This
Fuck! Warum muss dieser Verräter, gerade jetzt knurren? Gerade jetzt, wenn ich mich am Liebsten in meinem Apartment verstecken will. In meinem Apartment, das sicher ist.
Ich bleibe wie angewurzelt an meiner Tür stehen, während ich in meinem Kopf eine Ausrede zusammenspinne. Ich höre ein leises Lachen hinter mir, woraufhin ich mich umdrehe und ihn böse anfunkel.
„Komm Babe, ich hab den Grill angeschmissen. Und nichts geht um einen Burger und ein Glas Wein, nach einem harten Tag."
Er lächelt mich an und wieder erscheinen diese Grübchen. Diese Grübchen, die ihn wie einen kleinen Jungen erscheinen lassen. Erst jetzt merke ich, dass er eine Grillzange in der Hand hält. Ich bin schon wieder kurz davor ihm zu sagen, dass ich keinen Hunger habe, doch bevor ich etwas erwidern kann, schnellt er nach vorne, greift nach meinem Arm und zieht mich in sein Apartment.
„Ey was soll das!", fluche ich und versuche mich aus seinem Griff zu befreien.
„Du hast Hunger", lautet seine knappe Antwort, als er mich weiter hinter sich durch sein Apartment zieht.
„Was bist du? Ein Neandertaler?", schnaube ich, während mein Blick langsam auf seine Wohneinrichtung fällt.
Er hat Stil...Mein Blick wandert auf die neu modernen Möbel, bis er auf ein Wandtattoo von einer mir unbekannten Skyline fällt. Oder vielleicht doch nicht so unbekannt? Auf jeden Fall nicht in den USA... Ich spüre Wests Blick auf mir, während ich das Wandtattoo unbeirrt weiter mustere.
„Toronto", höre ich plötzlich seine Stimme von meiner rechten Seite.
Toronto? Er muss meinen fragenden Blick gesehen haben, denn plötzlich fängt er erneut an zu sprechen.
„Ich bin gebürtiger Kanadier. Meine Eltern sind mit mir, als ich fünf Jahre alt war, in die USA ausgewandert."
Ich weiß nicht warum, aber auf einmal schweben mir Bilder von Ryan Gosling und Stephen Amell im Kopf herum. Er ist aus dem gleichen Land wie Ryan Gosling? Natürlich ist er aus dem gleichen Land, wie Ryan Gosling. Guck ihn dir doch mal an Zoe !
„Es ist wunderschön", hauche ich, während meine Finger über die Umrisse der Skyline fahren.
„Danke. Es war auch ein ganzes Stück Arbeit es auf die Wand zu bekommen"
Er packt sich mit der Hand an den Hinterkopf und fährt verlegen durch sein Haar. Moment Mal... Ich drehe mich vorsichtig zu ihm um, als mir die Erkenntnis kommt.
„ Willst du mir etwa sagen, dass du ...", ich deute mit meinem Finger auf die Wand vor mir „ das da alleine auf die Wand gemalt hast?"
Mein Mund öffnet sich leicht, während ich auf die präzisen schwarzen Linien schaue, die sich von der weißen Wand abheben. Ich höre wie er nervös lacht, sich erneut durch die Haare fährt und mir mit der Hand zu bedeuten gibt, dass ich ihm in die Küche folgen soll. Ich hab ihn noch nie so nervös gesehen ...Er öffnet den Kühlschrank und holt das Fleisch und Gemüse heraus.
„Ich bin Graphikdesigner"
Graphikdesigner? Ich schaue ihn erstaunt von der Seite an, während er die Gurken und Tomaten klein schneidet. Und auf einmal macht alles Sinn. Mein Blick wandert die schwarzen Linien an seinen Oberarmen entlang, die weich ineinander übergehen. Aber natürlich... Mein Magen macht einen komischen Sprung, als mir klar wird, dass West eine künstlerische Ader hat. Irgendwie hatten mich künstlerische Personen schon immer angezogen.
„Deine Tattoos, sind die auch selber entworfen?", höre ich mich dazwischenwerfen, gleichzeitig packt West das Gemüse in eine Schüssel.
Ich sehe wie seine Mundwinkel sich nach oben ziehen, als er nickt und das Fleisch in die eine und das Gemüse in die andere Hand nimmt.
„Ich wollte etwas Besonderes. Etwas was Niemand hat. Kurzerhand hab ich mich dann selber auf meiner Haut verewigt."
Ich beobachte, wie seine Arme sich anspannen, als er durch das Wohnzimmer, nach draußen auf den Balkon läuft. Dieser Kerl ist voller Überraschungen. Meine Augen, wandern durch den Raum, als ich West auf den Balkon folge. In der Mitte des Wohnzimmers steht eine schwarze Couch, auf der weiße Kissen belanglos drapiert sind. Ein großer Flatscreen ist an der Wand befestigt und davor steht eine Playstation. Wie sollte es auch anders sein?
Bei der Vorstellung, wie West hier sitzt und an seiner Playstation spielt, muss ich lachen. Ich halte mir die Hand vor den Mund, als ich anfange zu kichern.
„Macht es dir was aus, mich an deinem Witz teilhaben zu lassen?"
West bleibt stehen und dreht sich nach mir um. Sein braunes Haar leuchtet in der Abendsonne, fast karamellfarbend. Ich deute auf seine Playstation, laufe an ihm vorbei und setze mich auf die weiße Eckbank, die in einer der Ecken auf seinem Balkon steht.
„Babe, ich weiß, dass du manchmal komisch bist, aber dass du nicht weißt, was eine Playstation ist, enttäuscht mich echt"
Er fasst sich mit einer Hand theatralisch an seine Brust und schaut mich mit einem gespielt geschockten Gesicht an. Ich lache und schüttele mit dem Kopf.
„Amber hat drei Brüder. Natürlich weiß ich was eine Playstation ist. Ich hätte dich nur nicht für den Typ Mann gehalten, der nachts an seiner Playstation sitzt und Call of Duty spielt."
„Ach nein? Und für was für einen Typ Mann hältst du mich?"
Er leckt sich über seine Oberlippe, während sein Blick an meinem Ausschnitt hängen bleibt. Ich schlucke.
„Für den Typ Mann , der kleine Kinder zum Frühstück isst", witzel ich, während er mich beobachtet, wie ich meine herausfallende Haarsträhne, hinter die Ohren streiche.
Plötzlich registriere ich, wie er einen Schritt auf mich zu macht. Und einen Weiteren. Er bewegt sich wie ein Raubtier... Mein Atem beschleunigt sich, bis er plötzlich vor mir zum Stehen kommt. Er kommt mir näher bis sein Gesicht nur noch Zentimeter von meinem entfernt ist. Sein Geruch ist das Einzige was ich einatme, als er mit einer Hand nach meinem Nacken fasst. Oh mein Gott er wird mich küssen! Mein Nacken fängt an der Stelle, wo seine Finger meine Haut streifen an zu kribbeln, als seine Hand zu meinem Haargummi fährt und meine Haare langsam aus meinem strengen Dutt löst. Meine Locken fallen mir unordentlich über die Schulter und ich merke wie ich rot werde. Seine Hand bleibt auf meinem Nacken liegen, als er mir eine Haarsträhne, die der Wind in mein Gesicht geweht hat, zur Seite streicht. Seine dunkelblauen Augen sind auf meine gerichtet und ich bin so verloren in Ihnen, dass ich kaum mitbekomme, was er zu mir sagt.
„Lass sie offen"
Ich seufze leise, als seine Fingerspitzen ein letztes Mal an meinem Nacken entlang streichen, bevor er sich wieder dem Grill widmet. Ich winkel meine Beine an, umschlinge sie mit meinen Armen und stütze meinen Kopf auf meinen Knien ab. West beim Grillen zuzuschauen, hat etwas dermaßen Häusliches, dass mir plötzlich ein Bild von kleinen braunhaarigen Jungen mit blauen Augen vor die Augen springt. Ich muss wahnsinnig geworden sein...Ich schüttele den Kopf und beobachte, wie West das Fleisch für die Burger auf die andere Seite wendet.
„Hast du Durst?", unterbricht plötzlich seine tiefe Stimme das Zirpen der Grillen.
Ich nicke und schenke ihm ein kleines Lächeln.
„Macht es dir was aus, so lange auf die Burger aufzupassen?"
Ich schüttele den Kopf, stehe auf und nehme ihm die Grillzange aus der Hand, gleichzeitig streifen sich unsere Hände kurz, was dazu führt, dass Wests Augen eine Nuance dunkler werden und sich auf meinem Arm eine Gänsehaut ausbreitet. Seine Hand wandert zu meinem Haar und spielerisch dreht er sich eine meiner Locken um die Finger.
„Ich bin gleich wieder da. Renn nicht weg, Klammeraffe."
Bei dem Kosewort breitet sich eine wohlige Wärme in meiner Magengegend aus. Ich schließe die Augen und spüre, wie die leichte Abendluft über mein Gesicht streicht. Ich weiß, nicht wie lange ich dort stehe, denn als ich plötzlich spüre wie zwei Hände meine Taille von hinten umschlingen und mich leicht zur Seite schieben, zucke ich zusammen.
„Schreckhaft?", höre ich ihn in mein Ohr lachen, während er mir mit der einen Hand die Grillzange aus der Hand nimmt und mit der anderen ein großes Glas Rotwein reicht.
„Danke.", flüstere ich und setze mich wieder auf die Eckbank.
Ich nippe an meinem Rotwein, während mein Blick auf die untergehende Sonne fällt. Ich seufze und strecke meine Füße über die Eckbank. Eine kühle Brise, weht über meine nackten Arme und ich erzittere. Der herzhafte Geruch von Burgerfleisch weht mir entgegen und augenblicklich knurrt mein Magen.
„Der Chefkoch ist schon zur Stelle", höre ich West sagen, als er einen Teller mit einem Burger auf meinem Schoß platziert und sich ebenfalls mit seinem Teller neben mich setzt.
Das Wasser läuft mir im Mund zusammen, als ich den Burger eingehend betrachte. Wie lange habe ich schon keinen Burger mehr gegessen?
„Roxanne und Brittany bringen mich um", murmel ich leise vor mich hin, als ich den Burger in meine Hand nehme und einen großen Bissen von ihm abbeiße.
Ich schließe die Augen, als der Käse auf meiner Zunge zerrinnt, und lecke mir über die Oberlippe. Ich stöhne leise auf, als ich einen erneuten Bissen nehme. Ich bin eindeutig im Himmel... Selbst mit geschlossenen Augen spüre ich, dass West mich beobachtet, denn ein heißer Schauer läuft mir über den ganzen Körper. Ich öffne meine Augen und blicke in sein Grinsen.
„Wenn ich gewusst hätte, dass du solche Geräusche beim Essen machst, hätte ich dich schon viel früher bekocht."
Sein Finger wandert zu meinen Mund und wischt mir einen Tropfen Sauce von den Lippen.
"Kochen nennst du das also?", witzel ich , während ich den letzten Bissen meines Burgers verdrücke.
Ich stelle den Teller auf den Tisch und reibe mir meinen Bauch.
„Es geht nichts über ein gutes Barbeque", seine Stimme klingt verträumt als sein Blick auf den Grill wandert.
„Barbeque. Ein kaltes Bier. Liebe, Leidenschaft. Das ist Alles, was man im Leben braucht. Du kannst in dem größten Haus, der schönsten Stadt oder an einem der schönsten Strände wohnen, aber wenn dir die Leidenschaft, die Begeisterung für Etwas oder die Liebe zu einem Menschen fehlt, dann nützt dir all dein Geld auch nichts."
Leidenschaft. Einen Menschen, den man liebt? Ich schaue auf meinen Verlobungsring, während ich an Brad denke.
„Leidenschaft ist nicht alles im Leben. All die Leidenschaft nützt dir nichts, wenn dein Leben nicht beständig und sicher ist", sage ich bestimmend, als ich ihm in die Augen schaue.
„Was hast du vom Leben, wenn dein Leben beständig ist und du es nicht voller Leidenschaft gelebt hast? Sei es Leidenschaft für deine Träume. Leidenschaft für eine Sache. Oder Leidenschaft für eine Person, die du nur anzusehen brauchst, damit dein ganzer Körper vor Verlangen sich nach ihr sehnt."
Mein Atem stockt, während ich das Gefühl habe in einen Strudel von Blau zu versinken. Ich erzittere, und auf meinen Armen erscheint Gänsehaut. Ich bin so in dem Moment gefangen, dass ich abrupt aufschrecke, als ich plötzlich etwas neben mir vibrieren fühle. Der magische Moment zwischen uns ist zerstört.
„Mein Handy. Ich muss da mal eben dran gehen" , höre ich ihn sagen, während er mit dem Handy in der Hand nach drinnen läuft.
„Hi Lindsay", seine Stimme klingt freundlich.
Zu freundlich. Ihr seit nur Freunde. Es ist egal, was er in seiner Freizeit macht. Du bist verlobt. Ich schaue auf meinen Verlobungsring, gleichzeitig versuche ich herauszufinden, wovon das Gespräch handelt. Anscheinend möchte Lindsay sich mit ihm treffen. Mehr kann ich allerdings nicht mithören, denn seine Stimme entfernt sich immer weiter, bis ich gar nichts mehr höre. Ich nippe erneut an meinem Rotwein, während ich dabei zusehe, wie die Schwalben in der Luft ihre Kreise ziehen.
Vögel hatten mich schon immer fasziniert, seit ich ein kleines Kind war. Sie waren frei. Konnten da hin fliegen wo sie wollten. Wenn ihnen ein Ort nicht gefiel, flogen sie einfach weiter, dorthin wo sie sich wohl fühlten. Wo sie sich geliebt fühlten. Einen Ort, den sie Heimat nennen konnten. Brad hatte einmal gesagt, dass Vögel nutzlose Tiere wären, und man sie alle erschießen könne. Ich war davon gar nicht begeistert gewesen, weshalb ich einen Tag mit ihm nicht mehr geredet hatte. Das war am Anfang unserer Beziehung gewesen, denn jetzt würde ich mir niemals einfallen lassen einen Tag mit Brad nicht zu reden. Manchmal wünschte ich mir ich wäre selber ein Vogel. Dann wäre ich frei und sorgenlos.
Ich bin so in meinen Gedanken versunken, dass ich aufschrecke, als West plötzlich mit einem Bier in der Hand und seiner Lederjacke über mir steht. Er drapiert seine Jacke über meinen Rücken, während er darauf wartet, dass ich meine Arme in die Ärmel stecke. Das warme männlich riechende Leder umhüllt mich, als ich die Lederjacke noch enger an mich ziehe.
„Danke", murmel ich und rutsche ein Stück zur Seite, nehme meine Füße von der Sitzecke und stelle sie wieder vor mir auf den Boden.
Meine Beine und meine Füße tun immer noch weh. West setzt sich neben mich, gleichzeitig greift seine Hand nach meinen Knöchel und legt meine Beine in seinen Schoß. Seine Hand fängt langsam an meine Beine zu massieren und ich seufze.
„Woher wusstest du...?", meine Stimme bricht ab, als er einen wunden Punkt gefunden hat, der mich vor Schmerzen aufzischen lässt.
„Babe, glaubst du ich sehe nicht wie komisch du läufst seit du hier bist?"
Seine Hand wandert langsam meinen Oberschenkel entlang und ich spüre wie es zwischen meinen Beinen heiß wird. Ganz schlechte Idee. Ganz ganz schlechte Idee. Mit seinen Fingerspitzen malt er kleine Kreise über meine Oberschenkel, während ich versuche mich auf die Konversation zu konzentrieren.
„Das wäre alles nicht passiert, wenn Roxanne und Brittany mich nicht zum Pilates mitgeschleppt hätten!", schnaube ich, woraufhin ich ihn lachen höre.
„Pilates, Babe? Wenn du willst, dass dein Hintern noch heißer wird, solltest du mit mir ins Fitnessstudio gehen."
„Ins Fitnessstudio? Nie im Leben! Ich hasse Sport!"
Ich sehe, wie sich seine Augen weiten.
„ Du willst mir sagen, dass dieser Körper...", sein Blick wandert von meinen Brüsten bis zu meinen Beinen „ ohne jeglichen Sport, so aussieht?"
Ich zucke mit den Schultern und nehme einen weiteren Schluck von meinem Rotwein.
„Tja, ich schätze mal ich habe gute Gene."
Meine Mutter war immer schlank gewesen, und durch ihre Drogenabhängigkeit, war sie fast magersüchtig geworden. Mein Vater, den ich nie wirklich gekannt hatte, war früher, laut meiner Mutter auch sehr sportlich gewesen. Ich schlucke, weil ich weiß, was für eine Frage als Nächstes kommt.
„ Wie ist deine Familie so?"
In meinem Hals breitet sich ein Kloß bei seinen Worten aus und ich schlucke erneut. Oh Gott. Nicht schon wieder diese Frage. Im Laufe der Jahre hatten mir unzählige Menschen, diese Frage gestellt und ich hatte immer eine passende Ausrede. Erzähl ich ihm die Wahrheit oder die Märchen, die ich jeder anderen Person auftische? Die Märchen, die ich selbst, Brad erzählt habe...Ich weiß, nicht warum aber ehe ich mich versehe, kommen die Worte aus mir heraus.
„Ich habe keinen Kontakt mehr zu meiner Familie."
Ich schlucke und wende den Blick von Wests eindringlichem Blick ab. „ Meine Mutter, sie ist ...drogenabhängig. Und meinen Vater hab ich nie kennengelernt."
Kurze knappe Antworten. Mehr nicht.
„Das tut mir Leid", höre ich ihn aufrichtig flüstern, während seine Hand nach meiner greift und über meine Handinnenfläche streichelt.
Ich weiß nicht warum, aber diese kleine Geste, die mir zeigt, dass West mich nicht verurteilen wird, löst in mir den Drang aus mich ihm noch weiter zu öffnen.
„Ich komm ursprünglich aus Texas. Bin dort geboren, zur Schule gegangen, hab dort meinen ersten Freund geküsst...", ich muss lächeln, als ich an Austin Michaels denke, der mir mit vierzehn meinen ersten Kuss geschenkt hat.
„Meine Mutter....sie war nicht immer so. Eigentlich war sie immer das totale Gegenteil. Sie war fröhlich. Ein lebenslustiger Mensch. Bis Dave in ihr Leben trat. Dave war einer von Mums neuen Freunden. Er trank und war herrisch und viel zu oft, hatte er seine Freunde zu Besuch. Am Anfang waren es nur ein paar lines, bis sie dann anfing sich zu spritzen."
Ich schlucke und kämpfe gegen die Tränen an, die meine Augen zu durchbrechen scheinen.
„In meinem letzten Jahr auf der Highschool musste ich sie drei Mal in die Notaufnahme fahren, und obwohl sie es jedes Mal nur knapp überlebt hat, saß sie am nächsten Tag wieder da mit einer Spritze, die ihr wichtiger zu sein schien, als ihre eigene Tochter."
Die Tränen fließen mir nun über die Wangen, als ich an den Tag zurück denke, als ich Mum leblos im Badezimmer gefunden hatte, neben ihr eine Spritze, die sie sich vorher in den Arm geschossen hatte.
„Das letzte Mal, als ich sie gesehen habe, war vor drei Jahren. Ich hab meine Sachen gepackt und bin von zu Hause abgehauen. Das war auch die Zeit in der ich Brad kennengelernt habe. Er... hat sich um mich gekümmert und mir gezeigt, wie wichtig Sicherheit und Beständigkeit sind."
Mir fließen weitere Tränen über das Gesicht.
„Es gibt keinen Moment in dem ich es bereue, dass ich sie einfach dort sich selber überlassen habe."
West, der mir die ganze Zeit stumm zugehört hat, hebt seine Hand und wischt mir mit dem Zeigefinger die Tränen vom Gesicht.
„Manchmal, muss man das tun, was für einen richtig ist. Auch, wenn es manchmal die Menschen um einen herum zerstört", seine Stimme dringt in die kalte Nachtluft, während seine Augen auf meinem Gesicht liegen.
„Du hast das richtige getan, Z. Wenn du dort geblieben wärst, hätte sie dich zerstört."
„Aber West, sie ist meine Mum. Zählt das denn gar nicht?", frage ich flüsternd, während ich mir aufgebracht in die Haare fasse.
„Wenn sie deine Mutter wäre, hätte sie sich um dich gekümmert. Sie wäre für dich da gewesen."
Eine Stille des Schweigens umhüllt uns, während ich seine Worte in mich einsinken lasse. Hatte ich vielleicht doch das richtige getan? Die kühle Nachtluft trocknet allmählich meine Tränen und ich sehe, wie die Wolken langsam vom Himmel ziehen und den Blick auf eine klare Sternennacht freigeben. Nach einer Weile, in der keiner von uns etwas gesagt hat, unterbreche ich die Stille.
„Und was ist mit deiner Familie? Leben sie wieder in Kanada? Oder immer noch hier?"
Ich weiß, dass es ein ganz großer Fehler war diese Frage zu stellen, denn augenblicklich legt sich ein Schmerz auf Wests Gesicht, der sich wie ein Fausthieb auf der Brust anfühlt. Ich spüre, wie sich mein Herz zusammenzieht. Ich kenne diesen Blick. Bitte mach, dass meine Befürchtungen nicht wahr sind. Bitte mach, dass das nicht wahr ist.
„Meine Eltern sind tot"
Ich spüre, wie die Luft in meinen Lungen zusammengedrückt wird, als ich in Wests Gesicht schaue.
„Oh Gott, dass tut mir so leid"
Seine Augen sind wie in Trance, als er weitererzählt.
„Es war kurz nach meinem achzehnten Geburtstag. Meine Eltern... sie waren schon immer anders. Während die Eltern von meinen Freunden kaum mehr miteinander ausgingen und sich fast nichts mehr zu sagen hatten, liebten sich meine Eltern abgöttisch. Sie waren verrückt nach einander. Und oft, besonders als ich älter wurde, war mir das sehr peinlich. Sie knutschten fast jeden Tag, wie verliebte Teenager miteinander,und manchmal, wenn meine Freunde bei mir zu Besuch waren, konnte es sein, dass meine Mum mit Knutschflecken am Hals aus dem Schlafzimmer kam oder mein Dad mit verwuschelten Haaren und Boxershorts über den Flur lief."
Ich muss leicht lächeln bei der Beschreibung seiner Eltern.
„Aber so sehr sie sich auch liebten, sie zankten sich. Und das nicht zu wenig. Meine Mum schrie ihn an, dass er ein dummer Idiot sei und mein Dad betitelte sie als Schnepfe. Aber jedes Mal vertrugen sie sich wieder. Mein Dad..", ich höre ihn kurz auflachen „ schmiss meine Mum einfach über seine Schulter, während sie lautstark protestierte, und trug sie ins Schlafzimmer, wo sie dann bis zum Abend nicht mehr herauskamen."
„Als ich klein war, kamen meine Eltern meistens, nachdem sie sich versöhnt hatten, abends auf mein Zimmer, um mir eine Geschichte vorzulesen. Irgendwas Gruseliges. Mit Monstern oder Zombis. Ich weiß, noch dass meine Mum jedes mal von innen quasi strahlte und mein Dad kaum seine Augen von ihr lassen konnte."
Ich merke, wie ich eine Gänsehaut bekomme, bei der Vorstellung, wie sehr sich Wests Eltern geliebt haben müssen.
„Eines Abends...", sein Blick wird glasig als er versucht weiter zu sprechen.
Meine Hand wandert zu seiner Wange, während meine Fingerspitzen über seine Wangenknochen streichen.
"....es war ...kurz nach meinem achzehnten Geburtstag. Die beiden gingen aus, so wie sie es jeden Samstagabend taten. Sie trug eines ihrer roten Kleider, dass mein Dad so sexy fand. Ich weiß noch, wie ich die Augen verdreht hab, als sie auf meinen Vater zu gerannt war und ihm in die Arme gesprungen ist."
Ein nervöses Lachen entfährt ihm, bevor er anfängt weiter zu reden.
„Ich war bei Chris, als mich die Nachricht erreichte. Sie ...sie ..", seine Stimme stockt und ich sehe den Schmerz in seinen Augen.
Ich rutsche auf der Eckbank weiter nach vorne, um den Abstand zwischen uns zu verringern, bevor meine Hand sanft über sein Haar streicht
„ Schh ich bin bei dir.", flüstere ich leise, während ich ihm immer wieder über die Haare streiche. „ wurden an einer Ampel von einem fahrenden Bus gerammt. Mein Dad, er..er flog durch die Windschutzscheibe, während meine Mum eingeklemmt auf ihrem Sitz war."
„ Oh Gott, wie furchtbar." , flüstere ich und ziehe Wests Kopf noch näher an meine Brust.
„Sie waren sofort tot. Das haben sie mir zumindest im Krankenhaus gesagt."
Sein ganzer Körper zittert in meinen Armen, während er weiterhin in die Leere starrt.
„Nach ihrem Tod, hab ich all meine Pläne über Bord geschmissen. Ich bin nicht aufs College gegangen. Lag nachmittags, betrunken auf meinem Bett und wollte keine Menschenseele sehen. Während, das Leben meiner Freunde weiter ging, blieb für mich die Welt stehen. Ich war alleine und hatten niemanden mehr. Keinen mehr, der mir Mac and Cheese machte, wenn es mir schlecht ging und keinen mehr, der mich mit Mädchen aufzog."
Mein Herz zieht sich für ihn zusammen, als ich mir einen achtzehnjährigen West, mit gebrochenem Herzen vorstelle, der alleine in seinem Zimmer liegt.
„Der einzige Mensch, der mich in dieser Zeit ertragen hat und nicht von meiner Seite gewichen ist, war Chris."
Bei dem Gedanken an Chris, wie er West durch diese schreckliche Zeit geholfen hat, breitet sich ein warmes Gefühl in mir aus, wohl wissend, dass er das Gleiche für Amber tun wird, wenn es ihr mal schlecht geht.
„Ein Jahr später, hab ich ein Zeit in Toronto verbracht, der Stadt, in der meine Eltern geheiratet haben."
Es war nicht nur eine Skyline, sondern es hatte eine viel tiefere Bedeutung. Mein Herz zieht sich erneut zusammen, als ich darüber nachdenke, wie viele Stunden West damit verbracht haben muss die Heiratsstadt seiner Eltern so perfekt auf die Wand zu bringen.
„Toronto, war der perfekte Ort, dafür mit Allem abzuschließen. Der perfekte Ort, um wieder nach vorne zu schauen."
Meine Hand, streicht abwesend durch sein Haar, während ich auf den dunklen Nachthimmel schaue.
„Nachdem ich wieder in den USA war, hab ich mich dann fürs College eingeschrieben. Und jetzt fünf Jahre später, bin ich hier."
Sein Blick wandert zu meinem Gesicht und ich sehe, wie seine Augen meine fixieren. In meinem Körper, wirbelt ein Tornado von Gefühlen, als ich ihn zurück anschaue. Mitleid. Trauer. Verbundenheit? Ja Verbundenheit. So schrecklich seine Geschichte auch war und so viel Leid, wie er in den letzten Jahren durchlitten haben muss, ich fühle mich ihm seltsam verbunden, denn ich weiß, dass wir beide unsere Familie verloren haben. Sei es durch den echten oder den symbolischen Tod.
Ein leichtes Lächeln umspielt seine Lippen, als seine Hand zu seiner Wange wandert und sie über meine legt.
„Danke, Zoe." murmelt er und umschließt seine Finger mit meinen.
***
Fünfzehn Minuten, später sitzen wir in seinem Wohnzimmer. Vor seiner Playstation. Ich weiß, nicht wirklich wann wir auf einmal hier hingekommen sind, aber irgendwann war West aufgestanden, hatte meine Hand genommen und mich ins Wohnzimmer gezogen. Und nun saßen wir hier und spielten Call of Duty. Wenn Brad mich jetzt sehen würde..
„ Babe, du musst schneller schießen, sonst verlieren wir"
Ich sitze auf dem Boden vor seinem Flatscreen und drücke ohne Unterbrechung irgendwelche Knöpfe auf dem Controller.
„West, diese Typen gegen die wir spielen, spielen das den ganzen Tag. Das ist viel zu schwer."
Mein Daumen drückt unerlässlich auf einer Taste, und ich sehe, dass meine Spielfigur plötzlich anfängt zu schießen. Ich beiße mir auf die Unterlippe, während ich versuche mit der anderen Hand zu zielen. Dieses verdammte Spiel! In der kurzen Zeit, in der wir spielen, habe ich noch keine Person getötet, während West mindestens vierzig Personen getötet hat. Wie machte er das bloß? Ich höre West lachen, als ich weiterhin immer energischer auf meinem Controller drücke. Ich stöhne vor Ärger auf und verziehe mein Gesicht.
„Ich hasse dieses Spiel."
Ich sehe dabei zu, wie meine Person erneut getötet wird.
„Arrgh.", fluche ich, während ich West neben mir weiterhin lachen höre.
„Babe, es ist ganz einfach. Komm mal her"
Er winkt mich mit seinem gekrümmten Zeigefinger zu sich und bedeutet mit seiner Hand, dass ich mich zwischen seine Beine setzen soll. Mein Herz schlägt mir zum Anschlag, als ich mich zwischen seinen Beinen niederlasse, und er mir den Controller in die Hand drückt. Ich atme seinen männlichen Geruch ein, als er sich über mich beugt, und seine Hände auf meine legt, um mir zu zeigen, welche Knöpfe ich wann drücken muss. Ich kann mich kaum konzentrieren, als er versucht mir die Tastenkombinationen zu erklären, denn alles was ich wahrnehme ist seine Hand, die leicht auf meine drückt.
„Und wenn du schießen willst...", ich fühle, wie seine Lippen mein Ohr streifen „ dann drückst du genau..." seine Hand wandert zu meinem Daumen und drückt ihn leicht nach unten „ diese Taste."
Meine Lippen öffnen sich leicht und meine Beine fangen an zu zittern, als ich seinen heißen Atem auf meinem Nacken spüre. Konzentrier dich Zoe. Konzentrier dich! Ich schüttele den Kopf und versuche mich auf das Spiel vor mir zu konzentrieren. Mein Blick wandert, von seiner Hand, die leicht auf meine drückt auf den Flatscreen. Ich beobachte, wie meine Spielfigur, zielt und eine andere abschießt.
„Oh mein Gott!", kreische ich aufgeregt und schmeiße den Controller in die Luft.
„Ich hab jemanden getötet"
Ich springe auf und reiße die Arme in die Luft und vollführe einen kleinen Tanz. West der hinter mir ebenfalls aufgestanden ist, beobachtet mich amüsiert, während ich freudig weiterhin durch sein Wohnzimmer hüpfe.
„Hast du das gesehen? Ich hab jemanden getötet."
Ich schmeiße mich in Wests Arme und umschlinge seinen Hals. Augenblicklich schlingen sich seine Arme ebenfalls um meinen Rücken. Ich schließe die Augen und lege mein Kinn auf seine Schulter. Seine Hände streicheln mir leicht über den Rücken und ich habe das Gefühl, dass ich genau hier in seinen Armen, einschlafen könnte. Ein warmer Schauer läuft meinen Rücken herunter, als seine Hand gefährlich nah an meinen Hintern kommt. Ich spüre, wie seine Hand an meinem unteren Rücken stehen bleibt, als er mich noch näher an sich heranzieht. Seine Hand fährt langsam durch mein Haar . Auf und ab. Auf und ab. Ich seufze und schmiege mich noch enger an ihn. Inzwischen stehen wir so nah beieinander, dass kein Blattpapier mehr zwischen uns passt. Oh Gott was mache ich hier? Ich öffne meine Augen und löse leicht meine Arme von seinem Hals. Seine Hände bleiben immer noch auf meinem Rücken liegen, als ich mich ein Stück von ihm abwende.
„Ich ...sollte gehen. Es ist schon spät", räuspere ich mich, während ich noch einen Schritt zurückweiche.
Seine Hände, fallen von mir ab und ich sehe wie er nickt.
„Ich bring dich noch zur Tür."
Ich nicke kurz, während er mich mit einer Hand an meinem unteren Rücken zur Tür führt.
„Danke", murmel ich, gleichzeitig schäle ich mich aus seiner Lederjacke und gebe sie ihm zurück.
„Ich schätze mal wir sind jetzt Freunde oder?"
Seine Hand wandert zu seinem Hinterkopf, während er sich durch sein Haar fasst. Ich nicke und beobachte, wie sich ein Grinsen auf sein Gesicht legt. Und in diesem Moment, wird mir klar, dass wir beide den Anderen brauchen.
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Ersteinmal frohe Weihnachten ihr lieben Menschen:) Hier ein neues Kapitel für euch :D
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