/4 Letter Word with L [Domen Prevc]/
"Warum willst du mir das antun?", fragte er sie und hielt sie an den Oberarmen fest, damit sie nicht davon laufen konnte, "ist es amüsant mich zu quälen indem du mich ignorierst?"
Lange sah sie ihn nicht an. Domen wusste, dass er nun eine gleich starke Antwort zurückbekommen würde.
"Verdammt was machst du mit mir? Du weißt, dass ich wieder nach Kanada zurück muss und machst nichts dagegen, dass ich mich besser fühle. Warum Domen", wurden ihre Worte immer leiser und heiße Tränen überfluteten ihr Gesicht.
Mit dieser Rückgabe hat er nicht gerechnet. Er hätte nie gedacht, diese Worte von ihr zu hören, wo die restlichen Tage ein ganz anderes Schema widergespiegelt haben.
"Aber Lucy, ich wollte das doch nicht", schaltete er seinen Verstand nun ab.
"Meinst du ich", schniefte sie kurz, "was hast du nur mit mir angestellt."
"Ich?", ließ er sie nun los, deutete auf sich selber, "was hast du mit mir gemacht. Ich bekomme nichts mehr gebacken. Nur die Sprünge werden besser", lächelte er und entlockte ihr ein Lachen. Domen strich ihr die Tränen von den Wangen und ließ seine Hand an ihrer Wange verharren, sie schmiegte sich an die warme Hand des erwachsener wirkenden jungen Mannes, als er eigentlich war.
"Bitte sein nicht traurig, das tut weh", deutete er mit dem Zeigefinger der freien Hand auf seine Brust, "hier drin."
"Deine bloße Existenz schmerzt", umklammerte sie ihn nun stürmisch, "wenn ich weiß, dass ich in zwei Tagen nicht mehr bei dir sein kann."
Ihr Schluchzen wurde wieder mehr und Domen strich ihr nur tröstend über den Rücken und den Hinterkopf.
"Hey, ich bin doch nicht tot", scherzte er, "außerdem, für was hat man Skype und Smartphone erfunden."
Lucy löste sich von ihm und strich sich die Tränen von ihren Wangeknochen. Wie allzu gerne würde sie ihn nun jetzt küssen, um dem ganzen zu entweichen. Dem Alltag und den Sorgen lebe wohl zu sagen. Doch sie konnte nicht. Eine Erinnerung an dieses erlebte Gefühl, wurde sie in Kanada umbringen.
"Ich will nicht nach Kanada", hauchte sie und sah zu Boden.
"Dann bleib doch hier", machte er eine Handbewegung und sie sah auf.
Nur Kopfschütteln kam ihm entgegen: "Ich kann nicht und du weißt das."
Domen ging auf ein Knie nieder und sah zu Lucy hinauf, die noch nicht wusste, was Domen von ihr wollte.
"Dann werde ich dich heiraten. Hier und jetzt. Ich habe kein Geld, nicht mal einen Schulabschluss, auch keinen Ring und wohne noch bei meinen Eltern. Du wirst eine Prevc werden und dann bei uns wohnen."
Schneller als geglaubt, ging Lucy in die Hocke und sah ihn an: "Das klingt zwar sehr verlockend, aber ich bin erst 17."
"Ich auch", konterte er geschickt und drückte ihr nun so stürmisch einen Kuss auf die Lippen, dass sie das Gleichgewicht verloren und mit dem Rücken auf dem Pflastersteinen vor dem Trainingszentrum aufkam. Domen hatte sich immer noch nicht gelöst und entschied sich nun, dem Kuss mit der Pause den nötigen magischen Moment zu verleihen. Die Arme links und rechts von ihrem Körper abgestützt, lächelte er und sie lachte kurz, streckte sich ihm entgegen und erreichte knapp nicht das, was sie wollte, worauf sie nur ihre Arme um seinen Hals schlang und ihr zu Boden zog. So dass er nun neben ihr liegen müsste und die untergehende Sonne begutachtete. Sie unterließ ihren Griff und legte sich auf die Schulter ihres Helden, der ihr sanft durch das rötliche Haar fuhr.
"Wir finden eine Lösung, glaub mir."
Und das alles war eigentlich nur Mackenzie Boyd-Clowes und Peter Prevc zu verdanken.
"Jetzt nimm' deine Ski, lächle und wenn du wirklich nichts von dem Trainingscamp hier hältst, kannst du wieder zurück nach Kanada", drückte er ihr die Ski und den Rucksack in die Hand. Ihr Blick alleine sprach Bände, die ihr Bruder strickt zu ignorieren versuchte. Erstens die Tatsache, dass sie in einem Trainingscamp für trainierte Superadler war, dort kaum mithalten kann und zweitens, wahrscheinlich keine Gleichgesinnte finden wird. Vielleicht konnte sie mit Noriaki ein Wort wechseln, der war auch einziger des Jahrgangs.
Sie als Conti-Cup Athletin, konnte sich wohl nur prächtig blamieren.
"Jetzt lächle doch. Du willst gut Skispringen, dann musst du auch dafür arbeiten und Einstellung ist alles", stupste er sie mit dem Ellbogen kurz an, während sie dem Hotel immer näher kamen. Lucy schnaubte genervt und strich sich eine Strähne hinter das Ohr.
"Wie soll ich positiv eingestellt sein, wenn ich sowieso weiß, dass ich mit niemanden reden kann, der sich in meiner Altersklasse befindet."
"Dann hast du die Norweger noch nicht getroffen, wenn du glaubst wir faseln von Politik und dem Wetter. Keinesfalls", lachte er und trat nun in die Lobby ein. Schon fast gefesselt musterte die junge Frau die Umgebung und folgte ihrem Bruder, um einzuchecken. Sie wurden in den zweiten Stock geschickt und teilten sich dort ein Zimmer. Auf dem Flur tummelten sich schon viele großgewachsene, hagere junge Männer, die ihr alle ein wenig bekannt vorkamen. Alleine an den verschiedenen Sprachen konnte sie einmal grob zuteilen, mit wem sie es in nächster Zeit zutun haben wird.
"Du wirst alle kennenlernen", hauchte Mackenzie ihr zu und sie lachte kurz. Sie bogen in das Zimmer 140 ein und lehnten die Ski sofort in die Ecke. Lucy, wie sie hieß, fielen die Augen schon fast im Stehen zu, worauf ihr Bruder ihr befahl, sich einen kurzen Mittagsschlaf zu gönnen, während er einen seiner Freunde besuchen würde. Sie nickte, schlüpfte aus den Schuhen und war sich samt Klamotten in das Bett.
Domen öffnete die Augen. Die Jacke von Peter lag auf ihm und er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und die Füße überkreuzt. Er war doch wohl nicht ernsthaft bei der Predigt von Peter eingeschlafen. Doch wie es aussah, schon. Die stundenlange Fahrt hatte ihm etwas zugesetzt und er war wirklich froh, dass heute noch nicht das Training begann.
Er setzte sich auf und rieb seine Augen. Der Schlaf hatte ihm wirklich gut getan. Domen zog sich sein Smartphone vom Couchtisch und entfernte den kleinen, blauen Zettel vom Display.
»Bin kurz bei Mackenzie, komm doch nach. Zimmer 140. Peter«
Eigentlich war Domen gerade gar nicht danach, aufzustehen. Am liebsten würde er sich nun sein Buch holen, weiterlesen und den restlichen Nachmittag, bis zum Abendessen, mit Faulenzen verbringen. Er ignorierte den Hunger, der auf das verpasste Mittagessen aufmerksam machte und stand auf. Er tapste langsam und zielstrebig auf das Zimmer, wenig Meter vor ihm zu, grüßte auch ein paar Österreicher und klopfte dann. Es war leise. Er klopfte noch einmal und stieß damit die Tür auf. Etwas irritiert, stand Prevc nur da und bewegte sich nicht. Er trat langsam ein und schlich in das Zimmer. Vielleicht war ja doch jemand da. Aber Peter und Mackenzie fand er nicht. Domen schnaubte leicht genervt und zog das Smartphone aus der hinteren Hosentaschen.
Langsam öffnete Lucy ihre Augen und stöhnte. Darauf folgte ein genussvolles Gähnen und sie setzte sich auf. Das war, trotz des verpassten Mittagessen, der beste Mittagsschlaf seit langem gewesen. Doch jetzt war es Zeit, wieder etwas zu tun, um sich morgen nicht ganz zu blamieren. Das würde ihr noch fehlen.
Als sie eine unbekannte Stimme hörte, verharrte Lucy kurz. Es war eine ihr unverständliche Sprache und musste aus Europa stammen. Dazu war die Stimme noch recht jung. Ihres Erachtens.
Langsam und leise schlich sie barfuß über den weichen Teppich und versuchte keine Aufmerksamkeit auf sie zu erregen, doch als sie nun in der Tür stand, war dieser Punkt abgehakt. Mit großen Augen starrte sie ihr gegenüber an und ließ vor schreck das Smartphone fallen. Lucy wurde nervös, hatte keinen Plan, wie sie mit dieser Situation umgehen sollte, worauf ihr Unterbewusstsein zu handeln begann.
Schneller als geglaubt, schob sie ihn aus dem Zimmer und warf die Tür zu. Mit dem Rücken daran gelehnt, erwachte sie aus ihrer Handlung und realisierte nun, was sie eigentlich angerichtet hatte. Ein super erster Eindruck.
Als Domen sie gesehen hatte, war er etwas erschrocken, konnte aber nicht schreien. Es war eher so ein überraschendes Erschrecken. Er war nun wie gelähmt und ließ sogar sein Smartphone fallen. Normalerweise, wenn ihm so etwas passiert, war er schneller als der Blitz, um nachzusehen wie das Display aussah, doch es war ihm diesmal egal.
Erst als er die Tür vor der Nase zugeknallt und auf den Flur stand, erwachte er. Was war das für eine schräge Begegnung gewesen. Sie hatte ihn nun ausgesperrt. Einfach so. Ohne Grund. Na, ohne darf man nicht ganz sagen. Domen war ja immerhin einfach in das Zimmer gegangen.
Vorsichtig wurde die Tür nun wieder geöffnet und ein neugieriges Paar blau-grüne Augen sahen durch den kleinen Spalt. Der Blick wanderte nach oben, bis sie an Domen's Lächeln hängenblieb und die Tür nun ganz öffnete. Beide standen da, musterten sich von oben bis unten. Mal abgesehen von dem strahlenden Lächeln, waren seine dunklen Augen verblüffend und dann kamen noch die dunklen Haare dazu, die das ganze abrundeten.
So eine coole Mischung aus braun und rötlich, hatte Domen noch nie als Haarfarbe gesehen. Er schätzte ihre Haarlänge auf ungefähr hüftlang, die sie zu einem Dutt zusammengebunden, aus dem sich schon mehrere Strähnen gelöst hatten. Ihre Augen durfte er ja schon kennenlernen, jetzt fehlte nur noch sie.
Abrupt hielt sie Domen sein Smartphone entgegen, welches er nun nahm und stotternd hervorbrachte: "Tut mir leid, ich wollte nicht..."
"Nein", unterbrach sie ihn, "ich muss mich entschuldigen. Ich wollte dir nicht irgendwie weh tun oder so."
Domen lachte kurz: "Hast du auch nicht, ich bin ja ohnehin reingeplatzt. Da darf man das schon"
"Hast du dich in der Tür geirrt?"
"Ich habe meinen Bruder Peter gesucht, der anscheinend hier sein soll."
"Gehen wir ihn suchen?", deutete sie den Gang entlang, "vielleicht finden wir ja auch meinen Bruder."
"Okay", hatte er nichts dagegen und trat einen Schritt zur Seite. Sie schloss die Tür hinter sich und wartete, bis Domen einen Schritt machte, was er nun schlussendlich tat.
"Du bist die Schwester von Mackenzie?"
Nicken kam ihm entgegen: "Lucy Boyd-Clowes", hielt sie ihm die Hand entgegen.
"Domen", erwiderte er und sie deutete mit der Hand, seinen Nachnamen auch noch zu verraten, "Prevc. Ich bin das nicht mehr richtig gewohnt."
"Achso", lachte sie, "und ich dachte du willst ihn mir nicht sagen."
"Keinesfalls, ich...", verstummte er und blieb stehen. Auch Lucy, die nun einen Meter vor ihm stand, verharrte und lauschte den geschrienen Worten, aus einem Zimmer. Es war unverkennbar Norwegisch. Aufgebrachtes Norwegisch.
Langsam ging Fanni rückwärts der Tür entgegen. Alles nur wegen Kenneth. War Daniel mit Kenneth zusammen, kannten die zwei kein halten. Anders dürfte sich nicht rausnehmen aus der ganzen Sache, da er doch recht forsch alles zurückgab, was die zwei ihn amüsiert an den Kopf warfen. Wurde der Kleine ihnen dann etwas zu frech, half nichts anderes, als ihn auszukitzeln. Das ließ Anders sich natürlich nicht gefallen.
"Bleib weg von mir, Daniel!", rief er aufgeregt und drückte sich mit dem Rücken gegen die Tür. Er sah hektisch im Sekundentakt zwischen Tande und Gangnes hin und her. Beide lächelten leicht finster und taten schon fast so, als wäre es der Tod für Fannemel. Indirekt war es das wirklich, da Anders es hasste, gekitzelt zu werden. Er war empfindlich. Einerseits, weil sein Zwillingsbruder Einar das immer gemacht hatte. Andererseits, weil es die einzige Schwachstelle war, mit welcher man ihn jagen könnte.
Mit einem schnellen Hieb war die Zimmertür geöffnet und er stürmte hinaus. Sofort kam ihm eine Person vor Augen, die recht jung und auf dem Flur gestanden war. Domen. Anders machte eine scharfe Linkskurve und hatte nun den nächsten Menschen vor Augen, konnte aber nichts mehr machen. Er war in einer zu verdrehten Position, um noch ausweichen zu können und sein Gegenüber war vor Überraschung gelähmt. Direkter Kollisionskurs.
Mit einem kurzen Schrei lagen beide auf dem Boden und Kenneth rannte gegen Daniel, der nun stehen geblieben war.
Leicht benebelt knurrte Fannemel und drückte sich auf. Er sah hinab und verzog das Gesicht, bevor er leise knurrte: "Damn. Hvorfor noe alltid skjer med meg."
Daniel lachte nur.
"Ja", antwortete er auf eine unausgesprochene Frage, "So etwas passiert auch nur dir."
Darauf folgte ein Killerblick und Anders warf sich neben der jungen Frau auf den Boden. Hastig krempelte er das rechte Hosenbein hoch und tastete sein Kniegelenk ab.
"Du bist so ein Idiot!", fauchte er Daniel an, "Ich hab schon fast darauf gewartet, bis so etwas passiert!"
Kenneth starrte nur mehr auf den Springer am Boden und blinzelte mehrmal, bevor er sich an Daniels Oberarm festkrallte. Dieser brachte nur stotternd hervor: "Anders, sag' nicht, dass du verletzt bist?"
"Was glaubst du, was ich hier am Boden mache", schloss Anders seine Augen rieb sich über das Gesicht.
Als Tande sich hinkniete und eine Hand in Richtung Fannemel ausstreckte, zuckte dieser leicht zurück. "Lass mich ja in ruhe."
"Aber Anders..."
"Nichts Anders. Jetzt kannst du mal nachdenken, was du angestellt hast." Kenneth stand nur da und sagte nichts mehr. Er war sprachlos. Das war nie der Fall. Doch seine Füße blieben nicht stehen und wanderten. Schnurstracks in das Zimmer von Alex, wo er gerade eine Telefonat, der Sprache nach zuhause, störte.
"Kenneth", hielt er kurz das untere Ende des Smartphones zu, "was ist los? Du bist so blass."
Gangnes stützte sich an der Wand ab, starrte vor Alex in die Leere und stottere hervor: "Ich hab Anders weh getan, ohne es gewollt zu haben. Er ist so sauer auf mich und ich weiß nicht, was ich tun soll. Verstehst du?", sah er zum Trainer, "ich wollte das nicht."
Alex beendete schnell das Gespräch und stand langsam auf: "Wo ist Anders?"
"Auf dem Flur. Er ist mit jemanden zusammengerannt."
Alex drängte sich an ihm vorbei und rief noch: "Geh zu Severin Freund und frag ihn, wo der Teamarzt von denen ist. Er soll kommen."
Kenneth nickte und rannte in die andere Richtung.
Währenddessen müsste Domen seine Beruhigungskünste unter Beweis stellen.
"Domen?", hauchte Lucy leise hervor, worauf danach Anders einen norwegischen Fluch an die Decke rief, worauf Daniel erschrocken zusammenzuckte.
Prevc rannte um die zwei Athleten herum und kniete sich neben sie. Ihre rechte Gesichtshälfte war mit Blut überströmt, war ihm ein ungutes Gefühl in der Magengrube beschaffte.
Langsam öffnete sie die Augen und verzog das Gesicht. Sie griff sich an die schmerzende Stelle und zuckte sofort mit der Hand zurück. Sie wurde schon fast schlagartig blass und starrte auf die Hand, an der ihr Blut verzeichnet war.
Sie bekam einen zittrigen Atem und blinzelte wie wild. Domen wusste nicht ganz, was mir ihr gerade geschah.
"Ich kann das nicht", hauchte sie und schloss die Augen.
"Was? Kein Blut sehen?", ratete er und sah die mit schrägen Kopf an, worauf sie nickte. Sie öffnete ihr Augen und wollte etwa hervorstammeln, worauf Domen sie unterbrach. Er hielt ihr die Augen zu und lächelte etwas stolz: "So. Problem gelöst."
Lucy lachte kurz und drückte seinen kleinen Finger leicht von der Augenbraue. Domen sah nun zu Daniel, der nur mit den Schultern zuckte. Er wusste nicht, was sie nun tun sollten, geschweige denn, wo Kenneth hin verschwunden. Zwischen der ganzen Aufregung hatte man das nicht mitbekommen.
"So", sprach Domen mit Lucy, der er immer noch die Sicht vernebelte, "langsam aufstehen und wir nehmen dich mit ins Krankenhaus."
"K-Kranken..."
"Du brauchst keine Angst zu haben", sprach eine fremde Stimme auf sie ein und Lucy würde aufgezogen.
Sie begann zu lächeln: "Domen?"
"Nein", lachte er und sah zu Severin, "ich bin zu schmächtig um dich bei einer Bewusstlosigkeit aufzufangen."
Als sie dann im Krankenhaus waren, wurde Domen kräftig auf die Schulter geklopft, im geistigen Sinne. Anscheinend hatte, indem er Lucy die Augen zugehalten hatte, den Blutfluss etwas zurückgehalten.
Nun gingen sie, Lucy mit geklebten Cut, Richtung Schanze. Beide hatten vor gehabt, dies heute noch zu tun und nun war sie schon fast greifbar nahe.
Obwohl Domen Lucy immer wieder gesagt hatte, dass es wohl besser für sie wäre, sich hinzulegen, doch die Kanadierin war nicht von ihrem Vorhaben abzubringen.
Sie standen davor, starrten begeistert hinauf.
"Ich kanns kaum erwarten, von der Schanze zu springen", hauchte Domen hervor und ein zustimmendes Mhm erklang von ihrer Seite.
"Hey Domen!", rief jemand hinter Prevc und beide drehten sich um.
Mackenzie rannte auf sie zu und wank Lucy dann auch noch. Doch je näher er kam, desto finsterer wurde sein Blick und als er vor den zweien stand, kam es nur nüchtern und zugleich aufgeregt hervor: "Domen, was hast du gemacht."
"Ich...", versuchte er sich zu verteidigen, wurde aber von einem Windstoß unterbrochen.
"Brüderchen, was hast du gemacht!", kam es noch erschrockener und schriller als zuvor, als sein Bruder vor ihm stand.
Domen setzte erneut an, wurde diesmal aber von Lucy unterbrochen: "Ein Norweger hat mich zusammengerannt. Wie hieß der gleich nochmal?", sah sie dann zu Domen.
"Anders Fannemel", kam es knapp und er verschränkte die Arme hinter deinem Rücken. Beide Brüder sahen Domen an, als würde er lügen, doch sein Kopfnicken unterstrich das ganze. Auch Lucy legte noch ein Argument drauf.
"Domen ist mit mir ins Krankenhaus und hat mich begleitet, als du nicht dagewesen warst", tippte sie mit dem Finger auf Brusthöhe auf das Shirt ihres Bruders herum.
Dieser schüttelte nun den Kopf. Er glaubte den beiden. Bei den Norwegern könnte man nicht wirklich vorsichtig genug sein.
"Bleibt ihr noch hier?", fragte Peter nun eher an Domen als an Lucy gerichtet.
Domen sah zuerst zu Lucy, als müsste er sich eine Erlaubnis einholen und bejahte dann auf ihr nicken.
Die beiden älteren Brüder verabschiedeten sich und waren kurze Zeit darauf verschwunden.
Lucy begann lauthals zu lachen und bekam bei dem schrägen Blick von Domen noch einen Lachanfall: "Warum machen sie dich verantwortlich?"
Zwischen dem Gestotterwerk hatte er kaum den Satz verstanden und zuckte nun mit den Schultern.
"Wenn man so jung ist, glauben manche man würde leichtsinnig sein. Aus Prinzip", schob er die Hände ein.
Lucy nickte: "Deswegen meinen alle, sie müssen auf dich aufpassen."
"Und sind deine Extraeltern", lachte nun Domen und setzte sich auf die Bank, die beiden nun entdeckt hatten. Lucy warf sich neben ihn, mit keinem großen Abstand, auf die Sitzfläche und ließ die Sonne auf ihr Gesicht scheinen.
Danach sah sie schon fast erschrocken schnell zu ihm und hatte anscheinend eine Idee.
"Willst du was essen gehen?"
Er begann zu lächeln und nickte, hob aber einen Finger. Domen wusste nicht, was noch in seiner Jackentasche war. Im letzten Trainingslager hat er sein Taschengeld, welches er immer in der Jackentasche mit sich hatte, mit Spielhallen strapaziert. Seine Erklärung, er war in Japan gewesen. Videospiele Ahoi!
Seine Geldtasche hatte er nicht mitgenommen und so kramte er nach jedem einzelnen Cent, den er finden konnte.
"Einen Euro kann ich anbieten", präsentiere er stolz seine Entdeckung in der Sonne.
Lucy zog auch etwas aus ihrer Hosentasche, was Domen aufblicken ließ. Es waren Scheine.
"30 Kanadische Dollar und 1 Euro 20", schüttelte sie den Kopf, "ich hab noch nicht gewechselt."
"Ich glaube", dachte Domen kurz nach, "wir können uns ein Eis kaufen."
"Oder wir legen zusammen und kaufen uns gleich eine ganze Packung. Man steigt wesentlich billiger aus", lachte Lucy und dachte an ihren letzten Besuch in Österreich.
Nun konnte Domen sich sein Lachen auch nicht verkneifen: "Denkst du jetzt ans Sparen oder ans Essen. Beides kann ich nicht."
"Ich glaube", fasste Boyd-Clowes den besten Entschluss, "wenn wir ein ganze Packung verputzen, bekommen wir von Peter und Mackenzie eine ordentliche Standpauke."
Diese Entscheidung war wirklich sinnvoll gewesen, da sie sich schlussendlich sicher wegen der Sorte in die Haare gekommen wären. Schokolade und Vanille waren zwei ganz andere Seiten.
So gingen sie nun wirklich fröhlich über die Ausbeute wieder zurück zum Hotel. Es war kein kurzer Weg bis dort hin.
"Also fassen wir mal zusammen", riss sie ihn aus den Gedanken, "ich habe heute drei Personen kennengelernt. Dich, Peter und Anders Finn..."
"Fannemel", unterbrach er sie lächelnd, "eigentlich fünf. Plus Daniel André Tande und Kenneth Gangnes."
"Und Alex Stöckl."
"Severin Freund und den deutschen Teamarzt auch noch. Also sind es dann acht in Summe, aber da folgen noch einige."
Lucy sah zu Domen hinauf und musterte seine in der Sonne glitzernden Augen. Wie schön sie waren. Und sie tat nun etwas, was für sie unerklärlich war. Sie legte einen Arm um ihn und drückte sich an ihn. Domen war zuerst etwas überrascht, keine Frage, legte aber schlussendlich einen Arm über ihre Schultern und sah nun zu ihr hinab.
"Eine Ahnung, warum wir das machen?"
Sie schüttelte den Kopf und drückte sich noch etwas fester an ihn: "Ich weiß es nicht."
Am nächsten Morgen, wurde er durch ein Rütteln wach.
"Hey Domen."
Er öffnete die Augen und sah in die dunkelbraunen seines Bruders, der nur leicht schmunzelte.
Domen gähnte kurz und setzte sich auf. Sein Rücken schmerzte vom Pflasterstein, auf dem er seine Nacht verbracht hatte. Die Haare standen wirr durch die Gegend.
"Was machst du hier draußen", schüttelte Peter lachend und leicht amüsiert den Kopf.
Domen hingegen, sah zur Seite und sprang auf, als eine Person fehlte. Er rannte zurück in das Hotel und ließ seinen Bruder eiskalt zurück.
Oben angekommen, lief er Cene in die Arme, der ihn noch unbegründet fest hielt.
"Jetzt lass mich los!", rief der jüngste genervt und wehrte sich immer noch, doch Cene ließ nicht locker, "ich werde Lucy verpassen."
"Das sollst du ja auch", kam es leise und Domen verharrt. Er sah zu seinem Bruder hinab, als würde er ihm gerade seinen genauen Todestag prophezeien, was er auch in gewisser Hinsicht getan hatte. Es war für ihn mit der Todesstrafe gleichzusetzen.
"Warum willst du das?"
Cene war verstummt und sagte auch nichts mehr. Während Domen an ihm vorbeilief. Wie erwartet, stand er nun vor dem Hotel und dem fast leeren Parkplatz. Es war vorbei. Und er hatte sein Versprechen nicht gehalten.
Lucy saß nun in dem grauen VW Multivan ihres Bruders und musterte die Landschaft, während vereinzelt Tränen über ihre Wangen flossen. Mackenzie sah schon viel zu lange zu ihr hinüber und traute sich nun endlich seine Frage auszusprechen.
"Warum hast du ihn denn nicht geweckt?"
Sie fuhr herum und sah zu ihrem Bruder. Er versuchte nun die Antwort in ihrer überfluteten Augen zu lesen. Doch es wirkte fast so, als wären sie mit einem Geheimcode geschrieben, den wahrscheinlich nur Domen lesen kann.
"Ich konnte es nicht", hielt sie kurz inne, "ich bin heute gestorben. Und zwar für immer."
"Ich bin tot, gestorben", murmelte Domen in das Kopfkissen und weinte vor sich hin, "bitte grab' mich ein."
Dieser Satz war an Peter gewendet, der nun seit mehreren Minuten versucht, seinen Bruder aus dem Bett zu bekommen, damit sie endlich nachhause fahren können. Es wird langsam Zeit.
"Aber wir brauchen dich", versuchte Peter es erneut mit guten Worten, "was machen denn Ema und Nika, wenn du ihnen keine Geschichten mehr erzählst?"
"Keine mehr hören", kam es desinteressiert zurück und Peter schüttelte kurz den Kopf.
Er musste ihn schleunigst zum Lachen bringen: "Ewig nicht mehr schlafen und du weißt wie quengelig Ema dann wird. Ich kann es nicht, Cene auch nicht und Dad ist am talentiertesten von uns, da zu versagen."
Domen hatte sich nun entschlossen, langsam wieder zu lachen.
"Hey, jetzt komm", klopfte Peter ihm auf die Schulter, "Mum und Dad warten zuhause schon. Weinen kannst du im Auto auch noch oder Cene trägt dich runter", stand er auf und fügte noch hinzu, "also wenn du dich nicht blamieren und auf ewig einen Spitznamen bekommen willst, dann beweg' deinen Hintern in den Passat."
Etwas schmollend auf diese Bemerkung, kroch Domen aus dem Bett und ging wortlos aus dem Hotel. Er hasste es. Nie wieder wird er einen Fuß da rein setzen.
Auf halber Strecke und vollbepackt, trafen sie auf Goran, der das verweinte Gesicht von Domen erkannte. Auch wenn sein Blick leicht gesenkt war.
Er hielt ihn kurz am Oberarm zurück und Peter zog Cene mit sich, der allem Anschein nach, das Gespräch gerne verfolgt hätte.
"Alles in Ordnung bei dir?", fragte Janus sofort und Domen schniefte ein letztes Mal, bevor er aufsah. Er wollte den Kopf schütteln, unterließ es aber.
Janus führte ihn etwas zur Seite und Domen ließ sich auf einen der dekorativen rechteckigen Betonblöcke nieder. Goran neben ihn.
"Willst du mir was erzählen? Hast du dich mit deinen Brüdern gestritten?"
Domen schüttelte nun energisch den Kopf. Seine Brüder trugen kaum Schuld daran. Ganz im Gegenteil.
"Nein, das ist es...", brach er schluchzend ab und legte seinen Kopf in die Hände. Warum verdammt hatte er sie geküsst. Es brachte ihn nun innerlich um, zu wissen dass er dies wahrscheinlich nie mehr tun kann.
Goran gefiel die Sache immer weniger und er legte einen Arm auf die Schulter von Domen, der nun aufsprang und zwei Schritte nach vorne machte. Er glaubte nicht, dass er es schaffte mit Goran zu reden, ohne in Tränen auszubrechen, wenn er ihn ansah, worauf er mit dem Rücken zu ihm zu sprechen begann.
"Was ich dir jetzt sagen werde, ich nicht einfach."
"Schieß' los", verschränkte der Trainer die Arme vor der Brust, "ich habe Zeit."
Prevc nickte kurz und schniefte ein allerletztes Mal, bevor er sich selbst ermahnte, sich aufzuraffen, wenn auch nur für eine kurze Minute.
"Niemand weiß davon."
"Willst du eine Pause einlegen?", dachte er kurz an und Domen schüttelte den Kopf, "Brauchst du Hilfe? Psychisch?"
"Nein...ich will..."
"Sprungstil?"
Domen war leicht verwirrt von der Art, wie Goran ihn unterbrach. Anscheinend hatte er es eilig, gab es aber nicht zu. Und das wiederum ließ in Domen Tränen aufsteigen.
"Ja ich weine, okay", kam es schon fast hysterisch von ihm, "ich weine, weil es mir so schwer fällt. Ich weine, weil ich nicht glauben kann, was ich gemacht habe, um so bestraft zu werden. Und ich weine, weil ich aus dem Weltcup aussteige. Ich will zurück in den Continental Cup."
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