Kapitel 29
»Guten Morgen, Schlafmütze.« Lysanders Stimme drang sanft in sein Ohr und ließ Riley langsam die Augen öffnen.
Er streckte sich genüsslich und gähnte. »Guten Morgen. Wie spät ist es denn?«
»Schon fast Mittag.«
Riley schlug die Bettdecke zurück und setzte sich ruckartig auf. »Verdammt! Schon so spät? Ich muss doch ...« Aber sein Versuch aufzustehen, wurde von Lysander vereitelt, indem der ihn wieder in die Kissen drückte.
»Du musst gar nichts. Louis übernimmt heute noch mal deinen Job. Und bevor du fragst, Johanna weiß Bescheid und ist damit einverstanden. Du sollst den freien Tag genießen, bevor du morgen wieder zur Arbeit erscheinst. Zum Stall fahren wir später sowieso noch, denn ich möchte meine Pferde abholen.«
Der junge Schwede musterte seinen Freund lächelnd. »Na, wenn ich dich nicht hätte, der für mich alles organisiert. Nicht wahr? Danke.« Er strich über Lysanders Wange. »Trotzdem steh ich jetzt auf und verschwinde erst mal im Bad. Wie sieht es aus mit einem verspäteten Frühstück, Monsieur?«
»Gute Idee, mon coeur. Während du dich frisch machst, bereite ich alles vor. Beeil dich.« Der Unsterbliche beugt sich herunter und küsste Riley auf die Stirn, bevor er aufstand und das Zimmer verließ.
Eine Stunde später saßen die beiden am Frühstückstisch in Lysanders Küche. Der Unsterbliche war, während Riley unter der Dusche gestanden hatte, in den Ort gefahren und hatte frische Brötchen und Croissants geholt sowie Aufschnitt, Käse und Eier.
»Wie gut, dass du immer Ewigkeiten im Bad brauchst. Dadurch konnte ich in Ruhe alles holen, was wir brauchen. Hier war ja außer Butter, Marmelade und Milch nichts mehr im Kühlschrank«, frotzelte Lysander und Riley stemmte gespielt entrüstet die Hände in die Seiten.
»Was soll das denn bitte heißen? Ewigkeiten?«
»Du brauchst länger als jede Frau.«
»Woher willst du das denn wissen, hm?« Riley zog eine Augenbraue hoch und musterte den Anderen.
»Nun ... da hast du auch wieder recht. Das sind reine Erfahrungswerte von anderen Männern, die ich aufgeschnappt habe.«
»Siehst du. Alles reines Hörensagen«, erwiderte der junge Schwede grinsend und biss mit Genuss in ein Brötchen. »Sei doch froh, dass ich so bin. Stell dir vor, du müsstest hier mit einem nach Schweiß riechenden Kerl sitzen, mit schmutzigen Nägeln und Käsefüßen.«
Lysander verzog bei der Vorstellung angewidert den Mund. »Okay okay, lassen wir das. Sonst vergeht mir noch der Appetit. Ich bin natürlich dankbar, dass ich so einen kleinen Pingel zum Freund habe. Und nicht nur, weil ich deshalb in Ruhe einkaufen gehen konnte.«
»Na, das will ich doch schwer hoffen«, schmunzelte Rye und fuhr dann fort, »und was machen wir nach dem Frühstück?«
»Ich dachte, wir fahren zu dir nach Hause. Oder hast du andere Pläne?« Lysander lächelte anzüglich und ließ den Blick über Riley wandern.
Dieser schaute ihm in die heterochromen Augen und prustete in seinen Kaffee. »Vergiss es. Hast du eigentlich nur Sauereien im Kopf? Ist ja im Moment echt schlimm mit dir«, stellte er fest, nachdem er sich etwas beruhigt hatte, und wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel. »Nicht, dass ich keinen Sex mit dir will, aber den können wir auch noch auf später verschieben.«
Lysanders Mundwinkel zuckten verräterisch. »Aber ja. Nur denk dran, ich nehm dich beim Wort.«
»Daran zweifle ich keine Sekunde. Aber jetzt lass uns das Frühstück genießen.«
_
Ein paar Kilometer entfernt waren Louis und Eric mit dem Ausmisten der Ställe beschäftigt. Der Anflug einer Erkältung, den er am gestrigen Tag noch verspürt hatte, war nach dem heißen Bad und etwas Blut von Louis, über Nacht komplett verschwunden - sehr zu Erics Erleichterung.
Als der Franzose die letzte Schubkarre weggefahren hatte, lehnte er sich an eine der halbhohen Boxentüren und musterte seinen blonden Freund, der das Heu für die Abendfütterung schon mal verteilte. Die Pferde waren auf den Paddocks und so konnte bereits alles vorbereitet werden, was später dann weniger Arbeit machen würde.
»So, fertig.« Eric wischte sich etwas Schweiß und Staub aus dem Gesicht und stützte sich auf der Mistgabel ab. Er musterte den Stallmeister, dessen Blick er die ganze Zeit gespürt hatte. »Was ist los?«
Louis zuckte mit den Schultern. »Ich find es nur schade, dass wir ab heute Abend wieder getrennt schlafen.«
»Sagt wer? Du kannst gerne bleiben.«
»Nein, das kann ich nicht. So gerne ich das auch tun würde. Ich hab einen Job, Eric, das weißt du. Lysander ist nicht nur mein bester Freund, sondern auch mein Arbeitgeber. Und zu meinen Verpflichtungen gehören auch das Kochen und der Haushalt generell. Das geht am besten, wenn ich vor Ort bin. So wie es für dich auch einfacher ist und du schneller hier bist, wenn du morgens zu Hause aufwachst.«
»Dann war es das jetzt wieder oder wie?«, murrte der Blonde und senkte den Blick auf seine Stiefelspitzen.
»Mitnichten. Nur werden wir eben nicht jede Nacht miteinander verbringen können.« Louis trat näher an Eric heran. »Du denkst doch nicht, dass ich dich so einfach wieder gehen lassen werde?«
Der Stallmeister legte einen Finger unter das Kinn des Blonden, um es anzuheben und zwang ihn so, ihn anzusehen.
»Du wärst nicht der Erste, der das tut«, erwiderte Eric trotzig.
»Aber ich bin nicht wie andere. Das solltest du mittlerweile wissen. Und ... mir liegt eine Menge an dir. Auch das solltest du wissen oder zumindest schon gefühlt haben. Wenn es mir nur um ein Abenteuer ginge, da fände ich an jeder Ecke jemanden. Wäre es nur die Vögelei gewesen, die mich gereizt hätte, dann hätte ich dich schon längst wieder aus meinem Leben verbannt, denn Sex hatten wir ja ausreichend.« Louis beugte sich herunter und küsste den Blonden, der daraufhin die Arme um den Nacken des Stallmeisters schlang.
Eigentlich wusste Eric das alles, aber tief in ihm steckte immer noch diese Angst, dass er wieder fallengelassen würde, wie es ihm schon einmal passiert war. Benutzt, betrogen, entsorgt.
Das wollte er nie mehr durchmachen müssen. Aber es gab nun mal keine Garantie. Ein wenig Risiko blieb eben immer.
»Du hast recht. Verzeih. Es ist halt immer noch ein Rest Unsicherheit in mir. Du weißt warum.«
Louis zog ihn näher an sich. »Ja, das weiß ich, aber es wäre schön, wenn du mir ein wenig mehr vertrauen würdest.«
»Ich versuche es«, erwiderte Eric leise. Dann löste er sich von Louis und machte einen Schritt rückwärts. »Was mir noch durch den Kopf geht ... du hast mir ja gestern Abend erzählt, dass Lysander so ist wie du – also ein Vampir. Glaubst du, Riley weiß das?«
Mit den Schultern zuckend erwiderte der Stallmeister: »Also gesagt hat Lysander mir bisher nichts. Und ich denke, das würde er, wenn es so wäre. Ich möchte dich also bitten, Stillschweigen darüber zu bewahren. Nicht, dass wir da schlafende Hunde wecken. Okay? Ich werde noch mal mit ihm reden, wenn wir alleine sind und falls ich etwas herausfinde, erfährst du es als Erster.«
»Ja, natürlich. Darum frag ich ja. Ich will da nicht versehentlich was ins Rollen bringen. Ist ja auch nicht meine Sache, Rye darüber aufzuklären.«
»Richtig. Es ist nicht unsere Angelegenheit. Das muss Lysander entscheiden, wann und ob. Ist halt ein heikles Thema. Nicht jeder reagiert darauf so cool wie du. Und jetzt ...« Louis streckte sich und nahm zwei Führstricke von der dafür vorgesehenen Halterung an der Wand. »Und jetzt lass uns Blue Velvet und Evening Star reinholen und die beiden schon mal für den Transport vorbereiten. Lysander und Riley werden gegen vier hier sein.«
»Gegen vier?«, wiederholte Eric und musterte Louis dann mit einem vielsagenden Blick. »Das sind noch mehr als zwei Stunden. So lange brauchen wir doch nicht, um die Pferde fertigzumachen.«
»Na, Blue ist ein Ferkel. Der wälzt sich gerne im Dreck und das Striegeln nimmt schon Zeit in Anspruch.«
»Ja, aber ihr fahrt von hier aus nach Hause und nicht auf eine Pferdeshow oder ein Turnier, also muss sein Fell nicht schneeweiß sein, oder? Ich wüsste da einen besseren Zeitvertreib«, warf Eric ein und ergriff, ohne eine Antwort abzuwarten, Louis' Hand und zog diesen hinter sich her ins Heulager.
_
Als Lysander und Riley um kurz vor vier auf den Hof des Visby-Stalles gefahren kamen, standen die beiden Pferde gestriegelt und mit Transportgamaschen sowie -decken versehen in der Stallgasse. Während Louis seinem Boss half, den Pferdeanhänger an den Q5 anzukoppeln, gesellte Eric sich zu Riley, der den beiden zusah.
»Und? Wie war Paris?«
»Überwältigend schön. Nur leider hatten wir nicht viel Zeit, um herumzulaufen beziehungsweise war das Wetter nicht so optimal dafür. Aber Lysander meinte, wir könnten im Frühjahr noch einmal dorthin fahren«, erwiderte Rye und lächelte vor sich hin. »Und hier war auch alles gut?«
»Das hört sich doch super an und klar, im Frühling ist es bestimmt traumhaft da. Ich war einmal in Frankreich, im Herbst, und das war schon toll. Aber wenn alles anfängt zu blühen?! Allerdings war ich damals nicht direkt in Paris, sondern außerhalb.« Eric hielt einen Moment inne, bevor er fortfuhr. »Und ja. Hier hat alles perfekt funktioniert. Ich finde es schon ein bisschen komisch, dass er jetzt wieder nach Hause fährt. Hab mich richtig an seine Nähe gewöhnt.«
»Na ja, nur weil ihr nicht vierundzwanzig Stunden aufeinander hängt, seid ihr doch trotzdem zusammen.« Riley sah seinen Kollegen an. »Ihr seid doch zusammen, oder? Also so richtig.«
Eric zuckte mit den Schultern. »Ich denke schon. So genau haben wir darüber nicht geredet. Aber es fühlt sich so an, ja.«
»Na, wenn es sich so anfühlt, wird es wohl so sein. Mann, ihr zwei seid echt kompliziert.« Rye grinste.
»Nö, sind wir nicht. Los, komm, hilf mir mal«, brummte der Blonde, stieß sich von der Stallmauer ab und verschwand in dem Gebäude, um die Pferde zu holen. Sein Kollege folgte ihm lachend.
Nachdem die Tiere verladen waren, ging Lysander hinüber zum Herrenhaus, um die Schuldigkeit für die Pferdeversorgung zu bezahlen. Währenddessen lief Riley hinunter zu den Paddocks, um die Zeit bis zum erneuten Aufbruch mit Braveheart zu verbringen. Louis und Eric blieben derweil am Auto stehen.
»So, dann fährst du jetzt also mit Lysander zurück.« Die Stimme des Blonden war kaum zu verstehen, als er sich an den Stallmeister lehnte und sein Gesicht an dessen Schulter vergrub. Louis legte die Arme um ihn und zog ihn an sich. Einen Moment lang standen sie einfach so da, bis der Franzose das Schweigen brach: »Nun, ich dachte eigentlich, dass ich noch bis morgen bei dir bleibe. Was hältst du davon?«
Eric hob den Kopf und sah zu Louis hoch. »Ach so? Und was sagt dein Boss dazu? Wäre das für ihn in Ordnung? Und für Riley?«
»Na, was soll Lysander groß sagen? Der ist froh, wenn er und Riley das Haus heute Nacht noch mal für sich allein haben. Ich hab vorhin mit ihm geredet. Er bringt Rye morgen früh hierher und ich fahre dann mit zurück. Ist das in deinem Sinne?«
Ein Lächeln huschte über Erics Gesicht, als er nickte und sich dann wieder an Louis' Brust schmiegte. »Aber ja. Auf jeden Fall ist das in meinem Sinne.«
Schmunzelnd strich der Stallmeister über den Rücken des Blonden. Auch Louis war zufrieden mit dieser Regelung. Ab morgen würden sie alle noch oft genug getrennt sein, wenn der normale Alltag zurück war. Das würde sich nicht vermeiden lassen, solange sie nicht alle unter einem Dach wohnten.
Der Stallmeister seufzte leise, während er die Nase in Erics Haar vergrub, und schloss für einen Moment die Augen.
»Ich störe eure Intimitäten ja nur ungern, aber wir wären dann fertig und würden uns auf den Weg machen.« Lysanders Stimme riss die beiden Männer aus ihrer trauten Zweisamkeit. Sie lösten sich voneinander und Louis räusperte sich. »In Ordnung, dann kommt gut heim. Meldet euch kurz, wenn ihr da seid.«
Auch wenn es nicht weit war vom Visby-Stall bis zu ihrem Zuhause, so war es doch noch mal um einiges kälter geworden in der letzten Stunde. Die Straßen hatten merklich angezogen und glitzerten verdächtig. Gerade mit einem vollbeladenen Anhänger hinter dem Auto, war es nicht ungefährlich, bei solchen Wetterverhältnissen zu fahren. Das war es unter normalen Umständen schon nicht, aber Lysander wollte nach Hause.
Er nickte Louis zur Bestätigung zu, während er Riley ins Auto scheuchte. »Ich melde mich.« Mit diesen Worten stieg auch er ein und das Gespann verließ kurz darauf den Hof.
Die anderen beiden sahen ihnen noch hinterher, bis die Rücklichter in der Ferne verschwunden waren. Dann wandte Eric sich Louis zu. »So weit, so gut. Ich denke, wir sollten die Pferde reinholen und dann langsam auch verschwinden. Es ist verflucht kalt und ich hab keine Lust, mir unterwegs den Hintern anzufrieren.«
Der Franzose nickte und so machten sie sich daran, die Tiere von den Paddocks zu holen und in ihre Boxen zu bringen. Jedes Pferd bekam noch seine Ration Kraftfutter, bis auf Braveheart und Wintersong, auf die ihre Portion im heimatlichen Stall wartete – wie jeden Abend.
Nach der Fütterung verschlossen die beiden Männer sorgfältig den Stall und machten sich auf den Weg nach Hause.
Am nächsten Tag setzte Lysander Riley frühmorgens an seinem Zuhause ab und nahm im Gegenzug Louis mit. Während Rye sich mit Eric auf zum Stall gemacht hatte, waren die anderen beiden zurück zu ihrem Anwesen gefahren. Zurück zur Normalität. Zumindest fast.
Als Louis mittags das Essen vorbereitete, kam Lysander zu ihm in die Küche, setzte sich an den Tisch und sah ihm schweigend dabei zu. Nach ein paar Minuten legte der Stallmeister das Messer, mit dem er Gemüse geschnitten hatte, zur Seite und musterte seinen Freund. »Was ist los mit dir? Du bist irgendwie komisch. Das macht mich ganz nervös.«
Sich mit der Hand über das Gesicht streichend, seufzte dieser und erwiderte leise: »Ich muss mit dir reden.«
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro