Kapitel 3
Nachdem Riley sich ein wenig beruhigt hatte, hatte er seinen Schlafsack und die dicke Decke genommen, war hinauf auf den Heuboden gestiegen und hatte sich dort sein Bett zurechtgemacht. Das Risiko, von seinem Pferd im Schlaf zerquetscht zu werden, war ihm einfach zu groß ... da schlief es sich hier oben doch wesentlich sicherer. Mit einem letzten Gedanken an Eric glitt Riley hinüber ins Land der Träume.
~
Der nächste Tag war hart für den 22-Jährigen, da er diese Art körperliche Arbeit nicht gewöhnt war. Außerdem musste er sehr eng mit seinem Kollegen zusammen arbeiten, was ihn ein wenig nervös machte.
Johanna hatte noch eine Freundin angeheuert, mitzuhelfen, aber die sollte eher im Haus mit anpacken.
So arbeiteten die beiden Jungs schweigend vor sich hin und als sie nach knapp zweieinhalb Stunden endlich fertig waren, hing Riley ganz schön in den Seilen, was er aber zu überspielen versuchte.
Trotzdem konnte er ein leises Stöhnen nicht unterdrücken, als er sich auf einem der riesigen Findlinge niederließ, die hier überall in der Gegend herumlagen.
Er stützte den Kopf in die Hände und starrte auf den Boden ... sein Rücken brachte ihn um.
Nach ein paar Minuten sah er auf und seine Augen trafen Erics, der sich gegen einen Baum gelehnt hatte und seinen Kollegen schmunzelnd beobachtete. Ihm schien körperliche Arbeit nicht viel auszumachen, jedenfalls wirkte er wesentlich fitter als Riley.
„Ihr seid ja schon fertig ... sehr schön."
Als Riley Johannas Stimme hörte, unterbrach er den Blickkontakt zu Eric.
„Wir haben im Haus auch alles parat und ich wollte euch fragen, ob ihr später zum Essen rüberkommt?!" Sie sah fragend von einem zum anderen.
Während Riley nur zustimmend nickte, sagte Eric: „Sehr gerne."
„Gut, dann sehen wir uns gegen fünf", erwiderte Johanna und wandte sich Sarah zu, die neben ihr stand, „können wir?"
„Geh du schon vor, ich komm gleich nach", erwiderte ihre Freundin und warf einen Blick hinüber zu Rye.
In diesem breitete sich ein unangenehmes Gefühl aus und er hoffte inständig, dass dieser Kelch an ihm vorübergehen möge, aber leider war dem nicht so.
Sarah strich sich eine Strähne ihrer blonden Haare aus den Augen und steuerte den jungen Mann lächelnd an.
Neben ihm blieb sie stehen: „Harter Job, hm?"
„Na ja, geht so", brummte Riley.
Den ganzen Tag schon hatte er befürchtet, dass so etwas passieren würde, denn das Mädel war immer wieder im Stall aufgetaucht und um ihn herum geschlichen.
Dabei hatte er ihr keinen Anlass gegeben, im Gegenteil, er hatte sie nicht einmal groß beachtet.
„Ich könnte dich ein wenig massieren", kicherte sie.
„Nein danke, kein Bedarf", knurrte Riley sie an.
Langsam wurde er sauer. Warum passierte immer ihm so etwas?
Aber Sarah war hartnäckig und ließ sich nicht abschrecken. Sie ging um den großen Stein herum, auf dem er saß, blieb hinter ihm stehen und legte ihre Hände auf seine Schultern.
Im selben Moment sprang Rye auf, als hätte ihn etwas gestochen und er funkelte die Blonde aus seinen bernsteinfarbenen Augen wütend an.
„Was verstehst du an dem Wort Nein nicht? Ich will weder eine Massage noch irgendetwas anderes von dir! Also halt dich gefälligst fern von mir und fass mich vor allem nie wieder an."
Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und verschwand Richtung Stall.
Dort angekommen, ging Riley in die Box seines Pferdes, lehnte sich an Bravehearts Hals und vergrub das Gesicht für einen Moment in der Mähne des Kaltbluts. Er war so ein Idiot. Wie hatte er nur dermaßen die Beherrschung verlieren können? Seufzend holte er die Trense des Wallachs und zog sie ihm über den dicken Kopf, bevor er sein Pferd aus dem Stall führte.
Draußen kletterte er vom Zaun aus auf den Rücken des Kaltbluts, wendete es und lenkte es auf Sarah zu, die neben Johanna und Eric mitten auf dem Hof stand. Ihre Augen waren leicht gerötet, anscheinend hatte sie geweint.
Ganz toll hast du das gemacht, Riley, fuhr es ihm durch den Kopf und zu Sarah gewandt sagte er: „Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht so anfahren." Dann sah er Johanna an. „Ich reit mal ein bisschen spazieren, um den Kopf freizubekommen. Es tut mir leid, was vorhin passiert ist. Wartet bitte nicht mit dem Essen auf mich, ich weiß nicht, wann ich zurück bin."
Ohne eine Antwort abzuwarten, schnalzte er mit der Zunge und trieb Braveheart vom Hof.
Im gemütlichen Schritt zuckelten Riley und sein Wallach durch das Umland.
Zuerst schlugen sie die Straße runter zur Fährstation ein, die sie bei ihrer Ankunft ja schon in entgegengesetzter Richtung geritten waren, dann passierten sie das kleine Café direkt am Hafen und trabten anschließend einen schmalen Weg entlang, welcher sie in einer Linksbiegung zu einer großen Rinder-Farm führte.
Hinter der Mühle des Hofs verengte sich der Weg und Riley und sein Pferd folgten ihm weiter in Richtung der vergessenen Felder, einem Teil der Insel, der aufgrund seiner weiten, unbebauten Wiesen zu Ausritten, zum Picknicken oder Grillen einlud. Hier gab es lediglich eine verlassene Farm, ansonsten nur endlose Grasflächen.
Die Ruhe an diesem Ort war unbeschreiblich - keine Menschenseele weit und breit. Ein wenig erinnerte ihn die Gegend an seine Heimat auf der anderen Seite des Eilands. Dort gab es auch kaum bebaute Flächen, sondern hauptsächlich Wiesen und Wälder und natürlich ... das Meer.
Den Gedanken an sein früheres Zuhause abschüttelnd, richtete er den Blick in die Ferne und erkannte, dass er sich schon ganz in der Nähe von Lilys Haus befand. Riley trieb sein Pferd an einer flachen Stelle durch einen nicht allzu breiten Fluss und kurz darauf folgte er dem Weg in Richtung Dalhem. Seine Schwester lebte schon seit geraumer Zeit hier in dem kleinen Dorf und würde sich bestimmt freuen, ihn zu sehen. Das hoffte er jedenfalls.
Knappe dreißig Minuten später hielt er Braveheart vor einem kleinen Haus am Rande des Städtchens an, saß ab und klopfte an die Eingangstüre. Es dauerte nicht lange und er hörte Schritte. Die Tür öffnete sich und vor ihm stand eine junge Frau mit langen, dunkelbraunen Haaren: Lily. Ein strahlendes Lächeln machte sich auf ihrem Gesicht breit, als sie ihren Bruder erkannte. „Ich glaub es ja nicht, was machst du denn hier?"
„Lange Geschichte", murmelte Riley und im nächsten Moment zog seine Schwester ihn an sich. Für einen Augenblick genoss er die Umarmung, dann löste er sich daraus und fragte: „Könnte ich ... könnten wir bis morgen bei dir bleiben? Vorausgesetzt du hast ein wenig Platz für den Dicken." Er deutete auf sein Pferd.
„Klar, ich hab dir doch mal erzählt, dass ich 'nen kleinen Hof mit Stall habe, nix Besonderes, aber für eine Nacht wird es reichen. Heu gibt's von den Kaninchen."
Zusammen brachten sie das Kaltblut hinter das Haus. Riley führte Braveheart in die einzige Box des Stalls und nahm dem Pferd die Trense ab, während Lily etwas frisches Stroh einstreute. Anschließend holte sie einen Ballen Heu und der Dicke widmete sich sofort seinem Abendessen. Ein paar Minuten stand Riley schweigend neben seiner Schwester und beobachtete sein Pferd, dann fragte er: „Könnte ich wohl mal kurz telefonieren?"
Lily nickte. „Klar, komm mit."
Riley folgte ihr ins Haus und sie zeigte ihm, wo sich das Telefon befand. Dann ließ sie ihn alleine und er wählte die Nummer des Visby-Stalls.
Nach dem Gespräch ging er hinüber ins Wohnzimmer, wo seine Schwester es sich auf dem Sofa bequem gemacht hatte. Auf dem Tisch standen zwei Tassen mit Kakao.
„So, jetzt weiß Johanna wenigstens Bescheid, dass ich heute hier übernachte."
„Setz dich", sagte Lily und schob ihm einen Becher des heißen Getränks hin.
Riley nahm einen Schluck und schloss für einen Moment die Augen, bevor er seine Schwester ansah und meinte: „Erstmal danke, dass ich heute Nacht hier bleiben kann. Ich hab total die Zeit vergessen, als ich unterwegs war. Und gleich im Stockdunklen zurückzureiten ... na ja, ich hab zwar keine Angst da draußen, aber toll wäre es nicht gewesen."
Er trank einen weiteren Schluck seines Kakaos. „Ich hab heute Nachmittag richtig Mist gebaut." Zögernd erzählte er Lily, was passiert war. Diese hörte ihm aufmerksam zu und als er geendet hatte, stand sie auf, ging zum Fenster und sah hinaus.
„Tja, du kannst es nicht mehr ungeschehen machen und du hast dich bei dieser Sarah ja entschuldigt. Außerdem hast du ihr gesagt, dass du nicht willst, dass sie dich massiert und sie hat es trotzdem versucht. Wer nicht hören will ...", erwiderte sie. „Ich würde mir darüber nicht mehr den Kopf zerbrechen."
„Vielleicht hast du recht", seufzte Riley und streckte sich gähnend.
Lily drehte sich zu ihm um: „Oje, du brauchst wohl dringend Schlaf, Bruderherz. Komm mit, ich zeig dir dein Zimmer. Irgendeine Zeit, zu der ich dich wecken soll?"
„Wenn es geht, um fünf", Riley stand auf. „Ich möchte morgen zeitig im Stall sein. Schließlich hat Johanna mir Arbeit aufgetragen und der möchte ich auch nachgehen."
Seine Schwester nickte und führte ihn die Treppe hinauf in ein kleines, gemütliches Zimmer.
„Schlaf gut", sie nahm ihren Bruder noch einmal in den Arm, „bis morgen früh." Damit verließ sie das Zimmer und Riley war allein. Er war wirklich total erledigt und obwohl es noch relativ früh war, legte er sich in das Bett und war kurze Zeit später eingeschlafen.
~~
Während Rye in einen unruhigen, doch traumlosen Schlaf fiel, legte am Hafen von Visby die letzte Fähre des Tages an.
Ein schwarzer Audi Q5, an den ein Zweier-Pferdetransporter angehängt war, verließ das Schiff und der Fahrer lenkte das Gespann entlang der Stadtmauer über einen unebenen breiten Feldweg in südliche Richtung. Sein Beifahrer, der sich auf dem Sitz zusammengerollt und tief und fest geschlafen hatte, gab aufgrund des Geruckels ein dumpfes Brummen von sich und öffnete dann die Augen. „Verdammt noch mal, Louis, gibt es keine andere Straße, die wir nehmen können?"
Der Angesprochene lachte leise. „Natürlich, aber dieser Weg hier ist kürzer und umso schneller sind wir zu Hause. Für das Auto ist das kein Problem."
„Aber für mich", erwiderte der Andere, musterte seinen dunkelhaarigen Freund und Stallmeister von der Seite, setzte sich auf und strich sich gähnend die langen, silberfarbenen Haare aus dem Gesicht.
„Tja, daran ist nichts zu ändern. Du wirst es überleben, Lysander."
Ein ungehaltenes Knurren war die einzige Antwort, die Louis Dubois bekam, aber das war für ihn nichts Neues.
Wenn sie, wie heute, stundenlang unterwegs waren, passierte es schon einmal, dass der Hunger Lysander ungehalten und unausstehlich werden ließ. Zu Hause würde Louis dafür sorgen, dass der Mann mit dem silbernen Haar sofort bekam, was er brauchte: Blut.
Denn Lysander Moreau war ein Vampir.
Allerdings einer von der Sorte, der das Jagen nach Opfern zu vermeiden versuchte. In der Regel bekam er seine Ration von seinem Stallmeister oder dieser besorgte ihm den Lebenssaft auf andere Art und Weise, jedoch stets so, dass kein Mensch ernsthaft zu Schaden kam. Dennoch gab es Zeiten, wo das Raubtier in dem Unsterblichen übermächtig wurde und er selbst auf die Jagd ging.
Ein paar Kilometer von Visby entfernt lenkte Louis schließlich das Gespann durch ein großes eisernes Tor auf den Hof eines Gutshauses mit Stallung. Das Gelände war von hohen Steinmauern umgeben. Diese waren sehr massiv, sodass sie nebenbei auch ungebetene Gäste fernhielten. Der junge Mann hielt den Wagen an und stellte den Motor ab.
„So, da wären wir."
„Gut, dann versorge du die Pferde und ich werde im Haus die Kamine anzünden", erwiderte der Vampir, stieg aus dem Auto und verschwand lautlos im Dunkeln.
Louis sah ihm einen Moment nach, dann verließ auch er den Wagen. Er lud die beiden Pferde aus dem Hänger und brachte diese in den Stall. Der Stallmeister versorgte die Tiere für die Nacht und machte sich schließlich auf den Weg zurück zum Auto, um die Koffer zu holen.
Währenddessen hatte Lysander die Feuer in den Kaminen im oberen und unteren Teil des Gutshauses entfacht und schnell breitete sich eine angenehme Wärme aus. Der Vampir stand am Fenster des Wohnzimmers und sah hinaus in die Nacht, als Louis das Gebäude betrat.
„Ich bringe schnell die Koffer nach oben, dann bin ich für dich da", sagte dieser leise im Vorbeigehen und stieg die Treppe zu den Schlafräumen hinauf. Er stellte die Sachen in ihrer beider Zimmer ab. Ausräumen konnten sie die Koffer später oder morgen noch. Jetzt gab es erst mal Wichtigeres zu tun. Louis konnte die Unruhe seines Freundes, hervorgerufen durch den Blutdurst, deutlich spüren und dagegen mussten sie etwas tun, denn sonst würde Lysander auf dumme Gedanken kommen und sich doch noch draußen ein Opfer suchen. Das aber galt es zu vermeiden.
Lysander hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Er stand immer noch da und starrte aus dem Fenster, als Louis die Wohnstube betrat.
„Soll ich uns etwas zu essen machen? Oder willst du erst mal ...?"
Weiter kam er nicht, denn mit einem Fauchen war der Vampir herumgewirbelt und hatte in Sekundenschnelle die Distanz zwischen ihnen überwunden.
„Du redest zu viel", knurrte Lysander rau und drückte Louis auf das Sofa. Und im nächsten Moment spürte dieser einen kurzen, scharfen Schmerz, als der Unsterbliche die Fänge in seinen Hals bohrte. Der Stallmeister keuchte auf und ließ Lysander gewähren, sich nehmen, was er brauchte. Nach nicht einmal zwei Minuten war das Ganze vorbei und der Vampir ließ von Louis ab. Dieser erhob sich ebenfalls von der Couch und musterte den Anderen. „Zufrieden? Irgendwann brichst du mir mal die Knochen mit deinen ungestümen Aktionen."
Ein Schmunzeln umspielte Lysanders Lippen. Er strich dem Stallmeister mit den Fingern über die Wange und sah ihm in die Augen. „Jetzt behaupte nicht, ich gehe nicht sanft mit dir um."
„Du bist eine Bestie. Sei froh, dass ich so hart im Nehmen bin und kein zerbrechliches Menschlein." Louis versuchte, sich das Grinsen zu verkneifen und schüttelte den Kopf, bevor er den Raum verließ und sich auf den Weg in die Küche machte, um ihnen etwas Richtiges zu essen zuzubereiten.
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Am nächsten Morgen weckte Lily ihren Bruder früher als besprochen, um ihm noch die Möglichkeit zu geben, unter die Dusche zu springen und in Ruhe einen Kaffee zu trinken. Doch bevor er sich um sich selbst kümmerte, versorgte er erst einmal sein Pferd. Als das erledigt war, kehrte er ins Haus zurück, wo seine Schwester ihm ein paar Sachen ihres Freundes zum Wechseln in die Hand drückte.
„Bring deine dreckigen Klamotten gleich mit runter. Ich muss nachher eh waschen, dann kann ich die mit in die Maschine packen."
„Hmmm", brummelte der Jüngere. Ganz recht war ihm das nicht. Andererseits kannte er Lily zu gut und wusste, dass Widerspruch zwecklos war.
„Ich fahr am Freitagvormittag nach Visby, danach bring ich dir die Sachen vorbei", fuhr seine Schwester fort.
Riley nickte widerwillig und machte sich auf den Weg ins Badezimmer.
Nach dem Frühstück machten er und Braveheart sich auf den Heimweg. Es war eine Dreiviertelstunde Ritt, die vor ihnen lag, aber selbst im gemütlichen Tempo war es locker zu schaffen, lange vor Arbeitsbeginn am Stall zu sein. Es war schon gut gewesen, dass Lily ihren Bruder früher aus den Federn geworfen hatte, denn so brauchte er sich nicht zu hetzen. Mit einem letzten Blick auf seine Schwester trieb Riley das Nordschwedische Kaltblut in einen leichten Trab.
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