Kapitel 12
Der Morgen kam und überzog den Himmel mit einem rosarot, das ich bisher immer nur in der pinken Limonade gesehen hatte, die Mum manchmal aus Blutorangen und Grapefruit angerührt hatte. In der Nacht hatte ich die Decke unbewusst fester um mich gesteckt und somit gehofft, die Kälte wenigstens ein bisschen vertreiben zu können. Aber solange ich hier war und mich sicher fühlte war das ein Preis, den ich gerne bereit war zu zahlen. Jetzt, am frühen Morgen, war nichts mehr zu fühlen von der Kälte, die sich über Nacht angelagert hatte und man konnte sich schon denken, dass die Temperaturen wieder ins Unermesslich Hohe steigen würden.
Ich zögerte das Aufstehen so lange wie möglich hinaus, vielleicht, um mich von der Realität abzuschotten und noch ein bisschen in der Traumwelt zu verweilen, in der es außer den wechselnden Farben des Himmels keine Probleme gab. Aber Kay hatte gestern gesagt, dass mich jemand abholen kommen würde und ich wollte ungern einen schlechten Eindruck geben. Also schlug ich wider Willen die Decke beiseite und nahm zum ersten Mal die Hütte wirklich war, die ich gestern Abend nur kurz inspiziert hatte. Neben den Kissen am Boden stand der kleine Tisch, den ich schon gestern bemerkt hatte. Darauf stand ein simpler Becher, bestehend aus einem hellen Holz das ich bisher noch nie gesehen hatte und einer Schüssel aus demselben Material. Was würde ich jetzt für ein bisschen Wasser geben! Ich hatte das Gefühl das jeglicher Sand aus der Wüste auf meinem Gesicht klebte und fast schon eine Art zweite Haut bildete. Vielleicht könnte ich mir aus dem Brunnen ein bisschen Wasser zum Waschen holen. Doch bevor ich Zeit hatte weiter darüber nachzudenken schlug jemand die Tücher im Eingang beiseite und steckte den Kopf in meine Hütte.
„Bist du fertig?", fragte Celine ungeduldig. Im Gegensatz zu mir sah sie wach und gewaschen aus, wobei ich zweifelte dass Celine jemals unordentlich aussehen könnte.
„Sofort- ich wollte..."
„Die Sachen hier sind für dich." Sie streckte mir einen Stapel mit Kleidung entgegen, die sauber waren und eindeutig besser für die Wüste gemacht waren als meine löchrige Jeans und das langärmlige Shirt. „Zieh dich um und komm dann zum Eingangstor, wir haben heute noch viel vor. Oh, und du solltest dich vielleicht waschen. Wasser kannst du am Brunnen holen." Ach nee. „Wir treffen uns in zehn Minuten." Damit war sie wieder verschwunden und ich fragte mich wie zur Hölle ich all das innerhalb von zehn Minuten schaffen sollte.
Ich war zu spät, was für ein Wunder. Celine sagte nichts, doch an ihrem genervten Gesichtsausdruck sah ich ganz deutlich, dass sie Unpünktlichkeit nicht gerade schätzte. Anders als gestern hielt sie sich heute nicht im Hintergrund sondern hatte eine undurchdringbare Miene aufgelegt, die nichts Gutes verhieß.
„Wir müssen die Route um das Lager abgehen und nach möglichen Gefahren Ausschau halten." Was genau das für Gefahren waren, sagte sie nicht.
„Nur wir beide?"
„Die anderen haben andere Aufgaben." Ich sah mich rasch um und machte ein paar Leute aus, die die hohen Felswände erklommen und maroden Stein aus den Wänden lösten. Anders als gestern waren heute auch Männer dabei, die den Hauptteil der Aufgabe übernahmen. Aus der Entfernung konnte ich nicht genau sehen wie alt sie waren, aber ich schätzte sie auf zwanzig bis dreißig wie die meisten hier.
Wir waren die einzigen, die sich zu dieser frühen Uhrzeit aus dem Lager hinaus begaben und deshalb wurde das Tor extra für uns geöffnet. Ich kniff meine Augen zusammen um sie von der plötzlichen Helligkeit, ausgehend von Billiarden Körnern von goldgelbem Sand, die in der Sonne glänzten, zu schützen. Vor mir lag die Wüste wie eine Ofenbarung. Das hier war so anders, als morgens die schmutzigen Straßen der Stadt vor sich zu haben und zu wissen, das man hier, an diesem grässlichen Ort wahrscheinlich nie wegkommen würde. Ich fühlte mich befreit.
„Ist schon überwältigend, nicht?", flüsterte Celine plötzlich. Ich nickte nur. „Komm, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!" Vom einen Moment auf den anderen war sie wieder die alte, schlechtgelaunte Celine. Stumm folgte ich ihr durch den Sand und versuchte dabei, möglichst schnell voranzukommen. Aber ich scheiterte kläglich. Celine hatte den Trick mit dem nicht Einsinken im Sand eindeutig besser drauf als ich. Kurz dachte ich, sie tat das mit Absicht aber so viel Bosheit traute ich ihr dann doch nicht zu. Schon nach kurzer Zeit lag ich einige Meter hinter ihr zurück und der Abstand verlängerte sich immer weiter.
„Wo bleibst du denn?" Ich sah auf. Celine hatte sich zu mir umgedreht und stemmte die Hände in die Hüften.
„Ich sinke immer wieder ein. Ich bin einfach nicht gemacht für die Wüste." Ich quälte mich die letzten Meter zu ihr und fiel dann erschöpft auf die Knie. Celine seufzte.
„Du hast keine andere Wahl. Entweder du akzeptierst das Leben in der Wüste, oder du stirbst. So ist das hier." Ich dachte schon, das wäre alles, aber zu meiner Überraschung hatte sie ihren Satz noch nicht beendet. „Du musst so leicht wie möglich auftreten, siehst du? Denk einfach nicht ans Einsinken, dann passiert es auch nicht. Akzeptier die Wüste so wie sie ist." Ich wusste zwar nicht genau wie mir das helfen sollte, aber ich dankte ihr und machte mich daran, ihre schier unmöglichen Anweisungen umzusetzen. Und es klappte, unglaublich aber wahr. Mit jedem Schritt sank ich weniger ein und schaffte es sogar, im gleichen Tempo hinter ihr herzulaufen. Ein Grinsen breitete sich auf meinem Gesicht aus. Sah so aus, als hätte ich die erste Hürde des Überlebens in der Wüste gemeistert.
Unsere Aufgabe erwies sich jedoch nicht als so einfach, wie ich anfangs angenommen hatte. Die Route um das Lager entpuppte sich als zehn Kilometer lange Strecke, die uns in weiter Ferne einmal um das Lager herum führte.
„Diese Gefahren...", fing ich an, als mir die ewige Stille zu viel wurde und die Sonne immer stärker auf uns herunter brannte, „was soll das sein?" Celine, die sich ein Tuch um den Kopf geschlungen hatte um ihren Kopf vor der Sonne zu schützen, drehte sich zu mir, während wir weiter auf ein unbestimmtes Ziel zu liefen.
„Alles andere außer Sand."
„Aha. Geht das auch ein bisschen genauer?"
„Leute. Jemand, der unserem Lager nicht wohlgesinnten ist. Spuren, die darauf zurückführen dass sich hier jemand aufgehalten hat." Eine Gänsehaut, die ich bei vierzig Grad im Schatten nicht für möglich gehalten hätte, kroch mir über den Rücken.
„Heißt das, ihr werdet angegriffen?" Sie lachte.
„Glaubst du etwa, wir leben freiwillig auf dem Unbewohnbarsten Platz auf dieser Erde?" Damit schien unser Gespräch zu Ende zu sein und wir stapften weiter in Richtung Horizont. Ich wurde immer erschöpfter, bis ich nicht mehr wusste wie ich einen Fuß vor den anderen setzen sollte. Der Gedanke, dass Celine mich wahrscheinlich eher nicht als neue Freundin betrachtete, machte es auch nicht gerade besser.
„Können wir anhalten? Bitte!" Sie zuckte nicht einmal mit der Wimper.
„Wer anhält, stirbt." Aber überraschenderweise beförderte sie eine Flasche mit Wasser zutage, die sie mir in die Hand drückte. Gierig trank ich die Hälfte des warmen Wassers, bevor ich sie ihr zurückgab.
„Wie schaffst du das? Wir sind jetzt schon den halben Tag bei unmenschlichen Temperaturen gelatscht und du bist nicht einmal außer Atem?", fragte ich sie neugierig.
„Du gewöhnst dich daran. Außerdem hast du keine andere Wahl."
„Wer anhält, stirbt, ich weiß schon."
„Genau."
„Sag mal, Celine... wie lange bist du hier schon?" „Ich habe nicht gesagt dass wir uns über private Sachen unterhalten. Wenn du hierhergekommen bist um Freunde zu finden bist du hier eindeutig falsch, Gaby." Ich lächelte, weil ich jetzt Gaby war. Nicht die Gabriella mit der Chaosfamilie, sondern einfach nur Gaby. Und ich glaubte zu verstehen was Celine meinte. Hier ging keinen meine Vergangenheit an, ich lebte nur im hier und jetzt und war einfach... Gaby.
„Bin ich nicht. Ich bin hier..." Ja, warum war ich eigentlich hier? Um der Vergangenheit zu entfliehen, vielleicht. Um nicht in die Spirale zu stürzen, die schon meine Mutter verschlungen hatte. Um mich selbst zu retten. „Ich bin hier weil ich mein altes Leben hinter mir lassen will", beendete ich den Satz schließlich.
„Da bist du nicht die Einzige", erwiderte Celine tonlos und ich fragte mich abermals, weswegen sie hier war. Die Frage auszusprechen wagte ich nicht. Wir gingen weiter und gerade als ich endgültig aufgeben, mich in den Sand fallen lassen und nie mehr aufstehen wollte, erklärte Celine unsere heutige Aufgabe für erledigt.
„Keine Anzeichen von äußerlichen Einwirkungen, geschweige denn eine Spur von Leben", berichtete sie Kay, als wir beide unsere Bericht im Lager erstatteten. Das heißt, sie erstattete Bericht. Ich stand nur hilflos daneben und genoss die Kälte, die im von Kerzen erleuchteten Kellerraum herrschte.
„Danke, Celine. Und dir auch, Gaby, es freut mich, dass du deine Aufgabe so ernst nimmst." Ich versuchte ein schwaches Lächeln. „Jeder hier im Lager trägt einen Teil zur Gemeinschaft bei. Und deine Aufgabe ist genau so wichtig wie jede andere hier."
„Komm, wir gehen was essen." Celine fasste mich am Arm und zog mich zurück in die stickige Hitze, sobald das Gespräch mit Kay erledigt war. „Essen klingt gut", stimmte ich ihr zu und fragte mich, wo genau sich denn hier die Küche befand. Meine Frage wurde beantwortet, sobald mir ein himmlischer Duft in die Nase stieg und mich direkt in eine der Höhlen am anderen Ende des Lagers führte. Wir musste den Kopf einziehen, um durch den kleinen Eingang zu passen und ich hatte schon Angst, dass die kleinen Höhlen eine Art Klaustrophobie bei mir auslösen könnten, als sich ein großer Raum vor mir öffnete. Menschen wuselten herum und ich konnte nur wenige freie Plätze auf den provisorisch zusammengeschusterten Tischen und Bänken ausfindig machen. Die Küche musste sich in einer anhängenden Höhle hinter dieser befinden, denn immer wieder kam jemand aus der Küche und brachte Teller mit Essen. Ich folgte Celine in die Küche und war überrascht von der Ansehnlichkeit des Essens. Wir beide holten uns einen Teller und Celine machte Anstalten, sich an einen der Tische zu setzen. Ehe ich mich versah hatte jemand anderes den Platz neben ihr eingenommen und ich stand daneben, unschlüssig, was zu tun. Celine schien sich nicht um mich zu kümmern und lachte mit den anderen an ihrem Tisch, die sie alle gut zu kennen schien. Ich hatte keine Lust, hier noch länger dumm in der Gegend herumzustehen und drehte mich auf dem Absatz um, Richtung Tür. Keiner schien mich wahrzunehmen und als ich mit dem Teller in der Hand nach draußen verschwand war ich froh, dass ich der Situation entkommen war. Im Kontakte knüpfen war ich sowieso noch nie gut gewesen. Dann würde ich eben alleine essen.
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Habt ihr schon Meinungen zu Celine?
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