Sonntag, 2. Dezember, 03:35 Uhr
Meine Weltsicht fuhr Kinderkarussell.
Ryan küsste mich. Er-...
Die endgültige Erkenntnis dessen traf mich wie ein Schlag ins Gesicht.
Ein seltsames Quieken entschlüpfte mir, das mich ein wenig zu sehr an einen bekifften Hamster erinnerte, während mein Gehirn verzweifelt versuchte, die Situation zu erfassen.
Was ... was zur gottverdammten, verschissenen Hölle tat er denn da?!
Reflexartig wollte ich ihn von mir schieben, wollte ihn anschreien und ihm vielleicht sogar noch eine klatschen, um mein Statement zu unterstreichen, doch seine Hand in meinem Nacken war unnachgiebig.
Erst einen Wimpernschlag später, der in meinen Augen viel zu lange gedauert hatte, gelang es mir endlich, meine Hände zwischen uns zu bringen und mich von ihm abzustoßen, wobei endlich seine Hand von meinem Hals und – noch viel wichtiger – seine Lippen von meinen verschwanden.
Tatsächlich taumelte er sogar einen halben Schritt rückwärts und musste ungeschickt die Arme hochreißen, um sein Gleichgewicht wiederzuerlangen, doch ein einziger Blick in seine gleichgültige, merkwürdig zufriedene Miene reichte aus, um mich wissen zu lassen, dass er nichts, aber auch absolut gar nichts, bereute.
Zorn loderte in mir auf, der es mir unmöglich machte, mich zurückzuhalten.
Im Bruchteil einer Sekunde hatte sich auch schon meine linke Hand verselbstständigt und noch bevor ich das halbe Lächeln in Ryans Gesicht richtig zur Kenntnis nehmen konnte, hatte ich ihm schon eine so kräftige Ohrfeige versetzt, dass sein Kopf zur Seite flog und seine Ohren klingeln mussten.
„Ryan, scheiße nochmal!" Mit verzerrtem Gesicht fuhr ich mir mit dem Handrücken über den Mund, als könnte ich so den Geschmack seiner Lippen loswerden, die sich bis eben noch dort befunden hatten. Dramatisch, ich weiß, aber in dieser Sekunde konnte ich nicht anders. „Was zur Hölle ist falsch mit dir!?"
Ryan antwortete nicht.
Ich brannte darauf, seine Mimik zu sehen, und vielleicht auch den roten Abdruck meiner Hand auf seiner Wange, doch bevor ich einen Blick darauf erhaschen konnte, versank die Galerie ohne Vorwarnung wieder in Dunkelheit.
Liam.
Mir dämmerte Schlimmes.
Hektisch wirbelte ich herum. „Liam? Liam, was-..."
Liam hatte seine Taschenlampe abgewandt, uns den Rücken zugekehrt und war nun dabei, wieder in den Gruppenraum zurückzukehren.
Kein einziges Wort, nicht einmal einen vagen Laut hatte er von sich gegeben, der erahnen lassen würde, was in ihm vorging. Aber angesichts dessen, wie er gerade einen stummen Rückzug hinlegte, schien es in seiner Gedankenwelt alles andere als gut auszusehen. Verständlicherweise.
Meine Beine bewegten sich wie von selbst, als ich ihm hinterherstürzte. „Liam. Warte."
Zunächst reagierte er nicht, doch als ich ihn dann an der Schulter berührte, fuhr er so schnell herum, dass ich zurückzuckte. Seine Augen blitzten vor Wut. Und Enttäuschung. „Was? Was ist, Niall? Tut mir leid, ich wollte euren ... Moment nicht unterbrechen."
Ich war wie vom Donner gerührt. „Unser Moment?"
Meine Zunge stolperte über meine Worte, so eilig hatte ich es damit, sie hervorzubringen, und ich musste mich zusammenreißen, um nicht hysterisch zu lachen. „, Liam, bist du blind?! Hat das eben für dich vielleicht so ausgesehen, als würde ich es wollen?"
Sein Blick war unergründlich, doch der Schmerz, den er hinter seiner kalten Fassade zu verbergen versuchte, war nichts, was man übersehen hätte können. Vor allem nicht, wenn man ihn so gut kannte wie ich.
Und jetzt gerade sah ich nur zu gut, dass er zu spät zu uns gestoßen war und sich zu früh wieder abgewandt hatte, um den realen Hintergrund der Lage zu begreifen.
Mit dem Resultat, dass er nun dachte, ich hätte klammheimlich in der Finsternis mit Ryan herumgeknutscht.
Ich war sprachlos.
Fuck.
„Gib dir keine Mühe." Abrupt wandte er sich wieder ab. „Ich habe genug gesehen."
Hilflos sah ich zu, wie er sich seinen Rucksack vom Tisch schnappte und einen prüfenden Blick hineinwarf, bevor er ihn schulterte und dann wieder auf die Tür zulief – und auf mich, der ich wie eine Marionette mit gekappten Fäden an der Schwelle stand.
„Li, verdammte Scheiße, hör auf mit dem Schwachsinn und lass uns reden!" In einer Mixtur aus Wut und Verzweiflung positionierte ich mich in der Tür, verschränkte die Arme vor der Brust und versperrte ihm so den Weg nach draußen. „Wo willst du denn überhaupt hin? Wir kommen hier nicht aus! Und da draußen herumzurennen, das ist der blanke Wahnsinn!"
„Spar dir den Atem." Mit finsterem Gesicht versuchte er, an mir vorbeizukommen. „Lass mich durch."
„Vergiss es." Fast schon beschwörend griff ich nach seinem Arm. „Li. Liam, bitte. Du kannst nicht ... du kannst nicht allein auf den Gängen herumlaufen, das wäre Selbstmord."
Nachdrücklich entriss er mir seinen Arm. „Interessiert dich das wirklich? Niall? Hm? Nachdem du ja jetzt ihn zum Knutschen hast?"
Er deutete auf Ryan, der mit unbewegter Miene hinter uns stand und sich mit Daumen und Zeigefinger das Kinn kratzte. Der Rest unserer fragwürdigen Mannschaft war wie erstarrt, als alle mit offenen Mündern und weit aufgerissenen Augen unseren Schlagabtausch verfolgten
Mir rutschte das Herz in die Hose. „Das ist nicht fair! Du weißt genau, dass ich nicht-..."
Seine Miene war starr. „Was weiß ich nicht? Dass ihr euch schon die ganze Zeit über in trauter Zweisamkeit hinter einem Regal versteckt habt? Zusammen? Im Dunkeln?" Ein freudloses Lachen verließ seinen Mund. „Keine Sorge. Dank Ellie weiß ich das nur zu gut."
Ellie hatte ihn also auf uns aufmerksam gemacht.
Es wurde nicht besser.
Ich nahm mir gar nicht die Zeit, Ellie über meine Schulter hinweg mit mörderischen Blicken zu beschießen. Dafür war ich viel zu sehr von Entsetzen erfasst. Darüber, dass Liam allen Ernstes eine Solo-Tour durch die Uni machen wollte – und dabei ins offene Messer laufen könnte.
Es könnte ihm so ergehen wie Colin.
Er könnte sterben. Sterben.
Ehe ich etwas dagegen tun konnte, standen mir schon Tränen in den Augen. Verzweifelt tastete ich nach seinen Händen, als könnte ich ihn mit meiner bloßen Berührung zum Bleiben beschwören.
„Bitte geh nicht." Flehentlich sah ich in an. Seine Konturen verschwammen vor meinen Augen und ich musste mehrmals blinzeln, um klar sehen zu können, während sich meine Finger um seine schlossen. „Bitte."
Er zögerte. Die Verbitterung stand ihm in solcher Intensität ins Gesicht geschrieben, dass es mir wie eine Klinge durchs Gemüt schnitt.
„Ich habe wirklich geglaubt, dich zurückgewinnen zu können", ergriff er schließlich wieder das Wort. Erneut flackerte Schmerz in seinen Augen auf, wurde im nächsten Moment jedoch wieder von diesem toxischen Zorn ersetzt, als er sie über meine Schulter hinweg für den Bruchteil einer Sekunde zu Ryan gleiten ließ der noch immer draußen auf der Galerie stand und das Geschehen schweigend beobachtete.
„Wirklich. Nie wollte ich, dass es so endet. Und vor allem aber wollte ich nicht, dass es für nichts so endet. Ich hab ordentlich Scheiße gebaut und das weiß ich auch. Aber ich schätze, das ist jetzt sowieso irrelevant, nicht wahr? Ich wollte einfach nur, dass du wieder mit mir sprichst. Dass du mir eine Chance gibst, mich zu erklären. Und jetzt haben wir ganze Stunden miteinander verbracht, in denen ich verzweifelt auf eine Gelegenheit gewartet habe, dir alles zu erklären, nur damit du dich mit einem anderen Typen zum Händchen halten ins Dunkel verkriechen kannst, von dem jeder Idiot weiß, dass er uns nur auseinandertreiben will." Er schüttelte den Kopf. „Sorry, Niall. Ich habe genug."
Dann setzte er sich so ruckartig in Bewegung, dass ich zu langsam war, um noch reagieren zu können. Sanft, aber bestimmt, schob er mich zur Seite und trat auf die Galerie hinaus, meine gestammelten Proteste restlos ignorierend.
Schlaff hingen die Arme an meinen Seiten hinab, als ich ihn nur noch ungläubig anstarren konnte, mit schrecklich zugeschnürter Kehle, sodass jedes einzelne Wort zu einem Kampf wurde.
„Li, was redest du da?" Meine Stimme klang sogar in meinen eigenen Ohren kläglich. „Du hast keine Scheiße gebaut. Niemand hier kann etwas dafür, dass wir eingeschlossen sind."
Der Blick, der mich daraufhin erreichte, war unergründlich. „Gewöhn dich lieber nicht zu sehr an diesen Gedanken."
Seine Augen lösten sich von meinem tränenverschmierten Gesicht, um über meinen Kopf hinweg kurz in Zayns Richtung zu flackern. „Ich habe Dinge zu erledigen."
Mein Kopf wirbelte gerade noch schnell genug herum, um Zayns knappes Nicken zu sehen.
Meine Verwirrung stieg ins Unermessliche. „Was für Dinge? Liam!"
Doch nun schien er endgültig genug von dieser Konversation zu haben, denn er drehte sich kein einziges Mal mehr um, als er die Wegstrecke über die dunkle Galerie zur Treppe zurücklegte und die Stufen erklomm, immer zwei gleichzeitig nehmend.
Und nur wenige Sekunden später war er verschwunden.
Starr vor Fassungslosigkeit verharrte ich an der Tür, nahm nur vage wahr, wie sich Zayns Finger um meinen Arm schlossen, als befürchtete er, ich könnte jeden Moment die Verfolgung aufnehmen.
Zu Recht. Höchstwahrscheinlich hätte ich genau das getan.
„Lass ihn", wisperte er mir zu, bevor er mir den Arm um die Schultern legte und mich in den Raum zurückführte, während ich noch viel zu platt war, um dagegen aufzubegehren. Oder irgendetwas anderes zu tun oder zu sagen. „Er weiß, was er tut."
Meine Lippen bebten. „Klingt ganz so, als ob du auch wüsstest, was er tut."
Und als Zayn daraufhin nichts mehr erwiderte, beschlich mich das Gefühl, dass es sich bei demjenigen, mit dem er sich vorhin noch klammheimlich auf der Galerie unterhalten hatte, unter Umständen doch nicht um Ryan gehandelt haben könnte.
Offenbar hatte Ryan mich gar nicht belogen, was Liam anging.
Stattdessen wies im Augenblich nun so einiges darauf hin, dass mein Freund tatsächlich etwas wusste.
Und dass er etwas getan hatte, womit ein beachtlicher Teil unserer katastrophalen Lage zu begründen war.
Aber nun war er fort, Hals über Kopf ins Herz der Universität aufgebrochen, wo aus allen Ecken Gefahren lauerten. Oder der Tod.
Und ich hatte ihn gehen lassen und wollte nichts mehr, als mich hier und jetzt auf dem Boden zusammenzurollen und zu weinen.
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Ein Mini-Kapitel, das sich irgendwie noch zum vorherigen Exemplar gehört hätte, was ich vorgestern in aller Hektik aber irgendwie verpennt habe. Das kommt davon, wenn man vor der Arbeit noch schnell updatet, haha.
So wie jetzt. Hoppla.
Wie immer freu ich mich mega über Sternchen und Kommis😇 Lasst mir gern Gedanken da.
Liebe Grüße!❤
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