Wasser, Wahrheit, Fall (Nevada)
Nevada
von squirrelowl
Als ich das Dorf verließ, ging ich nicht mehr nur schnell, sondern hechtete bereits förmlich und ich wurde immer schneller. Das Tempo hatte nicht nur den einen Grund, dass ich Kia retten musste, sondern war auch die einzige Möglichkeit meinen Körper dazu zu bringen in diese Richtung zu laufen. Ich war mir sicher sobald ich mein Tempo drosseln sollte, würde ich umdrehen. Schließlich ging ich zum Wasserfall! Mein Körper wollte streiken, doch Willenskraft und der Gedanken daran, dass ich Kalen ein Versprechen gegeben hatte, trieb ich mich voran.
Kletternd stieg ich über umgefallene Bäume und kämpfte mich durch das Gestrüpp des Waldes. Es war nur zu offensichtlich, dass nie jemand in diesen Bereich des Waldes ging. Denn so wild gewachsen wie die Pflanzen hier waren, waren sie sonst nirgendwo im Wald um unsere Dörfer. Aber welche vernünftig denkende Person machte sich schon auf diesen Weg? Ich musste jetzt dadurch, denn das Versprechen, das ich Kalen gegeben hatte, band mich daran. Außerdem wusste ich, dass ich Kalen und selbst meiner Schwester nicht mehr in die Augen schauen konnte, falls ich es unversucht lassen würde.
Ich ging immer weiter. Mir war gerade alles egal - außer der Gedanke, dass ich Kia stoppen musste. Dornen zerrissen meine Kleidung, doch was zählte war die Möglichkeit den Selbstmord zu verhindern. Als ich nah genug war, um das Tosen des herunterstürzenden Wasser zu hören, blieb ich kurz abrupt stehen. Noch nie war ich so nahe am endlosen Wasserfall gewesen und bereits die Geräusche brachten mich aus der Fassung. Du wirst es schaffen, du wirst Kia retten, Kalen seine große Schwester heimbringen und vor dem Abendessen wieder zurück sein. So versuchte ich mir selbst gut zu zusprechen. Mein Herz raste vor Anspannung und Angst an diesem Ort.
Bevor ich die Meter hinter mich brachte, die mich noch von dem Wasserfall trennten, atmete ich noch einmal tief ein und aus, schloss kurz die Augen um dann den nächsten Schritt zu gehen. Ab jetzt machte ich langsamer und ich schaute mich immer misstrauisch um. Was war, wenn das graue Wesen hier sein sollte?! Würde es mich auch in das Wasser ziehen? So wie es damals Kia beschrieben hatte? Auch wenn Mafei sich sicher war, dass das Wesen nicht existiere, ließ ich nicht von meiner Wachsamkeit ab. Ich war hier schließlich am endlosen Wasserfall und da wusste man nie, welche Geschichten nun der Wahrheit entsprachen und welche nicht. Es gab einfach viel zu viele Gerüchte, die sich um diesen Ort rankten.
Das Donnern des herunterstürzenden Wassers überdeckte bald jegliches andere Geräusch in der Umgebung. Ich hörte nicht mehr das Rascheln und das Knacken der Äste unter meinen Füßen, ich hörte keine Tiere im Umfeld und ich würde nicht hören, wenn das Wesen oder etwas anderes auf mich zukommen würde. Aber das durfte mich jetzt nicht aufhalten: Ich musste zu Kia. Bald würde ich den Wasserfall gänzlich zu Gesicht bekommen. Es würde nicht mehr lange dauern, dann musste ich nur noch zu Kia und sie zurück zum Dorf bringen. Das würde doch kein Problem geben.
Die Bäume wurden mittlerweile lichter und ich konnte bereits das erste Blau des Wassers sehen, doch für das Bild, das sich mir jetzt bot, war ich nicht gefasst gewesen. Es war wunderschön! Die grünen Bäume, welche direkt am steilen Ufer standen. Das glasklare Wasser, welches in der Sonne glitzerte und in seiner ganzen Schönheit das Tal in schimmerndes Licht tauchte. Und dann der Wasserfall erst, wie er aus endlosen Höhen durch den Himmel schnitt, nur um sich hier zu sammeln. Dort wo der Wasserfall auf den See traf, spritzen Millionen kleine Wassertröpfchen auf, glitzerten im Sonnenschein und ließen mehrere Regenbögen entstehen. Das Tal war von hohen Bergen umrundet und genau in der Mitte lag dieser große wunderschöne See mit diesem unglaublichen Farbenspiel des Wassers.
Wie sollte dieser Ort die Quelle von so vielem Übel sein?! War jemals irgendjemand hier gewesen? Jetzt da ich den Wasserfall sah, konnte ich den wenigsten der Gerüchte einfach so glauben schenken! Wie viel hatte ich über blutrote Seen, schwarze Felsen im Wasser und andere seltsame Beschreibungen dieses Ortes gehört? Niemand hatte gesagt, dass es einfach nur ein normaler See sei. Alle Beschreibungen wichen sehr stark von dem Bild ab, das ich jetzt vor meinem Auge hatte.
Der Gedanke erinnerte mich an den Grund weshalb ich hier war, deswegen ließ ich daraufhin meinen Blick über das Ufer streifen. Felsen, Wald, Bäume, Sträucher, Wasser, das war alles was ich sah. Mein Herz stoppte kurz. Sollte ich zu spät sein?! Wie sollte ich das Kalen erklären? Ich musste sie finden und aufhalten! Und wieder versuchte ich sie zu erspähen. Langsam folgte ich dem Steilufer mit meinen Augen - diesmal musste ich sie doch finden können.
Je näher ich das Ende der Runde kam, desto nervöser wurde ich. Meine Hände wurden schwitzig und mein Herzschlag übertönte sogar das Tosen des Wassers. Wo war sie?!
Ich zuckte zusammen. War da gerade nicht eine Bewegung in meinem Augenwinkel gewesen?! Hektisch versuchte ich meine Umgebung im Blick zu behalten. Doch nichts war dort! Dabei war ich mir sicher, dass sich dort bei den Dornensträuchern irgendetwas bewegt hatte. Dafür hatte ich aber etwas anderes entdeckt und zwar hing in den Dornen ein roter Stofffetzen. Der musste von Kia sein!
Die Bewegung noch im Kopf behaltend, folgte ich dem Fetzen und gebrochenen Äste und kam immer näher an den Wasserfall. Und dann endlich sah ich Kia! Zusammengekauert und die Arme um ihre Beine geschlungen saß sie dort am Rand des Ufers und weinte lautlos vor sich hin, konnte aber auch sein, dass ich sie auch einfach nicht hörte. Vorsichtig ging ich auf sie zu; ich wollte sie schließlich nicht verschrecken. Ich beugte mich zu ihr, so dass ich gerade in ihre Augen gucken konnte.
„Kia." Ich versuchte langsam und beruhigend mit ihr zu sprechen, aber natürlich war es auch für sie zu laut mich zu verstehen. Bis jetzt hatte sie mich auch noch nicht wahrgenommen. Sanft berührte ich sie an ihrer Hand. Erschrocken zuckte sie zurück und sah mich mit schreckgeweiteten Augen an. Meine Versuche beruhigend zu wirken, klappten nur mäßig. Es hatte einen Moment gebraucht, bis sie erkannte, dass nur eine Person vor ihr stand und kein Ungeheuer oder seltsames Wesen.
Über den Lärm rufend versuchten wir uns zu verständigen, es drangen aber leider nur Wortfetzen zu mir hindurch. Wir saßen nebeneinander. Ich hielt tröstend ihre Hand. Irgendwann hatten wir aufgehört zu versuchen zu reden, denn über den Lärm war es unmöglich. So saßen wir dort am Ufer und schauten auf das Wasser des Sees.
Nichts regte sich in unserem Umfeld, es gab nur die weinende Kia und mich. Wie froh ich einfach war, dass ich sie noch am Ufer angetroffen hatte und nicht zu spät gekommen war. Jetzt sollte sie sich erst einmal trösten lassen und dann würde ich sie zurück zum Dorf bringen.
Von einem Augenblick auf den anderen änderte sich die Atmosphäre; es war so als hätte sich ein Schleier auf die Welt gelegt. Auf einmal hörte ich Kia's Schluchzen. Der Lärm des tosenden Wassers war verschwunden?! Verwirrt schaute ich zum Wasserfall. Zuerst rieb ich verwundert meine Augen, dann zwickte ich mich in den Arm, doch ich sah es wirklich! Das Wasser fiel nicht mehr herunter, Nein, es stand! Es schien so als hätte jemand die Zeit angehalten, doch um den See herum sah man die Blätter im leichten Wind schwingen. Stand die Zeit also nur für den Wasserfall still? Oder was war hier los?! Der Wasserfall war zu einer riesigen Wassersäule erstarrt, die in den Himmel ragte. Durchschimmernd und glitzernd stand sie imposant im ruhigen Wasser des Sees. Wie eine Statue stand ich dort mit offenem Mund und starrte den stillen Wasserfall an. Wie konnte das möglich sein?! Wasser floss nur nach unten, genauso wie ein Apfel vom Baum fiel.
Dieser Anblick stellte meine gesamte Welt auf den Kopf. Gab es noch mehr solcher Ereignisse in Trior?!
Das stehende Wasser war schon seltsam genug, doch das was nun geschah, ließ mich an meiner Wahrnehmung zweifeln. Das Wasser nahm langsam wieder Bewegung auf, doch es fiel nicht herunter sondern floss aufwärts. Ich versuchte mit meinen Gedanken zu erfassen, was hier gerade passierte, doch egal welche Versuchserklärung ich hatte, sie konnte nicht beschreiben, was dort vor mir geschah.
„Du wirst es bald verstehen, Nevada." Blitzartig drehte ich mich um und zuckte zurück, als ich mich direkt dem alten Krenad gegenübersah. Mein Herz pochte wie wild. Wie konnte er mich hier nur so erschrecken?! Ich hatte gedacht, er wäre das graue Wesen oder irgendetwas Vergleichbares. Ich war hier schließlich am gerüchteumwobenen See und da konnte man nie wissen. „Was.....? Wie? Woher?" stammelte ich, es war einfach unbegreiflich. Wieso war er hier, war er mir gefolgt, wie kam er hier hin, ohne dass ich ihn bemerkt hatte? Ich hatte doch auf meine Umgebung geachtet. „Beruhige dich erstmal wieder, alles ist gut, ich bin es doch nur." Er war es nur. Es gab also keinen Grund für mich, so erschrocken zu sein. Ich beruhigte mich wieder.
Gerade schlug mein Herz wieder im normalen Tempo, als ich erneut zusammenfuhr. Ein Schrei zerriss die Stille, die der aufwärts fließende Wasserfall zurückließ. Das war doch Kia gewesen?! Ich schnellte herum und sah sie stammelnd und mit großen Augen auf Krenad starrend. In ihren Augen stand die pure Angst, sie wollte fortlaufen, doch ihre Furcht hielt sie im Bann.
Jetzt verstand ich wirklich gar nichts mehr. Erst fing der Wasserfall an in den Himmel zufließen, dann tauchte Krenad wie aus dem nichts auf und ohne Vorwarnung verfällt Kia bei Krenads Anblick in Panik. Hier stimmte etwas absolut nicht!
„Du brauchst keine Angst zu haben", versuchte Krenad beruhigend auf sie zu wirken, doch je mehr er sich an sie wandte, desto panischer wurde sie. Kein normaler Grund konnte dieses Ausmaß an Panik hervorrufen, da musste etwas Tiefliegenderes vorliegen.
Innerlich schlug ich mit der flachen Hand auf meinen Kopf, warum war mir das nicht vorher aufgefallen?! Es war doch direkt vor meinen Augen. Ich stand am Ort wo Kia's Eltern gestorben waren! Und das durch die Tat eines grauen Wesens menschenartiger Gestalt. Mein Blick wanderte zu Krenad. Immer hatte er mir wie ein netter Mann gewirkt, doch im Licht des Wassers wirkte seine Haut grau. Er war das graue Wesen! Das hieß, er hatte Kia's und Kalen's Eltern umgebracht.
Ich wich vor ihm zurück, langsam immer weiter. Jeder Schritt war ruhig und unauffällig, er sollte schließlich nicht bemerken, dass ich wusste, zu was er fähig war. Es war bereits zu spät! Krenad verfolgte meine Bewegung mit seinen Augen. Doch auf das was kam, war ich nicht vorbereitet. Er kam nicht auf mich zu und versuchte mich in die Fluten zu werfen, sondern blieb einfach stehen und grinste breit. Es war dieses Grinsen, welches es mir kalt über den Rücken laufen ließ und mir eine Gänsehaut bescherte. Einfach dieses Gefühl nicht zu verstehen, was er vorhatte und völlig ahnungslos zu sein, trieb mir die Angst in die Knochen. Was wollte er?
Jeder Schritt brachte mich weiter zurück. Solange der Abstand zwischen uns groß genug war, konnte ja nichts geschehen. Doch wie ich mich geirrt hatte! Ohne es zu bemerken war ich immer näher an das Steilufer gegangen. Jetzt gab es nur noch Krenad oder das Wasser! Jeder Fluchtweg war versperrt. Was sollte ich jetzt tun? Verzweifelt schaute ich zu Kia, die noch immer wie versteinert dort saß, wo ich sie zurückgelassen hatte. Sie würde mir auch keine große Hilfe sein. Ich war also auf mich alleine gestellt.
Krenad setzte sich nun in Bewegung und kam immer und immer näher. Mein Herz pochte wie wild, ich zitterte und brach in Schweiß aus. Noch nie hatte ich in meinem bisherigen Leben so viel Angst gehabt. Und Krenad war vorher immer der freundliche Mann von nebenan gewesen. Wie konnte er dabei das Graue Wesen gewesen sein?
Hektisch schaute ich herum, hatte ich nicht vielleicht einen Ausweg übersehen?! Irgendwie musste es doch eine Lösung geben, ich konnte hier doch nicht einfach sterben. Ich hatte Aliana und Kalen doch etwas versprochen, sollte ich jetzt nicht fähig sein dieses Versprechen zuhalten? Nein, das konnte ich nicht zulassen. Wenigstens Kia musste zu ihrem Bruder zurückkehren. „Kia! Lauf!" Langsam, viel zu langsam, drehte sie ihren Kopf in meine Richtung. Anfangs schien sie durch mich hindurch zu blicken, doch dann zeigte sich Verständnis; sie würde zum Dorf zurück laufen. Und hoffentlich Aliana und Mafei erzählen was passiert ist, falls ich wirklich keine Lösung finden sollte. Dann würde es zum Glück wenigsten für sie gut enden.
Nirgendwo gab es einen Ausweg für mich. An den Seiten lag der See, direkt hinter mir floss der Wasserfall still in den Himmel und vorne hieß es dem Mörder von Kia's Eltern in die Hände zulaufen. Was davon war das kleinere Übel? Schwimmen konnte ich nicht wirklich, doch von Krenad wusste ich nicht was er vorhatte, ich wusste nur das er immer näher kam. Das reichte mir auch. Er war mir nicht geheuer, schließlich hatte er Kalen die Eltern geraubt. Die Entscheidung stand fest, das Wasser konnte mich hoffentlich vor Krenad retten.
Kurz zögerte ich, dann sprang ich in die Massen des Sees - der gerüchteweise nur Schlechtes verhieß. Ein lautes „Nein" ertönte von Krenad. Dann verschwamm die Welt und die Zeit in der Unendlichkeit. Das Wasser umschloss mich, packte mich und zog mich tiefer, sobald ich die Oberfläche auch nur berührt hatte. Schnappartig hatte ich Luft geholt, doch viel war es nicht. Mit Armen und Beinen versuchte ich mich zum Ufer vorzukämpfen, doch egal was ich tat, der Strom war stärker als ich. Es war als gäbe das Wasser meinen Bewegungen einfach nach und zöge mich unentwegt weiter. Meine Orientierung hatte ich bereits längst verloren, überall war Wasser und ich wurde nur herumgeschleudert.
Meine Luft wurde immer knapper. Ich musste atmen! Viel Zeit blieb mir nicht mehr. Meine Lunge brannte wie Feuer und ich bemerkte, dass das Denken mir immer schwerer fiel. Ich glaubte schon zu halluzinieren. Ich hatte verschwommene Bilder vor meinem Auge. Ich sah wie Krenad sich kopfüber in den See stürzte und hektisch und verzweifelt auf den Wasserfall zu schwamm. Das konnte nicht real sein, schließlich hieß es erstens, dass er sich umbringen wollte - so schien es mir gerade eben nicht - und zweitens hieß es, dass die Wassermassen mich in den Himmel hochtrugen. Und das war unmöglich. Wenn das Wasser schon aus unerklärlichen Gründen aufwärts floss, konnte es aber niemals die Kraft haben einen Menschen mit hinauf zu tragen.
Verzweifelt versuchte ich an Luft zu kommen, doch nirgends kam ich an die süße Frische. Es gab nichts anderes mehr als das Wasser, das mich umschloss. Wie sollte ich das überstehen? Eins stand fest, ich würde hier im Wasser des Sees sterben.
Mein Geist versuchte sich mit dem Gedanken an Aliana wach zu halten. Wie wird es nur meiner Schwester ergehen? Und was war mit meiner Mutter? Hoffentlich werden sie es überstehen, ich wusste schließlich wie stark sie waren. Mit diesem Gedanken hörte ich auf mich zu wehren - es hatte schließlich keinen Sinn mehr - und gab mich dem Wasser hin.
*****
Hi ;)
Ich weiß das es extrem lange gedauert hat, aber ich hatte leider eine Schreibblockade die es erst mal wieder zu durchbrechen galt, doch ich habe es endlich geschafft und damit gibt es endlich das nächste Kapitel zu Nevada.
Was haltet ihr von Krenad und seinem Verhalten? Was hat er zu verbergen? Was ist seine Motivation Nevada hinterher zu springen?
Was denkt ihr dazu? Ich bin über eure Ideen gespannt :)
LG Owaya
Ps.:Ich versuche die nächsten Updates schneller zu bringen, doch seid mir bittenicht beleidigt, wenn es nicht klappen sollte (Ich hoffe, dass es nicht mehr soschnell dazu kommen wird).
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