16. Kapitel
Lea klammerte sich an Milas Rücken fest. Ihre Schuppen waren rutschig. Lea fand keinen guten Halt, sodass sie immer wieder nachgreifen musste. Trotzdem klammerte sie sich unerbittlich fest, bis sie Kia neben sich spürte, die Mila ebenfalls angriff. Nur wurde es jetzt noch gefährlicher und auf Mila bleiben kam gar nicht in Frage.
Was soll's, dachte Lea, theoretisch wäre ich heute ja schon um die sieben Mal gestorben, da macht ein Tod mehr oder weniger ja auch nichts mehr aus. So sprang sie zum zweiten Mal heute über eine elf Meter tiefe Kluft und landete auf Indira, die allerdings ein Stückchen nach unten sackte, Lea war wohl nicht so leicht wie sie gedacht hatte.
„Kannst du mich absetzen?", rief sie Indira gegen den Kampflärm der Schwestern neben ihr zu.
Indira steuerte den Boden an und sobald Lea wieder auf dem Boden stand schnappte sie sich ihren Bogen und zielte. Allerdings ließ sie ihn ziemlich schnell wieder sinken, denn mit ihren mittelmäßigen Schießkünsten war es nur eine Frage der Zeit, bis sie mit einem Pfeil ihre Seelenpartnerin aufspießen würde.
Frustriert, weil sie so gar nichts machen konnte, starrte Lea angestrengt nach oben und versuchte zu erahnen, wer die Oberhand gewann. Doch es war ziemlich schwer zu sagen, denn der Luftkampf der beiden Schwestern glich einem perfekt einstudierten Tanz, was wahrscheinlich nicht verwunderlich war, schließlich trainierten Kia und Mila von klein auf zusammen.
Lea beobachtete wie Kia geschickt einem Feuerball von Mila auswich und mit ihrem Schwanz nach Mila schlug. Sie traf. Rote Schuppen trafen auf silbern glänzende und Mila brüllte auf. Kia begann nun kleine Flammen aus ihrem Horn zu schießen und als sich nun auch Indira an diesem Kampf beteiligte, ergriff Mila die Flucht. Leas Teamkameradinnen landeten neben ihr und trotteten zum nächsten Gebüsch - nicht in das gleiche - und kamen wenig später, angezogen wieder hervor. Kias Oberarm zierte eine blutende Wunde und Indira humpelte. Jetzt fühlte Lea sich doch ein wenig schuldig, weil sie gar keine Wunde aufwies. Naja, bis auf die paar blauen Flecken, aber die zählten nicht richtig. Sie wollte gerade etwas Mitfühlendes sagen, als Kia ziemlich triumphierend sagte: „Wir haben es denen ja mal sowas von gezeigt."
Lea starrte Kia an. Das Mädchen wirkte ziemlich erschöpft und ihre Kampfmontur wies Blutflecken auf, doch hier stand sie und redete von ihrem Sieg?
„Wunderbar", brachte Lea deshalb nur hervor und fuhr fort, ihre Seelenpartnerin anzustarren. Diese starrte zurück und nun schauten sie sich in die Augen und sahen dabei wahrscheinlich aus wie Frösche mit Mordgedanken.
„Äh", meldete sich Indira. „Was... äh... wird das?" Sie schaute die Beiden an, als ob sie geistesgestört wären, doch Kia und Lea ignorierten sie einfach und setzte ihren Starrwettbewerb fort. Indira beobachtete die Zwei eine Weile und holte dann tief Luft.
„Hätten die Damen vielleicht die Güte ihre Bedürfnisse später fortzuführen?" Indira wurde mit einem Schlag lauter. „Denn ich habe keinen Bock den Rest des Tages hier rumzustehen und euch zuzusehen, wie ihr euch in die Augen starrt, als wärt ihr zwei Schnecken die sich um ein Salatblatt streiten!" Die zwei Seelenpartnerinnen fuhren hoch. Lea erschrocken, Kia genervt.
„Lea, du kannst mich als Siegerin betrachten, ich hole jetzt Viko, ihr besetzt die Hütte und fesselt Silina nochmal richtig."
„Okay", nickte Indira. Sobald sie eine klare Anweisung hatte, murrte sie auch nicht mehr. „Lass uns Silina fesseln."
Kia hatte Viko abgeliefert und jetzt standen Indira und Lea am Rand der Hütte und unterhielten sich ein bisschen, um die zwölf Stunden rumzukriegen, die sie hier warten mussten. Dabei wurde Lea bewusst, dass sie eigentlich so gut wie gar nichts über Indira wusste.
„Bist du eigentlich hier in Lievy aufgewachsen?", fragte sie deshalb.
„Ja", meinte Indira, sie wirkte nachdenklich. „Meine Eltern sind ziemlich früh gestorben und haben mich, als ich 9 war, einfach mit drei jüngeren Geschwistern zurückgelassen." Sie drehte einen Holzspahn zwischen den Finger umher.
„Und wie hast du es geschafft alle deine Geschwister zu versorgen?", fragte Lea erstaunt.
„Ich kämpfe mich so durch. Ich habe alle möglichen Jobs angenommen, gestohlen, gebettelt, ein Bisschen von der Jugendhilfe aus Sivik finanziert. Wenn du so lange alleine bist, mit dieser ganzen Verantwortung, entwickelst du dich zu einem Überlebenskünstler. Ich passe mich an, häufig ist man bei den Stärkeren gut versorgt. Es ist nicht schön, ich hasse das alles, aber irgendwie kommt man immer durch." Sie ließ den Holzspahn von ihrem Finger gleiten und starrte in die Ferne, in der man schemenhaft, die Konturen von Lievy ausmachen konnte.
Lea musste den Gedanken, dass sie Indira völlig falsch eingeschätzt hatte, erstmal verdauen. Sie hatte Indira als idiotische Anhängerin Silinas abgestempelt und nun wurde diese Theorie völlig über den Haufen geworfen, denn sie lernte gerade eine völlig neue Indira kennen. Schon gestern war sie überrascht gewesen, wie anders Indira in Wirklichkeit war. Sie hatte Verantwortung und schien diese auch tragen zu können. Sie war schlau und sie besaß Humor. Indira schien sogar sympathisch zu sein. Wenn sie nur wollte, könnte sie eine Freundin, die wirklich treu war und alles für einen tun würde. Es war wirklich traurig, dass noch niemand wirklich in den Genuss von Indiras Freundschaft gekommen war.
So hingen die beiden Mädchen ihren Gedanken nach und starrten in die Ferne.
„Weißt du", brach Indira nach einiger Zeit das Schweigen. „Ich hätte gedacht, dass du spätestens nach der Sache mit dem Diebstahl das Weite suchen würdest, aber du bist geblieben."
„Ja ich bin geblieben. Warum sollte ich auch gehen?" Lea war in Gedanken immer noch woanders.
„Die meisten gehen, wenn sie alles über mich wissen, sie gehen, wenn sie merken, dass ich nichts zu bieten habe, für das es sich lohnt, noch mehr Zeit in mich zu investieren." Ihre Stimme nahm einen bitteren Ton an. „Wenn ich nichts abwerfe, wenn ich ihnen nichts nütze." Sie zerriss ein herabfallendes Blatt.
„Ich finde du nützt etwas.", meinte Lea bestimmt. „Freunde achten nicht auf die Herkunft, sie achten nur auf die Person. Ich..." Lea wollte noch weitersprechen, wurde aber von der panischen Gedankenstimme Kias unterbrochen.
Komm sofort zu unserer Hütte! Es ist etwas Schreckliches passiert!
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro