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Eilig stopfte ich mein Schulbuch in die Tasche und verließ das Krankenzimmer. Die Flure waren leer. Nur ein Schüler huschte aus einem Zimmer, um zur Toilette zu gehen.
Leise zog ich die große Tür zu Schule auf.
Die frische Luft des Herbstes blies mir entgegen und kühlte meine überhitzten Wangen. Tief atmete ich durch. Kurz schloss ich die Augen, bevor ich sie öffnete und die Tür hinter mir ins Schloss fallen ließ.
Ich hatte es versucht. Drei Stunden hatte ich in der Schule ausgehalten, bis ich keine Luft mehr bekam.
Penny begleitete mich ins Arztzimmer, wo ich warten sollte, bis mein Vater kontaktiert war.
Zum Glück dauerte es nicht lange, sodass ich rasch gehen konnte.
Die Luft auf meiner Haut zu spüren, beruhigte mich augenblicklich und das beklemmende Gefühl in meiner Brust verschwand augenblicklich.
Mir wurde sogar warm ums Herz bei dem Anblick der Bäume, deren Kronen sich bunt färbten, in allen Farben des Herbstes.
Kastanien lagen quer verstreut auf dem Boden, welche sich immer von dem großen Kastanienbaum lösten.
Während die meisten im Herbst und Winter schlecht gelaunt, müde waren oder sogar ihren Tiefpunkt erreicht hatte, blühte meine Laune im Herbst auf.
Ich liebte den morgendlichen Nebel, welcher sich über die Felder zog, wie ein Schleier, die Kürbisse, die am Straßenrand verkauft wurden und die bunten Wälder.
Ich genoss es Kürbisse zu schnitzen oder anderen dabei zuzusehen, die Feste, die auf dem Marktplatz veranstaltet werden, Kinder an Halloween Süßigkeiten auszuteilen und ihnen vielleicht den ein oder anderen Streich zu spielen.
So sehr wünschte mir, der Herbst wäre länger, der mir war er viel zu kurz.
☁️
Als ich nachhause kam, um meine Sportsachen für das Training zu holen, war mein Vater nicht mehr Zuhause.
Am Kühlschrank hing nur ein Klebezettel, dass er in der Bibliothek wäre. Etwas neidisch war ich schon, dass er ohne mich gegangen war. Wir beide pflegten schon immer eine große Liebe zu Büchern. Früher waren wir oft gemeinsam in Bibliotheken oder Bücherläden, nun aber trennten sich unsere Wege und ich war oft ohne ihn unterwegs.
Dennoch freute ich mich, dass das Haus, aber vor allem sein Zimmer verließ. Lange genug hat er dort getrauert.
Kurz antwortete ich auf den Zettel, dass ich beim Training bin, bevor ich mich eilig umzog, mir meine Sporttasche schnappte und das Haus verließ, um nicht noch mehr Zeit zu verlieren.
☁️
"Wir haben dich hier vermisst, Aspen!", hörte ich meinen Trainer nach mir rufen.
Etwas unbeholfen winkte ich ihn und ließ meine Tasche auf die Bank sinken.
"Du hast einiges nachzuholen."
Er reichte mir Bandagen und legte die Handschuhe auf die Bank, neben meine Sachen.
In meinen Herzen machte sich ein kleiner Funken Glück und Vorfreude breit. Rasch wickelte ich die Bandagen um meine Hände und zog die großen Boxhandschuhe über.
Alles in meinem Körper kribbelte. Ich spürte, wie das Adrenalin durch meine Adern jagte. Es war ein berauschendes Gefühl.
"Dann zeig, was du kannst, Miss Bronte!"
Meine Fäuste segelten auf den Boxsack nieder. Mit jedem Schlag spürte ich, wie die Wut in mir hochkochte.
"Aspen, deine Schläge sind unsauber!", mahnte mich mein Trainer und ich versuchte meine Schläge präziser zu setzen, doch damit war er nicht auf nicht zufrieden.
"Lass deine Gefühle nicht die Oberhand gewinnen!"
Mein Fuß traf den Sack, bevor ich noch mal einen Schlag setzte und dann schwer atmend abließ.
Völlig außer Atem stützte ich mich auf meinen Oberschenkel und atmete immer wieder tief durch.
"Bist du dir sicher, dass du schon bereit bist, Aspen?"
Irritiert richtete ich mich auf und blickte zu meinem Trainer. Er hatte seine gepumpten Arme in die Hüfte gestemmt und blickte mich stirnrunzelnd an.
"Ja, das bin ich!", stieß ich lauter, als geplant aus. "Ich brauch das Training!"
Seufzend schüttelte mein Trainer den Kopf. Vorsichtig berührte er mich an der Schulter.
"Ich weiß, Aspen und ich wünsche mir wirklich, dass du zurückkommst. Du bist einer der Besten hier, aber so geht das nicht. Du boxt aus Wut und Trauer, aber so wirst du dich nur ernsthaft verletzen. Das kann ich nicht riskieren", erwiderte er im ernsten Ton und zog eine mitleidige Miene.
Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Seine Worte trafen mich eiskalt. Das, was mir Kraft gab, das wofür ich mich endlich aufrappeln konnte, sollte ich wieder niederlegen.
Das schmerzte und fühlte sich wie Verrat an, von meinem Trainer.
"Es tut mir wirklich leid!"
Seine tröstenden Worte konnten meine Stimmung nicht mehr retten, obwohl ich tief in meinem Inneren wusste, dass er recht hatte, aber mein Stolz ließ nicht zu, dass ich das zugab.
"Machen Sie sich nicht draus. Ich habe schon verstanden", murmelte ich, schlüpfte aus den Handschuhen und schnappte mir meine Tasche.
"Aspen!", rief mein Trainer noch nach mir, doch da zog ich bereits die Tür des Studios hinter mir zu.
Die Temperatur war rasant gesunken. Fröstelnd zog ich mir meine Jacke über, doch viel mehr Wärme spendete sie nicht.
Das einzig Gute an der kühlen Luft war, dass sie meinen Schweiß auf der Stirn in Windeseile zum Tocknen brachte.
"Mist", fluchte ich leise, als ich bemerkte, dass der Reifen meines Fahrrades einen Platten hatte. Seufzend kniete ich mich nieder, um den Schaden zu betrachten. Ich konnte mir keine Reparatur leisten und hoffte auf nur ein kleines Loch, welches ich selbst flicken konnte.
Plötzlich vernahm ich ein leises Knurren. Dann schepperte es, bevor es wieder ruhig wurde. Ruckartig schoss ich hinauf. Misstrauisch blickte ich mich um. Wahrscheinlich wäre jeder andere einfach gegangen oder hätte das Geräusch ignoriert, doch mein Bauchgefühl ließ mich nicht gehen.
Wie gebannt blickte ich in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Etwas war faul hier. Das konnte jeder mit ein bisschen Verstand sagen.
"Wer ist da?", rief ich, erhielt aber keine Antwort.
Hastig stieg ich auf mein Fahrrad auf. Meine Felgen würde leiden, wenn ich mit dem Platten fahre, aber ich wollte nur weg von hier.
Dieses Mal musste ich meinem unguten Bauchgefühl trauen.
Aber auf einmal ertönte ein lautes Knurren. Erneut erklang es, doch viel lauter.
Ich musste mich nicht umdrehen, um zu wissen, was vor sich ging. Ich ahnte es bereits, auch wenn es unmöglich schien.
Schwer schluckte ich und drehte mich um. Mein ganzer Körper fühlte sich an, als würde er zu Eis erstarren. Meine Finger verkrampften sich. Mein Herz raste.
Es war kein Traum gewesen.
Die Wölfe waren echt, genauso wie die Warnung von dem unbekannten Mann.
Sie kommen.
Sie waren da. Direkt vor mir standen die Höllenhunde und entblößten die Reißzähne.
Doch in der Realität wirkten sie noch viel furchteinflößender, als in meinem Traum. Wahrscheinlich weil ich wusste, dass sie mich töten konnten und das wäre real.
"Was wollt ihr von mir?", rief ich ihnen zu, ohne eine Antwort zu erwarten. Sie waren immer noch Wölfe.
"Lasst mich in Frieden!"
Vielleicht waren die Wölfe auch nur Halluzinationen und ich bildete sie mir nur ein, weil ich irgendwelche Nebenwirkungen von dem Unfall hatte. Ich nahm mir fest vor, dass der Art mich durchchecken soll.
Doch als ich auf mein Fahrrad steigen wollte, machte der Wolf einen Satz auf mich zu. Ich spürte, wie seine Krallen meine Hüfte entlang fuhren.
Schmerzerfüllt schrie ich auf. Sofort presste ich meine Hand auf die Wunde, aus der das Blut quoll. Diese Höllenhunde waren echt. Verdammt echt sogar.
Trotz der Schmerzen, die meinen Körper zu lähmen schienen, sprang ich von meinem Fahrrad und sprintete los.
Immer weiter preschte ich vorwärts, bog ich in eine Gasse und bog erneut ab.
Hinter mir hörte ich den rasselnden Atem der Wölfe und roch ihren fauligen Geruch. Sie stanken nach Verderben und Tod.
Sie waren wie in meinem Traum.
Ich hastete die Straße entlang und wagte einen raschen Blick hinter mich. Sie kamen mir immer näher. Erst wenn ich tot wäre, würden sie stoppen.
Doch so leicht gäbe ich nicht auf.
Ich presste meine Hände stärker auf die Wunde, um noch mehr Blutverlust zu meiden, bevor ich in das Parkhaus herein sprinte.
Hier war ich oft mit meinem Dad gewesen und kannte mich bestens aus. Vielleicht würde ich so eine Chance haben zu entkommen oder mir Zeit zu verschaffen.
Schmerzvoll biss ich die Zähne zusammen, während ich die Treppen des Parkhauses herauf sprintete.
Immer weiter kämpfte ich mich nach oben, bis ich die schwere Metalltür erreichte. Ruckartig zerrte ich sie auf, quetschte mich an ihr vorbei und schlug sie krachend zu. Sofort stemmte ich mein Gewicht dagegen, wobei das nicht viel bewirken würde.
Krachend schlugen die Wölfe gegen die Tür.
Von der Kraft ihres Gewichtes wurde ich von der Tür gedrückt und stieß zu Boden. Schmerzen durchfuhren meinen Körper. Unwillkürlich zuckte ich zusammen. Ein leises Schluchzen entfuhr mir.
Entweder die Wölfe würden mich fressen oder ich würde elendig verbluten.
"Was wollt ihr?", schrie ich erneut aus Verzweiflung, als die drei Wölfe vor mir zum Stehen kamen. Ihr Atem ging genauso schwer wie meiner.
"Ares."
Eine tiefe und dunkle Stimme ertönte. Sie schien nicht dem Wolf selbst zu entstammen, sondern in der Luft zu schweben.
Es war kaum in Worte zu fassen.
"Was Ares?", stöhnte ich vor Schmerzen, wagte jedoch keinen Blick zu der Wunde, denn dann wäre es vorbei.
"Der Gott des Krieges. Er sucht dich. Er tötet dich."
Die Worte schwangen durch die Luft und ließen einen kalten Schauer über meinen Rücken laufen. Ich verstand nicht, was der Wolf mir mit seinen Worten sagen wollte, doch es hörte sich alles andere als gut an.
Das einzige, was ich sicher wusste, war, sie wollten mich tot sehen.
"Ihr Monster", fluchte leise, wusste aber, dass es keinen sinn machte.
Auf einmal machte der Wolf einen erneuten Satz auf mich zu. Panisch schloss ich die Augen und riss meine Hände vor das Gesicht.
Doch ich spürte keine Krallen, weder noch Schmerz.
Fühlte sich so sterben an? Friedlich und Schmerzlos?
Doch jäh hörte ich ein lautes Jaulen.
Augenblicklich riss ich meine Augen auf und konnte diesen kaum glauben. Es war alles kein Traum gewesen.
Seine Klinge durchbohrte den letzten Wolf. Dieser jaulte kurz, bevor er zusammensackte und zu Staub zerfiel. Seine Asche wurde von dem nächsten Windhauch davongetragen.
"Wie?", fragte ich atemlos und betrachtete meinen Retter.
Seine hellen Augen fokussierten mich. Gänsehaut fuhr mir über die Arme, bei der Intensität seines Blickes.
Rasch fuhr er sich durch die blonden Haare, die jedoch bereits perfekt zu sitzen schienen.
"Wer bist du?", stellte ich nun die wichtigste Frage und versuchte mich aufzurichten. Ein kurzer, aber deutlich hörbarer Stöhnen entfuhr mir, bis ich es geschafft hatte, halbwegs zu stehen.
"Lucien", erwiderte er schulterzuckend und beinahe kalt, wobei seine dunklen Augenbrauen sich kurz zusammenzogen.
"Was sind das für Monst-" Bevor ich überhaupt zu Ende sprechen konnte, spürte ich, wie mich die Übelkeit und der Schwindel überkamen. Alles vor meinen Augen fing sich an zu drehen. Unsicher schwang ich auf den Mann zu, in der Hoffnung er könnte mir helfen, doch dann wurde alles zu einem schwarzen Brei und ich spürte, wie die Beine unter mir wegklappten.
Das letzte was ich wahrnehmen konnte, war wie der unbekannte Mann, unter dem Namen Lucien, mich mit seinen trainierten Armen auffing und in seine Arme hob.
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