27. Kapitel
Er war, als ob selbst der Wald den Atem anhielt. Kein Geräusch war zu hören, als sich das Grinsen auf Luniks Gesicht im gleichen Maße vergrößerte, wie das Entsetzen auf den Gesichtern der anderen.
Lea fühlte sich wie betäubt. Auf einmal machte alles einen schrecklichen Sinn.
Indira hatte sich während der Übung fortgeschlichen - Lunik hatte sie kurz darauf gestürmt.
Indira war nach den Geburtstagsplanungen verschwunden - Lunik hatte über die Schnitzeljagd Bescheid gewusst.
Indira war gerade eben weggewesen - Lunik stand jetzt hier vor ihnen.
„Warum?", flüsterte nun Noctus. Unendlicher Schmerz über den Verrat seiner Seelenpartnerin stand in seinen Augen geschrieben.
Indira blickte in nur an, Lea bildete sich ein, Tränen in ihren Augen schimmern zu sehen.
Erst nachdem Noctus heftig den Kopf schüttelte und seine Lippen, das unausgesprochene Wort Bitte formten, begriff Lea, dass die beiden über ihren Seelenpartnerbund kommunizierten.
Luniks Anhänger schauten nur schweigend zu, wie Indiras Blick ihre Freunde streifte und während Kia Indira mit Tränen in den Augen anschrie, dass sie doch Freunde waren, begriff Lea.
Sie begriff warum Indira das getan hatte: Das war schon viel früher entstanden, als Indira noch in Silinas Schatten gestanden hatte, als sie um jede Aufmerksamkeit oder Freundlichkeit hatte kämpfen müssen, als sie sich um ihre Geschwister hatte kümmern müssen, als für sie jeder Tag ein Kampf gewesen war, ihr Leben eine Schlacht. Eine Schlacht in der es um Liebe ging.
Und ausgerechnet bei dem Mann, der für so viel Leid verantwortlich war, hatte sie sie gefunden. Vielleicht keine richtige Liebe, aber Wertschätzung. Wertschätzung für das, was sie war und das wozu sie im Stande war.
Das alles las sie in Indiras Blick und legte Kia ihre Hand auf den Arm.
„Es bringt nichts.", sagte sie leise. „Sie hat gewählt. Und sie bereut es."
Kia starrte sie ungläubig an, beließ es aber bei einem traurigen Blick in Indiras Richtung und atmete tief aus.
Nun erhob Lunik wieder die Stimme. Wie immer klangen seine Worte wie ein eisiger Nordwind - unerbittlich und kalt. „Nehmt sie gefangen. Ich kann hier nicht so viel Zeit mit meinem Sohn verbringen, ich muss Sivik einnehmen." Er lächelte grausam und die Kälte aus seiner Stimme kroch Lea das Rückgrat herauf, als sich Luniks Anhänger langsam in Bewegung setzten.
„Wartet!" Schon zum zweiten Mal heute, ließ dieses Wort Lunik innehalten.
Dieses Mal kam es aber nicht von Mila, sondern von Linius, der hinter Lunik aus den Bäumen trat.
Viele Krieger taten von allen Seiten der verbrannten Lichtung aus dasselbe.
Bewaffnete Fabilis aus Lievy, der Streitmacht Luniks fast ebenbürtig.
Und als sie sich nach und nach verwandelten, zog Kia Lea ein Stück nach hinten, damit sie nicht in das Epizentrum des Kampfes kamen.
Mit Entsetzen beobachtete Lea den Kampf. Es war kein riesiges Gemetzel wie aus Filmen, wahrscheinlich hatte Lunik noch keine Zeit für eine größere Streitmacht gehabt, doch es war trotzdem schrecklich.
Und als der erste Fabilis fiel, blieb Leas Herz stehen. Lievys Soldaten - unter ihnen Milas und Kias Vater - versuchten die Gegner so wenig wie möglich zu verletzen, doch Luniks Gefolgsleute hatten keine solchen Hemmungen, sie griffen brutal und unerbittlich an.
Leas Augen huschten über die Kämpfenden, bis sie am anderen Ende der Lichtung Indira erspähte. Sie stand etwas abseits und blickte entsetzt auf die Schlacht.
Lea drehte sich zu ihren Freunden um.
„Ich muss zu Indira.", sagte sie entschlossen.
Die Anderen starrten sie an.
„Das geht nicht, wir müssten mitten durch die Schlacht.", sagte Silina.
„Und sie ist eine Verräterin!", meinte Kia entschieden.
„Ja, das ist sie", gab Lea zu. „Aber sie ist auch unsere Freundin. Ich muss mit ihr reden."
„Ich helfe dir.", entschied Mila bestimmt.
„Ich auch, sie ist meine Seelenpartnerin!", sagte Noctus.
„Ich komme natürlich auch mit" Das kam von Silias
„Ich komme auch mit, das ist alles meine Schuld, ich muss es in Ordnung bringen.", erklärte Viko bedeutungsschwanger.
„Da hat wohl jemand seinen Main-Character-Moment", flüsterte Kia.
„Ich helfe dir Lea. Und Viko - das ist nicht deine Schuld.", sprach sie lauter.
„Ich komme auch mit. Das mit Indira ist wirklich meine Schuld.", stimmte zum Schluss auch Silina Leas Plan zu.
„Gut, dass ich nie ohne Waffen aus dem Haus gehe.", murmelte Kia und begann nach und nach Messer und Dolche aus versteckten Taschen ihres Umhangs zu ziehen und sie an die anderen zu verteilen.
„Warum hast du so viele Messer dabei?", fragte Lea Kia überrascht.
„Nur zum Überleben, ich hab' auch noch Schokolade dabei.", erklärte diese und trotz der Situation, konnte Lea ein kleines Lächeln nicht unterdrücken.
Die kleine Gruppe setzte sich in Bewegung und die Jugendlichen versuchten möglichst das innerste Schlachtgetümmel zu vermeiden.
Lea ging in der Mitte der kleinen Gruppe und war sehr froh darüber, dass ihr ihre Freunde Deckung gaben, denn ihr wurde schon beim bloßen Gedanken daran, andere Menschen zu verletzen, schlecht.
Schließlich kamen sie bei Indira an und Lea machte einen vorsichtigen Schritt nach vorne, während ihr die anderen Luniks Anhänger vom Leib hielten.
„Du musst das nicht tun", flüsterte sie zu Indira.
„Doch", gab diese ebenso leise zurück.
„Nein! Du könntest das hier und jetzt beenden, du musst nicht für ihn kämpfen." Lea blickte Indira in die Augen, in der Hoffnung sie würde es verstehen.
„Ich kann nicht" Indira klang gequält. „Meine Geschwister, ich muss auf sie aufpassen, er hat gedroht ihnen weh zu tun, und wenn ich ihm gehorche, muss ich mir auch keine Sorgen um ihre Zukunft machen. Ich bin doch die Einzige, die sich um sie kümmert."
„Nein", murmelte Lea. „Du bist nicht die einzige, du bist auch nicht allein. Wir helfen dir, dafür sind Freunde doch da."
„Wirklich?", fragte Indira und hob ihre tränenverschleierten Blick. „Das würdet ihr für mich tun?"
„Natürlich, du bist doch unsere Freundin. Wir helfen dir. Und nicht erst seit heute, wir hätten dir auch schon früher geholfen, wenn du uns gefragt hättest. Du musst das nicht alleine durchstehen, wir sind für dich da. Okay?"
Doch Indiras Blick war in die Mitte der Schlacht gerichtet, wo Lunik sein Schwert schwang.
„Okay?", fragte Lea noch einmal etwas schärfer. Plötzlich hatte sie Angst, dass Indira eine Dummheit begehen würde.
Doch Indira bewegte sich jetzt durch das Getümmel. Wie ferngesteuert schlug sie jeden beiseite, der sie aufhalten wollte und stieg über verletzte und gefallene Krieger gleichermaßen unbeteiligt hinweg.
Schließlich stand sie vor Lunik Fokiv.
Lea schrie und lief los, um Indira aufzuhalten, Lunik war viel stärker als sie, doch Lea kam nicht so schnell voran wie Indira.
Und während sie sich weiter kämpfte, beobachtete sie, wie die Tränen nun endgültig über Indiras Wangen rollten, glitzernd, im Schein der fast untergehenden Sonne. Lea musste mit ansehen wie Indira etwas sagte, unverständlich für sie, doch Lunik lächelte nur und... hauchte sie an?
Doch Indira zog einen Dolch, woher er kam, wusste Lea nicht, und als sie dem erschrocken Lunik die Klinge ins Herz stieß, hatte das schon fast etwas zeremonielles.
Stille senkte sich nach und nach über die Kämpfenden und Lea konnte jetzt losrennen. Zu Indira die ungläubig auf den toten Feind blickte.
Als Lea bei ihr ankam, fiel Indira auf die Knie, die Blick unverwandt auf Lunik gerichtet.
„Ich dachte nicht, dass es so leicht geht. Der Tod meine ich.", flüsterte sie ungläubig.
„Ich dachte er ist hässlich und langsam, aber Lunik ist einfach so gestorben. Ohne ein Wort oder eine letzte Tat."
Lea blickte sie an und sah, dass Indira zitterte.
„Alles ok?", fragte sie vorsichtig und schollt sich im selben Moment, natürlich war nichts okay.
Indira drehte den Kopf langsam in Leas Richtung. „Der Atem der Hydra, er ist giftig."
Jetzt verstand Lea, warum Lunik Indira angehaucht hatte.
„Nein", flüsterte sie.
„Ich bereue so vieles das ich getan habe, aber die letzte Zeit, das mit euch, das war die schönste Zeit in meinem Leben. Es war perfekt und ich habe es nicht bemerkt.", murmelte Indira leise.
„Warte", krächzte Lea und packte Indira an der Schulter. Es konnte doch nicht sein, dass sie Lunik getrotzt hatte, den größten Feind umgebracht hatte und jetzt starb.
„Andrina", flüsterte Indira. „Elara"
Mit Entsetzen erkannte Lea, dass Indira die Namen ihrer Geschwister aufzählte - ein letztes Mal aussprach.
„Largo"
Das Wort war auf Indiras Lippen kaum mehr ein Wispern.
Und während am Horizont die Sonne unterging, wich das Leben aus Indiras Körper.
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