Unendlich
Dein Teleskop.
Es steht noch immer hier auf dem Dach. Dort wo es schon immer stand, an unserem Ort.
Es ist noch immer der Ort, den ich suche wenn mir die Welt über den Kopf wächst. Wenn das Gewicht auf meinen Schultern mich erdrückt und der Stein in meiner Brust mir den Atem nimmt.
Hier, an unserem Platz kommen all die Erinnerungen hoch. Die Erinnerungen an all die Stunden die wir hier oben verbrachten.
Diese Flut bringt Erinnerungen mit sich, die ich am liebsten vergessen hätte - so auch die Erinnerung an jene Nacht.
Komischerweise ist sie diejenige, die bleibt. Wie ein Stein, der von den Wellen an Land gespült wurde. Es hängt zu viel Gewicht daran, um ihn zurück in die Fluten zu werfen.
Und nur diese Nacht erfüllte meine Gedanken, als ich heute die steile Leiter erklomm.
Die Dachpappe war noch warm unter meinen Nackten Füßen. Der vertraute, leicht stechende Geruch stieg mir in die Nase und kleine Steine bohrten sich in meine nackten Schenkel, als ich mich niederließ. Gar nicht weit von den Füßen deines Teleskops entfernt.
Einmal zur Seite hätte ich Rollen müssen.
Eine kleine Bewegung und ich hätte den Abendhimmel ergründen können während deine Stimme mir im Ohr klang. Doch ich tat es nicht. An keinem der Abende voll Melancholie, Sterne und Rotwein.
Nie.
Ich saß bloß da. Dachte an dich und diese eine Nacht.
Es war die letzte Nacht bevor du gingst, vielleicht ist das auch einer der Gründe weshalb sie mir bis heute im Gedächtnis blieb. Doch der bedeutendste Punkt ist, dass es die schönste Nacht meines Lebens war. Es hat lang gedauert, bis der Schmerz nicht mehr die Erinnerung überschattete, aber jede einzelne Sekunde war es wert.
Die Nächte waren schon immer unsere Zeit. Die Dunkelheit macht die Lügen unsichtbar und die Realität umso klarer.
Diese Nacht unterscheidet sich eigentlich kaum von all den anderen, die wir Seite an Seite auf diesem Dach verbrachten.
Ich könnte nicht sagen wie viele es waren, ich habe sie nie gezählt. Warum auch? Es wäre gewesen wie der Versuch alle Sterne zu zählen die den Himmel übersäen.
Nicht die Nacht an sich war besonders.
Nicht der Himmel, nicht das Wetter, nicht einmal die Dinge die mir durch den Kopf gingen dort auf dem Dach.
Du warst es, allein du, die die Nacht zu der schönsten meines Lebens machtest. Deine zarte Stimme entführte mich in fremde Dimensionen, während wir durch das Teleskop blickten. Unermüdlich warst du in der Bemühung, mir jede deiner neusten Entdeckungen zu zeigen. Gemeinsam erlebten wir die Geschichten und Legenden von denen die Bilder in den Sternen uns erzählten.
An diesem Abend waren die Sterne so viel mehr als Lichter am Firmament. In ihrem Licht wurden wir zu dem was wir waren, Verliebte unter dem Nachthimmel.
Noch heute kann ich das sanfte Kribbeln deiner Haare an meiner Wange spüren, als du mir meine eigene Definition der Unendlichkeit schenktest. Du hast mich spüren lassen, wie wunderschön und einzigartig es ist zu leben.
Dass wir ein Leben haben, das uns geschenkt wurde.
Ich kann es vor mir sehen, das begeisterte, ja, nahezu berauschende Funkeln in deinen Augen angesichts der Unendlichkeit die sich vor der Linse deines Teleskops befindet. Angesichts der Unendlichkeit unserer Seelen, die frei und ungezügelt in die Ferne treiben.
Und ich konnte einfach nicht anders als dich wieder und wieder zu fragen, die banalsten Fragen deren Antwort ich längst kannte. Ich fragte dich, ließ dich das Erzählte wiederholen, nur um das Funkeln in deinen Augen zu sehen.
Du sagst so schön aus, mit glänzenden Augen, glühenden Wangen und zerzaustem Haar. Dies war deine Leidenschaft, das war unübersehbar.
Zu gern hätte ich den Moment festgehalten, doch egal wie oft ich es versuchte, keine Worte der Welt konnten dich und die Milliarden Sterne beschreiben.
Kein Bild, kein Film konnte deine Ausstrahlung festhalten.
Auch in jener Nacht, der schönsten meines Lebens, fand ich keinens Weg um dich auf das Papier zu bannen.
Die Erinnerung ist alles was ich noch von uns habe. Die Erinnerung, das Teleskop auf dem Dach und die Geschichten der Sterne.
Ich würde alles geben um dich noch einmal reden zu hören.
Noch einmal deine sanfte Stimme hören und das gewaltig Gefühl des Begreifens spüren.
Noch einmal dich flüstern hören, dass das Universum gemacht wurde um von uns gesehen zu werden.
Und ich sah.
Damals sah ich zum ersten Mal nicht nur kalte Lichter, millionen Lichtjahre entfernt.
Ich habe gesehen, was du mich sehen ließest. Ein Universum der Wunder, voll von unglaublichen Geschichten und Möglichkeiten die nur darauf warten, genutzt zu werden.
Und nun liege ich hier. Auf der rauen Dachpappe aus der die letzte Wärme längst gewichen ist.
Die kleinen Steinchen haben sich unangenehm tief in meine Haut gegraben.
Ich sehe in den Himmel auf, denselben Himmel den du mir zeigtest. Denselben Himmel den wir mit unseren Worten füllten.
Sie sind es, die ich sehe. All die Bilder und Geschichten die du mich sehen ließest.
Atemlos, mit flammenden Wangen mache ich mich auf die Suche nach meiner eigenen Unendlichkeit, zum ersten Mal seit Ewigkeiten.
Denn ich weiß dass sie irgendwo dort draußen ist und nur darauf wartet entdeckt zu werden.
Es spielt keine Rolle mehr, wie lang deine Ewigkeit ist oder in welches schwarze Loch unsere Ewigkeit fiel. Denn was zählt ist das jetzt, dieser kleine Moment, eine eigene Unendlichkeit.
Zum ersten Mal seit Ewigkeiten begreife ich, was du mir zeigtest. Wie unglaublich und wunderschön es ist, dass wir existieren.
Hey, ich bin zurück mit einer anderen Kurzgeschichte aus meiner Feder. Über Rückmeldungen oder Sternchen würde ich mich freuen😊
Ach, und habt ihr dieses fabulöse neue Cover gesehen?
Ein riesen Dankeschön an
Es ist so wunderschön geworden und gerade zu dieser Kurzgeschichte passt es wie die Faust aufs Auge, findet ihr nicht?
Love, Bella❤️
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