Kapitel 61
[Menuet No. 1; Toshifumi Hinata]
~Eine einsame Geige~
Die Gäste hatten sich gesetzt. Alle Blicke waren aufmerksam auf den Altar gerichtet, der wunderschön geschmückt war. Die Hochzeit war nicht christlich, doch sie war an griechische Feste angelehnt worden und somit mit passenden Elementen verziert worden.
Atlas stand dort, wartend. Die Gäste flüsterten noch untereinander und tuschelten. Sie warteten ebenso wie Atlas, der zwar leicht nervös wirkte, doch auch einen leichten Trauerschleier in seinem Blick trug, den man nur durch sehr genaues Beobachten erkennen konnte.
Casmiel stand von seinem Platz auf und ging nach vorne. Er nickte seinem Cousin leicht zu und ging dann an ihm vorbei zu einem kleinen Stuhl, auf dem ein Violinenkasten lag.
„Meine Damen, Herren und welchen Ausdruck es auch immer für die gibt, die sich nicht mit diesen beiden Rollen identifizieren wollen. Ich freue mich heute als Ihr Gastgeber zu fungieren und mich im Namen der Tripes für euer Kommen zu bedanken. Danke an die Assassinen-Familien, die einen weiten Weg auf sich genommen haben, nur um ein Teil dieser Hochzeit zu sein und danke auch an den Widerstand und dessen Anführer Theseus und Liope. Danke für euer Kommen" er nickte den angesprochenen Parteien zu und fuhr mit seiner ruhigen Stimme fort.
„Ich neige oftmals dazu etwas zu ausschweifend zu werden bei solchen Reden, das weiß der Widerstand bereits gut genug. Ich habe immer ausschweifende Reden gehalten und die Aufmerksamkeit damit auf mich gezogen. Darin war ich schon immer gut, doch ich denke, das ist eben ein Aspekt, den die Tripes so an sich haben" begann er seine Anfangsrede nur locker und verspielt. Ein charmantes Lächeln zierte seine Lippen, wie immer, und seine Stimmung schien entspannt.
„Wir Tripes sind besondere Menschen. Wir sind reich und doch kann es nie genug sein. Wir wollen immer mehr, da wir uns nicht mit einem Teil zufriedengeben. Bei uns heißt es Alles oder Nichts. Und Atlas bekommt Alles. Denn er wird heute eine wahrlich atemberaubende Frau heiraten. Eine Frau, die ebenso intelligent wie auch stark ist. Eine Frau, die es definitiv nur einmal auf dieser Erde gibt, denn mehr von ihrer Sorte würde wohl die Apokalypse bedeuten" mit diesen Worten brachte er die Leute zum Lachen und sogar Atlas Miene wurde etwas leichter.
„Nun. Ich denke wir alle kennen Asperia Salem. Ich muss also nicht mehr über sie erzählen, als bereits gesagt wurde. Dafür habe ich später definitiv noch genügend Zeit, wenn es tatsächlich der rechte Ort für derartige Erzählungen und den Alkohol ist" erneut konnte man leises Gekicher vernehmen und Casmiel lächelte charmant.
„Doch ich stehe heute nicht nur als Tripe hier. Auch nicht als Gastgeber oder Redner. Nicht einmal als Musikant. Heute stehe ich hier als ein Freund. Ein Freund dieser einzigartigen Frau, die zu einem Teil der Tripe-Familie werden soll. Ein Teil meines Blutes und damit ein Teil meiner Verantwortung. Und ich schwöre bei den Göttern, ich schwöre bei allem, was mir heilig ist und auf meinen Namen, dass ich Aspen mit meinem Leben beschützen werde. Denn sie ist nun Teil eines Ganzen und ein wahrer Tripe gibt sich nur mit dem Ganzen zufrieden."
Nach diesen wunderschönen Zeilen war es einen Moment lang still. Er ließ die Worte in die Köpfe der Anwesenden einsickern und nutzte die Stille als einen Moment der Übersicht.
Er sah seinen Vater, der ihm leicht zunickte und somit seiner Rede zustimmte. Er sah Edan, der schief grinste und etwas zu seiner Frau flüsterte, die nur spielerisch die Augen verdrehte und selbst leicht lächelte. Er sah Theseus, der ihm ermutigend zunickte.
Und er sah Aspen, die die Türe leicht geöffnet hatte, um leicht in den Saal zu blicken und ihm ein gerührtes Lächeln zuwarf.
„Aber genug der schönen Worte. Ich weiß, damit kann ich gut umgehen und ich wette, ich könnte Sie auch den ganzen Abend noch mit diesen Worten unterhalten, doch auch ich muss mein Rampenlicht manchmal abgeben. Schließlich werde nicht ich heiraten, sondern Atlas" er ging langsam zum Stuhl, auf der der Violinenkasten lag und öffnete diesen.
Ein edles Instrument lag darin. Saiten, so dünn aber doch robust wie Stahl, die jedoch Klänge des Himmel von sich geben konnten. Einen geschwungenen Körper, der in einem angenehmen rot-braun leuchtete und goldenen Verzierungen. Dolores.
Diese Violine begleitete Casmiel schon so lange. Seitdem seine erste und beste Freundin in seinen Armen gestorben war und nichts anderes zurückgelassen hatte als eine Erinnerung, eine unfassbar nervige Halluzination und eine Violine.
Ihre Violine.
Handgefertigt und wunderschön. Ein einzigartiges Exemplar, von dem es definitiv nicht noch mehr gibt. Es ist etwas besonderes und eine ewige Erinnerung an ein Mädchen, dass die Welt verändern hätte können, wenn sie doch nur länger gelebt hätte.
Ein Mädchen, dass die Welt verändert hatte, da sie Casmiel verändert hat.
Er nahm sie in seine Hände und legte sie an sein Kinn. Das Holz war nicht kalt und nicht warm. Es schien sich an seine Körpertemperatur anzupassen, als würden Violine und Mensch verfließen und eine perfekte Komposition hinterlassen.
„Dieses Lied ist für Aspen. Für eine einzigartige Frau und eine einzigartige Freundin. Meine einzigartige Freundin" mit diesen Worten legte er den Bogen an und ließ die erste Note erklingen.
Es war ein süßer Ton, der in der großen Halle ein angenehmes Echo hinterließ und somit jede Ecke beschallte.
Casmiel spielte die Melodie und ließ sich mit den Tönen fließen. Die Darmsaiten machten den Klang zwar etwas leiser, doch auch weicher und fließender. Der gigantische Raum trug die Töne über die Anwesenden und ließ jeden Teil haben, an Casmiels Talent.
Dolores klang wie immer einfach atemberaubend und Casmiel fühlte sich sofort viel wohler. Die Geige an seiner Schulter fühlte sich warm an, als hätte Dolores ihre Hand auf ihn gelegt, um ihn zu unterstützen, während er diese Klänge spielte, die nur von einem Klavier in einem Walzertakt begleitet wurden. Ansonsten war er allein und die Violine klang etwas einsam, doch ebenso eindrucksvoller, da es schien, als würde sie den gesamten Saal einnehmen.
Währenddessen wurden die gigantischen Türen aufgestoßen und die Menschen drehten sich fast schon synchron um.
Dort stand Aspen in einem langen, schwarzem Kleid, dass einen langen Schleier besaß, der hinter ihr schleifte. Ihr Gang war aufrecht und galant, mit einer gewissen kühlen Distanz, die ihre Augen gefährlich leuchten ließ.
Als Theseus sie so sah, wie sie auf dem roten Teppich, der mit weißen Blütenblättern übersäht war, ging und ihr Kinn leicht angehoben hielt, ihre Brust reckte und so stolz und unerreichbar wirkte wie eine Statue, wusste er, dass selbst diese Hochzeit nicht bedeuten würde, dass Aspen ihre Freiheit verlor.
Sie hatte ein Zeichen gesetzt. Denn sie trug schwarz.
Das teure, weiße, perlenbesetzte Kleid, dass sie eigentlich hätte tragen sollen, war ausgewechselt worden gegen ein vollkommen anderes, dass jedoch nicht weniger schön war.
Es betonte ihre Taille und ihr Dekolleté und ging dann in einen weiten Rock über, der sogar noch am Boden schleifte, doch ihr Oberkörper war von einem geschnürten Korsett hervorgehoben.
Ihre schwarzen Haare waren nicht, wie eigentlich geplant, in einem schönen Dutt gebunden, sondern offen und wild wie immer, als wäre sie gerade aus einer Schlacht zurückgekehrt. Als würde sie über Leichen gehen, die ihr zum Opfer gefallen waren.
Aspen trug schwarz an diesem weißen Tag. Sie trug schwarz zu ihrer Hochzeit und ließ es somit wirken, wie eine Beerdigung.
Vielleicht wollte sie das damit aussagen. Es war schließlich der Tod ihrer Unabhängigkeit. Sie würde nun ein Teil der Tripes werden und damit auch ein Teil von Charon. Sie würde zerstört werden, nur um unverletzbar zu werden. Sie würde zu einer perfekten Erbin werden. Einer perfekten Tripe.
Doch mit diesem Kleid erklärte sie etwas ohne Worte. Sie erklärte, dass sie noch nicht zu den Tripes gehörte. Das sie noch ihren eigenen Willen besaß und noch immer eine Salem war. Das sie nicht perfekt war und es vielleicht niemals sein würde.
Sie sagte so viel mit dieser Tat und doch blieben ihre Lippen versiegelt. Denn kein Wort konnte die Gefühle erklären, die Aspen im Moment fühlte.
Casandra drehte sich leicht zu Charon, ohne Aspen aus dem Blick zu verlieren.
„Bist du dir sicher, dass du sie besiegen kannst, Charon? Sieh sie dir an. Wie ein Diamant. Ebenso schön wie unzerstörbar."
Auch Charon ließ Aspen nicht aus seinem Blick und bei Casandras Worten zogen sich seine Mundwinkel nur leicht nach oben und ein wissendes Lächeln erschien auf seinem Gesicht.
„Du warst auch ein Diamant. Schön und unzerstörbar, wie du es nennst. Und doch habe ich dich mit meiner bloßen Hand in Staub verwandelt. Es gibt nichts, das sich mir in den Weg stellen kann. Auch Aspen nicht" war seine einfache und doch so kalte Antwort.
Casandras Blick fiel auf den einsamen Violinspieler, der am Altar stand und Aspens Auftritt mit seiner wunderschönen Musik begleitete.
„Einen gibt es. Das Monster, das du erschaffen hast, Charon. Du hast ihn zu Staub zermahlen und nun fließt er durch deine Hände. Du verlierst ihn langsam. Du hast zu viel getan, Cherie. Du hast deinen eigenen größten Feind erschaffen. Deine perfekte Antivalenz. Du hast dein eigenes Ende bereits geschrieben und es wird nicht mehr viele Seiten brauchen, bis wir dort ankommen, wenn du dich nicht beeilst und das hier irgendwie in Ordnung bringst. Ansonsten siehst du dabei zu, wie dein Reich zugrunde geht und du wirst mit ihm untergehen" sagte sie nur leise, doch sie wusste, dass Charon genau zuhörte.
„Du hättest aufhören sollen, als du noch konntest. Dein perfekter Plan war etwas zu gut. Du hast dich überschätzt. Denn wir Tripes sind nicht unsterblich und nicht unbesiegbar. Wir sind nur gut darin unsere Schwachstellen zu verstecken. Doch wenn du gelernt hast, diese hinter einer Mauer zu halten, dann kennst du sie auswendig und irgendwann wünscht du dir nichts mehr als diese Mauer zu zerstören und die Schwachstelle zu nutzen. Du willst nicht mehr blind Befehlen befolgen und dein eigenes Glück für das allgemeine Wohl der Familie aufgeben. Du willst frei sein, leben, du selbst sein. Deshalb wirst du Cas verlieren. Du wirst ihn verlieren und damit auch den Krieg. Also lerne, Charon. Lass nicht zu, dass er dich übertrumpft. Werde keine Figur auf Casmiels Schachbrett."
Mit diesen Worten drehte Casandra sich um und sah zu Casmiel.
Sie legte den Kopf leicht schief und musterte seine Gestalt. Seine wunderschönen, weiß-blonden Haare. Das leicht feminine Gesicht mit den scharfen Zügen und den sanften Abrundungen. Diese langen Wimpern, die auf dem geschlossenen Lid lagen und seine tiefen, dunkelblauen Augen versteckten. Seine Emotionen, seine Liebe, seine Passion, die er in das Spiel mit dieser ganz besonderen Geige steckte.
Er war Perfektion. Er musste Perfektion sein. Casandra wusste, was es hieß, eine Spielfigur zu sein, von fremden Händen gelenkt zu werden und keine eigenen Worte zu sprechen. Sie wusste es schon, seitdem sie ein kleines Mädchen war und nur etwas Freiheit wollte.
Sie hatte gewusst, dass Charon diese Freiheit versprach. Sie hatte gewusst, dass er ihr diese Freiheit beschaffen konnte. Also hatte sie einen Pakt mit dem Teufel geschlossen und ihre Seele verloren. Behalten durfte sie nur ihre Schönheit, die sie nutzte, um über den Verlust ihrer Seele hinwegzukommen. Ihre Schönheit konnte ihr nämlich nicht genommen werden. Nicht von ihm. Er brauchte ihre Schönheit und solange er diese brauchte, konnte er ihr diese Maske niemals wegnehmen. Er konnte ihr niemals ihren einzigen Schutz nehmen. Das einzige Merkmal, dass sie nützlich machte, damit er sie nicht einfach loswerden würde, wie Ballast von einem Heißluftballon.
Er hatte ihr bereits alles genommen. Ihre Freiheit, ihre Stimme und ihre Liebe. Doch ihre Schönheit war kostbar für ihn. Solange sie schön war, wurde sie auch gebraucht. Sie durfte nicht nutzlos werden. Niemals.
Deshalb musste Casmiel perfekt sein. War er perfekt, hatte sie einen guten Job gemacht und war nicht nutzlos. War er perfekt, war sie es auch. War sie perfekt, so waren es die Tripes. Und sie mussten perfekt sein. Weniger als perfekt war nicht erlaubt. Nicht richtig.
Deshalb musste Casmiel perfekt sein. Denn war er es nicht, würde alles fallen und mit ihm auch sie. Wie Ballast von einem Heißluftballon.
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