Sonntag, 2. Dezember, 05:54 Uhr
Züngelnde Flammen. Sengende Hitze. Beißender Qualm.
Irgendwann war mehrfaches, langgezogenes Heulen hinzugekommen – Sirenen, wie ich nur zäh zu definieren vermocht hatte.
Schlagartig waren Stimmen laut geworden.
Dann das Gefühl, wie mir plötzlich mein rechter Arm in den Schoß gefallen war.
Hände die mich an den Schultern gepackt und von der Couch gehievt hatten.
Es hatte mich all meine verbliebenen Kraftreserven und den letzten rationalen Funken meines Bewusstseins gekostet, um die Neuankömmlinge auf Romy aufmerksam zu machen.
Daraufhin hatte sich jemand von uns entfernt, war irgendwo zwischen den Flammen verschwunden, während weiterhin Hände an mir gezerrt und mich in Richtung des Ausgangs manövriert hatten.
Und jetzt ... jetzt waren da so viele Geräusche, die ich nicht zuordenen konnte. Kalte, nasse Flocken kamen wieder und wieder mit meinem heißen Gesicht in Berührung und unter anderen Umständen hätte der plötzliche Temperaturunterschied wohl Schmerz verurusacht, doch jetzt verspürte ich nichts als Dankbarkeit darüber, an der frischen Luft sein zu dürfen. Draußen sein zu dürfen. Nicht mehr im Gebäude. Und schon gar nicht mehr im brennenden Bandraum.
Ich versuchte, einen tiefen Atemzug dieser frischen, unbeschmutzten Luft einzuziehen, wurde jedoch auf halbem Wege von einem Hustenanfall davon abgehalten. Meine Kehle war wund, sandte einen merkwürdigen, metallisch-rauchigen Geschmack in meinen Mund. Meine Lungenflügel fühlten sich schwer an und blähten sich nur mit Widerwillen und unter größter Anstrengung.
Eine Hand platzierte sich an meinem Rücken, schob mich mit einem kräftigen Ruck in eine seitliche Lage, doch das machte es nur noch schlimmer.
„Niall. Niall. Niall!" Die Finger einer zweiten, kühlen Hand kamen in meinem Nacken zum Liegen, weitere an meiner Wange, was mich vermuten ließ, dass zwei Personen anwesend sein mussten, sofern es nicht Menschen mit drei Händen gab. „Hey!"
„Das ist Bullshit!", schaltete sich nun eine weibliche Stimme ein. „Er hat Atemnot, wir müssen ihn aufrecht hinsetzen!"
„Ach ja?", gab die erste Person fauchend zurück. Der Stimmrichtung nach zu urteilen, stammte von ihr die Hand in meinem Nacken. „Vorhin war er aber bewusstlos, was ist, wenn er kotzt? Und erstickt?"
„Dann können wir ihn immer noch drehen." Ein Schlag ertönte, gefolgt von einem protestierenden Jammern. „Beweg dich, Malik! Auf deine Erste-Hilfe-Kenntnisse scheiß ich doch!"
„Auf deine etwa nicht?!"
Das Gezanke tat meinen Ohren zusätzlich weh und wäre ich nicht so damit beschäftigt gewesen, verzweifelt Sauerstoff in meine Lungen zu bringen, um nicht hier und jetzt zu ersticken, hätte ich die beiden vermutlich angeschrien.
Doch als dann nach meiner Jacke gegriffen und ich vorsichtig in eine aufrechte Position gezogen wurde, woraufhin sich mein Brustkorb ein ganzes Stück für neue Atemluft zu öffnen schien, hätte ich dankbarer nicht sein können.
Zwar klangen meine Atemzüge nach wie vor furchtbar und verursachten immer wieder einen dieser fürchterlich trockenen Hustenanfälle, die meine gesamte Luftröhre brennen ließen, aber immerhin waren es nun Atemzüge.
Das musste im Moment reichen.
Zufriedenes Grummeln ertönte. „Siehst du? Hätten wir ihn noch länger liegengelassen, wäre er wahrscheinlich wirklich erstickt. Und das nicht an seiner Kotze."
Die männliche Person – Zayn, wie ich nun verspätet der Malik-Anrede von vorhin entnehmen konnte – gab ein gepresstes Geräusch von sich, das sich nach einer Mischung aus Erleichterung und Ärger anhörte. „Schön, dass du so einen rationalen Blickwinkel auf diese Situation hast."
Ich hatte das Gefühl, dass ihm eine Grimasse geschnitten wurde. „Irgendjemand muss ja einen kühlen Kopf behalten, oder?"
Auch die Stimme der Frau war bekannt, sie war mir sogar verdammt bekannt, aber im Moment schien mein Gehirn noch nicht dazu in der Lage zu sein, selbst irgendwelche Rückschlüsse zu ziehen.
„Außerdem hätte Liam uns den Hals umgedreht."
Bei der Erwähnung von Liams Namen versuchte ich wieder, die Augen zu öffnen, etwas zu sagen, irgendein weiteres Lebenszeichen als nur bloßes Atmen von mir zu geben, doch mein ganzer Körper war steif und verklebt.
„Wo bleibt der denn überhaupt?" Nun klang Zayn unverkennbar besorgt.
Die Frau schnaubte. „Das letzte Mal, als ich ihn gesehen habe, war er damit beschäftigt, seinen Hals zu riskieren, um Romy zu retten. Warum auch immer er das tun sollte, wo sie ja schließlich diejenige war, die mordend durch die Gegend gelaufen ist."
Diese abgrundtief falsche Aussage in Kombination damit, dass sich Liam offenbar noch im Gebäude befand, führte dazu, dass mein Bewusstsein eine wundersame Regeneration hinlegte.
Im nächsten Moment flogen meine Augen so schnell auf, dass ich das Gefühl hatte, mir dabei sämtliche Wimpern ausgerissen zu haben. Nur am Rande nahm ich wahr, dass ich gegen irgendjemandes Brust gelehnt dagesessen hatte, dass ich offenbar auf irgendeiner Jacke mitten im Schnee saß, und dass entgegen meiner Erwartung noch keine Einsatzkräfte eingetroffen waren.
Langes, blondes, stellenweise unverkennbar rußgeschwärztes Haar geriet in mein Blickfeld. „Hey, du bist wach. Wie-..."
Mit einem Hustenanfall schnitt ich ihr das Wort ab und ich brauchte einige Sekunden, um endlich diesen einen Namen über die Lippen zu bringen, den ich schon die ganze Zeit von mir geben hätte wollen.
„Liam? Wo ist ..." Ich musste abbrechen, als mir die Stimme versagte.
Gottverdammte Hölle.
Ich zwang mich zum Schweigen und dazu, endlich den Kopf zu heben, worauf ich realisierte, dass es sich um Ellie handelte, zu der das blonde Haar gehörte, zusammen mit den Fingern, die nun mein unverletztes Handgelenk umfasst hielten.
Doch die ganze positive Überraschung fiel in sich zusammen, als ich ihre bekümmerte Miene sah. Sie tauschte einen unruhigen Blick mit der Person hinter mir, Zayn, wie ich annahm.
„Er ... er wollte Romy aus dem Bandraum ziehen", antwortete sie langsam. „Obwohl sie dich-..."
„Ryan", unterbrach ich sie mit einer Heftigkeit, die ich mir in meinem jetzigen Zustand selbst nicht zugetraut hätte. Ich räusperte mich und verzog prompt das Gesicht, als mein Hals dabei mit stechendem Schmerz protestierte. „Es war Ryan. Die ganze Zeit."
Ellies Gesicht war völlig blank. „Was?"
Zayn hinter mir gab ein dramatisches Keuchen von sich. „Ryan?" Fassungsloses Gurgeln folgte. „Im Ernst? Okay, wow. Das ist-..."
„Das muss ein Irrtum sein." Ellies Finger um mein Handgelenk verstärkten ihren Griff, als sie mich eindringlich, schon fast bittend ansah. „Er würde so etwas nie tun. Er mag ein Arsch sein, aber ..."
Mit schlichtem Kopfschütteln brachte ich sie zum Schweigen.
Sie musterte mich noch einige Sekunden lang, Schock übers ganze Gesicht geschrieben, bevor sie sich schließlich schwerfällig in den Schnee zurücksacken ließ. Mein Handgelenk entglitt dem erschlaffenden Griff ihrer Finger.
Die Sirenen wurden lauter und als ich mich dazu zwang, einen Blick zur Straße zu werfen – und dabei zu registrieren, dass wir uns auf dem Campus befanden, nur ein kleines Stück vom Haupteingang entfernt – bemerkte ich die Blinklichter, die in der Ferne allmählich an Helligkeit zunahmen.
Plötzlich nahm ich auch die frostige Kälte zur Kenntnis, zusammen mit dem Wind, der an unseren Klamotten und Haaren riss. Die Schneeflocken, die noch immer vereinzelt vom Himmel segelten. Aber das alles war natürlich nichts im Gegensatz dazu, wie es noch vor ein paar Stunden gewettert hatte. Das hier waren nur die Ausläufer.
Liam.
Mein Magen rumorte vor Furcht, während mein Kopf verspätet damit begann, die Puzzleteile des eben Erfahrenen zusammenzusetzen.
Liam war also zurückgekommen, nachdem er dafür gesorgt hatte, dass die Generalverriegelung deaktiviert wurde. Er hatte sich laut Zayn und Ellie daran gemacht, Romy aus den Flammen zu ziehen.
Und er war bis jetzt nicht zurückgekehrt.
Unruhig wand ich mich gegen Zayns Arm, der dafür gesorgt hatte, dass ich nicht zur Seite wegrutschte und auf die Schnauze fiel. „Was ist denn jetzt mit Liam? Wir müssen-..."
Zayn, der offenbar schon gewittert hatte, dass ich drauf und dran war, einen Aufstehversuch zu unternehmen, verstärkte seinen Griff.
„Niall, nein." Er zögerte, als müsste er sich zu seinen nächsten Worten durchringen. „Es wäre leichtsinnig und dumm, das Gebäude noch einmal zu betreten. Der blöde Keller brennt wie ein Christbaum. Ich ... ich bin mir sicher, Liam hat die Lage unter Kontrolle."
Schmerz schwang in seiner Stimme mit und vermittelte mir den Verdacht, dass er die letzten Minuten damit zugebracht hatte, sich dieses Argument einzureden, um nicht selbst Hals über Kopf eine hirnverbrannte Aktion zu starten.
„Ausnahmsweise gebe ich Malik Recht." Ellie schien sich aus ihrer Schockstarre gelöst zu haben und fuhr sich nun mit einer bebenden Hand durchs Haar. Ihre Augen glänzen feucht. Obwohl Ryan ihr übel mitgespielt hatte, schien es sie schwer zu treffen, dass nun ausgerechnet er derjenige war, der uns all das hier eingebrockt hatte – und dabei kannte sie ja noch nicht einmal einen Hauch der Hintergründe. „Wir müssen abwarten."
Gleichzeitig sahen wir auf, als die Lautstärke der Sirenen schlagartig noch ein Stück zunahm, und ein paar Sekunden später bog auch schon der erste Feuerwehrwagen um die Ecke und hielt in Höchstgeschwindigkeit auf den Haupteingang zu.
Oder, besser formuliert: So schnell es eben ging, wenn sich ein Transporter mit Schneeketten an den Reifen durch Neuschnee kämpfen musste. Und von dem gab es mehr als genug.
„Feuerwehr. Und Notarzt." Zayn ließ ein erleichtertes Seufzen hören. „Gott sei Dank."
Ich schwieg, wagte es nicht, ernsthaft Hoffnung zu schöpfen. Verbissen verschränkte ich meine Finger ineinander, um meine Hände davon abzuhalten, unkontrolliert zu beben.
Der Schwindel war noch immer überwältigend und ich hätte nichts lieber getan, als einfach die Augen zu schließen, mich zurückzulehnen und ein wenig Ruhe zu finden. Aber mal abgesehen davon, dass ich das niemals fertiggebracht hätte, solange ich Liam nicht in Sicherheit wiegen konnte, hätte mir Ellie wohl kurzerhand eine Ohrfeige versetzt, um mich daran zu hindern.
Nur wenige Meter von uns entfernt kam das erste Einsatzfahrzeug der Feuerwehr zum Stehen, dicht gefolgt von einem Krankenwagen und vage glaubte ich, auch von der anderen Seite des Gebäudes her Motorengeräusche vernehmen zu können.
Zwar hatten sie das heulende Martinshorn nun eingestellt, doch die blinkenden, blauen Lichter reichten vollkommen aus, um meine Wahrnehmung zu überfordern und stechenden Kopfschmerz auszulösen.
Gequält kniff ich die Augen zu, als sich prompt wieder alles zu drehen begann. Inzwischen war mir so übel, dass ich das Gefühl hatte, jede Sekunde meinen Mageninhalt nach außen kehren zu müssen, doch ich biss die Zähne zusammen und presste mir die Handballen auf die Augen, in der Hoffnung, den Reflex irgendwie unterdrücken zu können.
Schritte und Stimmen wurden laut und als ich vorsichtig blinzelte, sah ich mehrere Personen in reflektierenden, orangefarbenen Jacken auf uns zukommen.
Mir blieb jedoch keine Zeit, um die Fahrzeuge und Leute zu zählen, die nun nach und nach eintrudelten, denn nur wenige Augenblicke später fegte ein Wahnsinnsknall über uns hinweg, ließ uns zusammenzucken und aufschreien.
Das Splittern von Glas erklang, zusammen mit merkwürdigem Knirschen und Knarren, und als den Bruchteil einer Sekunde später nur knapp fünfzig Meter von uns entfernt Flammen aus den Fenstern des Erdgeschosses zu züngeln begann, setzte mein Herz einen Schlag aus.
Liam war noch da drin.
Binnen eines Wimpernschlags war ich auf den Beinen, getrieben von Panik und dem Adrenalin, das sturzflutartig durch mein System schoss.
Zayn hinter mir gab ein entsetztes Blöken von sich, rappelte sich hektisch auf und packte mich am Arm. „Stopp. Niall. Lass den Scheiß! Du kannst ihnen nicht helfen!" Seine Stimme brach beim letzten Satz, doch sein Griff um meinen Arm blieb unnachgiebig.
Ich wollte etwas erwidern, taumelte stattdessen jedoch nur, als eine neue Welle des Schwindels über mich hinwegschwappte. Ich wollte ihn anschreien und ihm befehlen, seine Pfoten von mir zu nehmen, doch mein Hals war viel zu wund, um jemanden anzuschreien.
Desorientiert wandte ich mich in die andere Richtung – ein Fehler, wie ich feststellen musste, als sich das blaue Blinklicht der Einsatzfahrzeuge in meine Augen bohrte und mich für einen Moment schwarzsehen ließ.
Und als ich zwischen zusammengepressten Augenlidern schwach und undeutlich zwei Silhouetten vorne am Haupteingang ausmachen konnte, bei der es sich bei der einen, der Statur nach, tatsächlich um Liam handeln könnte – oder zumindest versuchte der letzte hoffnungsvolle Teil in mir, sich das einzureden – hatte mein Körper endgültig genug.
Das Letzte, woran ich mich erinnern konnte, war das Erbrochene, das auf Zayns angekokelter Jeans landete, und dessen theatralisches Grunzen.
Und dann war es nur noch kalt.
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Meine Korrekturleserei war mal wieder unter aller Sau. Updaten wollte ich aber trotzdem, weil ich dieses Dings hier endlich abgeschlossen haben möchte. "Bodyguard" ist mir ungefähr 100000 Mal lieber, haha.
Sternchen und Kommis freuen mich wie immer mega🥰
Liebe Grüße und eine schöne Restwoche!❤
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