Kapitel 36
[In guten, wie in schlechten Zeiten]
~Bis das der Tod uns scheidet~
Zerstören. Das hatte Charon gesagt.
Zerstören, nicht töten.
Er wollte nicht Aspens Leiche sehen. Er hatte kein Interesse an ihrem Kopf.
Er wollte nicht ihren Tod, er wollte ihre Vernichtung.
Casmiel wusste nicht mehr, was nach dieser Unterhaltung geschehen war. Er hatte es ausgeblendet, wie er es früher oft getan hatte.
Manchmal sogar Tage lang. Es war, als hätte seine Seele seinen Körper einfach verlassen und war in tiefe Fernen geschwebt. Als hätte er sich selbst sehen können, als würde er neben sich selbst stehen.
Doch dieses Mal waren es nicht Tage, die er in seiner eigenen, grauen Hülle verbracht hatte. Es waren nur ein paar Momente gewesen und er fand sich in seinem Zimmer wieder.
Die Türe hatte er scheinbar wieder geschlossen und die Türklinke noch nicht einmal losgelassen. Er hielt sie fest, als wäre es sein einziger Anker in der Realität.
Langsam sank er nach unten. Seine Beine fühlten sich schwach und nutzlos an, sie gaben einfach auf und bremsten seinen Fall nur ab, sodass er seinen Rücken gegen die Tür lehnen musste und langsam gen Boden rutschte.
Seine Knie waren aufgestellt, seine Arme um seinen Körper geschlungen und er vergrub seinen Kopf zwischen seine Knie. Er wollte nichts hören, nichts sehen und nichts fühlen. Er wollte nicht immer wieder die beiden Seiten hören, die sich in seinem Kopf stritten.
Er wollte Theseus sanfte Stimme ausblenden, die ihm sagte, er liebe ihn. Er wollte Aspens liebevolle Drohungen und spielerischen Beleidigungen vergessen, die ihn niemals getroffen hatten. Er wollte verhindern, die Stimme seines Vaters zu hören, die ihm immer wieder einflüsterte, was er alles falsch machte und was er ihm schuldete.
Ich will, dass du Asperia Salem zerstörst
Diese Worte jagten einen Schauer über Casmiels Rücken.
Er war zu schwach. Er konnte diese Bitte nicht erfüllen. Alles, nur nicht das.
Zerstören. Er wollte nicht, das Asperia zu einem Monster wie ihm wurde. Er konnte nicht mit ansehen, wie jemand anderes wie er endete. Er wollte nicht.
Doch wenn er diesen Auftrag nicht übernehmen würde, was dann?
Würde Charon es übernehmen? Würde Charon sie zerstören, wie er es mit jedem seiner Kinder getan hatte? Wie er es gerade mit Icarus tat?
Bei den Tripes bedeutete Zerstörung mehr als für andere. Es ging darum, einen Menschen so zu manipulieren, das er tat, was man von ihm verlangte, ohne das er sich weigerte oder kämpfte.
Casmiel war zerstört worden. Aber auch Charon. Alle Tripes hatten diesen Prozess hinter sich, damit sie nicht von anderen zerstört werden könnten.
Es war eine Taktik. Eine Strategie, die zu gut funktionierte, um ihre unmenschlichen Anforderungen zu ersetzten. Schließlich hatte sie bisher genau das getan, was sie tun sollte:
Ordnung schaffen. Perfektion.
Aber Asperia war keine Tripe. Sie war eine Salem und musste diesen Vorgang nicht durchmachen. Sie musste nicht perfekt sein, für ihre Familie war sie das bereits. Für Helio war sie es und für Liope. Sogar ihre Mutter, die sie mit ihren eigenen beiden Händen umgebracht hatte, war stolz auf sie gewesen.
Casmiel brauchte diese Reparatur. Er war nicht perfekt. Er hatte Stolz nicht verdient.
Aber Aspen war noch nicht kaputt. Sie musste nicht zerbrochen werden, um perfekt zu sein. Sie war es bereits. Also wieso musste sie...
Charon wollte sie zu einer Tripe machen.
Casmiel war ein Idiot. Wie war er nicht schon zuvor darauf gekommen? Jetzt ergab alles Sinn.
Er suchte eine gute Partie für Casmiel, seinen einzigen Sohn, der die Tradition aufrecht erhalten konnte. Es gab noch Atlas, seinen Cousin, aber er war nicht Charons Sohn. Achill war ein Mann, der Traditionen lieber erneuerte und er befand es nicht als nötig, Atlas zu zerstören. Er liebte ihn zu sehr um ihn dieser Prozedur auszusetzen.
Also warum wurde Casmiel nicht geliebt?
Wieso waren alle außer er auch ohne diese Qual perfekt?
Wieso er nicht?
Sein Vater wollte nur das Beste für ihn. Er wusste es. Schließlich sagte er es ihm immer wieder und Charon log nicht. Nicht, wenn es nicht nötig war und Casmiel seine Liebe auszudrücken war nicht unbedingt nötig.
Aber jetzt ging es nicht um ihn. Sondern um Asperia und ihre Zukunft.
Charon wollte das Bündnis der Salems und der Tripes also endlich verfestigen, indem er seinen ältesten Sohn mit Helios ältester Tochter verheiratete.
Deshalb wollte Charon Zerstörung. Deshalb wollte er Aspen perfektionieren.
Sie musste eine wahre Tripe werden, bevor sie den Namen annehmen offiziell annehmen konnte. Sie musste ihm würdig werden.
Das war das Problem bei den Tripes.
Sie waren ein reiches und bekanntest Haus. Ein altes noch dazu und bekannt für gute Taten aller Art. Casmiel war bekannt für seinen Wiederstand gegen die Arena und sein Dasein als Phoenix.
Charon für seine Intelligenz und Macht.
Achill für seinen erfolgreichen Handel.
Casandra Tripe für ihre Ehe mit dem Präsidenten, auch wenn sie ihren Nachnamen ablegen hatte müssen.
Er hatte sie alle so lange nicht mehr gesehen. Vielleicht wäre es wieder einmal Zeit für ein Familientreffen.
Er fragte sich, wie es Casandra ging.
Wie es Atlas ging. Er hatte ihn das letzte Mal als Kind gesehen. Als kleines Kind, das noch so viel zu lernen hatte während Cas ihn immer bewundert hatte.
Er bezweifelte, dass Onkel Achill ohne driftigen Grund kommen würd-
Gründe. Eine Hochzeit. Der perfekte Grund für ein Treffen der Familie.
Ohne wirklichen Grund könnte Casandra bestimmt nicht zu einer Veranstaltung, die von Charon Tripe ausging. Sie war beim Präsidenten in der Arena, die gerade versuchte diese Krise zu überstehen, eine Krise, die von Charon Tripe ausgelöst worden war.
Somit schlug Charon zwei Fliegen mit einer Klappe. Aspen würde keine Gefahr mehr für ihn darstellen und die Familie würde sich sammeln.
Deshalb erhob Casmiel sich aus seiner pathetischen Position am Boden und ging mit hastigen Schritten zurück zu dem Raum, in dem er mit seinem Vater gesprochen hatte.
Er schlug die Türen auf und seine Schuhe hallten in dem großen Raum wider. Charon sah weder überrascht noch wirklich entsetzt aus, eher amüsiert und gespannt.
„Du willst sie mit mir vermählen! Du willst endlich einen bindenden Pakt mit den Salems eingehen und somit auch den Clan der Assassinen ins Spiel bringen. Du willst die Familie versammeln und deinen letzten, vernichtenden Schlag verrichten!" beschuldigte Casmiel ihn mit mehr Energie als er die letzten Wochen hatte aufbringen können. Aber es ging nicht um seine Zukunft, sondern um die von Aspen, eine seiner besten Freunde.
„Ich dachte du würdest schneller drauf kommen, Casmiel. Und dann hast du es noch nicht einmal richtig. Ich bin enttäuscht" tadelte Charon seinen Sohn nur mit einem belustigtem Glänzen in seinen intelligenten, dunkelblauen Augen.
„Was habe ich vergessen?" fragte Casmiel nur verwirrt. Er hatte alles bedacht, seine Formel sollte eigentlich perfekt, wenn auch noch unausgereift sein. Er kannte den finalen Schlag seines Vaters noch nicht und auch nicht seine Ziele, doch er wusste, dass seine Deduktion richtig sein sollte.
„Du bist nahe dran, das gebe ich zu. Doch du bist mal wieder viel zu selbstzentriert, wie immer. Du bist nicht die Sonne, Cassy. Nicht alles dreht sich um dich" lachte er nur leicht und Casmiel sah beschämt zu Boden. Er war arrogant. Ein arroganter, egozentrischer Mistkerl. Natürlich hatte sich nichts verändert.
„Ich kläre dich dann mal auf. Ich will Asperia in die Familie einheiraten. Sie ist eine beeindruckende junge Frau und eine gute Partie. Helio hat dem bereits zugestimmt, auch wenn er seine Tochter fragen will. Töricht. Schwache Erziehung. Aber wie auch immer. Ich will die Familie wieder beisammen haben, du hast recht. Aber auch wenn es eine Hochzeit wäre, würde mein Bruder seine kostbare Zeit nicht mit emotionalen Themen verschwenden. Außer..." er deutete auf Casmiel, der nun seinen Fehler realisierte.
„Außer es geht um Atlas. Du willst Aspen mit Atlas vermählen, nicht mit mir. Ich soll Aspen nur dazu bringen, dem zuzustimmen...mit meiner Kraft" beendete er Charons Erklärung leise, der nur bestätigend nickte und mit seinen Schultern zuckte.
„Was man nicht alles tut, um einflussreich zu sein. Du verstehst das doch, oder Casmiel? Du verstehst das Macht an erster Stelle steht. Nach Familie jedenfalls. Doch wenn du deine Familie stolz machen willst, musst du Macht besitzen. Ein ewiger Kreislauf, der die Tripes groß gemacht hat. Ich hoffe doch sehr, du weißt, das du eine große Rolle spielst, mein Sohn. Enttäusche mich nicht" sagte Charon nur mit seinem charmanten Lächeln auf den schmalen Lippen, bevor er Casmiel alleine in dem großen Raum ließ, als hätte er nur auf ihn und seine Realisation gewartet.
Casmiel war wie erstarrt. Er wusste nicht, was er tun sollte. Hatte keine Orientierung.
Sollte er Aspen warnen? Sollte er seinem Vater vertrauen und den Auftrag ausführen?
Er war gefangen zwischen zwei Seiten.
Sollte er seine Freunde oder seine Familie beschützen?
Familie oder Freunde?
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