1. - Wunschmarkt
Das Festival für Übernatürliches galt seit jeher als ganz besonderer Ort. Meiner bescheidenen Meinung nach völlig zurecht. Es war mir mehr Heimat geworden, als mein richtiges Zuhause in der Bucht von Meanin, wo ich zwischen Sirenen und Nixen aufgewachsen war. Hexen, Gnome und Musiker aus allen fünf Völkern trafen sich zu Beginn der Jahreszeiten, um Tränke, Glücksbringer oder Lieder unter das Volk zu bringen, jedesmal in einem anderen Teil von Elysia. Es war ein wildes, lautes und sehr buntes Spektakel. Der ganze Festplatz duftete nach Essen und alles wurde von Musik untermalt. Mal waren es lebhafte Klänge, die zum Tanzen einluden, mal wehmütige Balladen, die selbst mich verzauberten. Der Frühlingshof hatte sich auf einem Flecken Erde eingerichtet, der direkt zwischen Illismea und Aristea lag. Wie jedes Jahr startete die Saison bei den Elfen und Nymphen. Dort, auf einer Wiese voller bunter Blumen, sollte sich nun auch mein Schicksal verändern.
Sammler wie ich zogen durch die Lande, um das Bedürfnis der Veranstalter nach Zutaten aller Art zu stillen. Egal, ob es sich um Pflanzen oder Tiere handelte, prinzipiell konnte ich alles beschaffen. Doch meine Prinzipien waren es auch, die mir hier in luftiger Höhe im berühmten Glockenblumenwald der Elfen Probleme bereiteten.
*Warum brauchen Elysier Federn?*, ertönte eine Stimme in meinem Kopf. Der Sprecher, ein Pfauenvogel, klang über den Kommunikationsfaden eher neugierig als besorgt. Obwohl ich lieber mit Vierbeiner als mit Vögeln sprach, gab ich mein Bestes, um höflich zu sein. Pfauenvögel legten auf so etwas Wert. Sein Gefieder war von tiefblauer Färbung, ein paar Nuancen heller als meine Haut. Es war ein Glück gewesen, sein Nest in diesem Teil von Illismea zu finden. Normalerweise brüteten die Vögel im Wald von Aristea, am liebsten in den Baumriesen, die wesentlich gefährlicher zum Besteigen waren. Doch dieser hatte dem Reiz der gigantischen Blumen nicht widerstehen können und sich direkt unter einer violetten Blumentraube eingerichtet. Es war auch wirklich ein atemberaubender Anblick, wie die Blume um Blume gemeinsam einen Wald bildeten.
*Nun, soweit ich weiß, bauen sie daraus Dinge. Anhänger und so.*
Von unten ertönte ein Jaulen. Jemand schien ziemlich ungeduldig zu sein. Ich sollte versuchen, die Sache schnell hinter mich zu bringen, bevor sich Schwierigkeiten entwickeln konnten.
*Anhänger*, seufzte der Vogel und fächerte sein Gefieder auf. *Sind die nicht ziemlich unpraktisch? Damit bleibt man bestimmt immer hängen.* Die leuchtenden Schwanzfedern schwangen in Reichweite, immer hin und her. Aber der Anstand verbot es, einfach zuzugreifen. *Aber ich verstehe das*, erklärte der Vogel weiter. Die meisten von euch sind von Natur aus hässlich. Ihr braucht hübsche Dinge, um euch schön zu fühlen.*
Großartig. Mein geflügelter Freund schien in Plauderlaune zu sein. Ein wahrer Philosoph. Mir blieb auch nichts erspart. Ich versuchte, den Pfauenvogel freundlich anzulächeln. Gleichzeitig schlief mein Bein ein und sandte ein unangenehmes Prickeln durch meinen Körper. Ich hatte glück, dass der Vogel ein Lächeln nicht von einer Grimasse unterscheiden konnte.. *Vermutlich hast du recht.* Es war bestimmt eine gute Idee, dem zukünftigen Federnspender nichts von den Fluchtränken zu erzählen, für die sein Gefieder hauptsächlich herhalten musste. Schutzanhänger gegen böse Blicke gingen zur Zeit schlechter. Er hätte bestimmt auch dazu eine Meinung gehabt.
Wind kam auf und ließ die riesigen Glockenblumen schaukeln. Ein weiteres Jaulen schoß durch den Wald. Meine Beinmuskeln protestierten, als ich sie stärker anspannte, um mich auf dem Blatt zu halten. Am Himmel zogen Wolken vorbei, deren dunkle Schatten nichts Gutes bedeuteten. Der Pfauenvogel hatte seine Augen geschlossen und hielt seinen Schnabel in den Wind. Seine Lider zuckten, während er die frische Luft einatmete.
*Falk?* Eine ungeduldige Stimme klopfte auf einem neuen Kommunikationsfaden gegen meine innere Barriere. Ich schüttelte den Kopf, auch wenn es hier oben niemand sehen konnte.
Abgesehen von dem Vogel, der mir gerade wieder seine Aufmerksamkeit zuwandte. *Nun, meine Schwungfedern kann ich dir nicht geben. Mein Weibchen mag sie zu gerne.* War das gerade ein Zwinkern gewesen?
Ein violettes Blütenblatt löste sich vom nähesten Kelch und schwebte sanft schaukelnd nach unten. Das wäre eine gute Mitfluggelegenheit gewesen. Wenig Drehungen und die Beschaffenheit eines Teppichs, nicht so wie das raue Blatt, dass ich mir ausgesucht hatte.
*Komm schon, Falk. Kumpel?* Wieder zupfte die andere Stimme an meiner Konzentration.
Ich verlagerte mein Gewicht, bemerkte aber sofort meinen Fehler. Es ruckte einmal, dann sank ich ein Stück hinab. Wenigstens nur eine Handbreit. Der Blattstiel, den ich mir ausgesucht hatte, schien sich vom Stengel zu lösen. *Was ist?*, fauchte ich den Störenfried an.
*Das dauert ziemlich lange. In der Zeit hätte ich das Vieh schon aufgefressen und die Federn ausgespuckt.* Ich konnte Lores hechelndes Grinsen beinahe vor mir sehen. *Und wo wir gerade davon sprechen: Ich habe Hunger!*
Der Vogel vor mir klackerte mit seinem Schnabel. Vielleicht hatte er weiter geredet und erwartete nun eine Antwort. Das Blatt wackelte erneut und ich krallte mich am Rand fest. Mir schwamm die Zeit davon. *Bitte, was?*
*Ich wollte wissen, ob die Seitenfedern gingen. Es ist aber sehr ungehörig, nicht zuzuhören.* Das Krächzen seiner Stimme hatte eine gekränkte Note angenommen.
Nicht gut. *Tut mir leid, aber mein Blatt löst sich, das lenkt mich etwas ab.*
*Und?*
*Ich habe keine Flügel*, stellte ich das Offensichtliche fest.
*Oh.* Nachdenklich streckte der Vogel seinen gefiederten Kopf über den Rand seines Nestes, um nach unten zu schauen. Ich unterdrückte den Drang, es ihm gleich zu tun.
Lore schien sich nicht aus meinen Gedanken zurückgezogen zu haben. *Und Höhenangst*, fügte er hinzu. Es war ein Glück, dass sie nicht direkt miteinander kommunizieren konnten.
Ein Donnern ertönte, noch etwas entfernt, doch zogen die schiefergrauen Wolken eindeutig in meine Richtung. Ich sollte hier wirklich weg. Spätestens bei Regen würde das Blatt sich am Grund lösen und zu Boden fallen. Auch wenn ich schon häufiger so abgestiegen war, zog ich das Klettern bei weitem vor. *Seitenfedern wären großartig.*
Meine Worte hatten den Vogel aus seinen Überlegungen gerissen. *Na gut. Und es tut wirklich nicht weh?*
Erleichtert richtete ich mich auf der schwankenden Oberfläche auf. *Kaum mehr als ein Kitzeln*, beruhigte ich ihn. Bevor er es sich anders überlegen konnte langte ich nach oben und griff nach den beiden äußersten Federn. Das Blatt gab auf und für einen kurzen Moment hing ich unter dem Vogel frei in der Luft. Er stieß ein überraschtes Pfeifen aus. Ich zog einmal, beim zweiten Mal lösten sich die beiden Federn und mit einem beruhigenden Klatschen landete ich wieder auf dem abwärts gleitenden Blatt. Durch mein Gewicht drehte es sich und kreiselte in Richtung Boden. Die Bewegung schlug mir auf den Magen.
*Das war kein Kitzeln!*, jammerte sich der Pfauenvogel und zog sein Gefieder in sein Nest. Seine Stimme entfernte sich mit jeder Spirale mehr.
Er hatte Recht, so hätte es nicht ablaufen sollen. *Es tut mir leid*, rief ich zu ihm hinauf. Es wunderte mich nicht, das er nicht mehr reagierte.
Der erste Regentropfen traf das Blatt, als es sich gerade beruhigt hatte. Durch das zusätzliche Gewicht bockte es, als ob ein Reittier seinen Herren abwerfen wollte. Ich legte mich flach hin, schob die beiden Federn unter meinen Bauch und umklammerte die Ränder mit ausgestreckten Armen.
Wenn ich das hier überstehe, werde ich irgendetwas Nettes tun. Die Drehungen ließen meinen Magen tanzen und ich schloß die Augen. Vielleicht jemandem helfen oder so. Tropfen für Tropfen prasselte auf mich nieder. In kürzester Zeit war ich nass bis auf die Haut. Das Zittern lenkte mich wenigstens von meiner Angst ab. Wenn ich nur fest genug daran glaubte, konnte ich mir vorstellen, von einem kalten Sog im Meer erwischt worden zu sein. Ein Szenario, dass mir deutlich mehr zusagte.
Erst als ich spürte, wie mein Blatt sich auf den Boden legte, hob ich wieder den Kopf. Der Regen hatte irgendwann aufgehört, doch ich hatte es nicht bemerkt. Ich hatte überlebt.
Lores fellbedeckter Kopf schob sich in mein Blickfeld und er schnüffelte an mir. Dann schüttelte er sich, so dass mich ein weiterer Schwall Wasser traf. Zwar wurde ich dadurch nicht nasser, aber jetzt roch ich nach Hund. Wenigstens hatte ich mich diesmal nicht übergeben.
*Echt, Falk. Es ist so unfair, dass du immer den ganzen Spaß hast.* Er setzte sich, während er sich mit einer Pfote hinter dem Ohr kratze. *Können wir denn jetzt endlich was essen gehen?*
Es kostete mich Selbstbeherrschung, auf diese Frage nicht zu reagieren.
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