Zwischenspiel 1
"Du hast echt Mist gebaut!"
Mit einem kräftigen Schlag von Hammer und Meißel verlieh Pierre seinen Worten den genügenden Nachdruck. Die Plombe segelte an seiner Schulter vorbei und verkündete mit einem hellen Scheppern ihre sichere Landung auf dem Zitadellenboden.
"Was kann ich denn dafür, dass die Teks so miese Ausrüstung haben?", kam die nörgelnde Antwort Gregors. Das war der Kumpel, dem er gerade aus der Patsche geholfen hatte.
"Es hätte auch jeden anderen erwischen können. Wenn du Glück hast, haben die Siks so viel zu tun, dass sie nicht noch mal bei mir auftauchen. Der Typ hat mich gnadenlos durchschaut. Einen Sik kannst du einfach nicht anlügen."
Ohne hinsehen zu müssen, ließ er das grobe Werkzeug in den richtigen Taschen verschwinden. Aus einer anderen fischte er die neue Sicherung, die er speziell für diesen Job angefertigt hatte, aus der nächsten einen Miniaturlaser.
Da Gregor schwieg, fügte Pierre noch hinzu: "Vielleicht tauchst du eine Weile unter, außerhalb der Stadt. Dann hast du einen Vorsprung, wenn sie doch noch zurückkommen."
"Du wirst mich doch nicht ans Messer liefern, oder?"
Mit dem Laser reinigte er die Kontakte der Halterung und setzte dann die Sicherung ein. Auf seiner Datenbrille tauchte die erneut verbundene Stromleitung in der Software der Segmentüberwachung auf. "Du kennst mich. Würde ich nie tun. Falls sie mich aber foltern ..."
Auf der anderen Seite des ComNets sog sein Kumpel scharf die Luft durch die schmale Öffnung zwischen seinen Lippen. "Folter? Es ist doch schon seit Jahrhunderten niemand mehr von den Siks gefoltert worden."
"Du meinst wohl eher, dass seit Jahrhunderten keiner mehr etwas davon erzählt hat", gab Pierre trocken zurück. "Du weißt es doch besser. Selbst wenn die Siks es täten, wen würde es schon interessieren, was einem kleinen Bastler aus U127 zustößt? Falls doch jemand nachfragt, hat er eben die Beamten bedroht oder sogar angegriffen und es nicht anders verdient."
Das musste Gregor nachdenklich stimmen, denn er schwieg erneut. Dann schien er seinen Entschluss gefasst zu haben. "Okay, ich pack meine Sachen. Man sieht sich." Nach einer Pause fügte er noch hinzu: "Hoffe ich."
"Mach's gut und bleib am Leben."
Die Verbindung wurde unterbrochen und Pierre schloss mit einem Gefühl größter Zufriedenheit die Abdeckung des Verteilerpanels. Der Schrecken, den er seinem Kumpel eingeflößt hatte, trug einen nicht unbedeutenden Anteil daran. Für den Pfusch, den er hier angerichtet hatte, hatte er es verdient, ein paar Tage zittern zu müssen. Falls sich niemand mehr nach ihm erkundigte, würde er ihn zurückholen. Nachdem ein oder zwei Wochen lang in der primitiven Außenwelt-Siedlung über seinen Fehler nachgedacht hatte. Pierre war sich gar nicht so sicher, ob das Sicherheitskorps ihn am Ende nicht doch foltern würde, falls ein anderer Ermittler auftauchte und doch wissen wollte, wer das alles verbockt hatte. Dann konnte er Gregors Namen nennen, ohne großen Schaden anzurichten.
Als er die vielen roten Punkte auf dem Lageplan dieser Etage betrachtete, war er eigentlich recht froh, dass Gregor einige Zeit fort sein würde. Die Ergebnisse seiner Reparaturen waren ... wechselhaft. Manchmal legte er Hand an etwas, dass noch nicht einmal kaputt war. Vielleicht schaffte Pierre es, all diese Fehler aus der Welt zu schaffen, bevor er zurückkehrte. Danach würde er ihm nahelegen, sich ein anderes Hobby zu suchen – oder wenigstens eine andere Etage.
"Oberwelt, ich komme!", murmelte er, in das Grau der Gasse hinein, unbeachtet von den Menschen um ihn herum. Sein Traum war ein komplett grün eingefärbter Lageplan, mit dem er bei seiner nächsten Bewerbung bei den Teks glänzen konnte. Damit er hier wegkam und als Tek einen Job in der Oberwelt bekam oder wenigstens in den einstelligen Unterweltetagen.
Es war schon seit seiner Kindheit seine Bestimmung, die Technologie der Zitadelle zu revolutionieren. Sein Vater hatte den Grundstein gelegt, als er ihn, sobald er laufen und einen Schraubendreher halten konnte, mit zu seinen Reparaturen nahm. Auch er war ein Bastler gewesen. Er hatte ihm immer gesagt, dass er eines Tages ein Tek werden würde, so großartig, dass sich die Etagen um ihn rissen. Dazu musste das Technologische Komitee nur erst von seinem Können erfahren. Die letzten vier Jahre, in denen er das versucht hatte, war seine Bewerbung immer von einem dieser schmierigen Bürokraten abgefangen und aussortiert worden. Er wusste, wer stattdessen den Platz bekam, der eigentlich ihm zustand. Das waren imeer Leute, die wie Gregor mehr Schaden als Gutes anrichten würden. Doch er gab nicht auf. In der Zwischenzeit lernte er noch mehr. Studierte jedes verbaute Stück Zitadellentechnologie und füllte seine Regale mit einer Unzahl Prototypen, die ausnahmslos Verbesserungen ihrer Vorlagen darstellten.
Pierre dachte über die Frage nach, die ihm der Sergeant gestellt hatte. Ob er bei Tamachis Tod nachgeholfen hatte. Hatte er natürlich nicht, aber würde er nachhelfen, um in der Gesellschaft aufzusteigen? Tamachis Posten wäre vollkommen unbedeutend gewesen. Würde er einen anderen Beamten töten, wenn das bedeutete, dass seine Bewerbung endlich dem Komitee vorgelegt wurde?
Wie würde er es anstellen? Eine Bombe in der Bewerbung, die nur auf seine Biosignatur reagiert? So ein Paket würde zurückverfolgt werden können. Auf einen Unfall konnte er dann kaum plädieren. Welche digitale Bewerbung explodierte schon, selbst wenn ihr ein Muster seiner Hardware-Künste beilag? Außerdem würde ein potenziell gefährliches Stück Technik nie den Scanner nach O1 passieren.
Oder würde er ihn verfolgen? Herausfinden, welche Bars er besuchte und den Luftdruckreiniger manipulieren, den jeder Gast vor dem Betreten passieren musste? Auslöser könnte der Chip des Beamten sein. Verständlicherweise könnte er diese Änderung nicht direkt am Reiniger durchführen. Er musste dafür sorgen, dass jemand anders ihn unbeabsichtigt beschädigte. Dem Tek, der das Gerät reparierte, musste er dann das passende Ersatzteil unterjubeln. Komplizierter, mit einigen Schritten an Planung, aber nicht unmöglich.
Pierre schüttelte den Kopf. Das waren nur Spinnereien. Solche Handlungen lagen so gar nicht in seiner Natur. Nicht nur wegen der Gefahr, dabei aufzufliegen. Natürlich hätte er vor den Folgen Angst, schließlich war er kein Psychopath. Nein, er wollte einfach niemanden verletzen oder töten, nur damit er in der Nahrungskette aufsteigen konnte. Es musste einen ehrlichen Weg geben – auch wenn er keine Ahnung hatte, wo er den finden sollte.
Ein neuer roter Punkt tauchte auf der Karte auf und Pierre seufzte.
Als er die Position erkannte, weiteten sich seine Augen.
Das war seine eigene Segmentüberwachung, bei der ein Defekt angezeigt wurde. Einen Bruchteil nach dieser Erkenntnis wurde die Anzeige schwarz. Er hatte die Verbindung zur Segmentüberwachung verloren. Hatte sich der Fehler wiederholt, der während Tamachis Tod aufgetreten war?
Pierre beschleunigte seinen Schritt. Er drückte sich an den farblosen Gestalten vorbei, mit denen er sich die Straße teilte und ignorierte die Flüche, die er dafür erntete. Bei der ersten freien Stelle rannte er. Das hatte er lange nicht mehr getan und bereits nach wenigen Schritten spürte er, wie sein Körper Zweifel ankündigte, dass das eine sinnvolle Art war, ihn zu benutzen. Wer hatte hier schon einen Grund zu rennen? Aber Pierre wollte nicht riskieren, dass ein weiterer Unfall geschah, während er blind war. Deswegen rannte er weiter. Vollkommen atemlos, mit stechenden Seiten und pochenden Schläfen erreichte er seinen Arbeitsplatz.
Die Monitore waren schwarz, bis auf einen. Ein Gesicht blickte ihn daraus an. Verschwommen und im steten Wandel. Wie Artefakte eines hinterhinkenden Kamerabildes verschwanden Teile des Gesichts immer wieder unter einer bunten Pixellandschaft und wurden kurz darauf von einem neuen Teil mit anderen Zügen und anderer Hautfarbe ersetzt. Er wusste, wem dieses Gesichts-Mosaik gehörte.
Das war der Geist des Alpha-Netzwerkes.
"Verdammt!", keuchte Pierre, ging auf die Knie und stützte sich mit den feuchten Handflächen auf dem kalten grauen Boden ab. Es war keine Eile mehr nötig. Dieses Problem würde er nicht so schnell beheben können und es würde einen dicken Brocken seiner Zeit kosten. Er atmete schwer und wechselte in eine bequemere, sitzende Position, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand, die dem Medienpanel mit der Fratze gegenüber lag. Schweiß rann ihm in die Augen und er wischte sich mit dem Ärmel seiner Lederkluft darüber. Das half kaum und er fischte ein Tuch aus einer der Taschen, das für diese Aufgabe besser geeignet war.
"Ich kann dir helfen", flüsterte ihm eine Stimme zu. Er hatte sie kaum wahrgenommen, so zittrig und dünn schwebte sie an sein Ohr.
Er sah sich im Raum um. Er war alleine.
"Ich kann dir helfen, wenn auch du mir hilfst."
Da war sie wieder. Doch Pierre sah immer noch nicht, wo sie ihren Ursprung hatte. "Ich kann dich nicht sehen. Bin ich verrückt?"
"Ich bin direkt vor dir."
Direkt vor ihm? Dort war doch nichts, außer dem Monitor. "Das ist ein Scherz oder? Du rufst mich über das ComNet an und benutzt das Gesicht des Alpha-Geistes. Gregor, bist du das, um dich an mir zu rächen?"
"Nein. Ich bin der Alpha-Geist."
"Das ist ein Virus, oder? Mensch, Gregor! Du hast doch schon genug Schaden angerichtet." Ein verdammter Virus, der es auf seine Etage abgesehen hatte und seinen Traum von einer besseren Welt zerstören würde, wenn Pierre ihn nicht beseitigte.
"Kein Virus. Wirf deine Vorurteile über Bord und hör mir zu. Ich kann dir helfen, den Platz einzunehmen, der dir in der Oberwelt zusteht. Im Gegenzug musst aber auch du etwas für mich tun."
Woher wusste er das? Natürlich kannte auch Gregor seinen Plan, sich bei den Teks zu bewerben. Dass er gerade eben genau darüber nachgedacht hatte, aber sicher nicht. War es gar nicht Gregor? Wer dann? War es wirklich der Alpha-Geist? Viele hatten ihn bereits gesehen, aber das wäre das erste Mal, dass er mit jemandem sprach. Konnte diese virtuelle Spukgestalt nicht nur reden, sondern auch seine Gedanken lesen? Pierre zuckte mit den Schultern. Was für ein Quatsch. Er war Bastler, kein Medium. Er würde gleich damit anfangen, den Schaden zu reparieren. So lange hatte dieser Geist Zeit, ihn zu überzeugen.
"Dann schieß mal los!"
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