Kapitel 1
Es war nicht das erste Mal, dass ich mich auf der Rücksitzbank des Streifenwagens von Sheriff Benjamin Grand befand. Um ehrlich zu sein konnte ich schon gar nicht mehr mitzählen, wie oft ich bei Ben im Streifenwagen mitgenommen wurde. Heute war allerdings die Stimmung angespannter als sonst. Ich spürte, wie sein Blick immer wieder meinen suchte, doch stattdessen stierte ich Trotzig zur Scheibe raus in den immer stärker werdenden Regen, der die dunkle Straßen Montanas vor uns noch trauriger wirken lies. Unerbittlich trommelten die Tropfen in einem unruhigen Rhythmus auf das Autodach.
»Robin..« versuchte Ben ein Gespräch zu eröffnen, aber ich ließ mir Zeit ehe ich darauf einging.
»Ben.« Antwortete ich so kurzgebunden wie möglich, weil ich ganz genau wusste, wie sehr es ihn provozierte.
»Ah ok verstehe, tun wir jetzt also so als wäre nichts gewesen?« fragte er und ich zuckte unbeteiligt mit den Schultern.
»Was soll denn gewesen sein?« Ben schüttelte nur mit dem Kopf als könnte er nicht glauben in welche Situation er hier geraten ist. Wenn er mich fragen würde, müsste ich ihm leider sagen, dass er sich das selbst zuzuschreiben hatte.
»Dann appelliere ich jetzt besser mal an deinen gesunden Menschenverstand und hoffe dass dir bewusst ist, dass das was du tust nicht richtig ist oder?«
Ben wusste genau, wo meine Achillessehne lag und lockte mich aus der Reserve mit seinem, was richtig und falsch war.
»Nicht richtig?« mir entfuhr ein spöttisches Lachen. »Ja ne ist klar.«
»Ob du es glaubst oder nicht, aber ja Robin. Es ist illegal Hausfriedensbruch und Diebstahl zu begehen!« Ben's Blick wanderte neben mich auf die Rücksitzbank wo ein Fellnknäul fast so groß wie ich selbst saß und treudoof hechelnd zurück starrte.
»Wie bitte? Wer sagt denn etwas von Hausfriedensbruch und Diebstahl?« wütend reckte ich meinen Kopf gegen das Gitter, welches die Fahrerkabine vom hinteren Teil des Autos abgrenzte, als wäre ich eine Schwerverbrecherin. Als wäre irgendjemand hier in unserem Kaff Fairfield ein Schwerverbrecher. Hier werden ja noch nicht einmal nachts die Häuser abgeschlossen. Vermutlich sind die einzigen Meldungen dass hin und wieder ein paar Hühner, Schafe und anderweitige Kleintiere aus ihren Stallungen verschwinden.
»Das Gesetzt Robin« holte Ben mich zurück in die Gegenwart. Der Spott in seiner Stimme versetzte mich automatisch in eine Art Verteidigungsmodus, den ich auch dann immer einnahm wenn ich mit einem meiner Brüder stritt.
»Ach was? Dasselbe Gesetz welches toleriert, dass ihr Cops Türen eintreten dürft insofern ihr behauptet dass Gefahr in Vollzug herrscht?« spottete jetzt auch ich und wusste, dass ich mich auf dünnes Eis begab, aber das war mir egal. Ben hielt rasant am Fahrbahnrand an und drehte sich aufgebracht zu mir um. Auch wenn er bemüht war weiterhin professionell zu agieren, konnte ich ihm ansehen wie viel Selbstbeherrschung ihn das abverlangte und anhand von dem wütenden Funkeln in seinen Augen wusste ich, dass ich ihn damit auch persönlich getroffen hatte.
»Ist das dein Ernst? Du kannst doch deine Verbrechen nicht mit Polizeiarbeit vergleichen?« knurrte er ungläubig.
Um dem Friedenswillen hätte ich einfach »Du hast recht, es tut mir leid.« sagen sollen, aber das würde meiner Natur widersprechen. So viel zum Thema richtig und falsch.
»Kann ich nicht? Dann klär mich doch auf Sheriff Grand! Wo ist hier der Unterschied?« forderte ich ihn auf und hörte, wie er hart schluckte und versuchte sich zu sammeln. Ben wendete seinen Blick wieder auf die Straße, dann fuhr er in einer ruhigeren Tonlage fort.
»Gefahr in Vollzug bedeutet, wenn Menschen-«
»Aha!« unterbrach ich ihn nach wenigen Sekunden und schüttelte verächtlich den Kopf. »Wenn Menschen in Gefahr sind ist es also etwas anderes. Dann ist es erlaubt Türen und Fenster einzutreten. Aber wenn Tiere in Gefahr sind nennt man es Hausfriedensbruch und Diebstal?«
»Woher willst du denn wissen ob der Hund in Gefahr war?« versuchte Ben sachlich zu bleiben.
»Willst du mir etwa erzählen er wäre es nicht gewesen?« Mein Blick schnellte für eine Sekunde an die Stelle im Nacken des Hundes, wo sich das Fell bereits blutrot verfärbt hatte auf Grund der Kettenhaltung unter der er gelitten hatte. Schnell wand ich meinen Blick wieder ab, anderenfalls würde ich vermutlich in Tränen ausbrechen und wäre nicht mehr in der Lage mich gegen Ben zu behaupten.
»So mein ich das nicht Robin, aber es hätte sicher auch Legale Wege gegeben um ihn dort raus zu holen.« Auch wenn ich es nicht zugeben wollte, aber Ben hatte es gegen meinen Willen geschafft etwas Spannung aus der Luft zu nehmen. Ich Spürte wie meine Wut langsam abflachte und Platz für tiefes Bedauern und eine unendliche Traurigkeit machte. Ich konnte einfach nicht nachvollziehen dass Menschen solche Monster sein konnten, aber die eigentlichen Monster waren für mich die Menschen, die das Leid sehen und dennoch nichts dagegen unternehmen.
Ich senkte den Kopf und hörte Ben erschöpft schnauben.
»Bei unserer Polizeiarbeit geht es darum Leben zu retten.« sagte er besänftigend.
»Nichts anderes habe ich getan. Also komm mir nicht mit Diebstahl und Hausfriedensbruch.« sprach der letzte Tropfen Trotz aus mir und ich sah im Rückspiegel wie sich Ben's Augenwinkel zu einem Lächeln verzogen.
»Zwar Keine Menschenleben so wie du, aber dafür das Leben derjenigen, die keine eigene Stimme haben um nach Hilfe rufen zu können.« fügte ich so versöhnlich wie möglich hinzu und wusste, dass das Thema beendet war, als Ben den Streifenwagen zurück auf die kurvige Straße lenkte.
»Fuuuck« stöhnte ich leise als Ben die Schottereinfahrt zu unserem Haus entlang fuhr und ich meine Mutter bereits wartend auf der Veranda stehen sah. Ben schaffte es gerade so auszusteigen und meine Tür zu entsichern, ehe er von meiner Mum in eine feste Umarmung gezogen wurde.
»Was hat sie diesmal angestellt?« fragte sie an Ben und ich würde wetten, dass ich es schaffte mich an ihr vorbei zu schleichen, ohne dass sie es merkte. Sobald Ben anwesend war, hatte sie nur noch Augen für ihn. Was für Ben nichts neues sein durfte, fast jede Frau hier in Fairfield, egal welchen Alters, sah ihm nach. Wüsste ich nicht besser, würde ich glatt behaupten, dass er ihr Lieblingssohn war. Nur eben nicht blutsverwandt.
»Hausfriedensbruch und Diebstahl« meldete ich mich zu Wort und schob zur Autotür raus, während ich Ben noch einen provokanten Blick schenkte. Meine Mum verdrehte die Augen und schlug sich die Hände vor die Stirn, als würde sie sich Fragen womit sie das alles verdient hatte.
»Benjamin bitte sag mir, dass das nicht wahr ist!« richtete sich meine Mum an Ben. Ich verdrehte die Augen. Im Grunde war es auch egal was ich sagte, letzten Endes würde sie Ben's Version glauben. Unabhängig davon ob er Sheriff war oder nicht.
»Nicht direkt«. Schweigend verfolgte ich wie er meiner Mum schilderte, dass er sich mit dem Beklagten darauf einigen konnte, dass ich einen Anteil der neuen Alarmanlage übernehmen musste.
»Wieso? Was hat sie mit der alten Alarmanlage angestellt?« fragte sie Ben.
»Ähm Mum ich steh direkt neben euch? Du kannst auch einfach mich fragen«. Erwartungsvoll waren ihre Augen auf mich gerichtet. Um auf ihre Frage einzugehen öffnete ich die Autotür weiter wo Bo, der gerettete Kangal gemütlich vom Rücksitz sprang und an ihr vorbei direkt die Stufen zur Terrasse hoch rannte, als wüsste er ganz genau wo sein neues zu Hause auf ihn wartete. Bo hatte gerade die letzte Stufe hinter sich gelassen, da sprang die Haustür bereits auf und meine zwei Brüder Ryan und Raphael begrüßten unser neues Familienmitglied freudig. Kopfschüttelnd musste ich grinsen, denn ich hätte schwören können, dass die Beiden bereits hinter der Tür gelauscht hatten.
»Also das..« nuschelte Mum und sah dem gigantischen Herdenschutzhund selbst dann hinterher, als er bereits mit meinen Brüdern im Inneren des Hauses verschwunden war. Es erfüllte mein Herz mit einer unbeschreiblichen Freude den Hund so glücklich zu sehen und das obwohl er noch vor weniger als einer Stunde blutend an der Kette gehangen hatte. Das konnte doch nur richtig sein, oder nicht?
Ich traf auf den Blick meiner Mum, die mich fassungslos musterte und mich ansah als hätte sie einen Geist gesehen. »Ich fasse es nicht« sie schnaufte und hielt sich ihre Hand an die Stirn als würde sie ein mieser Migräneanfall heimsuchen und zum ersten mal seit meiner spontanen Rettungsaktion hatte ich ein schlechtes Gewissen. Nicht weil ich Mr. Owen den Hund geklaut hatte, sondern weil ich meine Eltern besser vorgewarnt hätte, dass ich mit einem fünfzig Kilo schwerem Kollos zurückkehren würde. Niemals würden sie mich dafür verurteilen weil sie wussten, dass ich im Grunde nie etwas tun würde wenn es nicht wirklich notwendig wäre, außerdem war ich mit meinen vierundzwanzig Jahren mehr als Volljährig. Dank unserer Christbaumfarm hatten wir ohnehin genug Grundstücksfläche um eine ganze Herde Bisons bei uns aufzunehmen. Trotzdem war es das Beste für mich wenn ich mich mit meinen Eltern gut stellte, so lange ich meine Füße unter ihren Tisch hatte, zitierte ich meine Mum in Gedanken. Ich liebte unsere Farm, die Arbeit im Freien und das Aufzüchten von Tannenbäumen die die Augen zur Weihnachtszeit zum strahlen und funkeln brachten. Aber nichts erfüllte mich so sehr wie der Anblick eines geretteten Tieres. Bo war nach Elma, Larry und Cop meinen zwei Wollschafen, meinen zehn Hühnern, Edgar dem Hängebauchschwein und Luzifer der dreibeinigen Katze eine weitere Seele, für die es sich gelohnt hatte mein eigenes Schicksal zu riskieren. Bei dem freudigen Anblick wie er die Stufen zur Veranda hoch gerannt war, noch während das Blut der Kette seinen Hals zierte, konnte mir kein Mensch oder gar göttliches Wesen was von richtig oder falsch erzählen.
Das war sowas von richtig!
»Du hast einem alten Mann seinen Hund geklaut der das Grundstück bewachen sollte?« die empörte Stimme meiner Mutter holte mich zurück auf in die Gegenwart und sofort verfiel ich in meine Abwehrhaltung und sah sie mit vor der Brust verschränkten Armen an.
»Nein, ich habe einen Hund gerettet der von einem Tierquäler an der Kette gehalten missbraucht wurde!« rechtfertigte ich mich und sofort verfiel meine Mutter in einen Redeschwall den ich ohne ihren Worten Gehör zu schenken mit Gegenargumenten runterleierte. Unsere Stimmen verschwammen in einem Rauschen aus Vorwürfen und Drohungen meiner Mum und meinen Gegenargumenten, weshalb es so wichtig war sich für die Tiere einzusetzen.
»Wenn es Sie beruhigt, Miss Sparks«, unterbrach Ben das Durcheinander und schenkte mir einen längeren Blick.
»Molly, verdammt nochmal, Ben! Du gehst seit Jahren bei uns ein und aus, du gehörst quasi zur Familie. Nenn mich endlich Molly! Miss Sparks ist Franks Mutter«, scherzte meine Mutter, während ich die Augen rollte.
»Molly«, begann Ben noch einmal, sein Blick war jetzt direkt auf mich gerichtet. Dann sagte er: »Es war Gefahr in Verzug.«
Mein Herz schien einen Moment lang auf null zu fallen, nur um dann in rasanter Geschwindigkeit wieder zu pulsieren. Hatte Ben mir gerade tatsächlich den Rücken gestärkt?
Mit offenem Mund starrte ich Ben an, der nun zwischen mir und meiner Mutter hin und her blickte. Meine Mutter konnte ja nichts von unserer vorherigen Diskussion ahnen, doch Ben's Worte bedeuteten mir mehr als ich zugeben wollte.
»Ich bin einfach zu alt für solche Aktionen und du weißt-«
Meine Mutter wurde jäh von Ryan unterbrochen, der aus dem Haus rief: »Mom! Der Hund frisst deine Muffins auf!« Sofort huschte meine Mutter, leise vor sich hin fluchend, die Treppen zur Veranda hinauf und verschwand im Haus.
Ich stand eine Weile schweigend da, während Ben und ich uns gegenüberstanden. Ich wollte ihm gerade danken, als Raphy nach draußen kam und Ben im Auftrag unserer Mutter zum Essen einlud. Ben lehnte höflich ab und meinte, er müsse noch etwas Papierkram erledigen. Dabei sah er mich an, was mir für einen kurzen Moment ein schlechtes Gewissen bereitete. Aber nur für eine Sekunde. Oder zwei...
Ben versprach, die Einladung ein anderes Mal anzunehmen. Raphy verabschiedete sich mit einem Handschlag und verschwand wieder im Haus.
Ich wandte mich an Ben und bedankte mich für seinen Einfluss auf Mr. Owen und dafür, dass er mich vor einer Anzeige bewahrt hatte. Ben meinte nur, dass er seinen Job gemacht habe und warnte mich, solche Situationen in Zukunft zu meiden. Schließlich könnte er mich nicht immer aus der Patsche holen.
Ohne etwas zu sagen, sah ich ihm nach, als er davonfuhr.
Als ich das Haus betrat, war meine Mutter schon wieder in der Küche am Werkeln, während meine Brüder und mein Vater Frank vor dem Fernseher saßen und ein Footballspiel verfolgten. Ich bemerkte, dass sich auch Bo direkt neben meinem Vater auf dem Sofa bequem gemacht hatte. Frank kraulte dem riesigen Hund hinter den Ohren, als hätte er nichts von der ganzen Aktion mitbekommen und als wäre Bo schon immer Teil der Familie gewesen. Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus, während ich meine Familie beobachtete, bis ich den Blick meines Vaters auffing. Er winkte mich zu sich auf das Sofa.
»Hey, meine Kleine,« sagte er und klopfte auf das Polster neben sich. Ich setzte mich neben ihn, und Bo streckte sich sofort über meinen Schoß hinweg, um meine Hand abzulecken. Wahrscheinlich war das seine Art, sich bei mir für die Rettung von der Kette zu bedanken.
»Du weißt, dass ich dein Engagement und den Einsatz für die Tiere sehr schätze und unterstütze,«begann mein Vater, doch ich konnte das große „ABER" in seiner Stimme bereits hören, noch bevor er es aussprach.
»Aber deine Mutter könnte besser damit umgehen, wenn du sie in Zukunft vorwarnst, dass ein kleines Pony bei uns einzieht,« fügte er mit einem Grinsen hinzu. Wir schauten beide zu Bo, der freudig mit dem Schwanz wedelte.
»Denkst du, sie ist sehr böse auf mich?« fragte ich und erhielt ein liebevolles Lächeln von meinem Vater.
»Deine Mutter wäre nie böse auf dich, weil du den Tieren hilfst.«
»Weil ich ihnen das Leben rette!« betonte ich süffisant und hob den Finger.
»Deine Mutter und ich wollen nur nicht, dass du dein eigenes Leben dafür aufs Spiel setzt oder durch Strafanzeigen verbaust.«
Ich nickte verständnisvoll, und nach und nach entspannte sich mein Körper.
»Also ruf Ben am besten in Zukunft an, BEVOR du irgendwo einsteigen willst. Nicht erst, wenn es zu spät ist« scherzte mein Vater. Ich lehnte mich an ihn.
»Danke, Dad! Ihr seid die Besten!«
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