Prolog
Als Kinder schlugen wir die Bücher auf und tauchten in Welten ein. Wir wuchsen mit dem Glauben an glitzernde Einhörner, Feen, die unsere Wünsche erfüllen und einem Prinzen, der uns eines Nachts entführt, fernab in eine andere Welt, auf.
Manche von uns ließen früh von diesem Glauben ab. Andere wie ich klammerten an diesem fest, bis sie siebzehn waren. Immerhin war das das Alter, in dem die meisten Mädchen in ihr Abenteuer abtauchten.
Das Leben aber ist kein Buch, kein Märchen.
Es gibt keine glitzernden Einhörner, keine Feen und vor allem keinen Prinzen mit schimmernder Rüstung, der dich aus deinem Leid befreit.
Das Leben ist bittere Realität, mit der auch ich konfrontiert wurde.
Meine Traumwelt, mein Märchen, welches ich mir jahrelang ausgemalt hatte, zerbrach wie das Glas des Autos, welches sich überschlug und scheppernd im Straßengraben landete.
Eine Sekunde hatte mein jahrelanges Träumen zerstört. Eine Sekunde reichte, um mein Leben zerbrechen zu lassen und niemand würde sich die Mühe machen, die Scherben wieder einzusammeln. Wer ging schon das Risiko ein, sich am Glas zu schneiden?
Ich hatte überlebt.
Zwei warme Hände hatten mich berührt und die starken Arme zogen mich aus dem Wagen.
Der Mann schimmerte in einem Licht, heller als der Mond. Seine Augen leuchteten so blau, wie der Himmel am schönsten Tag im Sommer.
Damals dachte ich, er wäre derjenige, der die zerbrochenen Scherben einsammeln würde, doch auch er war es nicht.
Der Wagen explodierte. Meine Mum war noch in ihm. Ein leerer Sarg würde in die Erde gleiten, denn die Asche meiner Mum vereinte sich mit der Asche des Wagens.
Mein Retter stand da, bis er im Schein des Mondes verschwand.
Hinter ihm tauchten die blauen Sirenen auf, doch auch sie würden die Scherben nicht kleben können.
Am Tag der Beerdigung wurde mir eines bewusst, niemand, niemand auf der ganzen Welt, könnte die Scherben wieder zusammensetzen.
Die Frau, die es immer getan hatte, wenn es mir schlecht ging, war tot.
Vor mir versank der leere Sarg in der Erde. Blumen und Tränen benetzten ihn, bis auch das letzte Stück des Sargs, mit Erde zugeschaufelt wurde.
Dann war sie weg.
Sie würde niemals wieder zurückkehren.
Als ob der Gedanke nicht gereicht hätte, fing es wie in einem Film voller Klischees an zu regnen. Er prasselte auf mich hinab und benetzte meine trockenen Wangen. Ich wollte den Himmel anschreien und verfluchen, warum er die Situation noch schlimmer machen musste, was ich falsch getan hatte, damit uns dieses Schicksal traf.
Ich versuchte mir jeden einzelnen Tag nach der Beerdigung vorzustellen, dass sie vom Himmel herab auf mich aufpasst, doch es gelang mir nicht.
In mir bebte keine Traurigkeit, sondern Wut. Wut darüber, dass mein Retter nicht meine Mum gerettet hatte und die Rettungswagen alle zu spät waren.
Wochen später schickte man mich zu einem Therapeuten.
Man redete mir ein, dass ich mir meinen Retter eingebildet hatte, aufgrund meiner Gehirnerschütterung.
Anfangs glaubte ich sogar daran, doch er war keine Einbildung gewesen. Ich war angeschnallt, eingedrückt, hatte mehrere Knochenbrüche und Prellungen. Niemals wäre ich allein herausgekommen.
Das Einzige, was mir die Therapie gebracht hatte, war, dass die Wut über meinen Retter verblasste und sich stattdessen auf mich wandte.
Immerhin hatte ich meine Mum noch am Abend überredet, mir ein Eis zu kaufen. Wie ein kleines Kind hatte ich mich aufgeführt.
Am Ende war es meine Mum, die den Preis für meine Wünsche zahlte, den ich hätte bezahlen müssen.
Im Leben bezahlen immer die falschen Menschen für die Fehler anderer.
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