13. "Danke"
Es war ein Meer aus sturmgrau und tiefem blau am Himmel aufgetaucht, als James seine Augen geöffnet hatte. Wenn die Sonne bereits aufgegangen war, so konnte er sie hinter den Wolkenmassen unmöglich erkennen. Einzelne Regentropfen waren bereits gegen die Scheibe von seinem Fenster geprasst, doch noch würde der Schauer auf sich warten lassen. James hoffte, dass der Regen entweder vor oder nach seiner Doppelstunde Kräuterkunde anfangen würde, denn ansonsten würde er nasser werden, als im dritten Schuljahr, als Sirius ihn in den schwarzen See geschubst hatte. Mit einer Hand rieb er sich den Schlaf aus den Augen und blickte an die Decke.
Seine erste Nacht als Schulsprecher war in vielen Hinsichten erfolgreich gewesen. Er hatte sich nicht mit Lily gestritten, er musste, entgegen seiner Erwartungen, Sirius keine Punkte abziehen und die Slytherins hatten nicht so viele Probleme gemacht, wie er gedacht hatte. Und obendrein hatte er ein vernünftiges Gespräch mit Lily Evans führen können, auch wenn es beizeiten etwas stockend war und die Situation zwischen den beiden doch etwas angespannt war. Aber eine Jahre andauernde einseitige Rivalität ließ sich nun mal auch nicht in einer Nacht regeln. Er musste jedoch sagen, dass es ziemlich gut tat, in Lilys Gesellschaft zu sein, ohne dass sie ihn als arrogant abstempelte oder beschimpfte. Er konnte ganz er selbst sein, obwohl das Mädchen, in welches er seit der ersten Klasse unsterblich verliebt war, neben ihm lief.
Ein zaghaftes Klopfen ertönte und James blinzelte. Hatte er sich das eingebildet oder waren das Regentropfen, die gegen die Glasscheibe fielen? Es klopfte erneut und James blickte gespannt an sein Fenster, konnte jedoch nichts erkennen. „James, bist du wach?" Beim Klang von Lilys Stimme wäre er beinahe vor Schreck aus dem Bett gefallen. Er griff nach seiner Brille auf dem Nachttisch und setzte sie sich auf. „Ja, komm rein." Als die Tür sich öffnete, hatte er bereits die Decke zur Seite geschlagen und die Beine aus dem Bett geschwungen. Lily stand, mit nassen Haaren, die sie zu einem schnellen Pferdeschwanz gebunden hatte, der ihr über die Schulter fiel, in der Öffnung und hatte ein rot-goldenes Stoffpaket in der Hand. Erst beim zweiten Blick erkannte er, dass es sein Pullover war, der er ihr am Abend gegeben hatte.
James erhob sich und Lily trat in das Zimmer. „Ich wollte dir nur den hier wiedergeben. Danke noch mal", sagte sie und wollte ihm den Pullover in die Hand drücken und sich schon wieder abwenden, doch James hob abwehrend die Hand. „Behalt ihn ruhig, ich hab noch fünf davon im Schrank", sagte er und fuhr sich kurz durch die vom Schlaf noch mehr verwuschelten Haare. „Es wird jetzt sowieso kälter, also kannst du ihn ganz gut gebrauchen." James versuchte sein Bestes, um nicht auch noch rot zu werden. Lily öffnete kurz den Mund, schloss ihn aber wieder und ein sanftes Lächeln erschien auf ihren Lippen, welches sie selbst an diesem trostlosen und nassen Morgen wunderschön erschienen ließ. Ihre Hand drückte etwas fester in den rauen Stoff des Kleidungsstückes. „Dankeschön."
Einen Moment standen sie schweigend da und vermieden den Blickkontakt, bis Lily sich räusperte und kurz aufsah. Ihre Augen trafen dabei kurz auf seine. „Nun, ich werde mich dann mal – fertig machen und zum Frühstück gehen. Und – danke noch mal", sagte sie und hob den Pulli ein Stück hoch. James räusperte sich kurz und blickte dann aus dem Fenster. „Nicht dafür." Lily verließ sein Zimmer mit einem letzten Blick zurück und James ließ sich seufzend auf sein Bett fallen. Er schloss die Augen und rieb sich mit der Hand über das Gesicht.
Als er sein Badezimmer eine halbe Stunde später verließ, war Lily schon weg, aber er konnte noch erkennen, dass sie bis vor kurzem auf dem Sofa gesessen hatte und wahrscheinlich an ihrem Aufsatz gearbeitet hatte. Er lächelte sanft und betrat sein Zimmer, um seine Bücher mitzunehmen. Der Himmel hatte aufgeklart und ein Strahl der Sonne hatte sich seinen Weg durch die Wolkendecke gebahnt und schien genau auf den schwarzen See. Ein langer Fangarm plantschte gemächlich am Ufer und ließ sich wärmen.
Als er die Tür zu ihrer Wohnung hinter sich schloss und sich umdrehte, blickte er direkt in die braunen Augen von Marlene, die an der Wand lehnte und ihn angrinste. „Marls, was machst du denn hier?", fragte er und schulterte seine Tasche. Die Gryffindor stieß sich ab und gesellte sich neben ihn. „Nun, ich bin hier, um dich etwas auszufragen, mein lieber James." Sie führte ihn den Gang entlang auf die große Treppe zu. „Lily hab ich nicht mehr erwischt, also musst du jetzt herhalten. Ich will alles wissen, was gestern passiert ist und lass nichts aus. Euer Wohl liegt mir sehr am Herzen und ich würde es dir nie verzeihen, wenn du mir etwas verschweigen würdest." Sie piekte James gegen den Arm, als sie das sagte und lächelte. James seufzte und erzählte ihr dann, wie die erste Patrouilliernacht mit Lily abgelaufen war. Marlene war schon immer eine gute Zuhörerin gewesen, doch als James an die Stelle kam, als er Lily seinen Pullover gegeben hatte, breitete sich ein dickes Grinsen auf ihrem Gesicht aus.
„Also, du hast dich mit Lily gut verstanden?", hakte sie nach, als James aufhörte zu reden. „Ich denke mal schon, wir haben uns zumindest nicht gestritten." Er kratzte sich am Kinn und spürte die Bartstoppeln, die er seit dem Sommer bekam. „Nun, dann bist du ja schon etwas weiter, als du letztes Jahr warst und es ist gerade mal die erste Woche. Das freut mich für dich." Marlene drückte kurz seine Hand bevor sie die Große Halle betraten und er instinktiv Ausschau nach Lilys roten Haaren hielt. Sirius entdeckte ihn jedoch zuerst und rief ihn zu sich, sodass James und Marlene zu den übrigen Rumtreibern gesellten. Wie er es vermutet hatte, fragte ihn Sirius auch direkt über die letzte Nacht aus und gratulierte ihm auch, als er dasselbe erzählte, was er Minuten zuvor Marlene gesagt hatte.
„Nun, Krone, ich habe das Gefühl, dass dieses Jahr das Beste werden wird", sagte Sirius und lächelte geheimnistuerisch. Remus schüttelte den Kopf und schenkte James einen entschuldigenden Blick, doch dieser hatte schon einen Arm um Sirius gelegt. „Ich weiß ganz genau was du meinst, Tatze." Remus blinzelte einmal, bevor er einen Blick mit Marlene tauschte und sie beiden langsam aufstanden und mit Peter im Schlepptau verschwanden.
James machte sich daran, sein Frühstück zu essen, als er zufällig zur Seite blickte und zwei Personen die Große Halle betreten sah. Lily und Ellie unterhielten sich und James fiel sofort etwas auf, was sein Herz schneller schlagen ließ und sein Gesicht erhitzte. Lily trug seinen Gryffindorpullover und lachte gerade über etwas, dass Ellie gesagt hatte. Sirius, der James Blick ebenfalls bemerkte, grinste und schubste seinen besten Freund an. „Der Pullover steht Evans wesentlich besser als dir." James funkelte Sirius an, doch dieser zuckte nur mit den Schultern und biss in sein Toast. Ellie und Lily setzten sich nicht weit entfernt von den beiden hin und redeten weiter. James hätte schwören können, dass Lily kurz zu ihm geschaut hatte, doch in der nächsten Sekunde hatte sie bereits wieder mit Ellie gelacht. „Also, was machen wir während der Freistunde?", fragte Sirius. James stützte den Kopf auf eine Hand und verzog den Mund. „Nun, da ich gestern schon mit Lily den Verwandlungsaufsatz angefangen habe, könnten wir den beenden. Ich hab nämlich keine Lust, den zu schreiben, wenn ich von meiner Patrouille zurückkomme." Sirius stöhnte auf. „Komm schon Tatze, du musst ihn doch sowieso schreiben. McGonnagal verpasst die einen Monat Nachsitzen, wenn du die erste Hausaufgabe schon nicht machst, das weißt du." Sirius seufzte und kramte in seiner Tasche um seinen Stundenplan hervorzuholen. „Ehh, wir haben am Mittwoch nach dem Mittagessen erst wieder Verwandlung." James tippte auf die Kästchen darüber. „Aber davor jeweils Doppelstunde mit Zauberkunst und Zaubertränkte, da wirst du keine Zeit haben den zu schreiben und ich kenne dich, du wirst dich niemals heute Abend daran setzen. Also, machen wir ihn jetzt, keine Widerrede."
Sirius seufzte noch einmal ergeben und hob dann die Hände. „Was immer du sagst, Herr Schulsprecher." James schüttelte den Kopf. Dann grinste Sirius und schlug ihm gegen den Arm. „Oder hast du etwa ein Date mit Evans in der Bibliothek?" James machte einen genervten Gesichtsausdruck, konnte ein kleines Lächeln nicht unterdrücken. „Leider nicht, Tatze, leider nicht."
Die beiden Gryffindors machten sich nach dem Frühstück auf den Weg in die Bibliothek und suchten sich einen ruhigen Tisch, etwas abseits der anderen Schüler. In stummer Absprache arbeiteten sie eine ganze Weile an ihren Aufsätzen, hin und wieder unterbrochen, wenn sie ein neues Buch benötigten oder James seiner Pflicht als Schulsprecher nachgehen und andere Schüler, die laut waren oder die Regeln brachen, in die Schranken weisen musste. Tatsächlich bemerkte er, dass Lily ebenfalls in der Bibliothek war, doch sie war zusammen mit Remus, Ellie und Marlene, sodass er sie nicht ansprach. Aber sie trug immer noch seinen Pullover und nachdem er sie einige Minuten beobachtet hatte, eilte er schnell zu Sirius zurück. Zu seinem Glück war dieser mit dem Aufsatz noch so beschäftigt, dass er nicht gemerkt hatte, dass sein bester Freund auffällig lange weg war.
Als es zum Ende des ersten Blocks klingelte, konnte James seine Feder zufrieden beiseitelegen und seinen doch sechs Seiten lang gewordenen Aufsatz abschließen. Sirius steckte noch mitten in der vierten Seite fest und kaute am Ende seiner Feder herum. „Hey, Tatze, wir sollten aufbrechen. Professor Graeham sieht es nicht gerne, wenn wir zu spät kommen und wenn ihr Lieblingsschüler das auch noch in ihrer ersten Stunde bringt, dann wäre sie sicherlich schwer enttäuscht", sagte James mit einem sarkastischen Unterton, der ihm einen Schlag gegen die Rippen einfing. Sirius war weit davon entfernt der Lieblingsschüler von ihrer Kräuterkundelehrerin zu werden. Seit er in einer ihrer ersten Stunde beinahe das komplette Gewächshaus abgefackelt hatte, hatte Professor Graeham ihn immer genau im Auge behalten. Wenn sie mit irgendwelchen magischen Pflanzen arbeiten sollten, war sie immer in Sirius Nähe und hielt ihren Zauberstab bereits, für den Fall, dass sie mal wieder eingreifen musste.
„Ich weiß überhaupt nicht was sie hat, das mit dem Gewächshaus liegt beinahe sechs Jahre zurück", beklagte sich Sirius und verließ mit James die Bibliothek. James hob eine Hand und begann abzuzählen. „Die Sache mit den Drachenranken, dein 'Unfall' in der dritten Klasse, deine grandiose Idee, mit den Feigen der Abessinischen Schrumpelfeige Quidditch zu spielen oder auch der Wurf mit einer mit Eiter gefüllten Beule des Bobutubler auf Schniefelus letztes Jahr. Soll ich weiter machen?", fragte James und zog fragend eine Augenbraue nach oben. Sirius verzog die Lippen zu einem Schmollmund. „Das mit Schniefelus war wirklich ein Unfall! Ich bin ausgerutscht und er stand im Weg", beteuerte der Schwarzhaarige, als sie den Innenhof betraten. „Na, schön. Und es war immerhin auch ziemlich witzig, als sich seine Haut mit diesen ganzen kranken Dingern bedeckt hat. Wie hat Madam Pomfrey die noch gleich genannt?" Sirius zuckte nur mit den Schultern und gemeinsam lachten sie, als sie an diese Tage zurück dachten.
Vor den Gewächshäusern trafen sie auf Peter. „Wo wart ihr denn?", fragte er. James kniff die Augen etwas zusammen. „Wir haben den Aufsatz für Verwandlung geschrieben. Wo warst du?" Peter scharrte etwas mit den Füßen. „Ach, hier und da" murmelte er und blickte auf, als Stimmen hinter ihnen laut wurden. Lily, Ellie und Remus kamen auf sie zu und unterhielten sich angeregt. Lily drückte ihr Kräuterkundebuch an sich und die Ärmel von James Pullover, verdeckten es halb.
„Woah, der Pullover sieht aus wie deiner, James!", rief Peter aus und deutete auf Lily. James schloss kurz die Augen und sein Kopf sackte etwas nach unten, während Sirius schallend auflachte. „Findest du, Wurmschwanz?", fragte der langhaarige leicht bellend. Peter nickte eifrig und James warf Sirius einen Blick zu, der aussagte: 'Erklär du es ihm.'
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