9 - Verloren
Der Wind wehte inzwischen wieder und auch die Tannenzweige am Wegesrand bewegten sich. Die Gefahr hatte alles Gespenstische mit sich genommen.
Es hatte aufgehört zu schneien, doch der Wind blieb weiterhin stark und kräftig.
"Waffe fallen lassen", befahl eine tiefe Stimme, die mir so gleich bekannt erschien und mir den nächsten Stein in meinen Magen beförderte.
Auch wenn ich es nur widerwillig tat, ließ ich meinen Dolch in den Schnee fallen und rührte mich ansonsten nicht weiter von der Stelle.
Nun fühlte es sich für mich wirklich so an, als wäre ich eingefroren. Eins mit dieser Landschaft. Ich realisierte nach und nach, was gerade eben passiert war - und dass ich alleine war. Dass offentsichtlich niemand von den anderen es geschafft hatte.
Ein Zittern durchfuhr meine mittlerweile durchgefrorenen und steifen Glieder.
Die Pfeilspitzen senkten sich und das nächste, was ich erblickte, war ein weißer Umhang und ein grauer Fellkragen, der sich um seine breiten Schultern legte.
Ich schaute nicht auf in sein Gesicht, da ich allmählich erahnte, wer sich dort vor mir befand.
"Durchsucht sie nach weiteren Waffen", ordnete jemand hinter mir an. Und auch diese Stimme war mir vertraut, wenn auch erst seit Kurzem.
Sind sie uns etwa vorhin bis hierher gefolgt? Oder warum waren sie zu dieser Zeit an diesem Ort? Welchen Sinn machte es, uns oder besser gesagt, mich aus dieser misslichen Lage zu befreien? Ein Problem weniger für das Königreich Othello - oder?
Diese und weitere Fragen jagten sich in meinem Kopf, überschlugen sich und ließen mich fast weiße Flecken am Rande meines Blickfeldes sehen, während ich von allen Seiten an meinen Armen, Beinen und Hüften von Händen gründlich abgetastet wurde.
Schließlich schienen sie zu bermeken, dass der nun im silbrigen Mondlicht funkelnde Dolch das Einzige ist, was ich noch hatte.
Im wahrsten Sinne.
"Wie es aussieht, seid Ihr die Einzige, die noch von diesem Haufen übrig geblieben ist - lehrt das Königreich Faragoth nur den Prinzessinnen das Kämpfen oder wie darf man das verstehen, hm?" Auch wenn der Tonfall sanft war, so war er widerum abfällig und belustigt zugleich. "Ich meine, weswegen hattet ihr die ganzen Wächter mit? Etwa zu Dekorationszwecken?"
Schallendes Gelächter und zustimmendes Gemurmel ertönte im Hintergrund.
Weswegen ich nun doch den Kopf in den Nacken legte. Ein silbernes und ein helles türkises Auge starrte zu mir herunter, die platinblonden Haarspitzen trieb der Wind ihm auf die Schläfen.
Junis.
Junis betrachtete mich kurz, blickte dann aber über meinen Kopf hinweg. "Du hattest recht, Auris. Sie wäre eine größere Bedrohung gewesen als diese zarte und törichte Gestalt von Bruder."
"Redet nicht so von Leronel", fuhr ich ihn an. Im selben Moment merkte ich, was ich da eigentlich tat und biss mir auf die Wangeninnenseiten, um mich an das Weiterreden zu hindern.
Das Knirschen von Schnee unter Stiefeln. Jemand trat neben Junis und als ich die blitzenden türkisen Augen erblickte, war mir klar, dass es sich nur um Auris handeln konnte. Seine bis zu dem Kinn reichenden weißblonden Haare waren unter der weißen Kapuze im Schatten versteckt, einzelne helle welligen Strähnen lugten hervor.
Auris sagte nichts, als er zu mir vortrat und eindringlich mein Gesicht musterte. Instinktiv wusste ich, dass er den Schnitt auf meiner Wange in Augenschein nahm. Ohne einen weiteren Kommentar abzugeben, trat er wieder zurück, schüttelte nur mit ausdrucksloser Miene den Kopf und entfernte sich von mir. "Bedrohung hin oder her", sprach er schließlich. "Lasst uns sie mitnehmen und mit Ovaris reden. Vielleicht weiß er, was wir nun mit ihr anfangen."
"Mit mir anfangen?", wiederholte ich entgeistert mit geweiteten Augen, doch niemand der anderen beachtete mich. Ich wurde behandelt, als wäre ich Luft.
Jemand packte mich von hinten an meinem Oberarm und wollte mich in eine Richtung zerren, doch ich riss mich grob los und stolperte dabei fast noch. Jedoch dauerte es nicht lange, da griff einer der Wächter nach meinem anderen Arm und diesen konnte ich mich nicht so schnell entziehen.
Mit zusammengebissenen Zähnen versuchte ich es dennoch. "Lasst mich bitte los. Wir können doch nicht einfach so von hier verschwinden - was ist mit den anderen? Sie sind einfach verschwunden, ich kann doch niemanden hier in diesem herrenlosen Wald lassen... Das geht doch nicht!"
Junis wechselte mit Auris einen Blick, ein paar der Wächter grinsten in sich hinein.
Auris stieß nur wieder genervt die Luft aus - bevor er den Wächtern neben mir mit einer Handbewegung bedeutete, dass sie mich loslassen sollten.
Fast wäre ich auf meinem Hintern gelandet, so sehr hatte ich mich gegen ihre Griffe gewehrt. So konnte ich mich rückwärts stolpernd gerade noch abfangen.
Junis kommentierte dies nur mit einem amüsierten Blick.
Wahrscheinlich fragte er sich tief im inneren, wie ich es in meiner Verfassung überhaupt geschafft hatte, so lange hier durchzuhalten.
"Eure verehrte Hoheit", setzte Auris entnervt und sogleich überheblich an, seine Augen glänzten im Licht wie zwei polierte Edelsteine. "Jeder, der hier gerade von den Imaren getötet oder verschleppt wurde, ist verloren."
Verloren.
Das Worte hallte in meinen Kopf nach wie ein elendiges Echo.
"Verloren?", wiederholte ich rau. Es fühlte sich an, als würden kalte Finger nach meinem Herz greifen, alleine nur bei dem Gedanken daran, dass alle anderen weg waren. Leronel, Sir Kardivan und alle anderen - einem Schicksal ausgeliefert, in dem sie verloren waren?
Als die Wächter wieder nach meinen Armen greifen wollten, um mich erneut mit ihnen mitzuziehen, wehrte ich mich erneut. "Fasst mich nicht an", fauchte ich und war froh, dass ich nach dieser unheilvollen Information nicht einfach in eine Schockstarre verfiel. "Was heißt bitte verloren?"
Junis schwang sich in einer einzigen eleganten Bewegung auf ein graues, anmutig aussehendes Pferd. "Man kann nichts mehr für sie tun", antwortete er teilnahmslos, ohne jegliche Emotion. Abgeklärt. Als würde er darüber reden, dass die Tanne hinter auch noch morgen dastehen würde. "Sie existieren noch, aber allein die Imare entscheiden über sie. Und egal, was sie entscheiden, niemand ist mehr zu retten. Selbst wenn man sie befreien würde - sie wären nicht mehr die gleichen wie vorher."
Oh Gott.
Keine Rettung mehr?
Die Erkenntnis schnürrte meine Kehle zu und mir wurde übel. "Das... das geht doch nicht, ich meine - entweder ist jemand tot oder er ist es nicht. Was sollen diese Dinger...", ich betonte Dinger absichtlich abfällig, "... da noch groß ausrichten können? Ist das Wort Imare außerdem ein Oberbegriff für ein gewalttäiges Volk in eurem Land? Nennt ihr etwa Räuber hier so?"
Wahrscheinlich reagierte ich so, weil ich alles einfach nicht glauben konnte. Es ging einfach nicht in meinem Kopf hinein, dass wir eben gerade noch auf ihrer Festung waren, ich mich dann in der Kutsche mit Leronel gestritten habe, zu Sir Kardivan hinausgegangen sind und überfallen wurden. Und nun sollte niemand von ihnen noch zu retten sein? Verloren sein?
Meine Übelkeit wurde stärker und die Kälte, die mich ergriff, kroch mir bis in die Knochen.
Auris musterte mich ausdruckslos - so, wie er es vorhin schon getan hatte. Allerdings erwiderte er nichts darauf, was ich gesagt habe. Er schwieg eisern vor sich hin und befestigte sich den Bogen auf seinen Rücken, ehe er sich umdrehte und nach den Zügeln eines großes weißen Pferdes griff. "Wir haben keine Zeit für Geschichtsstunden", warf er mir schließlich abweisend über seine Schulter hinzu. "Entweder Ihr kommt jetzt mit uns mit oder aber Euch wird das gleiche Schicksal ereilen wie Eure Begleiter."
"Immerhin ist die Wahrscheinlichkeit dann größer, dass mir einige Fragen beantwortet werden", schoss ich genervt von dem ganzen Geschwafel von irgendwelchen Imaren, das ich nicht verstand, zurück.
Der Wächter links von mir grinste Junis an, worauf dieser schnaubte. "Ein Dankeschön wäre an Eurer Stelle angebracht, kein lästiges Herumgezicke."
Ich biss mir auf die Zunge, weil mir gleich das nächste dazu einfiel, doch ich musste einsehen, dass Junis recht hatte.
Ich habe es tatsächlich geschafft mit einem AI Generator die wichtigsten Charaktere in diesem Buch nach meinen Wünschen generieren zu lassen 😱jetzt muss ich mich nur noch um die Quellenhinweise und Nutzungsrechte informieren, dann könnte ich diese Bilder vielleicht hier hochladen.
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