Kapitel 19
[Familientreffen]
~Versuchter Mord zerstört viele Familien, aber nicht diese~
Aspen wischte sich das Blut von der Wange und sah zu Liope, der ebenso wie sie, die Wachen unfähig gemacht hatte. Manche waren tot, andere nur bewusstlos, aber selbst wenn einer der Wachen noch bei Sinnen wäre, würde er bestimmt nicht noch einmal aufstehen und sich den beiden Geschwistern stellen. So viel war sicher.
„So viele Wachen auf einem Fleck. Wir sind hier also richtig" analysierte Liope und auch Aspen hatte bereits bemerkt, das hier die Sicherheitsmaßnahmen erheblich besser waren, als bei den restlichen Zellen, um die sich Alcyone und Clover kümmerten. Anndrais, Clarence und Milany waren währenddessen für die richtige Flucht der Gefangenen verantwortlich. Aspen war sich sicher, dass Milany sich etwas einfallen lassen würde. Einen wirklichen Plan gab es nämlich nicht.
„Da" Aspen deutete auf einen Gang, an dessen Ende eine massive Stahltür stand. Das musste Theseus' Zelle sein. Sie war sich sicher. Ihre Intuition sagte es ihr.
Liope nickte nur und zusammen gingen sie auf die Türe zu. Ihre Sinne waren geschärft, ihre Aufmerksamkeit vollkommen auf ihre Aufgabe gerichtet. Ihre Schritte gaben keinen Ton von sich und sie näherten sich langsam aber selbstsicher der versperrten Zelle.
„Ein Code? Kümmerst du dich darum, Liope?" fragte Aspen ihren Bruder, als sie die Zahlenkombination sahen, die benötigt wurde, um die Türe zu öffnen.
Aspen war keine Technikerin. Liope hatte das Hacken übernommen, sie war nicht für diese Jobs geschaffen. Ihr lagen die physischen Arbeiten besser als das Denken, auch wenn sie intelligent war. Doch während Liope sich für Computer und Technik interessiert hatte, lernte Aspen wie man sich selbst Waffen aus den unscheinbarsten Dingen bauen konnte. Es hatte ihr schon in vielen Lebenslagen geholfen. Für Computer war sie zu ungeduldig (wie die vielen zerstörten PCs bewiesen hatten).
Wachen kamen herangeströmt und umzingelten die Geschwister. Ihre Waffen richteten sich auf Aspen und Liope, die sich gegenseitig angrinsten.
„Kannst du ihre Kugeln abhalten und gleichzeitig das System hacken, Lio?" fragte Aspen ihren Bruder grinsend, ihre Augen auf die Feinde vor sich gerichtet.
„Ich wünsche dir viel Spaß, Schwesterherz" antwortete er nur amüsiert und dies war Aspens Zeichen. Sie teleportierte sich mitten in die Wachen hinein und wartete bis das Massaker begann.
Einer der Wachen feuerte einen Schuss ab und bevor die Kugel Aspen treffen konnte, teleportierte sie sich erneut und die Kugel traf die Wache hinter ihr, der würgend zu Boden ging.
Das Adrenalin pumpte durch ihre Venen und ließ ein aufgeregtes Grinsen ihre Lippen umspielen. Sie hatte schon lange nicht mehr solch einen Spaß gehabt.
Nun war sie über den Wachen und ließ sich auf den Nacken eines Mannes fallen, der unter dem neuen Gewicht taumelte. Seine Kollegen wagten es nicht zu schießen und zogen Taser, mit denen sie Asperia unschädlich machen wollten. Das war ihr Ziel gewesen.
Mit einer kräftigen Bewegung, die in ihren Muskeln bereits eingearbeitet war, brach sie dem Mann das Genick und ließ sich mit ihm auf den Boden fallen, bevor sie sich problemlos teleportierte und einem anderen Mann ihr Messer in den Rücken stach.
Sie wirbelte elegant herum, schnitt einer Frau die Kehle durch und teleportierte sich noch während der Drehung hinter ihre nächsten Opfer, die keine Chance hatten, denn Asperia hatte ihnen bereits die Waffen abgenommen und ihnen in die Hinterköpfe geschossen.
Sie zögerte nicht, hatte keine Reue und genoss die unsicheren Blicke der Wachen, die versuchten ihren nächsten Zug zu erraten. Aber genau das war Aspens Vorteil: Sie war unberechenbar.
Schüsse wurden abgefeuert und Aspen teleportierte sich erneut, tauchte wieder aus dem Nichts auf und schlug ein handloses Rad in der Luft um drei Wachen mit der gestohlenen Waffe auszuschalten. Graziös landete sie wieder und atmete tief durch. Es war anstrengend sich so oft zu teleportieren, auch wenn es einfach wirkte. Schließlich legte sie diese Entfernungen dennoch zurück, nur etwas schneller und ohne dabei gefährdet zu sein. Aber es war dennoch so, als würde sie herumrennen, springen und dabei ihre Umgebung niemals aus dem Blick verlieren.
Doch sie hatte nicht lange Zeit, denn schon wieder wurden Schüsse abgefeuert und Asperia war gezwungen sich erneut zu teleportieren um den Projektilen zu entgehen, die sie nur knapp verfehlten. Eine der Kugeln hatte sie sogar gestreift und als Rache für diese unnötige Verletzung rammte sie dem Täter ihr Messer, das sie immer noch in ihrer Hand hielt, in die Brust, nur um ihn wieder mit ihrem Bein von sich zu stoßen und sich wieder zu teleportieren.
Mit einem geübten Griff warf sie eine andere Wächterin auf den Boden, erschoss sie ohne hinzusehen, während sie einem Mann, der versuchte seine Arbeitskollegin zu retten, in den Oberschenkel stach und das Messer einmal drehte, auf das der Mann schmerzerfüllt aufschrie und auf den Boden fiel. Er würde vermutlich verbluten, Aspen konnte gut ohne ihn leben.
Plötzlich fühlte sie, wie eine Waffe gegen ihren Hinterkopf gedrückt wurde und sie hielt ihre Hände in die Luft. Aus dieser Entfernung könnte sie sich nicht teleportieren, ohne tödlich verletzt zu werden. Sie wollte es lieber nicht riskieren und lächelte nur unschuldig.
„Ich denke, Sie haben die Falsche. Ich denke, die Täterin ist in diese Richtung gelaufen" meinte sie vollkommen ruhig, als wäre ihr Leben gerade nicht in Gefahr.
Gerade als der Mann antworten konnte, hörte Aspen einen erstickten Laut und der Körper fiel auf den Boden. Liope hatte ihn mit einem seiner Wurfmesser durchbohrt und es nur kurz vor Aspens eigenem Herz stehen bleiben lassen.
„Ich denke ein Danke wäre in dieser Situation angebracht, Ass" meinte Liope nur grinsend, während er Aspen ansah, die gar nicht bemerkt hatte, dass das der Letzte der Wachen gewesen war.
Sie hätte ihn nicht so nahe an sich heranlassen sollen, aber sie hatte lange nicht mehr solch eine Aufgabe gehabt. Massenmord stand nicht oft auf ihrem Plan. Vor allem, da man im Widerstand das Töten nicht als bevorzugte Art des Loswerdens sah. Die rote Hand war mehr eine Organisation zur Flucht, nicht zum Kampf und Aspen war eingerostet.
Sie sollte wieder anfangen ihren alten Trainingsplan zu benutzen.
„Danke Lio. Ich hätte nur ungern eine Kugel in meinem Kopf gehabt. Wäre bestimmt nicht angenehm gewesen" war ihre Antwort auf seinen Kommentar. Doch gerade in diesem Moment hatte Liope den Code geknackt und die Tür ging auf.
Dahinter befand sich, zusammengekauert und schwach, Theseus Rendall.
Aspen lief sofort zu ihm und ließ sich auf ihre Knie fallen, um ihn besser untersuchen zu können. Er hatte keine Wunden, war nur etwas dreckig und ungewaschen, jedoch unbeschädigt.
Vermutlich war es nur wegen seiner Kraft so, aber Aspen war dankbar, das sie keinen schlimmeren Anblick ertragen musste.
„Theseus! Wach auf!" Asperia rüttelte ihn an den Schultern und schläfrig öffnete Theseus seine dunkelgrünen Augen, die sich verwirrt auf Aspen richteten.
„As-pen?" fragte er schlaftrunken und verwirrt. Seine Hand legte sich auf ihre, die sie auf seiner Schulter platziert hatte, um ihn zu wecken.
„Genau die bin ich. Aber jetzt beeil dich, bevor noch mehr dieser Amateure ein frühes Grab finden, weil sie sich gegen mich stellen" drängte Ass nur sanft, während sie ihm auf den Beine half und hinter sich herzog. Er war schwach, schien lange nichts mehr gegessen zu haben und vermutlich bald am Hunger zu sterben, aber darum mussten sie sich später kümmern. Jetzt gerade war die Flucht wichtiger als Theseus' Bedürfnis zu Essen.
Liope grinste Theseus nur schief an, der ihn verwirrt ansah, als würde er seinen eigenen Verstand hinterfragen. Aspen konnte das nachvollziehen. Er hatte gerade noch darauf gewartet endlich zu sterben und jetzt war er hier, mit zwei wahnsinnigen Geschwistern zusammen, die ihm bei der Flucht verhalfen.
„Warte- Die anderen! Sie sind auch hier!" erinnerte sich Theseus plötzlich. Er schien langsam mit der ganzen Situation aufzuholen und sein Gehirn aus den Energiesparmodus zu holen.
„Wir haben uns schon um sie gekümmert, mach dir keine Sorgen. Was ist mit Cas? Wo ist er?" fragte Aspen nur. Sie war fixiert auf ihre Mission, um ihre Gefühle und ein herzergreifendes Wiedersehen konnte sie sich später auch noch kümmern, sobald sie hier raus waren. Jetzt war die Flucht wichtig und nicht ihr Verlangen, Theseus in ihre Arme zu schließen. Sie war hier nicht in einem typischen Action-Film, in dem die Charaktere alle Zeit der Welt für ihr Wiedersehen hatten. Das hier war die Realität und sie mussten hier raus bevor-
„Asperia, mein Liebes. Wie schön, dich wieder zu sehen. Oh, Liope. Das scheint ein Familientreffen zu werden. Wie schade das eure Mutter nicht anwesend sein kann," begrüßte eine Stimme sie und Aspen blieb abrupt stehen. Eine Gänsehaut schlich sich auf ihre Arme und ihren Rücken.
Langsam drehte sie sich um und lächelte den Mann an. Helio. Vater. Er war also noch immer hier.
„Dad! Wie geht's dir?" fragte sie nur mit ehrlichem Interesse.
Sie waren eine Familie aus Assassinen. Wenn sie sich jeden Mordversuch zu Herzen nehmen würden, könnten sie sich nicht mehr als eine Familie bezeichnen. Es war schließlich eine Tradition seinen Vater als letzte Prüfung umzubringen.
„Liope, bring Theseus bitte zu den anderen. Ich und Dad müssen noch etwas nachholen" bat sie ihren Bruder der nur grinste und Theseus auf sich stützte, bevor er die beiden Salems alleine ließ.
Hier ging es nicht um Leben oder Sterben. Hier ging es auch nicht um etwas Persönliches. Aspen nahm es ihrem Vater nicht übel, dass er ihren Bauch aufgeschlitzt hatte. Es war normal.
Aber sie nahm es ihm übel, das er Theseus angegriffen hatte. Deshalb wollte sie sich bei ihm rächen. Liope würde sich nicht in private Angelegenheiten einmischen.
Ein weiterer Beweis, das sie sich nicht in einem typischen Action-Film befanden.
Wäre dies der Fall, hätte sich Liope vielleicht heldenhaft zwischen seinen Vater und Aspen gestellt und sie aufgehalten, etwas dummes zu tun, aber er respektierte den Stolz seiner Schwester und die Angelegenheiten, um diesen zu beweisen.
„Du weißt, das das nicht nötig ist, Ass. Wir müssen nicht kämpfen und ich denke, du weißt auch wieso" sprach Helio bedacht und er schien keine Anstalten zu machen, gegen seine Tochter zu kämpfen. Zwar waren seine Muskeln auf Bereitschaft und er beobachtete jede noch so kleine Bewegung von ihr, aber er nahm keine Kampfstellung ein und schien auch seine Fähigkeit nicht aufzuladen, die Sonnenlicht benötigte, um sie auszuführen.
„Du bist also nicht auf Seiten der Arena?" fragte sie nur interessiert an seiner Antwort. Er zuckte nur leicht mit seinen massigen Schultern.
„Naja. Wie man es eben sieht. Die Leiterin hat mich bezahlt, es ist nur ein Job. Ich mache schließlich nichts nur aus Freundschaft. Aber das Angebot von Tripe verlockt mich und ich arbeite gerne an seiner Seite. Schließlich hat er immer etwas Spannendes zu bieten. Aber wem erzähle ich das denn, du selbst solltest es wissen. Schließlich bist du mit Casmiel Tripe gereist. Er ist seinem Vater unglaublich ähnlich" plauderte er ruhig, als würde er nicht gerade seiner Tochter gegenüber stehen, der er gerade noch vor ein paar Tagen den Bauch aufgeschlitzt hatte.
„Du und Liope, ihr seid natürlich nicht wirklich so wie ich. Aber ich bin nicht so wie der alte Tripe. Er steht auf seine Traditionen, ich bevorzuge Veränderung und da kommt ihr beide mir gerade recht, auch wenn eure kleine Rebellion unnötig ist. Naja, ich kann euch nicht aufhalten. Tobt euch aus, genießt das Leben. Solange ihr keine langweiligen Jobs annehmt, wenn ihr doch die Chance auf Auftragsmord habt" sprach er sachlich, als wäre es tatsächlich seine einzige Bitte.
„Keine Sorge. Ich denke nicht, das ich und Liope in der Lage wären, jemals normal zu sein. Unser Kindheitstrauma hat diese Auswahlmöglichkeit schon weggewischt" beruhigte Aspen ihren Vater nur abwinkend und Helio fing an herzhaft zu lachen.
„Ich werde dich nicht aufhalten, Aspen. Viel lieber sehe ich dabei zu, wie das alles ausgehen wird. Es wirkt amüsant. Also los" er deutete ihr mit seinen Händen zu verschwinden und lächelte leicht, „Mach deinen Vater stolz, Ass."
„Warte nur, bis ich dir mein Messer in die Brust ramme. Ich werde dich umbringen, Dad" versprach sie ihm noch grinsend und Helio winkte ihr hinterher. Sie würde ihm niemals verzeihen können, dafür, dass er ihre Kindheit genommen hatte, ihre Chance auf Normalität und Sicherheit, aber sie war eine Assassine. Ihre Gefühle waren nebensächlich und es zählte nur das Geschäft.
„Ich vertraue darauf, Asperia. Wir sehen uns dann zum nächsten Familientreffen" rief er ihr noch amüsiert hinterher, bevor Aspen sich vollkommen umdrehte und anfing zu rennen.
Helio starrte ihr noch hinterher und nahm sein Handy aus der Tasche.
„Hallo, alter Freund. Dein Angebot reizt mich. Vielleicht kann ich sogar meine Kinder dazu bringen, auf deiner Seite zu kämpfen. Wir sehen uns dann zum Tee. Du weiß ja, wie ich ihn am liebsten mag" sprach er in den Hörer zu dem unbekannten Empfänger des Anrufes, der nach einer kurzen Antwort auch schon auflegte.
„Immer schön Geschäfte mit dir zu machen, Charon Tripe. Immer wieder ein Vergnügen" lachte er leise zu sich selbst, bevor er sich abwandte und wieder in den Gängen verschwand.
Seine Tochter würde ihn nicht enttäuschen. Das wusste er.
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