1. Kapitel
Lea unterdrückte ein Gähnen. Sie saß jetzt schon ewig in diesem verdammten Klassenraum, der so schlecht gelüftet wurde und in dem sich bestimmt schon mehrere Schüler zu Tode gelangweilt hatten. Die monotone Stimme ihrer Geschichtslehrerin Frau Winegarth erreichte kaum ihr Bewusstsein. Sie schaute auf die Uhr, die in diesem Klassenzimmer irgendwie verhext zu sein schien. Jedenfalls bewegte sich der Sekundenzeiger schleichend und mit einer Behäbigkeit, die einer Schnecke Konkurrenz machen könnte. Da! Ein Klopfen! Das aufdringliche Geräusch riss Frau Winegarth aus ihrer Erzählung. Sie drehte sich zu der Tür um und machte sich bereit der Person, die es wagte ihre "spannende" Geschichte zu unterbrechen gehörig die Meinung zu sagen, als der Direktor des Friedrich-Schiller-Gymnasiums hereinkam.
Er schob ein Mädchen vor sich her, das sich die ziegelroten, ungekämmten Haare unachtsam zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden hatte und die Klasse mit einem Blick musterte, der den beiden Buchfiguren Max und Moritz Konkurrenz machen konnte. Ihre Kleidung sah aus als hätte sie von irgendwem ein paar Kleidungsstücke bekommen und dann einfach in den Kleiderstapel gegriffen und das erstbeste herausgezogen. Der Direktor schob sie vor die Klasse und sagte: „Das ist Kia, eure neue Klassenkameradin". Er klopfte ihr wohlwollend auf die Schulter.
Kaugummikauend las sie ein paar Zeilen von einem Zettel ab: „Ich bin Kia und werde ab heute in eure Klasse gehen. Ich mag Lagerfeuer und ich hasse Wasser und Schwimmen. Ich hoffe, dass ich hier viele neue Gesichter kennenlerne." Lea war nicht sicher ob das überhaupt wahr war oder einfach nur vorgeschoben. Das Einzige was auch nur halbwegs ehrlich geklungen hatte, war der letzte Satz und ehrlich war wohl auch dafür das falsche Wort.
„Wo willst du dich hinsetzen?", fragte Frau Winegarth freundlich, doch an ihrem Blick, der immer wieder zur Uhr huschte, sah man, dass sie keineswegs gut drauf war. Nun schaute auch Lea zur Uhr und stellte erfreut fest, dass die Zeiger wohl aus dem Winterschlaf erwacht waren und anzeigten, dass in 5 min die Pause anfing. Kia hatte den Unterricht ganze 8 min aufgehalten. Innerlich streckte Lea ihrer Geschichtslehrerin gerade die Zunge heraus.
Kia blickte sich um und entdeckte, dass genau zwei Plätze frei waren. Der neben Andreas, dem Klassenstreber, der seine Bücher über den ganzen Tisch ausgebreitet hatte und so keinen Raum ließ, für einen potenziellen Nebensitzer. Dann war da noch der andere Platz... neben ihr! Dort setzte Kia sich nun auch hin, doch als sie Lea kurz angeschaut hatte trat auf ihr Gesicht erst ein überraschter Ausdruck, dann rutschte sie plötzlich von ihr weg. Der ganze Vorgang hatte nur Sekunden gedauert und nun war Lea sich nicht mehr sicher, ob er überhaupt stattgefunden hatte.
Sie beobachtete das fremde Mädchen, bis sie die Stimme von Frau Winegarth (wieder einmal) aufschreckte: „Kia! Bitte entferne diesen Kaugummi aus deinem Mund!" Wortlos spuckte Kia ihren Kaugummi quer durchs Klassenzimmer, in den Mülleimer.
Die ganze Klasse blickte dem Kaugummi nach, während Kia sich seelenruhig einen Neuen in den Mund steckte. Lea lächelte, für mehr reichte es nicht, da immer noch der strenge Blick von Frau Winegarth auf ihr ruhte.
In der Pause setzte Lea sich an ihren Lieblingsplatz am Teich. Sie war überrascht, dass auch Kia sich zu ihr setzte. Allerdings hielt die einen Sicherheitsabstand zum Teich, als ob daraus gleich ein Seeungeheuer hervorspringen könnte.
Da Kia nichts sagte, fing Lea an: „Hi". Dieses eine Wort schien einen Bann zu brechen. Kia drehte sich abrupt zu Lea um und fragte sie geradeheraus, aber mit gesenkter Stimme: „Hast du dich schon mal verwandelt?"
„Äh", sagte Lea, „verwandelt?"
„Du bist doch ein Fabiliswandler",stellte Kia fest. Mit Blick auf den verwirrten Gesichtsausdruck von Lea fragte sie: „In was können sich denn deine Eltern verwandeln?"
„Ich habe keine Ahnung", flüsterte Lea bitter, „man hat mir gesagt sie wären tot. Ich lebe gerade bei Pflegeeltern."
Kia schien etwas zu verstehen. „Ihr macht doch morgen diesen Klassenausflug". „Ja...", antwortete Lea. „Wenn du mehr über dich und deine Eltern erfahren willst, dann halte dich beim Ausflug bei mir."
Sie stand auf und ließ eine vollkommen verwirrte Lea zurück.
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