35. Plagende Zweifel
Aufgrund des Berges an Hausaufgaben, den vielen Tests, die die Lehrer beinahe jede Stunde schrieben und ihren fast täglichen Rundgängen in der Schule, war es für James ein Wunder, als er eines morgens aufwachte und es schon der letzte Tag vor den Weihnachtsferien war. Das Schloss war seit diesem Tag im November nur noch tiefer im Schnee versunken und der See war komplett zugefroren. Jeden Morgen sah man Hagrid in seinem Maulwurfsfellmantel durch den Kniehohen Schnee stapfen, um dem Riesenkraken ein Loch ins Eis zu schlagen und die Besen auf dem Quidditchfeld zu enteisen. Wegen der Kälte waren der Unterricht für Pflege magischer Geschöpfe und Kräuterkunde ausgefallen und sowohl Professor Graeham als auch Professor Kesselbrand waren beide damit beschäftigt, ihre Schützlinge warm anzuziehen und ihnen etwas gegen Gefrierbrand zu geben.
Von den Gryffindorsiebtklässlern würden nur James, Sirius und Marlene im Schloss bleiben, die anderen fuhren alle nach Hause und auch wenn James es nicht zugeben würde, hatte er gehofft, dass er dieses Weihnachten mit Lily verbringen konnte. Er hatte ihr extra ein besonderes Geschenk gekauft, um ihr erstes Weihnachten auch das schönste zu machen. Leider fuhr Lily, wie jedes Jahr, wieder nach Hause in die Muggelwelt zu ihren Eltern und ihrer grässlichen Schwester. Es stimmte ihn etwas traurig, aber er wusste, sie wollte Zeit mit ihrer Familie verbringen, so lange so noch konnte.
Es war einer der hektischsten Tage des Jahres. Schüler rannten kreuz und quer durch das Schloss, auf der Suche nach Schulsachen, Freunden oder Haustieren und selbst einige Lehrer hatten das Weihnachtsfieber gepackt. Professor Dumbledore hatte seinen Spitzhut gegen eine rote Wintermütze eingetauscht und hatte mit seinem Zauberstab an allen Ecken und Enden des Schlosses festliche Dekoration angebracht, von Tannengirlanden über Mistelzweigen in den Fluren war alles vertreten. Anscheinend hatte ihm Sirius Idee gefallen, denn auch diese waren magisch verstärkt worden, sodass man darunter gefangen war, solange niemand einen küsste. Professor Flitwick hatte seinem Namen als Zauberkunstmeister alle Ehre gemacht und das Schloss in den weihnachtlichsten Farben gestaltet und erleuchtet. Über jeder Tür hingen farbige Girlanden und die zwölf weißen Bäume, die Hagrid vor einige Tagen hereingeschleppt hatte, erstrahlten in rotem und grünen Glanz, während hunderte echte Feen in der Großen Halle herumschwirrten.
Alles in allem war Hogwarts für die Festtagszeit genügend ausgestattet und das obwohl kaum ein Schüler im Schloss bleiben würde. Aufgrund der immer bedrohlicher werdenden Geschehnisse draußen, verbrachten alle so viel Zeit mit ihrer Familie wie sie noch konnten. Eigentlich hatte James geplant, Lily ihr Geschenk noch vor ihrer Abreise zu geben, damit er ihr Gesicht sehen konnte, doch Professor McGonagall, die neben den beiden Schulsprechern ebenfalls für die Organisation des Osterballs verantwortlich war, hielt den jungen Potter ganz schön auf Trab. Und Professor Slughorn hielt für alle seine Lieblinge, zu der Lily natürlich eingeladen war, eine besondere Weihnachtsfeier ab, die bis spät in die Nacht ging. Lily wollte zuerst ablehnen, da sie sich schuldig fühlte, dass James die ganze Organisation alleine übernahm, doch Ellie und Remus, die ebenfalls eingeladen waren, wollten nicht alleine gehen und bettelten beinahe darum, dass sie mitkommen würde. James bekam Lily also nur kurz zu Gesicht, als in einem luftigen Kleid ihr Zimmer verließ und ihn zum Abschied noch einmal küsste, bevor sie sich auf zu Slughorns Party machte. Und obwohl sie Gäste mitbringen durften, hatte Lily James nicht gefragt und das hatte ihm irgendwo in der Magengegend einen kleinen Stich versetzt.
James hatte sich zwar vorgenommen auf Lily zu warten, doch er musste irgendwann auf dem Sofa vor dem Kamin im Schulsprecherzimmer eingeschlafen sein, denn als er die Augen öffnete, schien die Sonne durch eine glitzernde Schicht Frost am Fenster. Ein Zettel und ein kleines, eingewickeltes Päckchen lagen auf dem Tisch und irgendjemand, James vermutete Lily, musste ihm eine Decke übergeworfen haben. Schnell rappelte er sich auf, sein Fuß verhedderte sich dabei im Stoff und er viel vorn über, mit dem Gesicht voran auf den Boden. Mit platt gedrückter Nase und schmerzender Stirn hievte er sich wieder auf und betrachtete dann den Zettel auf dem Tisch.
James, fröhliche Weihnachten!
Tut mir Leid, dass ich schon weg bin, aber ich wollte dich nicht wecken, du sahst wirklich geschafft nach diesen Tagen aus. Also, mach keinen Unsinn und stell das Schloss nicht auf den Kopf, wir sehen uns im neuen Jahr.
In Liebe,
Lily.
James legte die Karte beiseite und nahm das Päckchen zur Hand. Es war nicht schwer und Lily hatte wohl mit Tinte noch etwas auf das Papier geschrieben. Erst im Licht, welches durch das Fenster einfiel, konnte er erkennen, was dort stand und musste unwillkürlich lachen. Mach das erst an Weihnachten auf, hörst du!
Mit einem Strecken stellte er das Päckchen zur Seite und verschwand dann in seinem Zimmer. Sofort fiel sein Blick auf die kleine Schachtel auf seinem Nachttisch und Panik machte sich in ihm breit. Er hatte Lily ihr Geschenk nicht geben können! Mit wehmütigem Blick strich er mit der Hand kurz über das samtige Material der Box, dann wandte er sich ab, um seinen Schrank zu durchwühlen. Er würde es ihr einfach mit der Posteule schicken, auch wenn er dann ihr Gesicht beim Auspacken nicht sehen konnte. Es war zwar nicht sein einziges Geschenk, das andere, ein von ihm gestrickter Pullover mit ihren Initialen darauf (den Strickzauber hatte seine Mutter ihm beigebracht, weil er seine Pullover immer wieder zerstört hatte) hatte er ihr bereits vor einige Tagen überreicht, aber bei diesem war er sich unsicher, wie sie es aufnehmen würde. Es war gewagt und er wusste nicht, ob sie schon so weit waren. Immer noch wollte er nichts überstürzen, obwohl die Signale von Lilys Seite eindeutig waren.
Mit Lilys Geschenk in der Tasche machte sich James schließlich auf den Weg um ein verspätetes Frühstück einzunehmen. Die Große Halle war, neben der festlichen Dekoration, beinahe komplette leer geräumt. Nur ein einzelner Tisch, ungefähr die Hälfte eines der Haustische, war noch darin. Einige wenige Schüler waren noch da, James erkannte ein paar Erstklässler, die mit großen Augen die Weihnachtsbäume betrachteten und auch einige wenige ältere Schüler, wie Snape und ein großer, dunkelhaariger Ravenclaw. Professor Dumbledore aß gerade ein Rührei und auf dem Platz neben ihm hatte sich Sirius niedergelassen, der sich mit Marlene unterhielt. James steuerte seine Freunde an und ließ sich neben Marlene nieder.
„Wen hat uns der Weihnachtsmann denn da gebracht?", fragte Marlene kichernd und bediente sich von Sirius Teller. James lächelte schwach. „Ist irgendwas passiert?" Sie deutete auf sein Gesicht, dessen Ausdruck sie wohl bemerkt hatte. Seufzend erklärte er ihr und Sirius sein Problem mit Lily. Marlene, die gute Freundin wie sie nun mal war, hatte auch sofort eine grandiose Idee. „Geh doch einfach zu ihr. Lily würde sich bestimmt freuen." James machte einen skeptischen Gesichtsausdruck. „Ich kann doch nicht einfach vor ihrer Haustür auftauchen. Sie will die Feiertage mit ihrer Familie verbringen, also -" Mit einer Hand gebot sie James zu schweigen. „Du gehörst ebenso zu ihrer Familie, wie ich es tue. Lily würde es zwar nicht sagen, aber sie wäre wesentlich lieber hier geblieben, als Weihnachten mit ihrer Schwester und ihrem Walross von einem Verlobten zu verbringen. Also, du wirst sie morgen Abend besuchen gehen, dann kannst du auch ihre Eltern kennen lernen. Das mit euch ist ernst, das sehe ich. Das sehen alle."
„Ich weiß nicht, Marls. Ich glaube ich schick es ihr lieber." Marlene schloss einen Moment die Augen, dann wandte sie sich von James ab. „Professor Dumbledore, sie sind doch ebenfalls meiner Meinung, oder?" Der Schulleiter, der ihr Gespräch mit spitzen Ohren belauscht hatte, drehte überrascht den Kopf. Dann lächelte er und seine hellblauen Augen blitzten hinter seiner Brille gefährlich auf. „In der Tat, das bin ich, Miss McKinnon. Mister Potter täte gut daran Miss Evans dieses spezielle Weihnachtsgeschenke persönlich zu überreichen." Dumbledore nickte James zu, dessen Augen riesig geworden waren. „Allerdings habe ich so meine Bedenken ob Mister Potter sich das auch traut. Es ist ein wichtiger Schritt, das steht fest." Er schenkte Marlene ein kurzes Lächeln, dann wandte er sich wieder seinem Rührei zu. Diese drehte sich mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck wieder zu James um. Sirius, der dem Gespräch bisher nur stumm beigewohnt hatte, wandte sich nun ebenfalls seinem besten Freund zu.
„Krone, du liebst Lily doch, oder?" James nickte einfach nur. „Dann hast du doch deine Antwort schon. Geh zu ihr, überreich ihr das Geschenk persönlich und sieh, wie sie es aufnimmt. Was hast du schon zu verlieren, außer deiner Würde und deinem Stolz?" Sirius wedelte mit einem Toast in seiner Hand herum. „Mensch, meinst du Evans wird dich sofort abschieben, weil du ihr was zu Weihnachten schenkst? Sie geht nach sechs Jahren endlich mit dir aus, also kannst du jetzt nicht den Schwanz einziehen und nichts mehr tun." Sirius grinste Marlene an, die verstanden hatte. „Wir wollen doch bald die Hochzeitsglocken läuten hören."
James wurde knallrot im Gesicht und sprang auf. „Ah, ich habe vergessen meinen – Zauberkunstaufsatz zu machen." Er wollte schon aus der Halle sprinten, als ihn ein Zauber in den Rücken traf und er an den Knöcheln in der Luft hing. Marlene kam mit ausgestrecktem Zauberstab auf ihn zu. „James Potter, ich fass es nicht. Sechs Jahre warst du der obercoole, der Macho der Schule und du kneifst jetzt, weil du vor der Reaktion des Mädchens Angst hast, was du seit sechs Jahre versuchst zu einem Date zu überreden?" Ihre Augen verengten sich. „Mann, James, Lily geht mit dir aus, weil du dich für sie geändert hast. Du bedeutest ihr etwas, sonst würde sie es nicht die drei Monate mit dir ausgehalten haben." Sie löste den Zauber und James landete unsanft auf dem Boden, wobei das Päckchen für Lily aus seiner Tasche fiel. Marlene hob es auf und warf einen Blick hinein, bevor sie es ihm zu warf. „Sei kein Flubberwurm."
Alle Augen waren auf die beiden gerichtet. James, immer noch mit rotem Gesicht, was jetzt hauptsächlich an dem ganzen Blut in seinem Gehirn lag, schaute Marlene an, die ihn ernst anblickte. „Würde ich dich belügen? Ihr seid beide meine Freunde und ich liebe euch beide, aber wenn du dich jetzt weiter so benimmst, dann hex ich dich in die letzte Woche zurück." Sie warf einen kurzen Blick zu Dumbledore, der jedoch anscheinend kurzzeitig die Fähigkeit zu hören verloren hatte, und sah James herausfordernd an. Dieser gab sich endlich geschlagen. Seufzend kam er auf Marlene zu und umarmte sie kurz. „Danke, Marls." Sie tätschelte ihm kurz den Rücken, dann schob sie ihn von sich. „Immer wieder gerne."
Am nächsten Abend hatte der Schneefall wieder eingesetzt und etwas unschlüssig stand James, nur mit einem Handtuch bekleidet, vor seinem Kleiderschrank. Was zog man an, wenn man die Eltern seiner Freundin kennenlernte, während die Freundin davon keine Ahnung hatte? Professor Dumbledore hatte James die Erlaubnis gegeben, die Ferien doch außerhalb von Hogwarts zu verbringen, denn er sah es als seine Pflicht an, sich um die Schulsprecher und deren Beziehung zu kümmern, wie er Marlene zugeflüstert hatte. Schließlich verließ James, in eine dunkle Hose und ein blaues Hemd gekleidet, die Schulsprecherräume vor denen Sirius und Marlene warteten. Sie betrachtete ihn von oben bis unten, fummelte dann noch kurz an seinen Haaren herum, ehe sie zufrieden nickte. „Also, James, die Adresse hab ich dir gegeben und Dumbledore wird den Schutzschild am Ausgang, gleich in der Nähe von Hogsmeade um sieben für eine Minute aufheben, dann kannst du apparieren." James nickte, denn er traute sich nicht den Mund zu öffnen. Mehrmals vergewisserte er sich, dass Lilys Geschenk noch in seiner Tasche war, ehe er sich dann von seinen Freunden verabschiedete und in die kalte Dezembernacht heraustrat.
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