleichtert.
Ohne auf seine Antwort zu warten, drehte ich mich um und ging.
Dieses Mal versuchte er nicht,mich aufzuhalten, und er ging mir auch nicht hinterher.
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