27
Stumm starrte ich aus dem Zimmer, wobei meine ganze Sicht verschwommen war.
Nur ein Thema kreiste in meinen Gedanken, zerstörte die anderen tausenden, über die ich ebenfalls nachdenken sollte.
Bald würde ich sterben.
Gott, ich war wie eine tickende Zeitbombe. Und sobald ich hochgehen würde, riss ich alles mit mir.
Ich könnte Ares nicht mehr töten. Und wenn ich tötete, starb trotzdem jeder in seinem Herzen.
Mein Vater verlor erneut ein Mensch, der ihm am nächsten stand.
Noch einmal würde er einen Verlust nicht überstehen.
Lucien verlor wieder seine Liebe, wie bereits Daphne.
Könnte er danach jemals wieder lieben?
Penny, Tyler und Noah verloren eine beste Freundin und Sebastian eine neu gewonnene Freundin.
Und Damian und Payton verloren eine Verbündete.
Dennoch konnte ich nichts dagegen tun. Mein Schicksal war besiegelt, seit meiner Geburt. Das Einzige, was ich tun konnte, um die Welt ein wenig aufrechtzuerhalten, war Ares zu töten.
Bis er gestorben war, konnte ich meinen Freunden nichts erzählen. Vor allem Lucien nicht.
Auch, wenn es mir unendlich schwerfiel.
"Alles gut bei dir?", fragte mich Noah leise, warf mir einen besorgten Blick zu, bevor er den Motor abstellte.
Eilig fuhr ich mir über mein Gesicht, bevor das Licht anging und er meine Tränen sehen konnte.
"Alles wie immer", stieß ich aus, bevor ich aus dem Wagen sprang.
Wir waren zu meinem Haus gefahren, denn mein Vater war überraschenderweise zurückgekehrt.
Auch, wenn der Zeitpunkt seiner Rückkehr mehr als unpassend war.
"Wir sehen uns", rief ich ihm zu, bevor ich im Haus verschwand. Keine zwei Minuten länger und Noah hätte alles von mir erfahren.
Erschöpft stellte ich meinen Rucksack neben die Tür, als ich ein Paar Schuhe entdeckte, welches mir fremd war.
Achselzuckend überging ich diese. Vielleicht hatte mein Vater sich neue Schuhe gekauft.
Nichtsahnend lief ich die Küche, um meinen Vater zu begrüßen. Unsterblich hatte ich ihn vermisst.
Doch nicht nur das Gesicht meines Vaters begegnete mir.
"Cousine", rief Jason mir zu und schloss mich zu einer engen Umarmung in seine Arme.
Sein strenges Aftershave, welches er seit Jahren nicht gewechselt hatte, stieg mir in die Nase.
"Was machst du hier?", quetschte ich mühsam hervor, während ich meine Arme zu erdrücken schienen.
Mit einem Mal ließ er mich los und blickte mich mit seinen dunklen Augen an, die dieselbe Haarfarbe wie sein Lockenkopf hatten.
"Das nenne ich mal Freude", murrte er, musste dennoch lächeln, wobei seine Sommersprossen auf der Nase zu tanzen zu scheinen.
"Ich freue mich unglaublich", erwiderte ich hastig, während ich ebenfalls lächelte. "Der Zeitpunkt ist nur schlecht."
Jason fummelte an seinem Nasenpiercing herum. Er hatte auch einen Piercing an der Lippen und dem Ohr, sowie ein Haufen kleiner Tattoos, die wahrscheinlich selbst gestochen waren.
"Ich freue mich ebenfalls. Es ist gut für euch beide, etwas gemeinsame Zeit zu verbringen", bemerkte mein Vater. Kurz umarmte er mich, bevor er in sein Zimmer zurück schlürfte.
"Wie geht es ihm?", fragte Jason mit sorgenvollen Blick, während er ein Glas Orangensaft zubereitete.
"Er wird schon wieder", murmelte ich, während ich mich auf den Stuhl niederließ. Die Erschöpfung hatte sich tief in meine Knochen gefressen.
"Dafür bin ich ja da", erwiderte er grinsend und trank aus seinem Glas. Über seine Lippe bildete sich ein Schnurrbart, der mich zum Schmunzeln brachte.
"Danke das-"
Mein Satz wurde von der Klingel unterbrochen. Immer wieder klingelte diese über einen längeren Zeitraum.
"Da hat es jemand eilig dich zu sehen", scherzte Jason, doch mir war nicht nach Scherzen zumute. Ich hatte bereits eine Vorahnung wer da draußen stand.
Zögerlich öffnete ich die Tür.
Augenblicklich kam ein aufgebrachter Lucien entgegengesprungen.
"Wo warst du?", fuhr mich lautstark an, während die Tür hinter ihm ins Schloss fiel.
Erschrocken zuckte ich zusammen. Eilig deutete ich mit den Finger auf meine Lippen und hoffte mein Vater, weder Jason, würden kommen.
"Was machst du hier? Warum haust du ab?"
Seine Stimme zitterte vor Wut, doch hörte ich auch die Sorge heraus, die er sich gemacht haben muss.
Tief atmete ich durch.
"Ich war bei Tyler. Das sollte dir June sagen", murmelte ich unschlüssig.
Sofort schnellten seine Augenbrauen hinauf. Ein ironisches Lachen fuhr aus seinem Mund.
"Hör auf zu lügen!", blaffte er. "Tyler hatte ich eben am Telefon. Und wer war nicht bei ihm? Du!"
Ein unangenehmes Stechen schmerzte in meiner Brust. Wie sehr ich Lucien die Wahrheit sagen wollte, doch es würde nur noch mehr Probleme bringen, als wir bereits hatten.
"Lucien, ich-"
"Ich war bei Aspen."
Hinter mir tauchte Jason auf. Innerlich seufzte ich laut auf. Das war eine schlechte Idee von ihm.
"Dein Ernst, Aspen? Wow", stieß Lucien sprachlos aus. Hastig wollte er sich abwenden, doch hielt ich an seinem Handgelenk fest.
Der Anblick seiner Augen zerriss mir beinahe das Herz. Ich konnte ihn nicht verlieren...
"Das ist mein Cousin", erwiderte ich und lächelte matt. Jason dagegen grinste breit, bevor er loslachen musste.
Sprachlos blickte Lucien von mir zu Jason, bis sein Blick wieder bei mir hängen blieb.
Plötzlich schlossen sich seine Arme um meine. Eng zog er mich an sich.
Sein all so bekannter Vanillegeruch vernebelte mir die Sinne.
Mein Rücken brannte von seiner Berührung.
Wie sollte ich bloß ohne ihn leben...?
"Ich habe mir solche Sorgen gemacht!"
☁️
Ich hatte mir Sorgen gemacht, was mein Vater von Lucien halten könnte. Von meinen Beziehungen hielt er nicht viel, seit Kaiden in mein Leben getreten war.
Doch verstand er sich erstaunlich gut mit ihm. Die ganze Zeit beim Essen unterhielten sie sich, lachten und scherzten gemeinsam.
Glücklich betrachtete ich die beiden. Vielleicht könnten sie doch ohne mich leben, auch wenn es schwer werden wird.
Nach dem Essen hatte ich Jason ein Zimmer hergerichtet, bevor ich mich mit Lucien in mein altes Zimmer verkrümelte.
Das kaputte Fenster war notdürftig mit einer Plane versiegelt. Das Chaos war nur größtenteils beseitigt. Vieles lag noch quer zerstreut herum.
"Sicher, dass du die Nacht hier bleiben willst?", fragte mich Lucien unsicher und betrachtete skeptisch das Zimmer.
"Ich muss, Lucien. Solange wir keine Lösung gefunden haben, wohin mein Vater oder Jason kann, muss ich hierbleiben und sie schützen!"
Von hinten umschlossen mich Luciens Arme und blieben auf meinem Bauch liegen. Sein Kopf näherte sich meinem Hals, sodass er mir einen leichten Kuss geben konnte, bevor er mir etwas zuflüsterte.
"Du bist so unfassbar stark geworden, Aspen. Ich bin stolz auf dich!"
Die Worte lösten eine Welle an Euphorie in mir aus. Nicht einmal hatte mir Lucien bisher erzählt, dass ich stark sei oder wie stolz er wäre. Es nun zu hören, stimmte mich mehr als glücklich und ließ alle Sorgen für ein paar Momente verschwinden.
Langsam drehte ich mich zu ihm. Seine Hände ließen mich keine einzige Sekunde los.
Um ihn zu küssen, musste ich mich auf Zehnspitzen stellen.
Sanft berührte ich seine Lippen. Ein Kribbeln fuhr durch die Lippen, durch meinen Körper, bis in die Zehnspitzen.
Vorsichtig löste ich mich von seinen Lippen und blickte zu ihm auf.
"Du bist so wunderschön", murmelte Lucien und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
Röte schoss mir die Wangen herauf.
Plötzlich presste Lucien seine Lippen auf die meine. Überrumpelt stolperte ich rückwärts. Mit meinem Rücken stieß ich an die Wand. Schmerz durchzuckte eine Sekunde lang meine Schulter, doch ehe ich hätte darauf reagieren könnte, umfassten Luciens Hände meinen Nacken.
Ich zog mich näher zu ihm und drückte meine Lippen fest auf seine. Seine Hand fuhr über meine Haare, bis sie sich darin vergruben.
Ein leichtes Stöhnen entfuhr mir, als seine Lippen an meinem Hals herab wanderten und zu meinem Dekolleté gelangten.
Langsam strichen seine Finger meine Jacke von der Schulter. Jede Stelle, die er berührte, brannte und glühte, wie Feuer.
Kurz lösten sich seine Lippen von meinen. Seine funkelten wie Kristalle, wie der raue und wilde, unberechenbare Ozean.
Meine Augen wanderten zu seinen Lippen. Sie waren rötlich geschwollen von der Küssen.
Schmunzelnd durchfuhr ich mit meinen Fingern seine Haare und strich ihm eine Strähne aus dem Gesicht. Erneut durchfuhr eine Welle des Kribbelns meinen Körper, aber flutete vor allem meine Magengegend. Es war ein Feuerwerk aus unterschiedlichsten Gefühlen.
Erneut zog ich Lucien zu mir und küsste seine Lippen. Ein leises, aber hörbares Stöhnen entfuhr ihm.
Auf einmal hob er meine Beine an. Reflexartig schlang ich meine Beine um seinen Oberkörper.
Erneut wanderten seine Lippen zu meinem Hals. Mit geschlossenen Augen legte ich den Kopf in den Nacken und genoss das Gefühl von seinen Lippen auf meiner Haut, während Erregung meinen gesamten Körper flutete.
Langsam nur löste er sich von mir, bis er mich zu meinem Bett trug. Dort ließ er mich nieder, bevor er sich über mich hinweg schwang und sich hinlegte.
Sein Arm schlang sich fest um mich. Kurz hauchte er mir einen Kuss, bevor er liegen blieb und die Decke anstarrte.
Unbeholfen blieb ich liegen, konnte aber die Enttäuschung in mir kaum unterdrücken.
Mein Körper glühte und brannte und wollte mehr von Lucien, scheinbar beruhte das jedoch nicht auf Gegenseitigkeit.
Kurz warf ich Lucien einen Blick zu, bevor ich ebenfalls die Decke anstarrte.
Ich dachte, er hatte mich gewollt...
Oder wollte er es auf eine andere Weise, als ich es annahm.
Was auch immer es war, die Enttäuschung mir nicht anmerken zu lassen, war schwieriger als gedacht.
☁️
Eine ganze Weile lagen wir nur da. Lucien schien die Stille und die Dunkelheit zu genießen, doch mich trieb sie beinahe in den Wahnsinn.
Die ganze Zeit tauchte das Bild von Lucifer vor meinen Augen auf.
Und mit ihm, die frohe Botschaft meines baldigen Todes.
Neben Lucien zu liegen, zu wissen, dass das keine Ewigkeit wehren würde, war der wohl größte Schmerz.
"Lucien?", fragte ich leise, während meine Stimme leicht zitterte.
Sein Kopf drehte sich zu mir. Behutsam strich sein Daumen über meinen Handrücken.
"Wir haben nie darüber geredet, was wir tun, wenn ich sterben würde", murmelte ich.
Die Worte auszusprechen, jagte mir eine gewaltige Angst ein.
Eigentlich wollte ich nicht einmal darüber nachdenken.
Wer wollte schon über den eigenen Tod nachdenken. Doch länger konnte ich das Thema nicht mehr von mir schieben.
"Wir sterben so oder so zusammen", erwiderte er und fuhr mir über die Wange.
Seufzend nahm ich seine Hand weg und setzte mich auf.
Kraftlos stützte ich meinen Kopf in die Hände.
"Ernsthaft Lucien. Was ist, wenn nur ich sterbe?"
Auch Lucien seufzte, bevor er sich aufrichtete.
Er kroch zu mir und nahm meine Hände aus dem Gesicht.
Sofort floss seine Wärme, zu mir über.
"Auch wenn du nicht allein sterben würdest, wird dir nichts geschehen", redete Lucien eindringlich.
"Egal was geschieht, ich werde dich mit allem, was ich besitze und sei es mein eigenes Leben, beschützen!"
Sorgenvoll blickte ich ihn an.
"Und wenn du nicht da sein kannst?"
Kopfschüttelnd umfassten mich seine Hände noch fester.
"Ich werde immer für dich da sein!"
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