Kapitel 4
Als ich das Klassenzimmer meines Bruders betrat, empfing mich eine dramatische Szenerie. Kinder hatten sich in einem Kreis auf dem Boden gescharrt, um was konnte ich mir schon denken. Ich sprintete auf sie zu und schob sie beiseite.
Mein kleiner Bruder, Jacob, lag auf dem Boden und sah schrecklich aus. Er war kreidebleich und hustete, krümmte sich und schien enorme Schmerzen zu haben.
„Jacob!" Ich ließ mich neben ihn fallen, griff nach seiner Hand und fragte mich warum.
„Ich...das Wasser..." Aber ich wusste bereits was er sagen wollte. Er hatte das andere Wasser getrunken, das noch nicht abgekochte und damit die Bakterien und Viren, im schlimmsten Fall Seuchen, die sich darin befanden. Und er hatte Pech gehabt, Mum und ich hatten es im tausend Mal gesagt, er hatte es sogar gesehen! Ethan war nur ein weiteres Beispiel gewesen, dass das bestätigt hatte.
Aber wie war es möglich dass sich die Krankheit bereits nach wenigen Stunden so stark zeigte?
„Gabriella." Jacobs Lehrerin zog mich beiseite. Sie war ganz okay, eine Normale in einem Haufen Irrer, besser gesagt stinkreicher Ignoranten. „Wir haben einen Krankenwagen gerufen, aber... das sieht wirklich schlecht aus." Ihre Worte lähmten mich während mein Blick immer noch starr auf Jacob lag. Er hatte sich zur Seite gedreht, schnappte nach Luft und hustete gleichzeitig. Das konnte es doch nicht sein, oder? Meine Welt schien auseinanderzufallen, ich wollte nicht wahrhaben was gerade geschah.
„Wir haben deine Mutter informiert." Eine Sache weniger, um die ich mich sorgen musste.
„Jacob, alles wird gut, okay?" Ich musste mich beherrschen um nicht zu weinen, musste für ihn stark bleiben und die Situation nicht noch verschlimmern. Ich wollte ihm keine Vorwürfe machen, aber ich konnte nicht anders.
„Du dummer Junge, du weißt doch...", ein Schluchzer entwich mir, „dass es gefährlich ist das Wasser zu trinken." Jacob wollte etwas sagen, wurde jedoch von einem Hustenanfall geschüttelt.
„Es ist okay, sag nichts. Wir fahren jetzt ins Krankenhaus und dann... kommt Mum... und alles wird gut. Morgen bist du schon wieder zu Hause, ich verspreche es. Ich lasse nicht zu dass dir etwas passiert."
Ich blieb bei ihm und hielt seine Hand, bis ein Sanitäter in den Klassenraum gestürzt kam und Jacob auf eine Trage hievte. Dann schob er ihn durch die langen Flure der Schule nach draußen. Ich lief hinterher und zwängte mich hinter ihm in den Krankenwagen, der sich gemächlich seinen Weg durch die Straßen der Stadt suchte.
„Geht das nicht schneller? Er braucht Hilfe!", frage ich panisch.
„Schneller fahren kostet mehr." Unglaublich.
„Dann tun sie es!" Ich wusste, dass wir das Geld nicht hatten. Ich wusste, dass wir uns auch die Behandlung im Krankenhaus eigentlich nicht leisten konnten. Es gab keine Krankenversicherung wie früher, die die Leute ohne schlechtes Gewissen in ein Krankenhaus laufen ließ. Das Konzept Versicherung an sich war abgeschafft, hatte sich im Chaos des letzten Jahrhunderts verflüchtigt. Aber wir würden das Geld schon irgendwie aufbringen, Jacobs Gesundheit war mir mehr Wert als alles andere auf dieser Welt.
Nach endlos langen Minuten kamen wir endlich am Krankenhaus an und ich drückte noch ein letztes Mal Jacobs Hand, bevor er in eines der Zimmer geschoben wurde und hoffentlich, hoffentlich behandelt wurde. Er musste einfach wieder gesund werden!
„Gaby!" Ich drehte mich um und sah meine Mum auf mich zu rennen, sie zog mich in eine tiefe Umarmung. Ich konnte die Sorge in ihrem Gesicht erkennen, die Fassungslosigkeit über diese Situation.
„Was ist passiert?" Ich erzählte ihr in Kurzfassung die Geschehnisse des heutigen Tages und sie schüttelte den Kopf.
„Wie konnte er nur...?" Aber wir wussten beide das es jetzt nichts mehr bringen würde, auf Jacobs Fehlern zu beharren. Das Kind war bereits in den Brunnen gefallen.
Wir setzten uns auf die Stühle im klinisch weißen Gang und warteten.
„Mum, was ist..." Aber ich musste den Gedanken nicht aussprechen, sie wusste auch so was ich meinte.
„Denk nicht mal daran. Das wird nicht passieren." Ihre Worte gaben mir Hoffnung, wenn meine Mum daran glaubte konnte nichts schief gehen.
„Misses Santiago?" Meine Mutter sah auf. Vor ihr stand einer der Ärzte, in weißem Kittel und mit einer Miene die sowohl Mitleid als auch etwas anderes spiegelte, dass ich nicht genau deuten konnte. „Um die Behandlung weiter fortzuführen brauchen wir eine Anzahlung, nur als Sicherheit, verstehen Sie?" Geldsüchtige verdammte Ärzte!
Mum nickte und krempelte dann ihren Ärmel hoch. Darunter kam eine goldener Armreif zum Vorschein, ein antikes Stück, von Generation zu Generation weitergegeben und eine Art Erinnerungsstück. Es bedeutete ihr so viel. Aber ich war schlau genug, um nicht zu protestieren, schließlich ging es hier um Jacobs Leben.
„Ist das genug?", fragte sie den Arzt und nahm den Armreif ab, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich bewunderte sie, sie war meine Mum, klar, aber in diesem Moment wusste ich, dass sie alles für ihre Kinder tun würde. Alles.
„Echtgold?", fragte er Arzt, interessiert und seinen Blick auf den Armreif gerichtet.
„Hundert Prozent."
„Das dürfte reichen. Machen Sie sich keine Sorgen, wir kriegen das hin." Ich atmete erleichtert auf. Das von einem Arzt zu hören, war noch einmal beruhigender und versicherte mir, dass Jacob bald, sehr bald wieder zu Hause sein würde. So wie ich es ihm versprochen hatte.
„Der Armreif war für einen Notfall vorgesehen", sagte Mum, als der Arzt wieder weg war. Ich war mir nicht sicher ob sie es zu mir sagte, ihr Blick war starr auf die gegenüberliegende Wand gerichtet und sie erschien mir etwas abwesend. „Für eine Situation wie diese. Als Absicherung. Ich wollte euch das Geld nicht vorenthalten, aber ich habe immer gewusst dass wir ihn irgendwann brauchen würden."
„Es ist okay, Mum." Ich streichelte ihren Arm. „Du wirst sehen, morgen sitzen wir schon wieder zu Hause und lachen über die Geschichte." Okay, das war vielleicht etwas übertrieben, aber es verdeutlichte was ich damit meinte. „Und wenn ich erst mal mein Studium anfange und Aufträge bekomme, wird alles besser. Vielleicht können wir Jacob dann sogar auf eine bessere Schule schicken." Unsere Schule war nicht schlecht, oh nein. Aber ich wusste, dass er sich nicht wohlfühlte, da ging es ihm nicht viel anders als mir. Er brauchte Freunde, echte Freunde, die mit ihm durch dick und dünn gehen würden.
„Okay", sagte Mum und lächelte sogar etwas.Während ihr gleichzeitig Tränen in den Augen standen.
Vielleicht waren wir deshalb und auch wegen den positiven Worten des Arztes nicht darauf vorbereitet, was als nächstes kam. Eine Krankenschwester, ihr Gesichtsausdruck undeutbar, die direkt auf uns zukam.
„Familie Santiago?" Wieder nickten wir. „Jacob hat einen bisher unbekannten Virus, eine Krankheit, die in keine System verzeichnet wurde. Er hat sich innerhalb von drei Stunden vollkommen im Körper ausgebreitet, eine absolute Rekordzeit." Mich interessierten keine Rekordzeiten, ich wollte einfach nur wissen, wie es meinem Bruder ging! „Bei einer bereits so fortgeschrittenen Erkrankung wie in diesem Fall die ihres Bruders, ist das einzige Hilfsmittel Antibiotika. Und das hat nicht angeschlagen. Es tut mir Leid, Misses Santiago." Ich verstand erst nicht, was sie damit meinte, mein Gehirn war unfähig, die eben ausgesprochenen Worte zu Sätzen zusammenzusetzen und dann die Informationen, die dahinter standen, herauszufiltern.
„Wie lange hat er noch?" Die Frage meiner Mutter brachte es auf den Punkt.
„Wir sind uns nicht sicher. Ein paar Stunden höchstens. Das war der ausschlaggebende Punkt für mich, aufzuspringen, die Krankenschwester beiseite zu schubsen und in das Zimmer zu rennen, aus dem sie gekommen war. Ich musste zu meinem Bruder.
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