Kapitel 25
Zoey blieb die ganze Nacht bei Liyana und wartete darauf, dass sie aufwachte. Ich hingegen machte mich nach einer Weile auf den Rückweg zu HoF. Vor meinem ersten offiziellen Tag im Rat wollte ich nämlich noch etwas schlafen, sonst würde ich vermutlich alles vermasseln.
Wirklich viel Zeit zum Ausruhen hatte ich jedoch nicht, denn hatte die Fahrt zum Bauernhof schon eine Viertelstunde gedauert, brauchte ich zu Fuß um einiges länger. Vielleicht wäre es besser gewesen, wären wir von Anfang an mit zwei Autos gekommen, aber dafür es jetzt zu spät und ein kleiner Mitternachtsspaziergang konnte ja auch nicht schaden.
Zwar hatte ich den Tag der Nacht schon immer vorgezogen, aber hin und wieder war es auch entspannend unter dem wolkenlosen Sternenhimmel zu sein und die klare Nachtluft zu genießen. Lediglich der Gedanke daran, dass überall die Feen lauern konnten, machte mich nervös und ließ mich meine Schritte beschleunigen.
Zwar glaubte ich nicht, dass Fene oder ihre Anhänger mich mitten in der Stadt angreifen würden, aber die meisten Menschen schliefen um diese Zeit schon und achteten nicht auf das, was auf den Straßen vor ihren Häusern geschah.
Gleichzeitig war das jedoch auch ein Vorteil, denn so musste ich mir keine Sorgen wegen der Flügel machen und den umständlichen Weg um den Ort herum gehen um nach Hause zu gelangen. Ich wusste schließlich noch immer nicht, ob Menschen sie sehen konnten, Liyana hatte zumindest nichts derartiges gesagt. Aber nachher würde ich es herausfinden und endlich Gewissheit haben.
Eineinhalb Stunden später erblickte ich endlich das ehemalige Lagerhaus, das im Dunkeln doch recht unheimlich wirkte. Ich beeilte mich nach drinnen zu kommen und schloss die Tür hinter mir.
Im House oft Fairy war es ungewöhnlich leer und dunkel, kein Wunder, schließlich war es etwa zwei Uhr morgens, aber etwas unwohl war mir bei der Sache trotzdem. Ohne die vielen Leute schienen die Gänge länger und kälter als sonst und da es keine Fenster gab, war es ziemlich düster. Das Licht anzumachen würde mir auch nichts bringen, denn der Lichtschalter befand sich am Ende des Flures. Also holte ich einfach mein Handy heraus und schaltete die Taschenlampe an. So hatte es zwar etwas von einem der vielen Horrorfilme, die ich Alice gezwungen hatte mit mir anzuschauen, aber es war besser als in völliger Dunkelheit mein Zimmer zu suchen und dabei womöglich noch irgendwo dagegen zu rennen.
Zügig und möglichst leise ging ich den Flur entlang, die Treppe hoch und in Alices und mein Zimmer. Ohne das Licht anzumachen schnappte ich meinen Schlafanzug, bestehend aus einer kurzen hellblauen Hose und einem übergroßen grauen T-shirt mit verwaschener Aufschrift, und zog mich im Bad um, bevor ich mich müde ins Bett fallen ließ und einschlief.
Es war noch immer ungewohnt aufzuwachen und keinen Albtraum gehabt zu haben. Nicht dass ich mich beschwerte, aber jeden Abend vor dem Einschlafen erwartete ich, dass ich direkt wieder schreiend aufwachen würde. Ich hatte Grandma gefragt, ob sie etwas darüber wusste, aber viel mehr als ich mir schon zusammengereimt hatte, kam dabei nicht heraus. Sie hatte aber eine Idee, wie wir eine andere Art des Traum, oder besser gesagt der Vision (Grandma hatte bestätigt, dass es eine war) hervorrufen könnten, aber ich war mir nicht ganz sicher ob ich das wollte, denn dafür müsste ich mich meinem Unterbewusstsein stellen und ich wusste nicht, ob ich das konnte. Es gab zu viel, was ich verdrängte und nicht von neuem durchleben wollte.
Also würde ich abwarten ob sich Alas noch einmal zu erkennen geben würde. Wenn ja wäre es gut, wenn nicht wäre es auch in Ordnung. Es war ja nicht so, als würde ich darauf brennen die Fee wiederzusehen, immerhin hatte er auf mich geschossen.
Erst jetzt bemerkte ich, was mich aufgeweckt hatte. Mein verfluchter Wecker, der einfach nicht zu klingeln aufhören wollte. Warum hatte ich ihn eigentlich nicht längst gegen eine Wand geworfen? Genervt stand ich auf und stellte den Lärm aus. Dann fiel mir ein, dass ich mich beeilen musste um mich noch mit Nayla zu treffen.
"Verdammte Scheiße", murmelte ich. Bald würde Zoey mit Liyana zurückkommen und es bestand eine Chance, dass ich die Mentorin der frisch verwandelten Fairy werden würde. Mist, Mist, Mist.
Ich warf einen Blick auf die andere Seite des Zimmers um zu schauen ob Alice schon wach war, aber natürlich war sie das schon längst. Ihr Bett war zumindest ordentlich gemacht und von ihr fehlte jede Spur. Sie war schon immer Frühaufsteherin gewesen und heute würden ihre Eltern auch noch von einer Geschäftsreise zurückkommen, deshalb musste sie in ihrem Elternhaus sein. Apropos Eltern, meine mied ich immer noch so gut es ging, aber ewig würde och so nicht weiter machen können, das war mir klar. Und nicht nur, weil meine Freunde und meine Großmutter es mit täglich sagten, sondern auch weil ich sie vermisste. Schließlich waren sie trotz allem meine Eltern und ich liebte sie.
Um mich von den Gedanken abzulenken ging ich schnell ins Bad, duschte, ging aufs Klo und zog mich um. Eine schwarze Sporthose und ein weißgraues T-shirt, bei dem Alice den Rücken verändert hatte, sodass es mit den Flügeln passte.
Schnell machte ich mich dann auf den Weg in den Aufenthaltsraum, wo ich mich mit Nayla treffen wollte. Natürlich wartete meine Mentorin (aber konnte ich sie überhaupt noch als diese bezeichnen?) schon. In ihrem üblichen dunkelblauen Jumpsuit und dem hohen Pferdeschwanz saß sie auf einem der Sofas und unterhielt sich mit einer etwa dreißigjährigen Fairy. Als sie mich erblickte nickte sie mir kurz zu und beendete ihr Gespräch, bevor sie zu mir kam.
''Was hast du gestern rausgefunden?'', wollte sie wissen.
''Nicht sehr viel, Liyana hat zumindest nichts wegen den Flügeln gesagt, aber ich weiß nicht, ob sie sie wirklich nicht gesehen hat. Es war alles ein bisschen... durcheinander."
"Inwiefern?"
"Sie war panisch und hat etwas davon gesagt schon mal jemanden wie uns gesehen zu haben, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie damit Fairy meint, oder etwas anderes passiert ist. So wurde die Verwandlung dann ziemlich verzögert", berichtete ich, "Aber nachher werden wir es erfahren."
"In Ordnung", meinte Nayla nachdenklich.
"Was ist los?", fragte ich. So wie sie guckte war sie kurz davor auf die Lösung eines Problems zu kommen.
"Liyana hatte schon mal Kontakt zu Fairy."
"Was? Wann? Wieso?"
"Vor ein paar Jahren haben einige unserer Leuten sie vor Feen gerettet, aber eigentlich hätte sie es danach vergessen müssen. Dafür haben wir gesorgt."
Ich wusste was sie meinte. Wie Liyana es vergessen sollte. Wann immer ein Mensch einen Kampf zwischen Feen und Fairy beobachtete oder sogar darin verwickelt wurde, musste ihm ein Mittel initiiert werden, das, je nach Dosierung, die Erinnerungen an die vergangenen Stunden oder Tage auslöschte. Normalerweise funktionierte es auch immer, zumindest sagten das alle, die es schon benutzt hatten. Nur wieso war das bei Liyana nicht so?
"Das heißt Liyana ist immun?"
"Ich weiß es nicht, aber wir werden es herausfinden. Wenn Menschen von unserer Existenz erfahren gibt es eine Katastrophe. Ich werde es dem Labor berichten und Liyanas Mentor soll es auch mit ihr besprechen. Und jetzt komm. Wir müssen zu den anderen."
Ein paar Minuten später saß ich auf einem Hocker auf der rechten Seite des dunklen Holztisches im Ratsraum. Ich kam mir komisch vor. Wenn man als gerade verwandelte Fairy den Raum betrat wirkte alles immer so edel, richtig und irgendwie furchteinflößend, doch hier zu sitzen war einfach nur seltsam. Es war als wäre ich ein Kind, das plötzlich als Königin regieren sollte. Ich fühlte mich verkleidet und fehl am Platz, ich gehörte hier nicht her. Verdammt, ich war erst 16! Wie sollte ich es jemals schaffen so kraftvoll und selbstsicher rüberzukommen wie die anderen Mentoren?
Nach minutenlangen weiteren Selbstzweifeln ertönte ein Klopfen und ich warf einen kurzen hilfesuchenden Blick nach links, doch die anderen schauten nur mit erhobenen Köpfen geradeaus. Kein Wunder, schließlich machten sie das schon seit Jahren. Lediglich Sarah lächelte mir schnell aufmunternd zu.
Als Daniel sagte: "Herein!" bemühte ich mich gelassen zu wirken und es klappte auch halbwegs. Nicht wegen mir, sondern wegen Liyana, die ängstlich und mit eingezogenem Kopf hinter Zoey ins Zimmer geschlichen kam. Sie war verspannt und zitterte, das sah ich auch auf die Entfernung. Unwillkürlich fragte ich mich, ob ich damals auch so ausgesehen hatte. Wahrscheinlich schon.
Aber wie sie nun so dastand, so zerbrechlich und verängstigt, die Augen im Raum umherhuschend, das Haar ihr Gesicht umrahmend und ihre Arme um ihren Bauch klammernd, ich hatte das Bedürfnis ihr zu helfen und konnte nicht genau sagen wieso. Vielleicht weil sie die Gefühle, die seit Wochen in mir waren nach außen hin zeigte. Ich lächelte dem Mädchen zu und als sie mich anschaute zuckte sie überrascht zusammen. Vermutlich hatte sie die Flügel erst jetzt bemerkt.
"Wie heißt du?", fragte Sam obwohl er es wie wir alle hier längst wusste. Ich wüsste gerne wieso es dennoch immer wieder gefragt wurde.
"Liyana Flowers" kam leise die Antwort.
"Hat Zoey dir alles erklärt was du wissen musst?", wollte Sarah wissen.
In leichtes Nicken. "Ja, ich denke... ich denke schon."
"Gut, dann bringt Zoey dich jetzt auf dein Zimmer und in einer Stunde kommt ihr wieder her", sagte Nayla und beendete damit die Fragerunde.
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